Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.05.2010, Az.: 20 LD 13/08

Annahme einer erfolgreichen Entziehungskur eines Beamten mit dem Ergebnis über einen nachhaltigen Zeitraum abstinent zu leben auch bei noch andauernder, ambulanter Therapie zur Verfestigung der vermittelten Verhaltenstechniken; Pflicht eines Beamten zur Vermeidung eines Rückfalls in die Alkoholsucht nach besten Kräften nach erfolgreicher Therapie; Milderung im Disziplinarmaß von einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auf eine Zurückstufung von Dienstbezügen bei Rückfall eines Polizeibeamten in die Alkoholsucht

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.05.2010
Aktenzeichen
20 LD 13/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 24071
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0518.20LD13.08.0A

Fundstellen

  • DVBl 2010, 927
  • DÖV 2010, 698-699
  • NVwZ-RR 2010, 855
  • ZBR 2011, 70

Amtlicher Leitsatz

Eine Entziehungskur eines chronisch alkoholkranken Beamten ist nicht erst dann erfolgreich, wenn der Beamte von der Alkoholkrankheit geheilt ist oder wenn er ohne jede weitere Hilfe alkoholabstinent leben kann. Eine Entziehungskur ist bereits dann erfolgreich, wenn der Beamte durch die Therapie in die Lage versetzt worden ist, über einen nachhaltigen Zeitraum (hier über ein Jahr lang) abstinent zu leben, auch wenn er in diesem Zeitraum zur Verfestigung der vermittelten Verhaltenstechniken einer ambulanten Therapie bedurfte.

Tatbestand

1

Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses ihn wegen eines Dienstvergehens für schuldig befunden und auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt hat.

2

Der am 1953 geborene Beklagte wurde 1978 als Polizeioberwachtmeister in den Polizeivollzugsdienst eingestellt. Seit dem 1982 ist der Beklagte Beamter auf Lebenszeit. Zum 1983 erfolgte die Ernennung zum Polizeimeister und zum 1990 zum Polizeiobermeister. Er bestand am 1998 die Prüfung des Aufstiegslehrgangs für den gehobenen Dienst und wurde zum 1999 zum Polizeikommissar ernannt. In der Beurteilung vom 2000 erhielt er die Wertstufe 3, in der Beurteilung vom 2002 die Wertstufe 4. Die letzte Beurteilung vom 2006 schloss wieder mit der Wertstufe 3.

3

Der Beklagte ist geschieden und hat zwei volljährige Kinder.

4

Nach dem polizeiärztlichen Gutachten vom 2006 begann der Beklagte im Jahr 1999 verstärkt zu trinken. Vom bis 2001 unterzog er sich einer Entgiftungsbehandlung im Krankenhaus F.. Es folgte vom 2002 bis zum 2002 eine erste stationäre Behandlung in der G. Klinik H..

5

Nach eigenen Angaben des Beklagten gegenüber dem Polizeiarzt wurde er nach sechsmonatiger Abstinenz wieder rückfällig. Es folgte ein zweiter stationärer Aufenthalt in der G. Klinik H. vom 2003 bis zum 2003.

6

Im 2004 wurde festgestellt, dass der Beklagte alkoholisiert im Dienst erschienen war. Der Rückfall führte zu einer Entgiftungsbehandlung vom bis zum 2005. In der Zeit vom 2005 bis zum 2005 wurde der Beklagte zum dritten Mal stationär behandelt, und zwar in der Klinik I..

7

Der Beklagte blieb bis zum 2005 abstinent. Nach einer Entgiftungsbehandlung ab dem November 2005 folgte die vierte stationäre Behandlung wiederum in der Klinik I. vom November 2005 bis zum Januar 2006. Im Abschlussbericht der Klinik vom 2006 heißt es u.a.: "In den ersten zwei Dritteln der Therapie wurde Herr sehr blockiert erlebt. Die Arbeit gestaltete sich als schwierig. Im letzten Drittel konnte eine therapeutische Intervention dieses Abwehrverhalten beenden. ... Von daher erachten wir die Therapie des Patienten als erfolgreich, wenngleich wir sehen, dass eine weitere Stabilisierung und Klärung und Unterstützung durch die beantragte ambulante Nachsorge dringend notwendig sein wird. ... Herr scheint aus ärztlicher Sicht erst durch die erneute Therapie verstanden zu haben, wie sehr seine körperliche und seelische Gesundheit bedroht war und was er tun müsse, um nicht rückfällig zu werden." Der Beklagte nahm am 26. Januar 2006 seinen Dienst wieder auf.

8

Vom Februar 2006 bis zum Januar 2007 führte der Beklagte in der Psychosozialen Beratungsstelle in J. eine nachstationäre ambulante Rehabilitation durch. Diese Behandlung beendete er nach einer Stellungnahme der Diplom-Sozialpädagogin K. vom 2008 mit einer positiven Prognose und einer glaubhaft stabilen Abstinenz.

9

Der Beklagte wurde am 2006 polizeiärztlich untersucht. Nach dem polizeiärztlichen Gutachten vom 2006 war er zum Zeitpunkt dieser Untersuchung uneingeschränkt dienstfähig.

10

Mit bestandskräftiger Disziplinarverfügung vom 2006 sprach die Klägerin gegenüber dem Beklagten einen Verweis aus, weil er nach erfolgreicher Therapie vom 2005 bis 2005 wieder schuldhaft in die nasse Phase seiner Alkoholsucht zurückgefallen sei. In dieser Verfügung führte die Klägerin aus, dass der Beklagte das in ihn gesetzte Vertrauen bereits erheblich geschädigt habe und er bei einem erneuten alkoholbedingten Fehlverhalten mit der vollständigen Ausschöpfung der disziplinarrechtlich zur Verfügung stehenden Maßnahmen zu rechnen habe.

11

Nach einem Vermerk vom 2006 gab der Beklagte in einem Personalgespräch an, dass er nach wie vor wöchentlich eine Selbsthilfegruppe besuche.

12

Am März 2007 wurde der Beklagte von seinem Hausarzt bis zum März 2007 krank geschrieben. Die Art der Erkrankung ergibt sich nicht aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Der Beklagte blieb über den März 2007 hinaus unentschuldigt dem Dienst fern. Er wurde am März 2007 von zwei Beamten der Polizeiinspektion zu Hause aufgesucht und alkoholisiert in seinem Bett in voller Bekleidung aufgefunden. Er gab gegenüber den beiden Beamten an, seit mehreren Tagen wieder zu trinken. Daraufhin ließen ihn die Beamten aufgrund seines instabilen psychischen Zustandes in die Suchtabteilung des Klinikums L. einweisen. Er wurde dort vom März 2007 bis zum April 2007 stationär behandelt. Anschließend war er weiterhin dienstunfähig krankgeschrieben.

13

Unter dem 2007 leitete die Klägerin ein Disziplinarverfahren gegen den Beklagten ein.

14

Der Beklagte wurde am 2007 erneut vom Polizeiarzt untersucht. Der Polizeiarzt kam in seinem Gutachten vom 2007 zu dem Schluss, dass der Beklagte uneingeschränkt dienstfähig sei. Der Beklagte habe sich bei der ersten Untersuchung im 2006 als gesundheitlich stabilisiert und alkoholabstinent lebend gezeigt. Im 2007 habe er einen Rückfall erlitten, weil er anlässlich des Geburtstags seines älteren Sohnes wieder mit dessen rechtsradikaler Gesinnung konfrontiert worden sei. Bei der Geburtstagsfeier seien die rechtsradikalen Freunde seines Sohnes erschienen. Daraufhin habe er die Geburtstagsfeier verlassen, sich auf dem Heimweg Alkohol gekauft und zu Hause wieder begonnen zu trinken. Jedenfalls in den Monaten und 2007 habe der Beklagte keinen Alkoholabusus betrieben. Er, der Polizeiarzt, habe keinen Zweifel, dass der Beklagte seit 2007 wieder alkoholabstinent gelebt habe.

