Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.05.2010, Az.: 11 LC 566/09
Vorrangige Zuständigkeit der Polizeibehörde für den Erlass eines Aufenthaltsverbotes; § 1 Abs. 1 S. 3 Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds.SOG) als Zuständigkeitsnorm für die Polizei zum Erlass eines Aufenthaltsverbotes
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 18.05.2010
- Aktenzeichen
- 11 LC 566/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 23831
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0518.11LC566.09.0A
Rechtsgrundlagen
Amtlicher Leitsatz
Aus § 1 Abs. 1 Satz 3 Nds.SOG (SOG ND) ergibt sich eine vorrangige Zuständigkeit der Polizeibehörde für den Erlass eines Aufenthaltsverbotes nach § 17 Abs. 4 Nds.SOG (Fortführung der Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschluss vom12.5.2009 - 11 ME 190/09 -, Nds.VBl 2009, 237 = NordÖR 2009, 369).
Tatbestand
Der 1988 geborene Kläger wendet sich gegen ein ihm von der Beklagten auferlegtes befristetes Aufenthaltsverbot für bestimmte Bereiche der Landeshauptstadt A..
Am 4. April 2009 gegen 3.20 Uhr erhielten die Vollzugspolizeibeamten der Beklagten einen Einsatzruf zu der Ecke B./C.-D. -Straße in A., weil es dort zu einer Schlägerei zwischen ca. zehn Männern gekommen sein sollte. Vor Ort trafen die eingesetzten Beamten auf den Kläger und zwei weitere männliche Personen, die zu einer Personengruppe geführt sollten, deren Mitglieder an der Schlägerei beteiligt gewesen sein sollten. Im weiteren Verlauf kam es zwischen dem Kläger und den eingesetzten Polizeibeamten zu einer erst verbal, dann auch mittels körperlicher Gewalt geführten Auseinandersetzung über das wiederholt geäußerte Begehren des Klägers, mit seinem Handy zu telefonieren, und dessen Weigerung, nicht in seine Taschen zu fassen. Nach dem Einsatzbericht der Polizei habe sich der Kläger drohend vor einen Polizeibeamten gestellt und beide Hände zur Faust geballt. Er habe sich immer mehr in Rage geredet und schließlich den Polizeibeamten mit beiden Händen vor die Brust gestoßen und mit der rechten Hand zum Schlag ausgeholt, wobei er die Hand zur Faust geballt und seine Beine in Kampfposition gestellt habe. Um einen Angriff seitens des Klägers abzuwehren, habe der Polizeibeamte seinerseits mit der Faust in das Gesicht des Klägers geschlagen, wobei dieser mit dem Hinterkopf gegen eine Schaufensterscheibe geprallt sei. Der Kläger habe daraufhin nach dem Beamten geschlagen und diesen an der Unterlippe getroffen. Der Polizeibeamte habe den Kläger dann zwei- bis dreimal ins Gesicht und auf den Oberkörper geschlagen. Der Kläger sei anschließend mit Hilfe weiterer Beamter fixiert und unter heftiger Gegenwehr polizeilichem Gewahrsam zugeführt worden. Dabei soll er die Einsatzbeamten fortwährend beleidigt haben und außerdem dem den Polizeiwagen fahrenden Beamten Blut ins Gesicht gespuckt haben. Auf dem Polizeirevier wurden bei dem Kläger eine Nasenfraktur, eine Jochbeinprellung und eine Platzwunde am Hinterkopf festgestellt.
Mit Schreiben vom 9. April 2009 regte die Polizeiinspektion Mitte gegenüber dem Dezernat 22 der Beklagten die Erteilung eines Aufenthaltsverbots gegen den Kläger für die Dauer von drei Monaten an. Auf dem dafür vorgesehenen Formular wurde angekreuzt, dass der Kläger keine anlassbezogenen Vortaten innerhalb der letzten zwölf Monate begangen habe und dass nach eingehender Prüfung die besondere Gewaltanwendung/die gezeigte Aggression bei der aktuellen Straftat die Annahme rechtfertige, dass der Adressat weitere anlassbezogene Straftaten im Innenstadtbereich/im angrenzenden Bereich Oststadt begehen werde. Dem Schreiben lagen der Einsatzbericht der Polizei vom 6. April 2009 sowie drei Strafanzeigen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, leichter Körperverletzung und Beleidigung bei.
Mit Schreiben vom 12. Mai 2009 hörte die Beklagte - Dezernat 22.2 - den Kläger zum beabsichtigten Erlass eines Aufenthaltsverbots von voraussichtlich mindestens drei bis zu höchstens neun Monaten für die sog. Verbotszone "Innenstadt (1)" und "Oststadt (1)" der Landeshauptstadt A. an. Dem Anhörungsschreiben war ein Plan beigefügt, aus dem sich die Lage der Verbotszonen ergibt. Anlässlich eines Telefonats am 14. Mai 2009 gab der Kläger an, dass er von der Polizei zusammengeschlagen worden sei. Ihm wurde erklärt, dass er, wenn es zu einem Aufenthaltsverbot käme, eine Ausnahmegenehmigung beantragen könne, um seinen Arbeitsplatz zu erreichen. Eine schriftliche Äußerung des Klägers erfolgte nicht.
Bei der Beklagten wird über den Kläger eine Kriminalakte mit dem Aktenzeichen HN 16295 A geführt, in der Erkenntnisse über mehrere Ermittlungsverfahren - u.a. wegen schweren Raubes (2004) und gemeinschaftlichen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (2005, Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten zur Bewährung), Sachbeschädigung (2004, Verurteilung zur Erbringung von Arbeitsleistungen), Raub in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (2004, 1 Woche Jugendarrest), Sachbeschädigung durch Graffiti (2004, 2005 und 2006), Körperverletzung und Bedrohung (2005), Verstoßes gegen das BtMG (2006 und 2007), Verdachts auf Sachbeschädigung (2009) - gespeichert sind.
