Landgericht Hannover
Urt. v. 10.02.2023, Az.: 5 O 193/21
Geltung des Mietverhältnisses gaufgrund eines Verstoßes gegen das Formerfordernis nach § 550 BGB als auf unbestimmte Zeit bgeschlossen
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 10.02.2023
- Aktenzeichen
- 5 O 193/21
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 30593
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHANNO:2023:0210.5O193.21
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OLG Celle - 20.09.2023 - AZ: 2 U 27/23
Rechtsgrundlagen
- § 126 Abs. 2 BGB
- § 546 Abs. 1 BGB
- § 550 BGB
- § 580a Abs. 2 BGB
In dem Rechtsstreit
xxx
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigte:
xxx
gegen
xxx
- Beklagte -
Prozessbevollmächtigte:
xxx
hat das Landgericht Hannover - 5. Zivilkammer - durch die Richterin am Landgericht Jahnke als Einzelrichterin auf die mündliche Verhandlung vom 23.11.2022 für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Beklagte wird verurteilt, die als Arztpraxis genutzten Räumlichkeiten im xxx mit einer Größe von insgesamt 515,98 qm zu räumen und nebst allen dazugehörigen Schlüsseln an die Klägerin herauszugeben.
- 2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
- 3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, hinsichtlich der Kosten jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Beklagte darf die Vollstreckung hinsichtlich der Räumung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 29.000,00 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
- 4.
Der Streitwert wird auf 57.707,16 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Räumung von Praxisräumen.
Unter dem 16.12.2015 schlossen die Klägerin und die GbR von xxx, bestehend aus den Gesellschaftern xxx und xxx (im Folgenden: GbR) einen schriftlichen Mietvertrag über Räumlichkeiten im xxx mit einer Fläche von ca. 210,19 qm zum Betrieb einer Arztpraxis. Vertragsbeginn war der 01.12.2015. Der Mietzins betrug 1.408,28 € zuzüglich Betriebskosten. Die Parteien vereinbarten eine Festmietzeit bis 31.07.2021 und ein Optionsrecht von zweimal 5 Jahren, auszuüben spätestens 12 Monate vor Ablauf der Festmietzeit. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den als Anlage K 1 eingereichten Mietvertrag (Blatt 5 ff. der Akte) Bezug genommen. Die beklagte GmbH ist Rechtsnachfolgerin der GbR von xxx.
Ab dem 01.01.2018 nutze die GbR mit Einverständnis der Klägerin weitere zwischenzeitlich frei gewordene Flächen im 2.Obergeschloss.
Am 20.03.2019 fand zwischen Vertretern der Parteien ein Gespräch statt, in dem sich die Parteien auf eine Flächenerweiterung um 305,79 qm auf 515,98 qm, eine Mieterhöhung sowie auf eine neue Gesamtmiete in Höhe von 4.808,93 € zuzüglich Betriebskosten einigten. Die Änderungen sollten in einem schriftlichen Mietvertragsnachtrag festgehalten werden.
Mit Anschreiben vom 27.05.2019 (Anlage K 2, Blatt 14 der Akte) übersandte die Klägerin der GbR zwei von ihr bereits unterschriebene Exemplare des Mietvertragsnachtrages (1. Änderungsvertrag zum Mietvertrag vom 16.12.2015) mit der Aufforderung, eine Ausfertigung unterschrieben zurückzusenden. Gleichzeitig forderte die Klägerin die GbR auf, zwischenzeitlich aufgelaufene Rückstände in Höhe von 25.331,08 € zu begleichen. In der Folgezeit zahlte die GbR die erhöhte Miete und den Rückstand.
Mit Schreiben vom 06.05.2020 erklärte die GbR unter Bezugnahme auf den ursprünglichen Mietvertrag vom 16.12.2015 die Ausübung der ersten Verlängerungsoption bis zum 31.07.2026 und bat um Bestätigung des Erhalts des Schreibens (Anlage K 4, Blatt 19 der Akte). Die Klägerin bestätigte am 26.11.2020 den Eingang des entsprechenden Schreibens und erklärte, sie habe die Ausübung der Option zur Kenntnis genommen (Anlage K 5, Blatt 20 der Akte).