15

Die Klägerin hat am 17. Oktober 2007 Klage erhoben und vorgetragen, der Beklagte sei erfolgreich therapiert worden. Er sei auch mehrmals auf die Folgen eines erneuten Rückfalls in die nasse Phase der Alkoholsucht hingewiesen worden. Gleichwohl habe der Beklagte im Frühjahr 2007 wieder zu trinken begonnen. Er habe durch den Rückfall drei vorgeplante Dienste und einen Gerichtstermin versäumt und sei auch längere Zeit dienstunfähig krankgeschrieben gewesen. Er sei fähig gewesen zu erkennen, dass mit vermehrtem Alkoholkonsum ein Rückfall in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit verbunden sein würde. Sein Verhalten sei daher vorsätzlich und schuldhaft. Ihm seien umfangreiche Hilfsangebote zur Bewältigung seines Alkoholproblems gemacht worden; er sei wiederholt über die disziplinarrechtlichen Folgen eines Rückfalls belehrt worden. Durch den erneuten Rückfall habe er das Vertrauen seines Dienstherrn in seine Zuverlässigkeit und seine Bereitschaft, den Anforderungen seines Amtes gerecht zu werden, unwiederbringlich zerstört.

16

Die Klägerin hat beantragt, auf Entfernung aus dem Dienst zu erkennen.

17

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, auf eine niedrigere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.

18

Er hat vorgetragen, der Ausbruch seiner Suchterkrankung sei auf familiäre Spannungen zurückzuführen. Auch im Klinikaufenthalt vom November 2005 bis Januar 2006 habe kein Therapieerfolg herbeigeführt werden können, was zum Rückfall im 2007 geführt habe. Zum Beweis dafür, dass er nicht geheilt gewesen sei, berufe er sich auf ein Sachverständigengutachten und auf das Zeugnis der seinerzeit behandelnden Ärzte und der gegenwärtig ihn behandelnden Therapeutin. Unter Beachtung von Milderungsgründen und des Umstandes, dass bislang wegen der Alkoholerkrankung lediglich ein Verweis ausgesprochen worden sei, sei die angestrebte Maßnahme unverhältnismäßig.

19

Mit Urteil vom 3. März 2008 hat das Verwaltungsgericht den Beklagten eines Dienstvergehens für schuldig befunden und ihn deshalb aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht unter anderem ausgeführt: Der Beklagte habe durch den Rückfall in die nasse Phase der Alkoholsucht nach erfolgreicher Therapie und die damit verbundenen Beeinträchtigungen seiner Dienstverrichtungen seine Pflichten zur Beachtung der Gesetze und der dienstlichen Anordnungen sowie zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten verletzt und gegen seine Pflicht zur Gesunderhaltung verstoßen. Ausweislich des Entlassungsberichtes über die vierte stationäre Maßnahme und den Feststellungen des Polizeiarztes vom 2006 sei der Beklagte - wenn auch mit der Notwendigkeit ambulanter Nachsorge - in der Lage gewesen, seine Alkoholabhängigkeit zu erkennen und entsprechend zu handeln. Dies werde auch durch die sich anschließende lange "trockene Phase" von über einem Jahr belegt. Der Beklagte sei durch die letzte Therapie in die Lage versetzt worden, alkoholfrei zu leben. Gleichwohl habe er im Frühjahr 2007 erneut zur Flasche gegriffen. Wegen des Rückfalls habe er seine Dienstpflichten nicht ausreichend erfüllen können. Er habe unentschuldigt verschiedene Dienste versäumt und bei einem Gerichtstermin gefehlt. Außerdem sei er aufgrund seines Rückfalls lange Zeit dienstunfähig krankgeschrieben gewesen. Angesichts der erfolgreichen Therapie könne die Alkoholerkrankung keinen Schuldausschließungsgrund mehr darstellen. Aufgrund des nachhaltigen Verstoßes gegen die Dienstpflichten und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich der Beklagte eine frühere Disziplinarverfügung nicht habe zur Warnung dienen lassen, sei seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten. Er habe das Vertrauensverhältnis zu seinem Dienstherrn durch den erneuten Rückfall vollständig zerstört und sei für den öffentlichen Dienst nicht mehr tragbar. Der Dienstherr habe in der Vergangenheit bereits viel Geduld mit dem Beklagten aufgebracht. Wenn aber allein familiäre Spannungen, die jederzeit wieder auftreten könnten, wieder zu einem Rückfall in die nasse Phase der Alkoholkrankheit führten, so könne sich der Dienstherr auch in Zukunft nie sicher sein, ob und wie lange der Beklagte ohne alkoholbedingte Auffälligkeiten seinen Dienst versehen werde.

20

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte am 4. April 2008 Berufung eingelegt. Er trägt zur Begründung vor, das Verwaltungsgericht habe nicht hinreichend aufgeklärt, ob nach der vierten stationären Behandlung von einem nachhaltigen Therapieerfolg ausgegangen werden könne. Dem Entlassungsbericht der Klinik I. sei zu entnehmen, dass er, der Beklagte, erst nach 2/3 der Aufenthaltsdauer begonnen habe, sich mit der Kernproblematik, nämlich dem emotionalen Spannungsfeld zwischen seiner Rolle als Polizist und Vater und der offen zur Schau gestellten rechtsradikalen Gesinnung seines Sohnes, zu öffnen. Während des Klinikaufenthaltes habe er die rationale und emotionale Seite des Konflikts nicht hinreichend bearbeiten können. Dies ergebe sich auch aus der vorgelegten Stellungnahme der Diplom-Sozialpädagogin und Sozialtherapeutin K. der Psychosozialen Beratungsstelle in J. vom 2008. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme hätte berücksichtigt werden müssen, dass das auslösende Ereignis in direktem Zusammenhang mit dem nicht hinreichend bearbeiteten emotionalen Konflikt gestanden habe. Sein Verhalten sei nicht Ausdruck eines labilen, wankelmütigen Charakters, der die eigenen Interessen über die des Dienstherrn stelle, sondern Ausdruck eines seinerzeit unüberwindbaren Spannungsverhältnisses, das nunmehr habe ausgeglichen werden können. Die Folgen des Dienstvergehens seien in der Abwägung ein eher minderschwerer Fall. Seine persönlichen Beweggründe für das Fernbleiben vom Dienst seien nicht hinreichend berücksichtigt worden. Er habe hinsichtlich seiner Außenwirkung und seines dienstlichen Verhaltens nie Anlass zur Ermahnung gegeben. Der am 2006 ausgesprochene Verweis sei unrechtmäßig gewesen, weil kein schuldhaftes Dienstvergehen vorgelegen habe, denn er habe im damaligen Zeitpunkt die Fähigkeit zur Kontrolle seiner Alkoholkrankheit noch nicht gehabt. Das Verwaltungsgericht habe die positive Prognose sowie die weiteren Abstinenzbemühungen nicht gewürdigt. Er habe nun erstmalig die Möglichkeit, wie gesunde Menschen Problemen zu begegnen.

21

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und die Klage abzuweisen,

22

hilfsweise,

auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.

23

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

24

Sie trägt vor, mit dem Beklagten seien im Anschluss an alle Therapien Personalgespräche geführt worden, in denen ihm dienstliche Erwartungen und die disziplinaren Folgen eines Zuwiderhandelns, aber auch Hilfsangebote insbesondere durch Einbeziehung ihres - der Klägerin - Suchtberaters vermittelt worden seien. Nach der vierten Langzeittherapie seien mit ihm Maßnahmen wie der Einsatz nur noch im Früh- und Spätdienst, ein freiwilliger Atemalkoholtest bei Dienstantritt, die Vorlage eines ärztlichen Attestes ab dem ersten Krankheitstag, der Besuch einer örtlichen Selbsthilfegruppe und die Teilnahme an Sitzungen gegenüber der Dienststelle vereinbart worden, um seine Tätigkeit im Polizeidienst noch verantworten zu können. Mit der Disziplinarverfügung vom 2006 sei ihm unmissverständlich dargelegt worden, dass er seine letzte Bewährungsmöglichkeit bei der Polizei erhalten habe. Vor diesem Hintergrund müssten ein mehrtägiges Dienstversäumnis, die erneute Notwendigkeit eines Aufsuchens der Wohnung durch Vorgesetzte und sich anschließende Ausfallzeiten zur Entgiftung als schweres Dienstvergehen bewertet werden. Es habe seiner Verantwortung oblegen, sich durch Hilfs- und Behandlungsmöglichkeiten so abzusichern, dass private Belastungen keinen Einfluss mehr auf seinen Dienst hätten. Angesichts der sich in der Vergangenheit stetig wiederholenden Rückfälle sei zu erwarten, dass es dem Beklagten auch künftig nicht möglich sein werde, seinen Dienstpflichten uneingeschränkt zu entsprechen.