Mit Bescheid vom 7. Juli 2009 erteilte die Beklagte dem Kläger ein Aufenthaltsverbot innerhalb der Landeshauptstadt A. für die als Verbotszone "Innenstadt (1)" und "Oststadt (1)" bezeichneten Bereiche für die Wochentage Freitag und Samstag jeweils von 20.00 Uhr bis 6.00 Uhr des Folgetages. Das Aufenthaltsverbot wurde bis zum Ablauf von drei Monaten vom Tage der Bekanntgabe an befristet. Von dem Verbot ausgenommen wurde die Durchfahrt des verbotenen Bereichs mittels öffentlicher Verkehrsmittel auf kürzestem Wege und ohne selbstbestimmtes Verweilen innerhalb der Verbotszone während der Verbotszeiten. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass in den Bereichen der Verbotszone eine Vielzahl von Gewalt- und Aggressionsstraftaten u.a. in Form von Rohheitsdelikten (Raubdelikte, Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Straftaten gegen die öffentliche Ordnung, Sachbeschädigungen und Verstöße gegen das Waffengesetz) überwiegend in den Nachtstunden der Wochentage Freitag und Samstag sowie an den Tagen vor gesetzlichen Feiertagen begangen würden. Betroffene Opfer/Geschädigte erlitten dabei teilweise erhebliche körperliche und seelische Schäden und müssten häufig für finanzielle Folgen selbst aufkommen, da verursachende Straftäter nicht ermittelt werden oder ermittelte Täter aus wirtschaftlichen Gründen für die Kosten nicht aufkommen könnten. Der Kläger sei als dringend Tatverdächtiger zu einer (vorsätzlich leichten) Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ermittelt worden. Er habe bei seiner Tat ein hohes Aggressionspotenzial sowie eine besonders niedrige Gewaltschwelle gezeigt. Die bei der Tathandlung an den Tag gelegte hohe Gewaltbereitschaft im Verhältnis zu dem vergleichweise nichtigen Anlass rechtfertige die Annahme, dass er auch weiterhin strafbare Gewalt-/Aggressionsdelikte begehen werde, sofern er ungehinderten Zugang zu den betroffenen Gebieten habe.
Der Kläger hat am 10. August 2009 Klage erhoben und um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.
Zur Begründung hat er vorgetragen, dass der in dem angefochtenen Bescheid dargelegte Sachverhalt im Wesentlichen zutreffe. Es sei jedoch versäumt worden mitzuteilen, dass er selbst durch die Polizeibeamten gereizt und am Körper verletzt worden sei. Ein entsprechendes Ermittlungsverfahren sei anhängig. Das ausgesprochene Aufenthaltsverbot sei daher unverhältnismäßig.
Der Kläger hat beantragt, den Bescheid der Beklagen vom 7. Juli 2009 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat erwidert, dass der Kläger durch sein Verhalten ein nicht unerhebliches Aggressionspotenzial sowie eine hohe Gewaltbereitschaft gezeigt habe. Weitere Straftaten innerhalb des Verbotsbereichs könnten aufgrund der Anlasstat und seines Persönlichkeitsbildes nicht ausgeschlossen werden. Er sei zwar nicht in den letzten zwölf Monaten innerhalb der Verbotszone strafrechtlich in Erscheinung getreten, gleichwohl werde aber bereits eine Kriminalakte über ihn geführt und es seien in der Vergangenheit diverse Ermittlungsverfahren gegen ihn anhängig gewesen, die auf ein gewaltbereites und kriminelles Persönlichkeitsbild schließen ließen. Die angefochtene Maßnahme sei geeignet, erforderlich und angemessen, erneute Straftaten des Klägers innerhalb des Verbotsbereichs in naher Zukunft zu verhindern. Bei der Dauer des Aufenthaltsverbots sei nach pflichtgemäßem Ermessen auch die Schwere der Tatvorwürfe vom 4. April 2009 berücksichtigt worden. Die Dauer sei mit drei Monaten im unteren Bereich angesiedelt. Soweit der Kläger vorgetragen habe, er sei durch den Beamten gereizt und selbst am Körper verletzt worden, weise sie darauf hin, dass der Kläger den Beamten zuerst angreifen wollte und der Beamte sich gezwungen gesehen habe, diesen Angriff gewaltsam abzuwehren. Der Kläger sei weit davon entfernt gewesen, sich friedlich den polizeilichen Maßnahmen zu unterwerfen.