Mit Schreiben vom 26.04.2021, zugestellt am 03.05.2021, erklärte die Klägerin die Kündigung des Mietverhältnisses zum 31.12.2021. Zur Begründung führte sie aus, dass der 1. Änderungsvertrag zum Mietvertrag zu keiner Zeit unterzeichnet zurückgesandt wurde und das Mietverhältnis daher wegen des Schriftformverstoßes auf unbestimmte Zeit laufe und ordentlich kündbar sei (Anlage K 6, Blatt 21 der Akte).
Am 05.05.2021 teilte die Beklagte mit, dass sie Rechtsnachfolgerin der GbR von xxx sei (Anlage K 7, Blatt 22 der Akte). Mit Schreiben vom 14.06.2021 informierte die Klägerin die Beklagte über die Kündigung des Mietvertrages gegenüber der GbR (Anlage K 8, Blatt 23).
Mit Schreiben vom 13.12.2021 übersandte die Beklagte der Klägerin ein Anschreiben per Telefax mit einem von beiden Gesellschaftern der GbR unterschriebenen Exemplar des 1. Änderungsvertrages zum Mietvertrag vom 16.12.2015 (Anlage B 1, Blatt 57 f. der Akte).
Die Parteien streiten darüber, ob der Mietvertrag vom 16.12.2015 insgesamt wegen Verstoßes gegen das Schriftformerfordernis nach § 550 BGB auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt und damit ordentlich kündbar ist und ob sich die Klägerin darauf berufen kann.
Die Klägerin ist der Meinung, dass die mit Schreiben vom 26.04.2021 erklärte Kündigung das Mietverhältnis zum 31.12.2021 beendet habe. Die nachträglichen Änderungen hinsichtlich der Mietfläche und des Mietzinses hätten der Schriftform bedurft. Die Übersendung des ohne Datum versehenen unterschriebenen Nachtrages per Telefax am 13.12.2021 erfülle nicht die Schriftform und sei der Klägerin außerhalb der Annahmefrist zugegangen. Sie bestreitet, dass die Gesellschafter der GbR das Schriftstück überhaupt vor Ausspruch der Kündigung unterzeichnet hätten.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die als Arztpraxis genutzten Räumlichkeiten im xxx mit einer Größe von insgesamt 515,98 qm zu räumen und nebst allen dazugehörigen Schlüsseln an die Klägerin herauszugeben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
Die Beklagte behauptet, nach Erhalt der 1. Änderungsvereinbarung zum Mietvertrag hätten beide Gesellschafter der GbR die Urkunde unterzeichnet und ein Exemplar an die Klägerin zurückgesandt.
Sie meint, durch die Unterzeichnung des Änderungsvertrags sei die nach der BGH-Rechtsprechung erforderliche äußere Form gewahrt.
Die Beklagte hält die Kündigung auch für treuwidrig. Unter Berücksichtigung der gegenseitigen Treuepflichten aus dem Mietvertrag hätte die Klägerin die nach ihrer Behauptung nicht zugegangene Vertragsurkunde über die Vertragsänderung anfordern müssen bzw. nachfragen müssen, wo die erforderliche Vertragsurkunde abgeblieben sei. Spätestens nachdem die GbR mit Schreiben vom 06.05.2020 ihr Optionsrecht ausübte und die Klägerin daher wusste, dass die Mieterin von einem vollwirksamen Mietvertrag ausgeht, hätte die Klägerin die GbR auf die aus ihrer Sicht fehlende Schriftform hinweisen müssen. Bei der Beklagte trete auch eine Existenzgefährdung ein, weil die Beklagte in einem Ballungsgebiet wie Hannover nicht innerhalb weniger Monate die benötigten ca. 500 qm Praxisräume zur Versorgung der Krebspatienten anmieten könne. Schließlich seien die Regelungen in der 1.
Änderungsvertrag zum Mietvertrag für die Klägerin rechtlich vorteilhaft gewesen, so dass es ihr auch aus diesem Grunde versagt sei, sich auf die Unwirksamkeit der Vereinbarung zu berufen.