25

Mit Verfügung vom 2008 hat die Klägerin den Beklagten vorläufig des Dienstes enthoben und zehn Prozent seiner Bezüge einbehalten.

26

Der Senat hat durch Beschluss vom 18. Juni 2009 Beweis erhoben zu den Fragen, ob im 2007 ein Rückfall in eine nasse Phase vorgelegen hat und - bejahendenfalls - ob der Beklagte, als er im März 2007 erneut "zur Flasche gegriffen" und drei vorgeplante Dienste und die Wahrnehmung eines Gerichtstermins versäumt hat, vermindert schuldfähig gehandelt hat, ob er derzeit alkoholkrank ist und ob zu befürchten ist, dass sich ein Rückfall in die nasse Phase und die Versäumung von Diensten wiederholen wird, durch die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens des Facharztes für Psychiatrie M. vom 2009, eines ergänzenden Gutachtens dieses Sachverständigen vom 2010 und eines testpsychologischen Zusatzgutachtens des Diplom-Psychologen N. vom 2009.

27

Der Sachverständige M. gelangt in seinem ergänzenden Gutachten vom 2010 zu dem Ergebnis, dass bei dem Beklagten eine chronifizierte Verlaufsform der Suchterkrankung vorliege. Die vollstationäre Entwöhnungsmaßnahme habe den Beklagten in die Lage versetzt, unter weniger intensivem ambulantem therapeutischen Setting abstinent zu bleiben, die ambulant durchgeführte Nachsorge habe den kognitiven Anteil der Behandlung gefestigt, habe aber die den Rückfall begünstigenden Persönlichkeitsstrukturen nur wenig verändert. Der Beklagte sei durch die therapeutischen Maßnahmen unter Berücksichtigung der Schwere der Suchterkrankung und der daraus resultierenden erhöhten Rückfallgefährdung mit dem nötigen und maximal möglichen Wissen und den notwendigen Verhaltens- und Handlungsmöglichkeiten ausgestattet gewesen, um dem zu beurteilenden Rückfall erfolgreich begegnen zu können. Dass ihm dies nicht gelungen sei, sei der mangelnden Verantwortungsübernahme für die Abstinenz zuzuschreiben. Der Umstand, dass der Rückfall schon kurz nach Beendigung der ambulanten Therapie erfolgt sei, sei aus gutachterlicher Sicht nicht als Kriterium für den Erfolg der vorausgegangenen Maßnahmen zu bewerten. Der Zeitpunkt sei durch den Geburtstag des Sohnes und dessen Feier bestimmt gewesen.

28

In seinem Gutachten vom 2009 führt der Sachverständige M. aus, eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit für das eigentliche Rückfallgeschehen sei auszuschließen. Das Rückfallgeschehen habe keinen abrupten Handlungsablauf. Der Beklagte sei zur Vorbereitung und zum Warten in der Lage gewesen. Für das eigentliche Rückfallgeschehen führten die Kombination der schweren Suchterkrankung und der Persönlichkeitsstrukturen des Beklagten zu einer Verminderung der Steuerungsfähigkeit, die nicht dem juristischen Begriff der Erheblichkeit unterzuordnen sei. Hinsichtlich der Nichtanwesenheit im Dienst und der Nichtwahrnehmung eines Gerichtstermins vom bis 2007 sei der Beklagte in erheblichem Maße alkoholrückfällig geworden. Insoweit müsse aufgrund der Kombination aus Abhängigkeit und den schweren psychopathologischen Symptomen im Rahmen der Intoxikation von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit ausgegangen werden. Die Suchterkrankung mit Rückfallgefährdung bestehe auch nach nunmehr 2 1/2 jähriger Abstinenz fort. Rückfallpräventiv sei die neue Partnerschaft des Beklagten. Kritisch sei die weiterhin nicht ausreichende Etablierung von Verantwortungsübernahme und alternativer Lebensgestaltung zu sehen.

29

In seinem testpsychologischen Zusatzgutachten vom 2009 stellt Diplom-Psychologe N. Intelligenzleistungen des Beklagten im überdurchschnittlichen Bereich fest. Es finde sich kein Anhalt für eine alkoholtoxisch bedingte hirnorganische Veränderung. Im Testverhalten ergäben sich Hinweise auf eine soziale Erwünschtheit der Antworten und Bagatellisierung der Problemlagen. Bei der detaillierten Diagnostik der Alkoholproblematik sei ein erhebliches Abwehrverhalten des Beklagten deutlich geworden.

30

Die Klägerin trägt zu diesen Gutachten im Wesentlichen vor, aus ihrer Sicht stehe fest, dass der Beklagte durch die umfangreichen Behandlungen in die Lage versetzt worden sei, den Gefahren eines Rückfalls in die Alkoholabhängigkeit mit Erfolg zu begegnen und dies durch die Dauer seiner abstinenten Lebensphasen auch belegt habe. Ihm sei ein pflichtgemäßes Verhalten trotz der Schwere seiner Erkrankung möglich gewesen. Er habe die zahlreichen Möglichkeiten, die ihm eingeräumt worden seien, letztlich nicht wahrgenommen.

31

Der Beklagte trägt vor, die Gutachten des Sachverständigen M. seien mangelhaft. Der Sachverständige habe fehlerhaft als Beleg für seine - des Beklagten - Handlungs- und Entscheidungsfreiheit darauf abgestellt, dass er seit dem Rückfall im März 2007 abstinent lebe. Maßgeblich sei aber der Erfolg der Therapie bis März 2007. Es werde verkannt, dass die Abstinenz auch Umständen geschuldet sei, die Folge des Versagens oder von Anderen abhängig seien. Es handele sich um einen voranschreitenden Prozess. In den Ausführungen des Sachverständigen stecke die Behauptung, er - der Beklagte - habe seinen Status vom Frühjahr 2010 schon Anfang 2007 einnehmen können. Der Sachverständige habe das zentrale Thema verfehlt. Dies lasse an seinem Sachverstand, seiner Erfahrung und Sorgfalt und/oder seinem Interesse zweifeln. Die Gutachten überzeugten auch inhaltlich nicht. Das Rückfallgeschehen im März 2007 trage deutlich depressive, nicht planerische Züge. Der Sachverständige kläre nicht, wann er - der Beklagte - den Entschluss gefasst habe, Alkohol zu kaufen. Er werte zudem widersprüchlich. Während er auch für die Zukunft Rückfallgefahren erkenne, werte er die 2 1/2 jährige Abstinenz an anderer Stelle als Beleg dafür, dass es "gehe". Der Sachverständige wolle oder könne die Anhalte nicht erkennen, die belegen würden, dass die Therapien noch nicht erfolgreich gewesen seien. Den signifikant nahen zeitlichen Zusammenhang zwischen Abschluss der ambulanten Therapie (Januar 2007) und Rückfall (März 2007) verwerfe er achtlos mit der Tautologie, dass der Zeitpunkt vom Geburtstag des Sohnes bestimmt gewesen sei. Er zitiere zwar ausführlich aus dem Entlassungsbericht der Klinik I., ziehe daraus aber nicht den Schluss, dass zum Therapieerfolg etwas Wesentliches fehle. Diese Einschätzung werde bestätigt durch die Suchtberatungsstelle J..

32

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

33

Die Berufung des Beklagten, mit der er sich sowohl gegen die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zum Sachverhalt als auch zum Disziplinarmaß wendet, ist teilweise begründet.

34

Die Berufung führt zu einer Milderung im Disziplinarmaß. Der Beklagte ist zwar eines Dienstvergehens schuldig. Eine Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis gemäß § 11 NDiszG ist aber nicht geboten. Der Beklagte ist gemäß § 10 Abs. 2 NDiszG zurückzustufen, indem seine Dienstbezüge für fünf Jahre aus der Besoldungsgruppe A 7 der Anlage 2 zum Niedersächsischen Besoldungsgesetz gezahlt werden. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist entsprechend zu ändern. Die auf die Abweisung der Klage gerichtete weitergehende Berufung ist zurückzuweisen.

