Landgericht Hannover
Beschl. v. 10.05.2023, Az.: 8 O 3/23

Entschädigungsanspruch wegen vom beklagten Land coronabedingt angeordneter Betriebsschließungen; Verweisung des Rechtsstreits an das Verwaltungsgericht

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
10.05.2023
Aktenzeichen
8 O 3/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 32941
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2023:0510.8O3.23.00

In dem Rechtsstreit
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigte:
gegen
- Beklagte -
Prozessbevollmächtigte:
hat das Landgericht Hannover - 8. Zivilkammer - durch des Landgerichts als Einzelrichter am 10.05.2023 beschlossen:

Tenor:

Der beschrittene Rechtsweg vor den Zivilgerichten ist unzulässig.

Der Rechtsstreit wird an das für den Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten zuständige Verwaltungsgericht Hannover verwiesen.

Gründe

Die Klägerin macht mit der am 16.03.2023 bei Gericht eingegangenen Klage einen Entschädigungsanspruch wegen vom beklagten Land coronabedingt angeordneter Betriebsschließungen geltend und stützt sich hierfür auf das Rechtsinstitut des enteignungsgleichen Eingriffs.

Für diese Klage ist der von der Klägerin beschrittene Rechtsweg zur Zivilgerichtsbarkeit gem. § 68 Abs. 1 Satz 2 Infektionsschutzgesetz in der Fassung vom 16.09.2022 unzulässig.

§ 68 Abs. 1 IfSG lautet wie folgt: "Für Streitigkeiten über Ansprüche nach den §§ 56 bis 58 und 65 gegen das nach § 66 Absatz 1 zur Zahlung verpflichtete Land ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Der Verwaltungsrechtsweg ist auch gegeben, soweit andere Ansprüche wegen Entschädigung für Maßnahmen aufgrund dieses Gesetzes geltend gemacht werden. Artikel 14 Absatz 3 Satz 4 und Artikel 34 Satz 3 des Grundgesetzes bleiben unberührt."

Der Gesetzgeber hat damit eine spezielle und daher der allgemeinen Regelung in § 40 Abs. 2 VwGO vorgehende Regelung für Entschädigungsansprüche im Zusammenhang mit Corona-Schutzmaßnahmen getroffen:

Satz 1 regelt die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit für die im Infektionsschutzgesetz explizit geregelten Entschädigungsansprüche aus §§ 56-58, 65 IfSG.

Satz 2 eröffnet darüber hinaus den Verwaltungsrechtsweg für coronabedingte Entschädigungsansprüche, die ihre Grundlage außerhalb des IfSG finden, also z.B. in allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Instituten - wie etwa dem hier geltend gemachten enteignungsgleichen Eingriff - oder im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht, wobei Satz 3 als Grenze die grundgesetzlichen Rechtswegzuweisungen zu den ordentlichen Gerichten wegen Entschädigung für Enteignung gem. Art. 14 Abs. 3 S. 4 GG und Amtshaftung gem. Art. 34 S. 4 GG klarstellt (vgl. BeckOK InfSchR/Kruse, 16. Ed. 8.4.2023, IfSG § 68 Rn. 10h).

Dies folgt zunächst aus dem Wortlaut von § 68 Abs. 1 Satz 2 IfSG, der keinen Anknüpfungspunkt dafür enthält, dass die Regelung über die in Satz 3 genannten Fälle hinaus noch auf weitere Entschädigungsansprüche für Maßnahmen aufgrund des IfSG nicht anwendbar sein soll.

Diese Auslegung entspricht auch dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck des Gesetzes:

Mit dem dritten Bevölkerungsschutzgesetz vom 18.11.2020 (BGBl. I, 2397ff.) wurden in § 68 Abs. 1 Satz 1 IfSG erstmals Streitigkeiten über Ansprüche nach den §§ 56 bis 58 IfSG dem Verwaltungsrechtsweg zugewiesen, während es für Streitigkeiten über Ansprüche nach § 65 IfSG beim ordentlichen Rechtsweg verblieb.

Mit Gesetz vom 29.03.2021 (BGBl. I, 370ff.) wies der Gesetzgeber dann auch Streitigkeiten über Ansprüche nach § 65 IfSG dem Verwaltungsrechtsweg zu, weil oftmals aus beiden Anspruchsgrundlagen Ansprüche verfolgt würden und eine Rechtswegzersplitterung bei einer einheitlichen Entscheidung gleicher Sachverhalte vermieden werden sollte (vgl. BT-Drucks. 19/27291, S. 63).

Die mit dieser Regelung bezweckte weitgehende Zusammenführung der Ansprüche wegen Maßnahmen auf Grundlage des IfSG bei den Verwaltungsgerichten wurde jedoch nicht erreicht, weil streitig wurde, ob § 68 IfSG in der Fassung vom 29.03.2021 auch den Verwaltungsrechtsweg für Ansprüche aufgrund einer analogen Anwendung von §§ 56 und 65 IfSG eröffnet (zum Streitstand vgl. Sangs/Eibenstein/Sangs/Schütz; IfSG, § 68 Rn. 9; verneinend insbesondere BVerwG, B.v. 01.06.2022, 3 B 29/21).

Die Begründung des Gesetzgebers für die aktuelle Gesetzesfassung, es handele sich um eine Klarstellung, dass der Verwaltungsrechtsweg auch dann eröffnet ist, soweit andere Ansprüche wegen Entschädigung für Maßnahmen aufgrund des IfSG geltend gemacht werden (vgl. BT-Drucks. 20/2573, S. 25) ist vor dem Hintergrund dieses Streites zu sehen. Der Gesetzgeber hat schrittweise den Verwaltungsrechtsweg für Entschädigungsansprüche im Zusammenhang mit Maßnahmen auf der Grundlage des IfSG erweitert. Sein mit dem Gesetz vom 29.03.2021 verfolgtes Ziel, eine möglichst weitgehende Zusammenführung der Ansprüche wegen Maßnahmen auf Grundlage des IfSG vor den Verwaltungsgerichten zu erreichen, hat er aufgrund der Auslegung dieser Gesetzesfassung durch die Verwaltungsgerichte nicht erreicht. Wenn der Gesetzgeber insoweit nunmehr von einer Klarstellung spricht, handelt es sich um eine Verdeutlichung seiner ursprünglichen Intention; angesichts der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Neuregelung jedoch nicht rein deklaratorischer Natur (vgl. BeckOK InfSchR/Kruse, ebd.).

Die Ansicht der Klägerin, der Gesetzgeber habe mit § 68 Abs. 1 Satz 2 IfSG nur klarstellen wollen, dass für Streitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG gilt, ist dagegen nicht plausibel. Zunächst ist schon nicht ersichtlich, was für einen Klarstellungsbedarf der Gesetzgeber vor Augen gehabt haben könnte; der von der Klägerin hierfür zitierte, dem Beschluss des BVerwG vom 01.06.2022, Az. 3 B 29/21 zugrundeliegende Verfahrensgang zeigt einen solchen Bedarf gerade nicht, weil dort die Norm des § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG von den Gerichten ausdrücklich geprüft worden war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. Juni 2022 - 3 B 29/21 -, Rn. 3, 7, juris). Zudem wäre eine solche gesetzgeberische Intention viel einfacher zu formulieren gewesen, indem anstelle von Satz 2 und Satz 3 einfach auf § 17 Abs. 2 GVG verwiesen worden wäre.