Das Gericht hat Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten, die Gesellschafter der GbR hätten den mit Schreiben vom 27.05.2019 erhaltenen 1. Änderungsvertrag zum Mietvertrag vor dem 26.04.2021 unterzeichnet durch Vernehmung der Zeugen xxx und xxx. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23.11.2022 Bezug genommen.
Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
I.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf geräumte Herausgabe der streitgegenständlichen Räumlichkeiten gemäß § 546 Abs. 1 BGB. Die Kündigung der Klägerin vom 26.04.2021 hat das Mietverhältnis zum 31.12.2021 beendet.
1. Die Kündigung war wirksam, denn das Mietverhältnis gilt aufgrund eines Verstoßes gegen das Formerfordernis nach § 550 BGB als auf unbestimmte Zeit geschlossen und war daher nach § 580a Abs. 2 BGB bis zum dritten Werktag eines Kalendervierteljahres zum Ablauf des nächsten Kalendervierteljahres kündbar.
Das Gericht muss nach dem Akteninhalt und der durchgeführten Beweisaufnahme davon ausgehen, dass der 1. Änderungsvertrag zum Mietvertrag vom 16.12.2015 nicht in der nach § 550 BGB erforderlichen Form geschlossen worden ist. Der Formmangel eines Änderungsvertrages zu einem Miet- oder Pachtvertrag führt grundsätzlich dazu, dass der zunächst formgültig geschlossene ursprüngliche Vertrag nunmehr gleichfalls der Schriftform entbehrt und als für unbestimmte Zeit geschlossen gilt (OLG Köln, Urteil vom 4. Oktober 2019 - I-1 U 83/18 -, juris).
Der 1. Änderungsvertrag zum Mietvertrag vom 16.12.2015 war formbedürftig. Änderungen eines formbedürftigen und formgerecht abgeschlossenen Vertrages bedürfen grundsätzlich ebenfalls der vorgeschriebenen Form. Beim Mietvertrag sind insbesondere Änderungen hinsichtlich der Größe und der Höhe des Mietzinses formbedürftig. Vorliegend haben sich die Parteien bereits im März 2019 mündlich über die Erweiterung der gemieteten Fläche, eine Mieterhöhung und damit auf eine neue Gesamtmiete geeinigt. Diese Absprache war formbedürftig.
Das Formerfordernis ist vorliegend nicht erfüllt. Zwar genügt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Wahrung der Schriftform des § 550 BGB, wenn die Vertragsbedingungen eines konkludent abgeschlossenen Mietvertrages in einer der "äußeren Form" des § 126 Abs. 2 BGB genügenden Urkunde enthalten sind (BGH, Urteil vom 24. Februar 2010 - XII ZR 120/06 -, juris). Eines Zugangs dieser Urkunden beim jeweiligen Vertragspartner bedarf es insoweit nicht (BGH, Urteil vom 7.3.2018 - XII ZR 129/16, NJW 2018, 1540, beck-online). Die "äußere Form" ist gewahrt, wenn das jeweils für den anderen Partner bestimmte Exemplar mit dem Namenszeichen der Aussteller unterschrieben ist. Zudem soll das gesetzliche Formerfordernis bei Vertragsschluss erfüllt werden.
Vorliegend haben sich die Parteien über den Inhalt des Änderungsvertrages zunächst nur mündlich geeinigt. Zwar können die Unterschriften später nachgeholt werden mit der Folge, dass die nachteiligen Wirkungen des Formmangels ex tunc entfallen. Denn mangels Nichtigkeit des gegen die Formvorschrift des § 550 BGB verstoßenden Geschäfts findet § 141 Abs. 1 BGB keine Anwendung; die Rückwirkung der Formerfüllung ist aus einer Analogie zu §§ 141 Abs. 2, 184 Abs. 1 BGB herzuleiten (Schmidt-Futterer/Lammel, 15. Aufl. 2021, BGB § 550 Rn. 30).