35

1.

Hinsichtlich des gegen den Beklagten erhobenen Vorwurfs des Rückfalls in die nasse Phase der Alkoholkrankheit hat der Senat den Sachverhalt in objektiver und subjektiver Hinsicht selbst zu ermitteln und rechtlich zu würdigen. Diesen Vorwurf sieht der Senat unter Würdigung der Sachverständigengutachten vom 2009 und 2010, des Inhalts der Verwaltungsvorgänge und der Gerichtsakte sowie der Einlassungen des Beklagten als nachgewiesen an.

36

Nach § 62 Satz 1 NBG a.F. (jetzt § 34 Satz 1 BeamtStG) hat sich der Beamte mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen. Daraus folgt die Verpflichtung, dem Dienstherrn seine volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen und diese zu erhalten. Zu den konkreten Pflichten in diesem Zusammenhang gehört es, nach einer Alkoholentziehungstherapie den Griff zum so genannten "ersten Glas Alkohol" zu unterlassen, weil jeglicher Genuss von Alkohol nach einer Entziehungstherapie das Verlangen nach weiterem Alkohol wieder aufleben lässt und erfahrungsgemäß in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit zurückführen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.11.2001 - BVerwG 1 D 64/01 -; BVerwG, Urt. v. 11.02.1998 - BVerwG 1 D 21.97 -; NDH, Urt. v. 13.05.2004 - 1 NDH L 3/03 -). Gleichwohl begründet nicht der Griff zum Alkohol den Vorwurf der Verletzung beamtenrechtlicher Pflichten, denn die Trunksucht ist im Entstehen nicht selbstverschuldet. Disziplinarrechtlich relevant ist der Rückfall in die nasse Phase der Alkoholsucht vielmehr erst dann, wenn die Entziehungskur erfolgreich war, d.h. den Beamten in die Lage versetzt hat, der Gefahr eines Rückfalls in die Alkoholabhängigkeit mit Erfolg zu begegnen, und wenn die erneute Alkoholabhängigkeit negative Auswirkung auf den dienstlichen Betrieb hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.11.2001, a.a.O.; BVerwG, v. 12.10.1999 - 1 D 25.98 -; NDH, Urt. v. 28.01.2005 - 1 NDH L 6/03 -, [...] und Urt. v. 13.05.2004 - 1 NDH L 3/03 -). Wichtige Indizien hierfür sind u.a. Verlauf und Ergebnis der Therapie und Dauer der anschließenden Abstinenzphase, wobei sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Erfolg einer Kur nicht aus einer bestimmten, zeitlich festgelegten Dauer alkoholischer Enthaltsamkeit ergibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.03.1997 - BVerwG 1 D 68.95 -, zitiert nach [...] Langtext). Hat ein Beamter erfolgreich eine Therapie absolviert, was mangels Heilbarkeit einer solchen Erkrankung nur die Fähigkeit bedeutet, ohne Alkohol leben zu können, hat er die weitere Pflicht, einen Rückfall in die Alkoholsucht nach besten Kräften zu vermeiden (vgl. Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Kommentar, Stand: November 2009, § 13 BDG Rn. 77).

37

Gemessen hieran ist der Beklagte nach Überzeugung des Senats disziplinarrechtlich vorwerfbar nach einer erfolgreichen Entwöhnungstherapie in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit zurückgefallen. Der Beklagte unterzog sich zum wiederholten Male ab dem November 2005 einer stationären Entgiftungsbehandlung und anschließend vom November 2005 bis zum Januar 2006 einer vierten Alkoholentwöhnungsbehandlung in der Klinik I.. Diese Alkoholentwöhnungsbehandlung ist nach Überzeugung des Senats erfolgreich verlaufen.

38

a)

Die Therapie muss mit einer günstigen Zukunftsperspektive abgeschlossen worden sein (vgl. Gansen, a.a.O., § 13 BDG Rn. 78). Dies ist hier der Fall. Im Abschlussbericht der Klinik I. vom 2006 heißt es u.a.:

39

"In den ersten zwei Dritteln der Therapie wurde Herr sehr blockiert erlebt. Die Arbeit gestaltete sich als schwierig. Im letzten Drittel konnte eine therapeutische Intervention dieses Abwehrverhalten beenden. ... Herr konnte beginnen, Zugang zu den Ursachen seiner Rückfälligkeit zu entwickeln, und beginnen, daraus konstruktive Konsequenzen zu ziehen... Von daher erachten wir die Therapie des Patienten als erfolgreich, wenngleich wir sehen, dass eine weitere Stabilisierung und Klärung und Unterstützung durch die beantragte ambulante Nachsorge dringend notwendig sein wird. ... Herr scheint aus ärztlicher Sicht erst durch die erneute Therapie verstanden zu haben, wie sehr seine körperliche und seelische Gesundheit bedroht war und was er tun müsse, um nicht rückfällig zu werden... Herr bemühte sich konzentriert und engagiert während der erneuten Therapie in unserem Hause, alle Therapieangebote für sich nutzbringend zu verinnerlichen, um sich eine solide Basis für ein alkoholfreies Leben zu verschaffen. Dieses ist ihm offensichtlich gelungen. Herr wirkt wieder absolut psychosomatisch stabilisiert und ist in der Lage, ohne Einschränkungen seinen beruflichen Aufgaben nachzukommen." Diesem Bericht ist zu entnehmen, dass der Beklagte körperlich entgiftet worden ist, dass ihm Verhaltensmechanismen und charakterliche Dispositionen, die suchtauslösend gewirkt haben, bewusst gemacht sowie intellektuell und psychisch aufgearbeitet worden sind und dass ihm verständlich gemacht worden ist, was er tun muss, um nicht rückfällig zu werden. Die Entwöhnungstherapie in der Klinik I. ist mit einer günstigen Zukunftsprognose abgeschlossen worden. Die Einschätzung des Senats wird außerdem gestützt durch die Ausführungen des Sachverständigen M. in seinem ergänzenden Gutachten vom 2010, wonach die vollstationäre Entwöhnungsmaßnahme den Beklagten in die Lage versetzt hat, unter weniger intensivem ambulanten therapeutischen Setting abstinent zu bleiben.

40

b)

Eine Entwöhnungstherapie ist erst dann erfolgreich, wenn sich der Therapieerfolg entsprechend der günstigen Prognose tatsächlich eingestellt hat. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Indiziell kann dabei auch eine bereits erreichte längere Trockenheitsphase sein (vgl. Gansen, a.a.O., § 13 BDG Rn. 78). Nach Überzeugung des Senats wurde der Beklagte den positiven Einschätzungen nach Abschluss seiner Entwöhnungsbehandlung ab dem Januar 2006 für einen nachhaltigen Zeitraum gerecht. Die in dem Entlassungsbericht enthaltene günstige Prognose hat sich in dem anschließenden Jahr verfestigt. Der Beklagte ist über ein Jahr lang nach Abschluss der Entwöhnungsbehandlung bis zu dem hier vorgeworfenen Vorfall im März 2007 alkoholabstinent gewesen. Ein nachhaltiger Therapieerfolg zeigt sich auch in dem polizeiärztlichen Gutachten vom 2006, in dem der Polizeiarzt dem Beklagten eine uneingeschränkte Dienstfähigkeit bestätigt und u.a. ausführt:

41

"Circa vier Monate nach Abschluss seiner vierten stationären Entwöhnungsbehandlung fand sich in der polizeiärztlichen Untersuchung am 2006 eine Bestätigung und Stabilisierung dieser Einschätzung ( Anmerkung: dies bezieht sich auf die abschließende sozialmedizinische Epikrise im Entlassungsbericht der Klinik I. vom 2006 )... Herr bot einen ausgeglichenen psychischen Zustand dar und zeigte auch in der körperlichen Untersuchung sowie in den Funktionsuntersuchungen keinerlei Hinweise für eine alkoholbedingte körperliche Schädigung... Herr gab zu erkennen, dass er seine Pflichten und Aufgaben als Sachbearbeiter ESD auch im Wechselschichtdienst gut bewältigen könne... Seitens der Dienststelle erfahre er volle Unterstützung, so werde ihm auch der regelmäßige Besuch seiner ambulanten Nachsorgegruppe in der Psychosozialen Beratungsstelle in J. soweit als möglich vom Dienstplan her unterstützt." Die günstige Prognose in dem Entlassungsbericht vom 2006 hat der Beklagte durch die im Anschluss an die Entwöhnungsbehandlung in der Klinik I. vom Februar 2006 bis zum Januar 2007 in der Psychosozialen Beratungsstelle in J. durchgeführte nachstationäre ambulante Rehabilitation stabilisiert. Diese Behandlung beendete er ausweislich der Stellungnahme der Diplom-Sozialpädagogin K. vom 2008 ebenfalls mit einer positiven Prognose und einer glaubhaft stabilen Abstinenz.

42

c)

Der Annahme eines Therapieerfolgs nach der stationären Entwöhnungsbehandlung steht nicht entgegen, dass der Beklagte anschließend vom 2006 bis zum 2007 die ambulante nachstationäre Rehabilitation durchgeführt hat. Insbesondere lässt sich diesem Umstand entgegen der Auffassung des Beklagten nicht entnehmen, seine Therapie sei erst nach Abschluss dieser ambulanten Nachbehandlung am 2007 erfolgreich beendet gewesen und der Therapieerfolg hätte sich wegen des nur etwa zwei Monate später erfolgten und hier vorgeworfenen Alkoholkonsums im März 2007 nicht ausreichend verfestigt. Ein Therapieerfolg nach der stationären Entwöhnungsbehandlung ist auch nicht deshalb zu verneinen, weil nach der Stellungnahme der Diplom-Sozialpädagogin K. vom 2008 zu dem hier vorgeworfenen Rückfall im März 2007 der Beklagte aus therapeutischer Sicht seine Problematik zwar kognitiv, aber nicht emotional vertieft habe und diese nicht vorhandene emotionale Abstinenzentscheidung einen Rückfall sehr wahrscheinlich werden lasse. Hieraus kann insbesondere nicht geschlossen werden, es habe im Zeitpunkt des erneuten Alkoholkonsums im März 2007 noch gar kein Therapieerfolg, also selbst nicht nach Abschluss der ambulanten Behandlung am 2007 vorgelegen.

43

Bei dem Beklagten liegt nach dem ergänzenden Sachverständigengutachten vom 2010 eine chronifizierte Verlaufsform der Suchterkrankung vor. Angesichts dieses Krankheitsbildes ist der Beklagte nicht erst dann erfolgreich therapiert, wenn er geheilt ist. Denn die chronische Alkoholkrankheit des Beklagten kann durch Abstinenz nur gestoppt, aber nicht geheilt werden. Der Sachverständige M. führt in seinem Gutachten vom 2009 (Seite 16) aus:

44

"Auf Grund der genetischen Disposition besteht nach einer erfolgreichen Entwöhnungsmaßnahme lebenslang eine Rückfallgefährdung, die mit Abstinenzdauer abnimmt, jedoch nie den Durchschnittswert für die Entwicklung von Suchterkrankten erreicht.

45

Insoweit ist der Begriff "Heilung" in Bezug auf die Suchterkrankung irreführend." Außerdem führt der Sachverständige M. in seinem ergänzenden Gutachten vom 2010 aus:

"Dies bedeutet, dass die Rückfallgefährdung auch nach einer durchgeführten Behandlung durchgängig deutlich erhöht ist. Neben der genetischen Disposition wird diese erhöhte Rückfallgefährdung durch die trotz mehrfacher Therapie fortbestehenden Persönlichkeits- und Verhaltensstrukturen bedingt... Für die Einhaltung einer langfristigen Abstinenz sind sowohl persönlichkeitsgebundene wie auch externe Faktoren zu berücksichtigen. Zu den persönlichkeitsgebundenen Faktoren zählen zum einen kognitive Prozesse mit Erarbeitung von Risikosituationen, Möglichkeiten der Rückfallvermeidung und insbesondere die Erarbeitung einer klaren Abstinenzentscheidung. Zum anderen fällt hierunter die emotionale tiefenpsychologisch orientierte Auseinandersetzung mit den biografischen Bedingtheiten der Suchtproblematik. Letztere gelingt häufig nur eingeschränkt in Abhängigkeit von individuellen Persönlichkeitsstrukturen, so dass kognitiv-behaviorale Therapieansätze in der Suchtbehandlung vorrangig angewandt werden. Ziele der therapeutischen Maßnahmen sind somit die Übernahme von Verantwortung für die Abstinenz und soweit dies möglich ist, die Relativierung Sucht fördernder Persönlichkeitsmerkmale und Einstellungen.

Zu den Abstinenz fördernden äußeren Faktoren zählen suffiziente Nachsorge, kontrollierendes Setting und die Erarbeitung und Installation einer rückfallpräventiven realen Lebenssituation, die sich von der des Konsumverhaltens eindeutig unterscheidet. Gerade Letzteres muss durch den Betroffenen aktiv in seiner Verantwortung gestaltet werden." Ein Therapieerfolg kann bei dieser ausgeprägten Suchtproblematik des Beklagten mit dem erhöhten Rückfallrisiko nach Auffassung des Senats auch nicht erst dann angenommen werden, wenn der Beklagte ohne jede weitere Hilfe alkoholabstinent leben kann. Ein solcher Erfolg wird sich bei dem Krankheitsbild des Beklagten allenfalls erst langfristig einstellen. Für einen Therapieerfolg reicht es vielmehr im Hinblick auf die chronische Alkoholerkrankung des Beklagten und unter Würdigung der eingeholten Sachverständigengutachten aus, dass der Beklagte durch die stationäre Therapie in die Lage versetzt worden ist, mit Hilfe einer ambulanten Therapie über einen nachhaltigen Zeitraum von über einem Jahr lang abstinent zu leben. Der Sachverständige M. hat in seinem ergänzenden Gutachten vom 2010 hierzu festgestellt, dass die vollstationäre Entwöhnungsmaßnahme den Beklagten in die Lage versetzt habe, unter weniger intensivem ambulantem therapeutischen Setting abstinent zu bleiben, die ambulant durchgeführte Nachsorge habe den kognitiven Anteil der Behandlung gefestigt, habe aber die den Rückfall begünstigenden Persönlichkeitsstrukturen nur wenig verändert. Der Senat folgt diesen widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Feststellungen des Sachverständigen, die entgegen der Auffassung des Beklagten nicht mangelhaft sind, sondern die Beweisfragen zu den Ziffern 1a) und b) des Beweisbeschlusses vom 18. Juni 2009 hinreichend beantworten. Diese Feststellungen stimmen zudem mit der von dem Beklagten vorgelegten Stellungnahme der Diplom-Sozialpädagogin K. vom 2008 überein. Dass der Beklagte demnach zur Verfestigung seiner Erkenntnisse nach der stationären Entwöhnungsbehandlung einer ambulanten Therapie bedurfte, stellt den Erfolg der stationären Therapie nicht in Frage. Vielmehr zeigt gerade der Umstand, dass der Beklagte anschließend eine einjährige ambulanten Behandlung durchgeführt und an einer Selbsthilfegruppe teilgenommen hat, dass dem Beklagten in der stationären Therapie erfolgreich Verhaltensmechanismen gegen einen erneuten Alkoholmissbrauch vermittelt worden sind.