Mit Beschluss vom 24. September 2009 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verfügung der Beklagten vom 7. Juli 2009 wiederhergestellt. Mit Urteil vom 24. September 2009 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid der Beklagten vom 7. Juli 2009 aufgehoben. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die Verfügung bereits formell rechtswidrig sei, weil die Beklagte für den Erlass dieser und vergleichbarer Verfügungen nicht zuständig sei. Der entgegenstehenden Ansicht des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschl. v. 12.5.2009 - 11 ME 190/09 -, Nds.VBl. 2009, 237) vermöge die Kammer nicht beizutreten. Rechtsgrundlage der Verfügung sei § 17 Abs. 4 Nds. SOG. Danach könne einer Person für eine bestimmte Zeit verboten werden, einen bestimmten örtlichen Bereich zu betreten oder sich dort aufzuhalten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass die Person in diesem Bereich eine Straftat begehen werde. Dabei ergebe sich weder aus § 17 Abs. 4 Nds. SOG noch aus § 1 Abs. 1 Satz 3 oder § 1 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG eine originäre Zuständigkeit der Beklagten. Vielmehr weise, anders als etwa § 17 Abs. 2 Satz 2 Nds. SOG (Platzverweisung aus einer Wohnung) das Gesetz in Abs. 4 der Vorschrift die Zuständigkeit für großräumige Aufenthaltsverbote nicht ausschließlich der Polizei, sondern - mangels eigener Regelung durch Rückgriff auf Abs. 1 - den Verwaltungsbehörden und der Polizei gemeinsam zu. Weil mit § 17 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Nds. SOG eine spezialgesetzliche Regelung die Zuständigkeit den Verwaltungsbehörden und der Polizei gemeinsam zuweise, komme die generelle Aufgabenzuweisung der Straftatenverhütung in § 1 Abs. 1 Satz 3 Nds. SOG nicht zur Anwendung. Seien danach Verwaltungsbehörde und Polizei gemeinsam für Aufenthaltsverbote zuständig, greife die Subsidiaritätsvorschrift des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nds. SOG, wonach die Polizei tätig werde, soweit die Gefahrenabwehr durch die Verwaltungsbehörden nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheine. Eine gleichzeitige Zuständigkeit sowohl der Verwaltungsbehörden als auch der Polizei sei nach dieser Vorschrift nicht vorgesehen. Bei verwaltungsförmigem Handeln wie der Anordnung einer längerfristigen Aufenthaltsverbots lägen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nds. SOG für eine Zuständigkeit der Polizei aber regelmäßig aber nicht vor, denn die Gefahrenabwehr durch die Verwaltungsbehörden sei rechtzeitig möglich. Für den Erlass eines langfristigen Aufenthaltsverbots komme es auf eine Auswertung kriminologischer Erkenntnisse an, die mit dem Anlassvorfall in keinem unmittelbaren Zusammenhang mehr stünden und die auch durch eine Verwaltungsbehörde ohne Weiteres vorgenommen werden könne. Das zeige auch der tatsächliche Ablauf des hier betroffenen Verwaltungsverfahrens, in dem gerade nicht die Beamten des Einsatz- und Streifendienstes die Verfügung gefertigt hätten, sondern Mitarbeiter des Dezernats 22.2. Die Bearbeitung von Aufenthaltsverboten durch die Verwaltungsbehörden habe sich außerdem aufgrund der damit verbundenen Transparenz bewährt. Der dem Erlass eines Aufenthaltsverbots vorausgehende Abwägungsprozess sei für Betroffene und Gerichte nur nachvollziehbar und überprüfbar, wenn die der Entscheidung zugrunde liegenden Erkenntnisse der entscheidenden Stelle vollständig mitgeteilt und gleichzeitig dokumentiert werden würden. Dies sei eher der Fall, wenn die Bearbeitung des Aufenthaltsverbots durch eine Stelle erfolge, die keine eigenen Kenntnisse von den Vorgängen und keinen eigenen Zugriff auf polizeiliche Datenbanken habe. Die Kammer hege auch in materieller Hinsicht erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfügung. Es sei fragwürdig, ob die Ermessensausübung der Beklagten einer rechtlichen Prüfung standhalte. Nur der Formulierung des Anhörungsschreibens "ein Aufenthaltsverbot von mindestens drei bis höchstens neun Monaten" und dem Telefonvermerk vom 14. Mai 2009 lasse sich entnehmen, dass die Beklagte ihr Ermessen überhaupt erkannt und ausgeübt habe. Weil der Kläger in den letzten zwölf Monaten im Geltungsbereich der Verfügung nicht polizeilich auffällig geworden sei, erweise sich ein Aufenthaltsverbot, das sich allein auf das bei dem Vorfall am 4. April 2009 gezeigte Aggressionspotenzial stütze, möglicherweise als ermessensfehlerhaft, wenn der Kläger an der Eskalation der Ereignisse zwar wesentlichen, aber nicht alleinigen Anteil gehabt und selbst erhebliche Verletzungen davongetragen habe. Die im Laufe des Gerichtsverfahrens nachgeschobenen Erkenntnisse aus der über den Kläger geführten Kriminalakte stellten demgegenüber möglicherweise keine Ergänzung, sondern einen - unzulässigen - Austausch der Ermessenserwägungen dar.
Die Beklagte hat am 3. Dezember 2009 die von dem Verwaltungsgericht wegen Divergenz zugelassene Berufung eingelegt.