Die Beklagte hat aber nicht bewiesen, dass die Schriftform rechtzeitig vor Ausspruch der Kündigung durch Unterzeichnung nachgeholt wurde. Wer sich auf das Fortbestehen des Hauptmietvertrags trotz Kündigung beruft, muss die Einhaltung der Schriftform beweisen (NK-BGB/Olaf Riecke, 4. Aufl. 2021, BGB § 550 Rn. 35). Ein Beweis ist erbracht, wenn das Gericht die behauptete Tatsache für wahr erachten. Weniger als die Überzeugung von der Wahrheit reicht für das Bewiesensein nicht aus: ein bloßes Glauben, Wähnen, Fürwahrscheinlichhalten berechtigt den Richter nicht zur Bejahung eines streitigen Tatbestandsmerkmals.
Nach der durchgeführten Beweisaufnahme ist für das Gericht nicht aufklärbar, zu welchem Zeitpunkt die Gesellschafter der GbR die auf der Anlage B1 (Blatt 57 der Akte) ersichtlichen Unterschriften geleistet haben. Insbesondere konnte das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen, dass diese Unterschriften vor Ausspruch der Kündigung vom 26.04.2021 erfolgten.
Der Zeuge Dr. xxx konnte keine zuverlässigen Angaben dazu machen, wann er den Änderungsvertrag unterzeichnet hat. Er konnte die Abläufe weder in eine zutreffende zeitliche Reihenfolge bringen, noch den Jahren zuordnen. So hat er auf Vorhalt der 1. Änderungsvereinbarung zum Mietvertrag unter anderem ausgesagt, dass die GbR vor Erweiterung der Mietfläche eine Option zur Verlängerung gezogen hätte. Aufgrund des unstreitigen Sachvortrages der Parteien steht allerdings fest, dass die mündliche Vereinbarung zwischen den Parteien, die zu der Änderungsvereinbarung führte, bereits im März 2019 mündlich geschlossen wurde und die Verlängerungsoption erst im Mai 2020 ausgeübt wurde. Der Zeuge xxx hat eingeräumt, dass er nicht sagen könne, ob er die Unterschrift im Jahr 2019, 2020 oder 2021 geleistet habe. Die zusätzliche Angabe, er glaube eher nicht, dass es ihm durchgerutscht wäre, wenn er das Schriftstück erst im Jahr 2021 vorgelegt bekommen hätte, ist vage und verschafft keine ausreichende Gewissheit über den Zeitpunkt der Unterschrift.
Der Zeuge xxx hatte an die Unterzeichnung der Änderungsvereinbarung ebenfalls keine konkrete Erinnerung mehr. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Zeuge auf Vorhalt der als Anlage K 3 (Bl. 16 ff. der Akte) eingereichten Änderungsvereinbarung zunächst in Abrede genommen hat, den Vertrag überhaupt unterzeichnet zu haben. Erst auf Vorhalt der als Anlage B 1 (Blatt 56 ff. der Akte) eingereichten unterschiebenen Ausfertigung hat der Zeuge bestätigt, dass es sich um seine Unterschrift handele. Eine konkrete Erinnerung an die Unterzeichnung des Vertrages hatte er aber nach eigenen Angaben nicht. Vor diesem Hintergrund überzeugt es auch nicht, dass der Zeuge schließlich angab, dass die Unterzeichnung vor Erhalt der Kündigung erfolgt sein müsse. Zwar ist die Argumentation des Zeugen, nach Erhalt der Kündigung seien alle in Alarmbereitschaft gewesen, nachvollziehbar. Letztlich handelt es sich aber nur um eine Mutmaßung des Zeugen, die eine konkrete Wahrnehmung nicht ersetzen kann.
Hinzu kommt, dass die Unterschriften der xxx und xxx nicht mit einem Datum versehen sind. Es ist im Geschäftsverkehr bei Abschluss so wichtiger Verträge wie einem Mietvertrag über Praxisräume mehr als ungewöhnlich, den Zeitpunkt der Unterzeichnung nicht mit einem Datum zu dokumentieren. Ungewöhnlich ist auch, dass für behauptete Übersendung des unterzeichneten Vertrages an die Klägerin kein Nachweis existiert. Dazu passt, dass das Schreiben der GbR vom 06.05.2020 zur Ausübung der Verlängerungsoption lediglich auf den ursprünglichen Mietvertrag vom 16.12.2015 Bezug nimmt. Es wäre zu erwarten gewesen, dass die ehemalige Mieterin bei Ausübung der Option auf die Vertragsänderung Bezug nimmt, aus der sich die tatsächlich genutzte Fläche ergibt.