Einem Therapieerfolg steht nicht entgegen, dass der Beklagte im März 2007 erneut Alkohol konsumiert hat. Der Sachverständige M. führt in seinem ergänzenden Gutachten vom 2010 (Seite 5) aus, der Rückfall sei der mangelnden Verantwortungsübernahme für die Abstinenz zuzuschreiben. Hinweis darauf sei u.a. das konkrete Rückfallgeschehen mit lang hingezogenem Ablauf und planerischen Aspekten. Dass der Rückfall schon kurz nach Beendigung der ambulanten Therapie erfolgt sei, sei nicht als Kriterium für den Erfolg der vorausgegangenen Maßnahmen zu bewerten; der Zeitpunkt sei durch den Geburtstag des Sohnes und dessen Feier bestimmt gewesen. Entgegen der Einschätzung des Beklagten handelt es sich bei dieser Feststellung des Sachverständigen weder um eine Tautologie noch um einen Widerspruch. Nach diesen Ausführungen des Sachverständigen haben bei dem Beklagten die ihm in der Therapie vermittelten Bewältigungstechniken versagt, als im März 2007 für den Beklagten auf der Geburtstagsfeier seines Sohnes eine besondere Belastungssituation aufgetreten ist und er die Verantwortung tatsächlich nicht übernommen hat. Maßgeblich ist aber, dass der Beklagte nach Abschluss der stationären Entwöhnungsbehandlung in die Lage versetzt worden ist, auf Bewältigungstechniken zurückgreifen zu können und dass ihm dies über ein Jahr lang, in dem er abstinent geblieben ist, gelungen ist. Es ist deshalb entgegen der Auffassung des Beklagten nicht widersprüchlich, wenn der Sachverständige M. in seinem Gutachten vom 2009 einerseits ausführt, eine längerfristige Rückfallprävention nach Abschluss der vollstationären und der nachfolgenden ambulanten Behandlung sei nicht gelungen, und andererseits in seinem ergänzenden Gutachten vom 2010 zu dem Ergebnis kommt, bezüglich des hier zu beurteilenden Rückfallgeschehens könne festgestellt werden, dass der Beklagte aufgrund der durchgeführten Behandlung durchaus in der Lage gewesen sei, die Risikosituation zu erkennen. Ebenfalls ist es angesichts des aufgezeigten Krankheitsbildes des Beklagten kein Widerspruch, wenn der Sachverständige einerseits auch für die Zukunft Rückfallgefahren erkennt und andererseits die zweieinhalbjährige Abstinenz des Beklagten an anderer Stelle als Beleg dafür wertet, dass es "gehe".

46

Ein weiteres Indiz dafür, dass die stationäre Entwöhnungsbehandlung erfolgreich gewesen ist, ist auch die Feststellung des Sachverständigen M. in dem ergänzenden Gutachten vom 2010 (Seite 4), dass der Verlauf nach dem Rückfall zeige, dass der Beklagte zu länger dauernder Abstinenz in der Lage sei. Der Beklagte rügt in diesem Zusammenhang erfolglos, der Sachverständige stelle zu Unrecht darauf ab, dass er, der Beklagte, seit dem Rückfall im März 2007 abstinent sei. Es ist dem Sachverständigen nicht verwehrt, aufgrund seines medizinischen Sachverstandes Schlussfolgerungen über den Erfolg der früheren Therapie aus dem Umstand zu ziehen, dass es dem Beklagten nach dem hier vorgeworfenen Rückfall bereits nach kurzer Entgiftung und Aufarbeitung des Rückfalls ohne erneute länger dauernde therapeutische Maßnahme gelungen ist, abstinent zu bleiben. Dafür, dass - wie der Beklagte meint - in den Ausführungen des Sachverständigen die Behauptung stecke, er, der Beklagte, habe seinen Status vom Frühjahr 2010 schon Anfang 2007 einnehmen können, lassen sich dem Sachverständigengutachten keine Anhaltspunkte entnehmen. Der weitere Vortrag des Beklagten, der Sachverständige verkenne, dass die Abstinenz auch Umständen geschuldet sei, die Folge des Versagens oder von Anderen abhängig seien, vermag das Sachverständigengutachten ebenso wenig in Frage zu stellen wie sein Vorbringen, dass "es sich um einen voranschreitenden Prozess" handele. Letzteres stellt der Sachverständige in seinem Gutachten vom 2009 (Seite 18) zur Psychodynamik der Suchterkrankung ebenfalls fest. Der Sachverständige hatte entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht die Aufgabe, dem Beklagten in seinem Gutachten aufzuzeigen, wie der Beklagte dem Rückfallgeschehen hätte begegnen können. Soweit der Beklagte vorträgt, die Sachverständigengutachten trügen zur Lösung des Falles nicht bei, was an dem Sachverstand des Gutachters, seiner Erfahrung und Sorgfalt und/oder seinem Interesse zweifeln lasse, entbehrt dies der Grundlage.

47

d)

Eine Dienstpflichtverletzung wegen eines Rückfalls in die nasse Phase setzt weiter voraus, dass der Beamte nach dem Abschluss der Entwöhnungsbehandlung über die disziplinarrechtlichen Folgen eines Rückfalls belehrt worden sein muss. Dies ist hier ausweislich der vom Beklagten am 2006 abgezeichneten Verfügung der Klägerin vom 2006 der Fall. Darin ist dem Beklagten außerdem auferlegt worden, ab dem ersten Krankheitstag ein ärztliches Attest vorzulegen, vor Beginn jeder Dienstschicht einen Alkoholtest zu machen und regelmäßig an Sitzungen der Therapiegruppe teilzunehmen. Ferner ist ihm vor dem hier vorgeworfenen Rückfall durch den mit Disziplinarverfügung vom 2006 verhängten Verweis wegen eines vorherigen Rückfalls in die nasse Phase vor Augen geführt worden, welche Folgen es hat, wenn er erneut rückfällig wird.

48

e)

Der Rückfall im März 2007 hat schließlich auch dienstliche Auswirkungen gehabt. Der Beklagte hat unstreitig durch den Rückfall drei vorgeplante Dienste und einen Gerichtstermin versäumt und ist anschließend längere Zeit dienstunfähig krankgeschrieben gewesen. Diese ihm im vorliegenden Disziplinarverfahren nicht vorgeworfenen Pflichtverletzungen hat er unter Berücksichtigung der nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen M. in seinem Gutachten vom 2009 im Zustand der erheblich verminderten Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB begangen.

49

2.

Der Beklagte hat mit dem Rückfall in die nasse Phase seiner Alkoholkrankheit im 2007 die ihm gemäß §§ 62, 63 NBG a.F. (jetzt § 34, 35 BeamtStG) obliegenden Dienstpflichten verletzt und dadurch ein Dienstvergehen im Sinne von § 85 Abs. 1 NBG a.F. (jetzt § 47 Abs. 1 BeamtStG) begangen.

50

a)

Gem. § 62 NBG a.F. (vgl. § 34 BeamtStG) hat ein Beamter die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes. Er hat sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen und sein Amt uneigennützig nach bestem Wissen zu verwalten. Nach § 63 NBG a.F. (vgl. § 35 BeamtStG) hat ein Beamter Weisungen seines Vorgesetzten und allgemeine Richtlinien zu befolgen. Durch den Rückfall in die nasse Phase der Alkoholsucht und die damit verbundenen Beeinträchtigungen seiner Dienstverrichtungen hat der Beklagte seine Pflichten zur Beachtung der Gesetze und der dienstlichen Anordnungen sowie zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten verletzt. Er hat insbesondere gegen seine Pflicht zur Gesunderhaltung verstoßen.

51

b)

Der Beklagte hat auch schuldhaft gehandelt. Der Senat geht nicht davon aus, dass der Beklagte vorsätzlich gehandelt hat. Dem Beklagten ist aber grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen.

52

Der Beklagte ist vor seinem Rückfall über die disziplinarrechtlichen Folgen belehrt worden. Ferner ist nach dem nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Gutachten des Sachverständigen M. vom 2009, dem der Senat folgt, eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Beklagten gemäß § 20 StGB für das eigentliche Rückfallgeschehen auszuschließen (Seite 22 des Gutachtens). Der Beklagte hat nach Einschätzung des Senats auch nicht erheblich vermindert schuldfähig im Sinne des § 21 StGB gehandelt. Er ist jedoch im Zeitpunkt des Rückfalls in die nasse Phase vermindert schuldfähig gewesen.