Zur Begründung trägt sie vor, dass sich die originäre Zuständigkeit der Polizei für die Erteilung eines Aufenthaltsverbots nach der hier zugrunde liegenden Konzeption zur Eindämmung von Gewalt- und Aggressionsdelikten in der Innenstadt von A. aus § 1 Abs. 1 Satz 3 Nds. SOG ergebe. Entsprechend Nr. 1.2 der Ausführungsbestimmungen zu § 1 Nds. SOG (RdErl. d. MI v. 16.7.1998) werde die Polizei vorrangig tätig, wenn Straftaten zu verhüten seien. Der Vorrang des polizeilichen Tätigwerdens werde damit begründet, dass der Polizei erstens bestimmte Befugnisse zur Erkenntnisgewinnung vorbehalten seien und zweitens nur sie aus ihrer strafverfolgenden Tätigkeit über spezifisches Erfahrungswissen verfüge, um kriminellen Gefahren wirksam entgegentreten zu können. Immer dann, wenn und soweit diese besonderen Voraussetzungen vorlägen, sei eine vorrangige Zuständigkeit der Polizei gegeben. So liege der Fall hier. Die Feststellung der Anlasstat, die Aufnahme des Sachverhalts und seine strafrechtliche Einordnung nehme die Polizei vor, nicht die Landeshauptstadt A.. Die Überprüfung, ob bereits polizeiliche Erkenntnisse über den Betroffen vorliegen, sei der Polizei vorbehalten und der Landeshauptstadt A. selbst nicht möglich. Die Bewertung, ob der Betroffene Anlass zu der Erwartung gebe, wegen gleichgelagerter Straftaten erneut aufzufallen, sei eine kriminalistisch-kriminologische Bewertung durch die fachliche hierzu berufene Strafverfolgungsbehörde aufgrund der nur ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnisse. Die Aufenthaltsverbote entfalteten nur dann eine präventive Wirkung, wenn ihre Einhaltung auch konsequent überwacht werde. Hierzu sei wiederum nur die Polizei aufgrund ihrer Präsenz zu den kritischen Zeiten und ihrer strafverfolgenden Tätigkeit im Falle der Begehung von erneuten Straftaten durch die mit Aufenthaltsverboten belegten Täter in der Lage. Aufgrund ihrer Kenntnis von Personen und örtlichen Brennpunkten sei sie zu gezielten Kontrollmaßnahmen in der Lage. Dies setze auch den schnellen Kontrollfluss voraus, der durch eine Abfrage im polizeilichen Auskunftssystem den einschreitenden Beamten vor Ort über erteilte Aufenthaltsverbote die notwendigen Erkenntnisse vermittele. Dies werde durch eine in der Polizeidirektion A. geführte und ständig aktualisierte Datenbank gewährleistet. Anregungen für Aufenthaltsverbote beruhten auf der Prognose der Wiederholungsgefahr, die sich aus der kriminalistisch-kriminologischen Beurteilung und langjährigem Erfahrungswissen im Einsatzgeschehen ergebe. Dem stehe auch nicht die Abverfügung an das Dezernat 22 der Polizeidirektion A. entgegen. Hierbei handele es sich lediglich um verwaltungsinterne Strukturen ein und derselben Behörde, deren Geschäftsabläufe in die eigene Organisationshoheit fielen. Der Zulässigkeit der Berufung stehe nicht entgegen, dass das dem Kläger am 9. Juli 2010 zugestellte dreimonatige Aufenthaltsverbot im Oktober 2009 abgelaufen sei. Sie habe ein schutzwürdiges Interesse an der Fortführung des Verfahrens, da nach ihrer Konzeption zur Eindämmung von Gewalt- und Aggressionsdelikten in der Innenstadt von A. auch künftig regelmäßig mit der Verhängung von Aufenthaltsverboten zu rechnen und die Frage der Zuständigkeit daher klärungsbedürftig sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts A. - 10. Kammer - vom 24. September 2009 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Ausführungen des angefochtenen Urteils.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.
Der Zulässigkeit der Berufung steht nicht entgegen, dass das mit Bescheid der Beklagten vom 7. Juli 2009 gegen den Kläger verhängte dreimonatige Aufenthaltsverbot noch vor Zustellung des erstinstanzlichen Urteils vom 24. September 2009 an die Beklagte am 9. November 2009 und vor Einlegung der Berufung der Beklagten am 3. Dezember 2009 abgelaufen ist und sich das Verfahren damit in der Hauptsache erledigt hat. Wäre die von dem Kläger erhobene Klage gegen das Aufenthaltsverbot in der ersten Instanz abgewiesen worden, hätte er im Berufungsverfahren nur dann Erfolg haben können, wenn er seine Anfechtungsklage, für die aufgrund der in Folge des Zeitablaufs eingetretenen Erledigung das Rechtsschutzbedürfnis entfallen wäre, in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt hätte. Da der Kläger in der ersten Instanz aber obsiegt hat, besteht für eine Umstellung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage kein Anlass. In einer solchen Situation kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Beklagte trotz Erledigung des Rechtsstreits an seinem Klageabweisungsantrag festhalten, wenn ihm insoweit ein berechtigtes Interesse zur Seite steht (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.6.2001 - BVerwG 6 CN 1.01 -, NVwZ-RR 2002, 152; Urt. v. 18.4.1986 - BVerwG 8 C 84.84 -, Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 69 m.w.N.; siehe auch VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 7.1.1998 - 7 S 3117/97 -, NVwZ-RR 1998, 371). Dabei entsprechen die an das schutzwürdige Interesse zu stellenden Anforderungen denen einer Fortsetzungsfeststellungsklage. Somit kommt es darauf, ob der Beklagte mit dem von ihm erstrebten Urteil noch "etwas anfangen" kann und in seinem darauf gerichteten Wunsch schutzwürdig ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.4.1986, a.a.O.). Danach ist hier von einem schutzwürdigen Interesse der Beklagten an der Feststellung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Aufenthaltsverbots auszugehen. So dürfte die erforderliche Wiederholungsgefahr schon im Verhältnis zu dem nach wie vor in A. wohnenden Kläger zu bejahen sein. Im Übrigen kann ein schutzwürdiges Interesse ausnahmsweise auch dann vorliegen, wenn die Rechtsklärung nicht im Verhältnis zum Kläger, sondern zu Dritten begehrt wird. Wie die Beklagte nachvollziehbar dargelegt hat, ist die Frage ihrer Zuständigkeit für die Verhängung von Aufenthaltsverboten nach § 17 Abs. 4 Nds. SOG, die das Verwaltungsgericht verneint und deswegen der Klage stattgegeben hat, für sie von grundsätzlicher Bedeutung für die Erfüllung ihrer Aufgaben im Rahmen der Konzeption zur Eindämmung von Gewalt- und Aggressionsdelikten in der Innenstadt von A.. Eine obergerichtliche Klärung in einem Hauptsacheverfahren kann die Beklagte aber grundsätzlich nur in einem Berufungsverfahren erreichen, in dem sich der Bescheid über die Verhängung des Aufenthaltsverbots wegen Zeitablaufs bereits erledigt hat. In einem solchen Fall ist von einem berechtigten Interesse an einer Sachentscheidung auszugehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.6.1988 - BVerwG 8 C 86.86 -, NJW 1988, 2630).
Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Bescheid der Beklagten vom 7. Juli 2009, mit dem gegen den Kläger ein Aufenthaltsverbot verhängt worden ist, ist sowohl formell als auch materiell rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten.
Entgegen der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung ist die Beklagte für den Erlass des angefochtenen Bescheides zuständig gewesen und der Bescheid daher formell rechtmäßig.
Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass eine Person in einem bestimmten örtlichen Bereich eine Straftat begehen wird, so kann ihr für eine bestimmte Zeit verboten werden, diesen Bereich zu betreten oder sich dort aufzuhalten, es sei denn, sie hat dort ihre Wohnung (§ 17 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG). Für den Erlass eines solchen Aufenthaltsverbotes nach § 17 Abs. 4 Nds. SOG ist in erster Linie die Polizeibehörde zuständig. Daneben besteht eine subsidiäre Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden. Der Senat hat hierzu in einem vergleichbaren Verfahren - allerdings im Rahmen eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens - mit Beschluss vom 12. Mai 2009 (- 11 ME 190/09 -, Nds. VBl. 2009, 237) Folgendes ausgeführt:
"Allerdings verweist das Verwaltungsgericht zutreffend darauf, dass anders als in § 17 Abs. 2 Nds. SOG (Platzverweis aus der Wohnung) das Gesetz in Abs. 4 der Vorschrift die Zuständigkeit für längerfristige und großräumige Aufenthaltsverbote nicht ausschließlich der Polizei sondern - mangels eigener Regelung durch Rückgriff auf den kurzfristigen Platzverweis in Abs. 1 - den Verwaltungsbehörden und der Polizei gemeinsam zuweist.
Die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Verwaltungsbehörde und Polizei hat daher nach der allgemeinen Regelung in§ 1 Nds. SOG zu erfolgen.
§ 1 Nds. SOG bestimmt:
"Aufgaben der Verwaltungsbehörden und der Polizei:
1. Die Verwaltungsbehörden und die Polizei haben gemeinsam die Aufgabe der Gefahrenabwehr. Sie treffen hierfür auch Vorbereitungen um künftige Gefahren abwehren zu können. Die Polizei hat im Rahmen ihrer Aufgaben nach Satz 1 insbesondere auch Straftaten zu verhüten.
2. Die Polizei wird in den Fällen des Abs. 1 Satz 1 tätig, soweit die Gefahrenabwehr durch die Verwaltungsbehörden nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint. Verwaltungsbehörden und Polizei unterrichten sich gegenseitig, soweit dies zur Gefahrenabwehr erforderlich ist." Eine vorrangige Zuständigkeit der Polizei lässt sich - soweit in diesem Verfahren erkennbar - aller Voraussicht nach auf § 1 Abs. 1 S. 3 Nds. SOG stützen. Diese Vorschrift weist die Strafverhütung, wozu auch die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes nach § 17 Abs. 4 Nds. SOG gehört, "insbesondere" der Polizei zu.
§ 1 Abs. 1 und 2 Nds. SOG hatten ursprünglich (Nds. SOG v. 17.11.1981 - Nds. GVBl. S. 347 -) folgenden Wortlaut:
1. Die Polizei und die Verwaltungsbehörden haben gemeinsam die Aufgabe der Gefahrenabwehr.
2. Die Polizei wird tätig, soweit die Gefahrenabwehr durch die Verwaltungsbehörden nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint. Polizei und Verwaltungsbehörden unterrichten sich gegenseitig, soweit dies zur Gefahrenabwehr erforderlich erscheint.
Der weiter oben wiedergegebene aktuelle Gesetzestext, also die Sätze 2 und 3 in § 1 Abs. 1 Nds. SOG und die Ergänzung des § 2 Nds. SOG um den Satzteil "in den Fällen des Abs. 1 S. 1" sind erst durch das Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 18. Februar 1994 (Nds. GVBl. S. 71) in das Gesetz eingefügt worden. (Zwar war damals auch die "Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten" als Aufgabe der Polizei mit aufgenommen worden. Dieses Aufgabenfeld wurde aber nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juli 2007 (BvR 668/04 - BVerfGE 113,348 = NJW 2005, 2603 [BVerfG 27.07.2005 - 1 BvR 668/04]) wieder aus dem Nds. SOG herausgenommen (vgl. Gesetz zur Änderung des Nds. SOG v. 25.11.2007 - Nds. GVBl S. 654 -).