Insgesamt konnte das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen, dass die Gesellschafter der GbR den 1. Änderungsvertrag zum Mietvertrag vor Erhalt der Kündigung des Mietverhältnisses unterzeichnet haben.
2. Die Kündigung des Mietverhältnisses ist auch nicht durch § 20 (2) des Mietvertrages ausgeschlossen, wonach die Parteien sich jeweils verpflichten, auf Verlangen alle Handlungen vorzunehmen und Erklärungen abzugeben, die erforderlich sind, um dem gesetzlichen Schriftformerfordernis Genüge zu tun und den Vertrag nicht unter Berufung auf die Nichteinhaltung der gesetzlichen Schriftform zu kündigen. Diese sog. Schriftformheilungsklausel ist mit der nicht abdingbaren Vorschrift des § 550 BGB unvereinbar und daher unwirksam. Diese Klausel kann deshalb für sich genommen eine Vertragspartei nicht daran hindern, einen Mietvertrag unter Berufung auf einen Schriftformmangel ordentlich zu kündigen (BGH, Urteil vom 27. September 2017 - XII ZR 114/16 -, BGHZ 216, 68-83).
3. Der Klägerin ist es auch nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt, sich auf den Schriftformverstoß zu berufen.
Grundsätzlich darf sich jede Partei darauf berufen, die für einen Vertrag vorgeschriebene Schriftform sei nicht eingehalten. Nur ausnahmsweise, wenn die vorzeitige Beendigung des Vertrags zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde, kann es gemäß § 242 BGB rechtsmissbräuchlich sein, wenn sie sich darauf beruft, der Mietvertrag sei mangels Wahrung der Schriftform ordentlich kündbar. Das kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der eine Vertragspartner den anderen schuldhaft von der Einhaltung der Schriftform abgehalten oder sich sonst einer besonders schweren Treuepflichtverletzung schuldig gemacht hat oder wenn bei Formwidrigkeit die Existenz der anderen Vertragspartei bedroht wäre (BGH, Urteil vom 27. September 2017 - XII ZR 114/16 -, BGHZ 216, 68-83, Rn. 24). Gleiches gilt, wenn eine Mietvertragspartei eine nachträglich getroffene Abrede, die lediglich ihr vorteilhaft ist, allein deshalb, weil sie nicht die schriftliche Form wahrt, zum Anlass nimmt, sich von einem ihr inzwischen lästig gewordenen langfristigen Mietvertrag zu lösen (BGH, Urteil vom 27. September 2017 - XII ZR 114/16 -, BGHZ 216, 68-83, Rn. 41).
Keine der genannten Fallkonstellationen liegt im Streitfall vor.
Die Klägerin hat die ehemalige Mieterin nicht schuldhaft von der Wahrung der Schriftform abgehalten. Sie hat die Änderungsvereinbarung zuerst unterschrieben und der GbR zwei Exemplare zugeschickt mit der Bitte, eine Ausfertigung unterschrieben zurückzusenden. Die Klägerin hat demnach alles getan, um das Formerfordernis einzuhalten.
Die Klägerin hat auch nicht eine lediglich ihr vorteilhafte Änderung, welche die Schriftformunwirksamkeit begründet, zum Anlass genommen, sich von dem Vertrag zu lösen. Die Änderungsvereinbarung beinhaltete neben einer Mieterhöhung auch eine Flächenerweiterung zugunsten der ehemaligen Mieterin, an der diese ein Interesse hatte.
Es stellt schließlich auch keine schwere Treuepflichtverletzung dar, dass die Klägerin die ehemalige Mieterin nach der Ausübung des Optionsrechts nicht auf den Verstoß gegen die Schriftform hingewiesen hat. Die Klägerin hat mit ihrem Bestätigungsschreiben vom 26.11.2020 gerade nicht die Verlängerung des Mietverhältnisses bis zum 31.07.2026 bestätigt.