53

Erheblich verminderte Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB setzt voraus, dass die Fähigkeit, das Unrecht einer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung im Sinne von § 20 StGB bei Tatbegehung erheblich eingeschränkt war. Für die Steuerungsfähigkeit kommt es darauf an, ob das Hemmungsvermögen so stark herabgesetzt war, dass der Betroffene den Tatanreizen erheblich weniger Widerstand als gewöhnlich entgegenzusetzen vermochte (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.05.2007 - BVerwG 2 C 9.06 -, NVwZ-RR 2007, 695; Urt. v. 29.05.2008 - BVerwG 2 C 59.07 -, [...];Beschl. v. 27.10.2008 - BVerwG 2 B 48.08 -, [...]). Die Frage, ob die Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung "erheblich" war, ist eine Rechtsfrage, die die Verwaltungsgerichte ohne Bindung an die Einschätzung Sachverständiger in eigener Verantwortung zu beantworten haben. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seines Erscheinungsbildes vor, während und nach der Tat und der Berücksichtigung der Tatumstände, insbesondere der Vorgehensweise. Die Erheblichkeitsschwelle liegt umso höher, je schwerer das in Rede stehende Delikt wiegt. Dementsprechend hängt im Disziplinarrecht die Beurteilung der Erheblichkeit im Sinne von § 21 StGB von der Bedeutung und Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflichten ab (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.05.2007, 29.05.2008 u. 27.10.2008, a.a.O.). Bei Zugrundelegung dieser rechtlichen Maßstäbe geht der Senat davon aus, dass der Beklagte nicht erheblich vermindert schuldfähig gewesen ist, als er im 2007 erneut Alkohohl konsumiert hat. Der Senat folgt den nachvollziehbaren Feststellungen des Sachverständigen M. in seinem Gutachten vom 2009, dass der Beklagte im Hinblick auf das Rückfallgeschehen lediglich vermindert schuldfähig gewesen ist. Hiervon geht der Sachverständige auf Grund der Kombination der schweren Suchterkrankung, der Persönlichkeitsstrukturen des Beklagten und der schweren psychopathologischen Symptome im Rahmen der Intoxikation aus. Dagegen vermag der Senat entgegen der Auffassung des Beklagten eine Erheblichkeit der verminderten Schuldfähigkeit nicht festzustellen. Der Senat legt seiner Einschätzung die nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen zugrunde, dass das Rückfallgeschehen keinen abrupten impulshaften Handlungsablauf gehabt hat und der Beklagte zur Vorbereitung und zum Warten in der Lage gewesen ist. Trotz emotionaler Labilisierung durch das Geschehen beim Geburtstag seines Sohnes ist der Beklagte in der Lage gewesen, einen Pkw zu bewegen, abzuwarten und sich an einen Ort zu begeben, an dem mögliche Konsequenzen (z.B. Führen eines Pkw in alkoholisiertem Zustand) vermieden worden sind. Es handelt sich bei dem Rückfallgeschehen um einen lang hingezogenen Prozess, in dem der Beklagte die Möglichkeit gehabt hat, Alternativentscheidungen zu treffen bzw. mit seiner Selbsthilfegruppe Kontakt aufzunehmen. Der Beklagte kann nicht mit Erfolg einwenden, es hätten auf dem Rückweg von der Geburtstagsfeier Automatismen gewirkt. Hierzu trägt er vor, dass es um das "Erreichen eines Raums" gegangen sei, "wo die Verzweiflung zu ertränken war". Er habe "innerlich" beschlossen zu trinken. Aus diesem Vortrag folgt aber, dass sich der Beklagte die Art und Weise, wie er den Alkohol zu sich nehmen würde, überlegt und nicht impulsiv gehandelt hat. Er hat den Alkohol nicht an Ort und Stelle getrunken, sondern ist mit seinem Pkw nach Hause gefahren. Einer überlegten Handlung steht nicht entgegen, dass der Getränkemarkt, in dem der Beklagte eine Kiste Bier gekauft hat, an der Strecke gelegen hat. Der Einkauf hat Zeit in Anspruch genommen und die Heimfahrt unterbrochen, so dass der Beklagte dadurch eine weitere Gelegenheit gehabt hat, eine andere Entscheidung zu treffen. Diese Vorgehensweise schließt eine abrupte, erheblich eingeschränkte steuerbare Handlung aus. Der Sachverständige M. brauchte entgegen der Auffassung des Beklagten nicht zu klären, wann der Beklagte den Entschluss gefasst hat, Alkohol zu kaufen.

54

Der Beklagte trägt ohne Erfolg vor, das Geschehen trage deutlich depressive, nicht planerische Züge. Zwar wurde bei dem Beklagten während der Entwöhnungsmaßnahme 2003 in H. eine narzisstische Persönlichkeitsstruktur mit depressiven Anteilen diagnostiziert. Nach dem Sachverständigengutachten vom 2009 (Seite 18) handelt es sich hierbei aber nur um eine Akzentuierung der Persönlichkeit ohne eigenständigen Krankheitswert. Zwar führt der Sachverständige M. auch aus, das Verhalten des Beklagten deute auf eine erhebliche Selbstwertproblematik und auf dependente Persönlichkeitszüge hin. Aus dem testpsychologischen Zusatzgutachten des Dipl.-Psych. N. vom 2009 ergaben sich aber keine Hinweise auf eine diesbezügliche psychiatrische Erkrankung des Beklagten.

55

Handelte der Beklagte bei dem Rückfall im März 2007 zwar nicht erheblich vermindert, aber vermindert schuldfähig, kann ihm kein Vorsatz vorgeworfen werden. Es ist aber von einer grob fahrlässigen Handlung auszugehen.

56

3.

Das schuldhaft gegangene Dienstvergehen rechtfertigt es nach Überzeugung des Senats, (noch) von der Verhängung der schwersten Disziplinarmaßnahme einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen. Das Dienstvergehen erfordert aber die Zurückstufung des Beklagten gemäß § 10 NDiszG als Disziplinarmaßnahme.

57

Nach § 14 Abs. 1 NDiszG ergeht die Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme nach pflichtgemäßem Ermessen, sie ist nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen, das Persönlichkeitsbild des Beamten ist angemessen zu berücksichtigen und ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt hat. Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 NDiszG ist ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich dabei nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, darüber hinaus nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten und Beweggründen für sein Verhalten sowie den unmittelbaren Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis setzt voraus, dass der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Ein endgültiger Vertrauensverlust ist eingetreten, wenn aufgrund der Gesamtwürdigung der bedeutsamen Umstände der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig seinen Dienstpflichten nicht ordnungsgemäß nachkommen oder aufgrund seines Fehlverhaltens sei eine erhebliche, nicht wieder gut zu machende Ansehensbeeinträchtigung eingetreten (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.10.2005 - BVerwG 2 C 12.04 -, [...]; Urt. v. 24.05.2007 - BVerwG 2 C 28.06 -, [...]). Hat ein Beamter durch einen Rückfall in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit schuldhaft den Tatbestand eines Dienstvergehens verwirklicht, steht als disziplinarrechtliche Folge der Ausspruch einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 11 NDiszG) ernsthaft im Raum (vgl. Gansen, a.a.O., § 13 BDG, Rn. 81, 82).

58

Bei einer Gesamtbetrachtung aller für und gegen den Beklagten sprechenden Gesichtspunkte hält es der Senat aber im vorliegenden Fall gerade noch für gerechtfertigt, das Vertrauen in eine (zukünftig) ordnungsgemäße Dienstausübung des Beklagten als noch nicht endgültig zerstört anzusehen (vgl. insoweit auch zu Zugriffsdelikten: BVerwG, Urt. v. 24.05.2007 - BVerwG 2 C 28.06 -, [...];Urt. v. 29.05.2008, - BVerwG 2 C 59.07 -, [...]; Nds. OVG, Urt. v. 10.02.2009 - 20 LD 3/07 -), so dass es angezeigt ist, von der disziplinaren Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen. Allerdings hält der Senat eine empfindliche Disziplinarmaßnahme für angemessen, um dem Beklagten sein wiederholtes Fehlverhalten und die Notwendigkeit, alkoholabstinent zu leben und seine Dienstfähigkeit zu erhalten, vor Augen zu führen.