Zur Änderung des Nds. SOG von 1994 heißt es in der LT-Drucksache 12/4140 S. 46:
"§ 1 Abs. 2 Satz 1 enthält die für die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Verwaltungsbehörden und Polizei maßgebliche Subsidiaritätsregeln. Danach gilt der Grundsatz, dass die Polizei nur tätig wird, soweit ein Handeln der zuständigen Verwaltungsbehörde nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint. Bei dieser Zuständigkeitsregelung soll es grundsätzlich verbleiben. Durch die Einschränkung in § 1 Abs. 2 S. 1 in Verbindung mit der Änderung des § 1 Abs. 1 wird jedoch nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass die Polizei in den Bereichen der Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr ...... und der Verhütung von Straftaten eine originäre Zuständigkeit besitzt." Zwar bezieht sich diese Begründung auf folgende Entwurfsfassung von§ 1 Abs. 1 Sätze 2 und 3 Nds. SOG:
"Sie treffen hierbei auf Vorbereitungen, um künftige Gefahren abwehren zu können. Die Polizei hat im Rahmen ihrer Aufgaben nach Satz 1 außerdem (für die Verfolgung von Straftaten vorzusorgen und) Straftaten zu verhüten." Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde in § 1 Abs. 1 S. 3 Nds. SOG aufgrund einer Beschlussempfehlung (vgl. LT-Drucks. 12/5735) das Wort "außerdem" durch das Wort "insbesondere" ersetzt. Die in der Begründung zum Ausdruck kommende Auffassung, dass für die in Abs. 1 Satz 2 und 3 Nds. SOG genannten Aufgaben in erster Linie die Polizei zuständig sein soll, wird durch diese Änderung aber nicht in Frage gestellt. Für Maßnahmen nach § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 Nds. SOG gilt daher der Subsidiaritätsgrundsatz des Abs. 2 Satz 1 nicht (vgl. ebenso Böhrenz/Unger/Siefken, Nds. SOG, 8. Aufl., 2005, § 1 Anm. 9; Ipsen, Nds. Polizei- und Ordnungsrecht, 3. Aufl., 2004, S. 21). Nach Waechter (Polizei- und Ordnungsrecht, 2000, RdNr. 296, S. 214/215) bezieht sich die Subsidiarität des polizeilichen Einschreitens nicht auf die Vorsorgezuständigkeiten der Polizei im Bereich der Vorsorge für die Straftatenbekämpfung und Gefahrenabwehr; lediglich wenn auch Verwaltungsbehörden für Vorsorgemaßnahmen zuständig seien, liege die originäre Zuständigkeit nach der Grundregel des Nds. SOG bei den Verwaltungsbehörden und sei die Polizei nur subsidiär zuständig. Eine besondere, außerhalb des Nds. SOG liegende Ermächtigungsgrundlage für die Verwaltungsbehörde zur Erteilung eines Aufenthaltsverbotes gibt es aber nicht. Saipa (Nds. Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Praxis der Gemeindeverwaltung, Stand: Juni 2008, § 1 Anm. 1) weist ebenfalls darauf hin, dass der Polizei die Vorsorge gegen Straftaten übertragen worden sei.
Von einer vorrangigen Zuständigkeit der Polizei im Bereich der Vorsorge der Strafverhütung gehen auch die Ausführungsbestimmungen zum Nds. SOG (Runderlass d. MI v. 16.7.1998 - Nds. MBl. S. 1078 -, abgedr. bei Saipa a.a.O., § 1) aus. Dort ist u.a. bestimmt:
"Durch § 1 Abs. 1 Satz 3 wird klargestellt, dass die Vorsorge für die ... Verhütung von Straftaten von der Aufgabe Gefahrenabwehr begrifflich umfasst wird. Zugleich wird durch die Formulierung "insbesondere" die besondere Stellung der Polizei in diesem Teilbereich der Gefahrenabwehr verdeutlicht. Die Polizei wird hier vorrangig tätig, weil ihr bestimmte Befugnisse zur Erkenntnisgewinnung vorbehalten sind und nur sie aus ihrer strafverfolgenden Tätigkeit über spezifisches Erfahrungswissen verfügt, um kriminellen Gefahren wirksam entgegentreten zu können. Die Ausnahme von der (Regel-)Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden greift immer dann, wenn und soweit diese besonderen Voraussetzungen vorliegen." Soweit jedoch weiter ausgeführt wird:
"Die Verwaltungsbehörden sind wiederum zuständig, wenn "einfaches" ordnungsbehördliches Eingreifen zur Verhütung einer Straftat ausreicht (z.B. Platzverweis, Sicherstellung) oder verwaltungsmäßige Bearbeitungsformen - gegebenenfalls neben oder ergänzend zu polizeilichen Maßnahmen - erforderlich sind (z.B. schriftliches Aufenthaltsverbot, Zwangsgeld, Ersatzzwangshaft usw.) oder ein enger Zusammenhang zu anderen ihnen obliegenden Aufgaben gegeben ist (z.B. Einrichtung eines Präventionsrates)" ist der Auffassung, bei der Verhängung eines Aufenthaltsverbots handele es sich um ein einfaches ordnungsbehördliches Eingreifen, mithin seien hierfür die Verwaltungsbehörden zuständig, in dieser Pauschalität nach derzeitigem Kenntnisstand nicht zu folgen.
Die Frage, ob ein Aufenthaltsverbot (§ 17 Abs. 4 Nds. SOG) geeignet und erforderlich ist, zukünftige Straftaten zu vermeiden, setzt eine Auswertung kriminologischer Erkenntnisse voraus, die in erster Linie bei den Polizeibehörden vorhanden sind (vgl. Waechter, Die aktuelle Situation des Polizeirechts, JZ 2002, 854,855). Denn die Polizeibeamten sind in den kritischen Zeiten (in der Regel nachts an den Wochenenden) in den gefährdeten Stadtteilen präsent. Nur sie haben unmittelbar mit den betroffenen Straftätern zu tun; denn sie nehmen vor Ort die Anlassvorfälle auf und bearbeiten sie weiter. Die Anregungen für Aufenthaltsverbote beruhen auf der Prognose der Wiederholungsgefahr und diese Prognose basiert wiederum auf langjährigem Erfahrungswissen im Einsatzgeschehen i.V.m. einer kriminalistisch-kriminologischen Beurteilung des jeweiligen Falles. Die Polizeibeamten können mithin am ehesten entscheiden, ob und in welchem Umfang ein Aufenthaltsverbot überhaupt geeignet ist, weitere Straftaten zu verhindern.