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Parteien ihren Pflichten aus der Änderungsvereinbarung trotz des Formverstoßes über einen längeren Zeitraum bis zur Kündigung durch die Klägerin am 26.04.2021 nachgekommen sind. Aus der Erfüllung der Pflichten aus dem mündlich abgeschlossenen Mietvertrag lässt sich nicht herleiten, die Vertragsparteien hätten darauf vertrauen können, der jeweilige Vertragspartner werde nicht von der besonderen Kündigungsmöglichkeit Gebrauch machen, die das Gesetz vorsieht, wenn die Schriftform nicht eingehalten ist (BGH, Urteil vom 25. November 2015 - XII ZR 114/14 -, Rn. 26, juris, m.w.N.).
Die Beklagte kann sich - unabhängig von der Frage, ob ihr entsprechender Sachvortrag überhaupt hinreichend substantiiert ist - auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Kündigung des Mietverhältnisses für sie existenzbedrohend bzw. -vernichtend sei. Die BGH-Rechtsprechung zur "Existenzgefährdung" resultiert ursprünglich aus dem Höferecht und wurde außerhalb des Höferechts auf natürliche Personen angewandt, die im Vertrauen auf das formnichtige Geschäft im eigentlichen Sinn des Wortes ihre "Existenz" auf die Nutzung des Objekts eingerichtet hatten (vgl. mit weiterer Begründung: KG Berlin, Urteil vom 7. November 2022 - 8 U 157/21 -, Rn. 149 - 154, juris). Damit nicht vergleichbar ist der bloße Umstand der Betriebsunterbrechung einer GmbH, die regelmäßige Folge jeder Kündigung und Räumung von Gewerberaum ist und damit nicht als außergewöhnliches, schlechthin untragbares Ergebnis angesehen werden kann. Selbst die drohende Insolvenz einer Kapitalgesellschaft im Fall der Räumung genügt nicht, um nach § 242 BGB über den Formmangel hinwegzugehen (vgl. mit weiterer Begründung: OLG Frankfurt, Beschluss vom 11. April 2018 - 2 U 7/18 -, Rn. 53 - 57, juris).
II.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 7, 709, 711 ZPO.
Die Voraussetzungen für den Schutzantrag nach § 712 ZPO liegen nicht vor. Der mit Schriftsatz vom 18.05.2022 angekündigte Antrag ist in der letzten mündlichen Verhandlung nicht gestellt. Abgesehen davon fehlt es an der nach § 714 ZPO erforderlichen Glaubhaftmachung der tatsächlichen Voraussetzungen, die bereits nicht vorgetragen sind.
Ungeachtet dessen setzt die Vorschrift voraus, dass die Vollstreckung für den Schuldner zu einem nicht zu ersetzenden Nachteil führen würde. Unersetzlich ist, was nicht mehr rückgängig gemacht oder ausgeglichen werden kann. Bloße finanzielle Nachteile reichen grundsätzlich nicht. Bei der Geschäftsraummiete kommt ein nicht zu ersetzender Nachteil nur in Ausnahmefällen in Betracht. Der BGH hat diese Voraussetzung (im Rahmen von § 719 Abs. 2 ZPO) für einen Fall der Herausgabe gemieteter Arztpraxisräume mit folgender Begründung verneint: "Abgesehen davon stellt die Verpflichtung zur Herausgabe gemieteter Praxisräume, die zur Berufsausübung genutzt werden, auch keinen unersetzlichen Nachteil im Sinne des § 719 Abs. 2 ZPO dar, hinter dem die Gläubigerinteressen ausnahmsweise zurücktreten müßten. Die Herausgabepflicht ist vielmehr die normale Folge eines durch Kündigung beendeten Mietverhältnisses." (BGH, Beschluss vom 27. August 1998 - XII ZR 167/98 -, Rn. 6, juris). Es ist weder substantiiert vorgetragen, noch glaubhaft gemacht, dass es für die Beklagte als große Kapitalgesellschaft unmöglich ist, im Stadtgebiet von Hannover Ersatzräume anzumieten.