59

Belastend ist hier zu berücksichtigen, dass der Beklagte bereits mehrfach im Zusammenhang mit Alkoholgenuss in Erscheinung getreten ist. Er ist deswegen disziplinarrechtlich vorbelastet. Ihm ist vor dem hier vorgeworfenen Rückfall mit Disziplinarverfügung vom 2006 mit der Verhängung eines Verweises vor Augen geführt worden, dass er das in ihn gesetzte Vertrauen bereits erheblich geschädigt hat und dass er bei einem erneuten alkoholbedingten Fehlverhalten mit der vollständigen Ausschöpfung der disziplinarrechtlich zur Verfügung stehenden Maßnahmen zu rechnen habe. Die Klägerin hat in der Vergangenheit den Beklagten im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht zur Beherrschung seiner Alkoholabhängigkeit unterstützt. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass der Dienstherr in der Vergangenheit bereits viel Geduld mit dem Beklagten aufgebracht hat. Er hat dem Beklagten nach jedem Rückfall erneut Hilfe angeboten. Nach der hier maßgeblichen vierten stationären Entwöhnungsbehandlung hat die Klägerin den Beklagten bestimmten Diensten zugeteilt und ihm Weisungen erteilt, die ihm die Kontrolle über seine Abstinenz gewährleisten sollten. Ferner hat die Klägerin ihm die Teilnahme von Therapien auferlegt, um seine Abstinenz zu fördern und ihn zu stabilisieren. Indem der Beklagte gleichwohl im März 2007 erneut "zur Flasche gegriffen" hat, hat er das Vertrauensverhältnis zu der Klägerin erheblich erschüttert. Aus den vorgelegten Sachverständigengutachten wird ersichtlich, dass er sich nur reduziert mit der Suchtproblematik auseinandersetzt und Verantwortung übernimmt. Das Verwaltungsgericht führt außerdem nachvollziehbar aus, dass sich der Dienstherr auch in Zukunft nie sicher sein könne, ob und wie lange der Beklagte ohne alkoholbedingte Auffälligkeiten seinen Dienst versehen werde, wenn allein familiäre Spannungen, die jederzeit wieder auftreten könnten, wieder zu einem Rückfall in die nasse Phase der Alkoholkrankheit führten. Die Prognose des Sachverständigen M. ist ebenfalls nicht uneingeschränkt positiv. Er stellt fest, die Suchterkrankung mit Rückfallgefährdung bestehe auch nach nunmehr zweieinhalbjähriger Abstinenz fort. Kritisch sei die weiterhin nicht ausreichende Etablierung von Verantwortungsübernahme und alternativer Lebensgestaltung zu sehen.

60

Mildernd berücksichtigt der Senat demgegenüber, dass sich der Beklagte bei der Geburtstagsfeier seines rechtsradikalen Sohnes im März 2007 in einer für ihn als Polizist und Vater sowie chronisch Alkoholkranken besonders schwierigen Situation befunden hat. Der Auslöser des Rückfalls ist nicht nichtig gewesen, sondern der Beklagte sah sich unvermittelt mit der ihm zwar bekannten, ihn aber schwer belastenden Problematik konfrontiert. Er handelte außerdem im Zustand einer zwar nicht erheblichen, aber zumindest verminderten Schuldfähigkeit. Ursache des hier vorgeworfenen Dienstvergehens ist seine chronische Alkoholsucht, die nicht heilbar ist. Die nicht uneingeschränkt positive Prognose des Sachverständigen M. beruht auf der ausgeprägten, dem Beklagten grundsätzlich nicht vorwerfbaren Suchtproblematik, die auch künftig eine ständige Rückfallgefährdung in sich birgt. Die Rechtsprechung geht mit den heutigen medizinischen Erkenntnissen davon aus, dass Trunksucht im Entstehen regelmäßig nicht selbstverschuldet ist. Der Dienstherr muss sich deshalb schwerpunktmäßig in einem solchen Fall der Instrumentarien bedienen, die der Wiederherstellung der Dienstfähigkeit dienen oder eine Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit zur Folge haben. Die disziplinarrechtliche Reaktion ist bei einer solchen Krankheit nur angebracht, wenn ein Dienstvergehen nachweisbar ist. Dies liegt hier zwar vor. Die dienstlichen Auswirkungen durch den Rückfall des Beklagten in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit haben sich jedoch in Grenzen gehalten. Die nasse Phase, in die der Beklagte zurückgefallen ist, dauerte (lediglich) etwa zehn Tage. Der Beklagte ist an drei Tagen nicht zum Dienst erschienen und hat einen Gerichtstermin versäumt. Zwar ist er längere Zeit nicht arbeitsfähig gewesen. Er hat sich jedoch nach dem Rückfall sofort wieder in Behandlung begeben. Zwar ist dieser Umstand auch auf die fürsorgliche Unterstützung seiner Kollegen zurückzuführen, die ihn zu Hause aufgesucht und zur Therapie bewegt haben. Allerdings hat sich der Beklagte nicht widersetzt, sondern sich unverzüglich einer erneuten Entgiftungsbehandlung unterzogen. Er ist seit nunmehr drei Jahren alkoholabstinent. Er hat eine neue Partnerschaft, die nach den Feststellungen des Sachverständigen M. rückfallpräventiv ist. Ferner wird aus den vorliegenden Sachverständigengutachten ersichtlich, dass sich der Beklagte durch das Disziplinarverfahren, das sich inzwischen über mehrere Jahre hingezogen hat, nachhaltig hat beeindrucken lassen. Der Beklagte hat seit seiner vorläufigen Dienstenthebung keine seinem bisherigen Dienst entsprechende Tätigkeit mehr ausgeübt. Außerdem ist sein Gehalt um ein Zehntel gekürzt worden. Auch insoweit hat der Beklagte nachteilige Folgen seines Dienstvergehens tragen müssen.

61

Bei Abwägung aller be- und entlastenden Umstände hält der Senat anders als das Verwaltungsgericht (noch) nicht die schärfste Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis für angemessen. Der Senat hält aber die zweitschärfste Maßnahme der Zurückstufung (§ 10 NDiszG) für erforderlich, um einerseits dem Beklagten vor Augen zu führen, dass ein weiterer Rückfall in die nasse Phase der Alkoholabhängigkeit die schärfste Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach sich ziehen kann, und um es andererseits dem Beklagten zu ermöglichen, die vom Sachverständigen M. als kritisch angesehene, nicht ausreichende Verantwortungsübernahme weiter zu etablieren und eine alternative Lebensgestaltung anzustreben. Eine Zurückstufung des Beklagten in das Eingangsamt gemäß § 10 Abs. 1 NDiszG kommt jedoch nicht in Betracht, weil er sich bereits im Eingangsamt eines Polizeikommissars (BesGr. A 9 BBesO) der Laufbahngruppe 2 (vgl. Nr. 17 der Überleitungsübersicht in der Anlage zu § 121 NBG in der seit dem 1. April 2009 geltenden Fassung) befindet. Beamte, die sich im ersten Einstiegsamt der Laufbahn befinden, werden gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 NDiszG zurückgestuft, indem für einen Zeitraum von fünf Jahren Bezüge aus einer vom Gericht zu bestimmenden niedrigeren Besoldungsgruppe gezahlt werden. Zur Pflichtenmahnung hätte der Senat hier eine Zurückstufung um zwei Besoldungsstufen für angemessen gehalten, falls dies möglich gewesen wäre. Deshalb hält der Senat es für angemessen, den Beklagten zurückzustufen, indem ihm Bezüge aus der um zwei Besoldungsstufen niedrigeren Besoldungsgruppe A 7 der Anlage 2 zum Niedersächsischen Besoldungsgesetz gezahlt werden. Der Beklagte behält damit sein Statusamt als Polizeikommissar, wird besoldungsrechtlich jedoch so gestellt, als sei er in ein niedrigeres Amt zurückgestuft worden (vgl. auch LT-Drucksache 15/1130, Seite 51; Gansen, a.a.O., § 9 BDG Rn. 38). Eine Abkürzung des in § 10 Abs. 2 Satz 1 NDiszG vorgesehenen Zeitraums von fünf Jahren ist nicht vorzunehmen, weil dies im Hinblick auf die Dauer des Disziplinarverfahrens nicht angezeigt ist (§ 10 Abs. 2 Satz 2 NDiszG).

62

Die weitergehende Berufung ist nach alledem zurückzuweisen.