Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.05.2010, Az.: 8 ME 95/10
Teilnahme am Schulunterricht als Ausnahmefall zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Schulbesuch nach § 16 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG); Unterlassung eines Antrags auf Rückübernahme einer Familie aus dem Kosovo
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 28.05.2010
- Aktenzeichen
- 8 ME 95/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 24150
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0528.8ME95.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 16 Abs. 5 AufenthG
- Nr. 16.5.2.1 AVwV
Fundstellen
- AUAS 2010, 206-207
- DVBl 2010, 926
- DÖV 2010, 701
Amtlicher Leitsatz
Die bloße bisherige Teilnahme am Schulunterricht begründet keinen Ausnahmefall, in dem eine Aufenthaltserlaubnis zum Schulbesuch nach § 16 Abs. 5 Satz 1 a.E. AufenthG erteilt werden kann (vgl. Nr. 16.5.2.1 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - AVwV AufenthG - vom 26. Oktober 2009, GMBl. S. 877)).
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.
Hinsichtlich der mit der Beschwerde verfolgten Anträge, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin eine Duldung bis zum rechtskräftigen Abschluss des auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichteten Klageverfahrens vor dem Verwaltungsgericht zu erteilen und den Antrag auf Rückübernahme der Gesamtfamilie bei den kosovarischen Behörden zu unterlassen, hilfsweise zurückzunehmen, hat die Antragstellerin weder einen Anordnungsgrund (1.) noch einen Anordnungsanspruch (2.) in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO genügenden Weise glaubhaft gemacht.
1.
Ein Anordnungsgrund für den Erlass einer Regelungsanordnung erfordert das Vorliegen besonderer Gründe, die es unzumutbar erscheinen lassen, die Antragstellerin auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 8.10.1992 - 4 M 89/92 -, InfAuslR 1993, 18 m.w.N.). Der Anordnungsgrund ist folglich gleichzusetzen mit der Dringlichkeit bzw. Eilbedürftigkeit der Rechtsschutzgewährung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.5.1995 - 1 BvR 1087/91 -, NJW 1995, 2477, 2482 f.; Senatsbeschl. v. 24.5.2007 - 8 ME 41/07 -, [...] Rn. 4).
An einer solchen Dringlichkeit fehlt es hier. Der Antragsgegner hat die Antragstellerin zwar zur Ausreise unter Fristsetzung zum 12. Mai 2010 (siehe die Regelung in Nr. II des Bescheides des Antragsgegners vom 11.2.2010, der dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin am 12.2.2010 zugestellt worden ist) aufgefordert. Er hat aber im erstinstanzlichen und im Beschwerdeverfahren ausdrücklich erklärt, dass ein Abschiebungstermin noch nicht feststehe. Da die Abschiebung angesichts der derzeitigen Schwangerschaft der Mutter der Antragstellerin nur gemeinsam mit deren Lebensgefährten, Herrn D. E., erfolgen solle, für diesen aber noch keine Heimreisepapiere vorlägen, könne eine Abschiebung auch der Antragstellerin vermutlich nicht vor Abschluss des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens vollzogen werden. Im Übrigen müsse noch ein Rückübernahmeersuchen gestellt werden. Angesichts dieses Sachverhalts ist eine Eilbedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht, weil jedenfalls derzeit offen ist, ob und wann eine Abschiebung der Antragstellerin erfolgen wird. Wenn die Antragstellerin dagegen einzig einwendet, es läge keine schriftliche Zusicherung des Antragsgegners vor, so dass nicht mit Sicherheit von einer nicht demnächst erfolgenden Abschiebung ausgegangen werden könne, verkennt sie die allein ihr obliegende Pflicht zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO genügenden Weise.
Darüber hinaus bestehen erhebliche Zweifel am Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin. Denn soweit diese eine Aussetzung der Abschiebung begehrt, ist ihr diese vom Antragsgegner bereits gewährt worden. Ausweislich seines Schreibens vom 21. April 2010 wurde der Antragstellerin vorerst erneut eine Duldung erteilt.
2.
Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage besteht auch kein - gegebenenfalls nach Maßgabe des § 123 VwGO sicherungsfähiger - Anspruch der Antragstellerin auf Verlängerung bzw. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis über den 31. Januar 2010 hinaus.
Die 2001 im Bundesgebiet geborene minderjährige Antragstellerin teilt grundsätzlich aufenthaltsrechtlich das Schicksal ihrer Eltern (sog. familienbezogene Gesamtbetrachtung, vgl. Niedersächsisches OVG, Urt. v. 29.1.2009 - 11 LB 136/07 -, [...] Rn. 75 m.w.N.). Diesen steht nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage kein Aufenthaltsrecht zu. Hinsichtlich der Mutter der Antragstellerin, Frau C. B., verweist der Senat auf seinen Beschluss vom heutigen Tage im Verfahren 8 ME 93/10. Hinsichtlich des Vaters der Antragstellerin, Herrn D. E., ist von der Antragstellerin weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass diesem ein Aufenthaltsrecht zusteht. Dies ist auch sonst nicht ersichtlich. Verfügen die Eltern damit über kein Aufenthaltsrecht, so ist davon auszugehen, dass auch ein minderjähriges Kind, das im Bundesgebiet geboren wurde oder dort lange Zeit gelebt hat, grundsätzlich auf die von den Eltern nach der Rückkehr im Familienverband zu leistenden Integrationshilfen im Heimatland verwiesen werden kann. Besondere Integrationsleistungen der Antragstellerin, die eine Ausnahme von diesem Grundsatz erfordern würden, sind nicht ersichtlich.
Die Antragstellerin steht auch kein eigenständiges Aufenthaltsrecht aufgrund ihres Schulbesuchs nach § 16 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zu. Nach dieser Bestimmung kann einem Ausländer in Ausnahmefällen eine Aufenthaltserlaubnis zum Schulbesuch erteilt werden. Die hier gegebene bloße bisherige Teilnahme am Schulunterricht begründet einen solchen Ausnahmefall aber noch nicht (vgl. GK-AufenthG, Stand: Mai 2010, § 16 Rn. 34; Nr. 16.5.2.1 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - AVwV AufenthG - vom 26. Oktober 2009, GMBl. S. 877). Im Übrigen erfüllt die Antragstellerin die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 AufenthG nicht.
Soweit die Antragstellerin darüber hinaus jedenfalls im erstinstanzlichen Verfahren auf einen Anspruch auf Einbürgerung verweist, ist dieser nicht Gegenstand des dem hier zu entscheidenden Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes zugrunde liegenden Hauptsacheverfahrens, das allein auf die Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtet ist.
Schließlich hat die Antragstellerin keinen Anspruch gegen den Antragsgegner auf Unterlassung bzw. Rücknahme seines Antrags auf Rückübernahme der Gesamtfamilie gegenüber den kosovarischen Behörden. Ein solcher Unterlassungsanspruch setzt jedenfalls eine Rechtswidrigkeit des zu unterlassenden Verwaltungshandelns voraus (vgl. eingehend Senatsurt. v. 11.3.2010 - 8 LB 9/08 -, [...] Rn. 36 f. m.w.N.), woran es hier offensichtlich fehlt.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist unbegründet, da die Beschwerde der Antragstellerin aus den oben angeführten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO).