Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 12.05.2010, Az.: 8 LA 53/10
Verlängerung einer befristet erteilten Aufenthaltserlaubnis nach der Bleiberechtsregelung trotz Fehlen von nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erforderlichen Voraussetzungen; Einbeziehung von nicht mit dem Elternteil in häuslicher Gemeinschaft lebender, minderjähriger Kinder in die dem Elternteil nach der Bleiberechtsregelung 2009 zu erteilende Aufenthaltserlaubnis
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 12.05.2010
- Aktenzeichen
- 8 LA 53/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 24042
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0512.8LA53.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 23 Abs. 1 AufenthG
- § 25 Abs. 5 AufenthG
- § 104a Abs. 1 AufenthG
- Art. 6 GG
- Art. 8 EMRK
Fundstellen
- DVBl 2010, 926
- DÖV 2010, 701
- NordÖR 2010, 326
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Bleiberechtsregelung 2009 schafft lediglich die Möglichkeit, eine nach § 104a Abs. 1 AufenthG bis zum 31. Dezember 2009 befristet erteilte Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 AufenthG zu verlängern. Die sich aus § 104a Abs. 1 AufenthG ergebenden tatbestandlichen Voraussetzungen für die Ersterteilung einer Aufenthaltserlaubnis bleiben von der Bleiberechtsregelung 2009 unberührt.
- 2.
Nach der in Buchst. e der Bleiberechtsregelung 2009 getroffenen Bestimmung ("Im Bundesgebiet lebende ... minderjährige Kinder können einbezogen werden.") können nur solche minderjährigen Kinder in die den Eltern/einem Elternteil nach der Bleiberechtsregelung 2009 zu erteilende Aufenthaltserlaubnis einbezogen werden, die mit diesen/m in häuslicher Gemeinschaft leben.
Gründe
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses ihre auf die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gerichtete Klage abgewiesen hat, bleibt ohne Erfolg.
Die Kläger haben ihren Antrag auf die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (2.) gestützt. Diese Zulassungsgründe sind nicht hinreichend dargelegt worden bzw. liegen nicht vor.
1.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten. Das ist der Fall, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163, 1164; Senatsbeschl. v. 19.8.2009 - 8 LA 197/09 -). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, 542, 543).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Die Kläger haben für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2009 keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf Probe nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG.
Das Verwaltungsgericht hat durch Bezugnahme auf die Entscheidungen im vorausgegangenen Prozesskostenhilfeverfahren (vgl. VG Osnabrück, Beschl. v. 31.8.2009 - 5 A 160/09 -; Senatsbeschl. v. 20.10.2009 - 8 PA 182/09 -) zutreffend darauf hingewiesen, dass die Klägerin zu 1. jedenfalls für die in § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Zeiträume nicht vollständig Inhaberin einer Duldung war und eine überwiegend eigenständige Sicherung ihres Lebensunterhalts auf Dauer nicht erreichen wird (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 7.4.2010 - 8 PA 45/10 -). Diese Feststellungen werden von den Klägern im Berufungszulassungsverfahren nicht angegriffen.
Die Kläger wenden lediglich ein, dass jedenfalls dem Kläger zu 3. die von den Innenministern und -senatoren der Länder im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern am 4. Dezember 2009 getroffene Anordnung nach § 23 Abs. 1 AufenthG (vgl. Anlage zum RdErl. des Nds. Ministeriums für Inneres, Sport und Integration v. 11.12.2009 - 42.12.-12230/1-8 (§ 23) -, sog. Bleiberechtsregelung 2009) zu Gute komme. Nach Buchst. e dieser Bleiberechtsregelung 2009 könnten im Bundesgebiet lebende minderjährige Kinder in die ihren Eltern nach § 104a AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis einbezogen werden. Da der in E. lebende Vater des Klägers zu 3., Herr F. B., bis zum 31. Dezember 2009 Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 AufenthG gewesen sei, müsse auch dem Kläger zu 3. eine solche Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Dieser Einwand greift nicht durch. Ausweislich ihres Wortlauts beschränkt sich die Bleiberechtsregelung 2009 auf die Fälle, in denen eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG bis zum 31. Dezember 2009 erteilt worden war, diese aber mangels Vorliegens der Voraussetzungen nach § 104a Abs. 5 oder 6 AufenthG nicht verlängert werden kann. Nur für diese Fälle wurde eine Anordnung nach § 23 Abs. 1 AufenthG getroffen. Die Bleiberechtsregelung 2009 schafft mithin lediglich die Möglichkeit, eine nach § 104a Abs. 1 AufenthG bis zum 31. Dezember 2009 befristet erteilte Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 AufenthG zu verlängern. Die sich aus § 104a Abs. 1 AufenthG ergebenden tatbestandlichen Voraussetzungen für die Ersterteilung einer Aufenthaltserlaubnis bleiben von der Bleiberechtsregelung 2009 hingegen unberührt. Schon aufgrund des Gesetzesvorrangs böte die Anordnung nach § 23 Abs. 1 AufenthG keine Möglichkeit, diese Voraussetzungen zu modifizieren. Da die Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen des§ 104a Abs. 1 AufenthG nicht erfüllen und der Kläger zu 3. mangels einer im Zeitraum bis zum 31. Dezember 2009 bestehenden häuslichen Gemeinschaft mit seinem Vater auch nicht in die diesem nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis einbezogen werden kann (vgl. hierzu GK-AufenthG, Stand: März 2010, § 104a Rn. 24), besteht kein Anspruch auf (rückwirkende) Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 AufenthG für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2009.
Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Zeit ab dem 1. Januar 2010.
Die vom Verwaltungsgericht durch Bezugnahme auf die Entscheidungen im vorausgegangenen Prozesskostenhilfeverfahren getroffene Feststellung, dass die Kläger die sich aus § 104a Abs. 5 und 6 AufenthG ergebenden Voraussetzungen nicht erfüllen, wird von diesen mit dem Zulassungsantrag nicht in Frage gestellt.
Entgegen dem klägerischen Vorbringen kann sich der Kläger zu 3. auch in diesem Zusammenhang nicht erfolgreich auf die Bleiberechtsregelung 2009 berufen. Wie dargestellt wird hiermit keine Rechtsgrundlage für die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geschaffen, sondern nur die Möglichkeit eingeräumt, eine nach § 104a Abs. 1 AufenthG bis zum 31. Dezember 2009 befristet erteilte Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 AufenthG zu verlängern. Voraussetzung für die Anwendung der Bleiberechtsregelung 2009 ist daher, dass der Ausländer bis zum 31. Dezember 2009 Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG war. Schon daran fehlt es beim Kläger zu 3.. Im Übrigen ergibt sich entgegen der Auffassung der Kläger aus der Bestimmung in Buchst. d der Bleiberechtsregelung ausdrücklich, dass im Übrigen - also abgesehen von dem Erfordernis der Unterhaltssicherung nach § 104a Abs. 5 Satz 2 und 3 AufenthG - jeweils die Voraussetzungen des § 104a AufenthG weiter vorliegen müssen. Schließlich spricht die strikte Anknüpfung der Bleiberechtsregelung 2009 an die vorausgehende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG dafür, dass die Bestimmung in deren Buchst. e ("Im Bundesgebiet lebende Ehegatten und minderjährige Kinder können einbezogen werden.") dahin auszulegen ist, dass nur solche minderjährigen Kinder in die den Eltern/einem Elternteil nach der Bleiberechtsregelung 2009 zu erteilende Aufenthaltserlaubnis einbezogen werden können, die mit diesen/m in häuslicher Gemeinschaft leben (vgl. zu diesem Erfordernis bei der Einbeziehung minderjähriger Kinder in die den Eltern/einem Elternteil nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis: GK-AufenthG, a.a.O.). Denn es ist nicht ersichtlich, dass die Innenminister und -senatoren der Länder mit der getroffenen Anordnung die Verlängerung einer nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erteilten Aufenthaltserlaubnis auch dann zulassen wollten, wenn neben der Voraussetzung der Unterhaltssicherung nach § 104a Abs. 5 Satz 2 und 3 AufenthG weitere sich aus der Altfallregelung ergebende tatbestandliche Voraussetzungen nicht (mehr) erfüllt werden (vgl. RdErl. des Nds. Ministeriums für Inneres, Sport und Integration v. 11.12.2009 - 42.12-12230/1-8 (§ 23) -, S. 4). Da der Kläger zu 3. nach seinem eigenen Vorbringen auch derzeit mit seinem Vater nicht in häuslicher Gemeinschaft lebt, kommt auch aus diesem Grund eine Anwendung der Bleiberechtsregelung 2009 zu seinen Gunsten nicht in Betracht. Demzufolge haben die Klägerinnen zu 1. und 2. auch kein vom Kläger zu 3. abgeleitetes Aufenthaltsrecht.
Der vom Verwaltungsgericht durch Bezugnahme auf die Entscheidungen im vorausgegangenen Prozesskostenhilfeverfahren getroffenen Feststellung, dass die Kläger schließlich keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG und Art. 8 EMRK haben, sind diese im Zulassungsverfahren nicht entgegen getreten.
2.
Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang ungeklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich im Rechtsmittelverfahren stellen würde und im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf (vgl. Senatsbeschl. v. 28.4.2010 - 8 LA 41/10 -; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Juli 2009, § 124 Rn. 30 ff. m.w.N.). Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen, hat der Zulassungsantragsteller die für fallübergreifend gehaltene Frage zu formulieren sowie näher zu begründen, weshalb sie eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat und ein allgemeines Interesse an ihrer Klärung besteht. Darzustellen ist weiter, dass sie entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten steht (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 17.2.2010 - 5 LA 342/08 -, [...] Rn. 12; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., § 124a Rn. 103 f.).
Diesen Anforderungen entspricht die Begründung des Zulassungsantrages nicht. Denn in dieser beschränken sich die Kläger auf die Darstellung, dass die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Rechtsansicht unzutreffend sei und daher grundsätzlichen Bedenken begegne. Eine konkrete, den genannten Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Frage, die der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung verleihen könnte, haben die Kläger indes nicht formuliert.