In etlichen Fällen dürfte es zudem sinnvoll sein, einen kurzfristigen Platzverweis (§ 17 Abs. 1 Nds. SOG) mit einem Aufenthaltsverbot (§ 17 Abs. 4 Nds. SOG) zu verbinden, insb. wenn davon auszugehen ist, dass der Betroffene über eine postalische Zustellung nicht oder nur schwer erreichbar sein wird und die bis zur ordnungsgemäßen Zustellung eines Aufenthaltsverbotes vergehende Zeit die mit dem Verbot beabsichtigte Wirkung erheblich beeinträchtigen würde (ähnlich: Deger, Platzverweise und Betretungsverbote gegen Mitglieder der Drogenszene und anderer offener Szenen, VBlBW 1996, 90, der in diesen Fällen (sogar) von einer Eilzuständigkeit des Polizeivollzugsdienstes für die Verhängung auch von Aufenthaltsverboten ausgeht; zur umstrittenen Beurteilung der Zuständigkeiten bei einem Aufenthaltsverbot vgl. auch Cremer, Aufenthaltsverbote und offene Drogenszene: Gesetzesvorrang, Parlamentsvorbehalt und grundgesetzliche Kompetenzordnung, NVwZ 2001, 1218; Haseloff-Grupp, Bekämpfung der Drogenszene durch Platzverweise, VBlBW 1997, 163; Hufeld, Der polizeiliche Platzverweis und das organisationsrechtliche Mandat, VBlBW 1999, 130; die Aufsätze beschäftigen sich allerdings nicht mit der Rechtslage in Niedersachsen).
Die in § 1 Abs. 1 Satz 3 Nds. SOG angelegte vorrangige Zuständigkeit der Polizei schließt andererseits eine Zuständigkeit der zuständigen Verwaltungsbehörde nicht generell aus. Hält die Polizei aufgrund kriminalistischer Erfahrungen die Verhängung eines Platzverweises und/oder eines Aufenthaltsverbotes nicht für geboten, macht also von ihrer "vorrangigen" Zuständigkeit auf diesem Bereich der Verhütung von Straftaten keinen Gebrauch, kann nach der Gesetzessystematik gleichwohl die Kommune entsprechende Verbote erlassen. Um hier etwaige Reibungsverluste zu vermeiden erscheint es sinnvoll, wenn sich Polizei und Verwaltungsbehörde - wie nach dem Vortrag der Antragsgegnerin im vorliegenden Fall geschehen - intern darüber abstimmen, ob die Verwaltungsbehörde sich grundsätzlich bei der Erteilung von Aufenthaltsverboten der Einschätzung der Polizei anschließt.
Ergibt sich eine vorrangige Zuständigkeit der Polizeibehörde aus § 1 Abs. 1 S. 3 Nds. SOG, kommt daneben ein Rückgriff auf § 1 Abs. 2 S. 1 Nds. SOG, der sich nur auf Abs. 1 S. 1 (und nicht auch auf S. 2 und 3) bezieht, nicht mehr in Betracht (zur Bedeutung von § 1 Abs. 2 S. 1 Nds. SOG vgl. Beschl. d. Sen. v. 19.1.2004 - 11 LA 319/03 -)."
An dieser Rechtsprechung (siehe auch Beschl. d. Senats v. 9.12.2009 - 11 ME 557/09 -) hält der Senat auch im vorliegenden Hauptsacheverfahren nach erneuter Prüfung fest. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts geben keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung.
Soweit das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten hat, dass die generelle Aufgabenzuweisung der Straftatenverhütung in § 1 Abs. 1 Satz 3 Nds. SOG nicht zur Anwendung komme, weil mit § 17 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Nds. SOG eine spezialgesetzliche Regelung die Zuständigkeit den Verwaltungsbehörden und der Polizei gemeinsam zuweise, kann dem nicht gefolgt werden. So wird in § 17 Abs. 4 Nds. SOG - anders als bei der Platzverweisung nach § 17 Abs. 1 Nds. SOG (Verwaltungsbehörden und Polizei) und der Platzverweisung aus einer Wohnung nach § 17 Abs. 2 Nds. SOG (nur Polizei) - gerade nicht ausdrücklich bestimmt, wer für die Anordnung des Aufenthaltsverbots zuständig ist. Aber selbst wenn wie in § 17 Abs. 1 Nds. SOG als zuständige Behörden die Verwaltungsbehörden und die Polizei genannt wären, wäre dies entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts keine spezielle Zuständigkeitsregelung, sondern entspräche lediglich der allgemeinen Aufgabenzuweisung in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG, wonach die Verwaltungsbehörden und die Polizei gemeinsam die Aufgabe der Gefahrenabwehr haben. Keinesfalls kann aus der durch das Gesetz vom 11. Dezember 2003 (Nds. GVBl. S. 414) eingeführten speziellen Aufgabenzuweisung in § 17 Abs. 2 Satz 2 Nds. SOG an die Polizei bei der Platzverweisung aus einer Wohnung darauf geschlossen werden, dass diese nicht für die Erteilung eines Aufenthaltsverbots nach § 17 Abs. 4 Nds. SOG zuständig sein kann. Soweit das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die Ausführungsbestimmungen zu§ 1 Nds. SOG (Runderlass d. MI v. 16.7.1998 - Nds. MBl. S. 1078 -) die fehlende Kompetenzzuweisung in § 17 Abs. 4 Nds. SOG als "beredtes Schweigen des Gesetzgebers" in dem Sinne verstanden hat, dass der gesetzgeberische Wille darauf gerichtet gewesen ist, für das Aufenthaltsverbot keine besondere Zuständigkeit der Polizei begründen zu wollen, schließt dies nicht aus, dass die Polizei im Rahmen der allgemeinen Aufgabenzuweisung zuständig sein kann. Dazu bedarf es auch nicht der Konstruktion einer im Wege der Analogie zu schließenden Regelungslücke.
Vielmehr ist, wenn eine spezielle Zuständigkeitsregelung nicht besteht, die entweder der Verwaltungsbehörde oder der Polizei die Zuständigkeit zuweist, die Bestimmung der Zuständigkeit anhand der allgemeinen Regelungen in § 1 Nds. SOG vorzunehmen. Danach ist die Polizei nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nds. SOG im Rahmen der den Verwaltungsbehörden und ihr gemeinsam übertragenen Aufgaben der Gefahrenabwehr (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG) nur dann zuständig, soweit die Gefahrenabwehr durch die Verwaltungsbehörden nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint. Zu den Aufgaben der Gefahrenabwehr gehört aber auch, wie sich aus § 1 Abs. 1 Satz 2 Nds. SOG ergibt, die Gefahrenvorsorge, d.h. die Vorbereitung auf die Abwehr künftiger Gefahren. Nach § 1 Abs. 1 Satz 3 Nds. SOG hat die Polizei im Rahmen ihrer Aufgabe nach Satz 1 insbesondere auch Straftaten zu verhüten. Damit erstreckt sich die Gefahrenvorsorge auch auf die vorbeugende Verbrechensbekämpfung, welche "insbesondere" und damit vorrangig der Polizei zugewiesen ist. Um eine solche Maßnahme im Rahmen der Verhütung von Straftaten handelt es sich bei dem hier streitigen Aufenthaltsverbot nach § 17 Abs. 4 Nds. SOG. Die Subsidiaritätsklausel gilt jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut des§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nds. SOG nur in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nds. SOG, nicht aber im Rahmen der vorrangig der Polizei übertragenen Aufgabe der Verhütung von Straftaten nach § 1 Abs. 1 Satz 3 Nds. SOG (vgl. Beschl. d. Senats v. 12.5.2009 - 11 ME 190/09 -). Insofern bestehen an der Zuständigkeit der Beklagten für den Erlass des streitigen Aufenthaltsverbots keine Zweifel.
Der angefochtene Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.
Der Kläger wurde am 4. April 2009 gegen 3.45 Uhr als dringend Tatverdächtiger zu einer vorsätzlich leichten Körperverletzung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ermittelt. Hintergrund waren polizeilichen Ermittlungen wegen einer Schlägerei. Dabei kam es zwischen dem Kläger und den eingesetzten Polizeibeamten zu einer erst verbal, dann auch mittels körperlicher Gewalt geführten Auseinandersetzung über das wiederholt geäußerte Begehren des Klägers, mit seinem Handy zu telefonieren, und die von dem Kläger nicht befolgte Aufforderung, die Hände aus den Taschen zu nehmen. Wie sich aus dem Einsatzbericht der Polizei ergibt, hat der Kläger mit seinen körperlichen Angriffen auf den Polizeibeamten aus einem geringfügigen Anlass und der heftigen Gegenwehr gegenüber den polizeilichen Maßnahmen ein hohes Aggressionspotenzial und eine besonders niedrige Gewaltschwelle gezeigt. Er ist deswegen inzwischen zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt worden. Die Entscheidung der Beklagten, aufgrund dieser Erkenntnisse ein auf drei Monate begrenztes Aufenthaltsverbot für die Zonen Innenstadt (1) und Oststadt (1) für im Einzelnen näher bezeichnete Wochentage (insb. Freitag/Sonnabend) zu erlassen, ist daher nicht zu beanstanden. Ermessensfehler sind ebenfalls nicht ersichtlich. Die Beklagte hat in ihrem Anhörungsschreiben durch die Formulierung, dass ein Aufenthaltsverbot von mindestens drei bis höchstens neun Monaten möglich sei, hinreichend deutlich gemacht, dass sie ihr Ermessen erkannt hat. Gleiches ergibt sich nach dem Vermerk vom 14. Mai 2009 über ein mit dem Kläger geführtes Telefongespräch aus der dort gewählten Formulierung "wenn es zu einem Aufenthaltsverbot käme". In dem angefochtenen Bescheid hat sie zudem die Vorschrift des § 17 Abs. 4 Nds. SOG zutreffend zitiert, nach der unter den dort genannten Voraussetzungen ein Aufenthaltsverbot verhängt werdenkann. Insofern trifft es nicht zu, dass die Beklagte von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen ist. Das Aufenthaltsverbot ist mit drei Monaten auch nicht als unverhältnismäßig anzusehen. Der Kläger hat bei den Tathandlungen gegenüber den Polizeibeamten ein hohes Aggressionspotential und eine hohe Gewaltbereitschaft gezeigt. Dass sich der von ihm angegriffene Polizeibeamte gewehrt und auch den Kläger nicht unerheblich verletzt hat, führt nicht zur Unverhältnismäßigkeit des Aufenthaltsverbots. Der Kläger hat trotz der eigenen Verletzungen den Polizeibeamten erneut geschlagen und sich den weiteren polizeilichen Maßnahmen mit erheblicher Gegenwehr widersetzt. Danach ist die Beklagte zu Recht schon aufgrund des Vorfalls am 4. April 2009 von der Gefahr weiterer Aggressions- und Gewaltdelikte durch den Kläger in dem betroffenen Bereich ausgegangen. Im Übrigen hat die Beklagte ihre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach § 114 Satz 2 VwGO in zulässiger Weise dadurch ergänzt, dass sie weitere Erkenntnisse aus der über den Kläger geführten Kriminalakte vorgetragen hat, die die von ihr aufgestellte Prognose bestätigen. Denn der Kläger, gegen den mehrfach im Zusammenhang mit Aggressions- und Gewaltdelikten (u.a. Raub, Körperverletzung, Bedrohung) ermittelt worden ist, wurde wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung 2004 zu einer Woche Jugendarrest und 2005 zu einer Jugendstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten auf Bewährung verurteilt.