Landgericht Hannover
Urt. v. 20.03.2023, Az.: 2 O 6/23

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
20.03.2023
Aktenzeichen
2 O 6/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 48195
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2023:0320.2O6.23.00

In dem Rechtsstreit
./.
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover auf die mündliche Verhandlung vom 9. März durch den Richter Kleybolte als Einzelrichter
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. 3.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des insgesamt vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern der Kläger nicht zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages geleistet hat.

  4. 4.

    Streitwert: 7.575,- €

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einer Reiserücktrittsversicherung in Anspruch.

Der Kläger schloss bei der Beklagten am 29. November 2018 für sich und seine Ehefrau xxx (im Folgenden: Zedentin) eine Reiserücktrittsversicherung ab (19), deren Schutz sich auch auf Familienangehörige insbesondere Ehepartner erstreckt; diese unterliegt dem Bedingungswerk "Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Reiserücktrittversicherung (ABRV 08/2022) (Anlage K 6 der Klagschrift; im Anlagensonderheft, im Folgenden: AVB), welches u. a. folgende Regelungen enthält:

"3.1 In welchen Fällen leisten wir?

Ein versichertes Ereignis liegt vor bei: (...)

3.1.3 Unerwartet schwere Erkrankung

Beachten Sie zu den unerwartet schweren Erkrankungen bitte unsere Erläuterungen im Teil D.

4. Welche Kosten erstatten wir?

4.1. Stornokosten bei Reiserücktritt

Wenn Sie Ihre Reise aus einem der in Teil B Ziffer 3.1 genannten Gründen nicht antreten können, leisten wir. Wir leisten die vertraglich geschuldeten Rücktrittskosten. (...)

Teil D -Erläuterungen (...)

1. Was verstehen wir unter einer "unerwarteten" Erkrankung?

Nach Abschluss der Versicherung und nach Buchung der Reise gilt jedes erstmalige Auftreten einer Erkrankung als unerwartet. (...)

2. Was verstehen wir unter einer "schweren" Erkrankung?

Eine Erkrankung definieren wir als schwer, wenn:

Der behandelnde Arzt attestiert, dass Sie reiseuntauglich sind.

Sie aufgrund von Symptomen und Beschwerden der Erkrankung die Hauptleistung der Reise nicht in Anspruch nehmen können. Diese gesundheitliche Beeinträchtigung muss von einem Arzt attestiert sein.

Durch die Erkrankung einer Risikoperson, wegen der die Anwesenheit der versicherten Person erforderlich ist. Diese Erkrankung muss von einem Arzt attestiert sein.

3. Beispiele für eine ,unerwartet schwere Erkrankung' in der Reiserücktrittsversicherung:

- Die versicherte Person schließt für eine gebuchte Reise eine Versicherung ab. Kurz vor Reiseantritt erleidet sie erstmals einen Herzinfarkt."

Der Kläger buchte für sich und die Zedentin für die Zeit vom 11. bis zum 28. Oktober 2022 bei dem Reiseveranstalter "xxx" (im Folgenden: Reiseveranstalter) zu einem Preis vom 8.416,- € eine Pauschalreise nach Ägypten, wobei wegen der Einzelheiten auf die Buchungsbestätigung vom 17. März 2022 (Anlage K 3 der Klagschrift; im Anlagensonderheft) Bezug genommen wird.

Der Kläger wurde am 7. Oktober 2022, die Zedentin am 10. Oktober 2022 positiv auf den "Covid-19-Erreger" getestet; insoweit wird wegen der Einzelheiten auf die entsprechenden Testprotokolle (Anlage K 9 der Klageschrift; im Anlagensonderheft) Bezug genommen. Der Reiseveranstalter teilte dem Kläger und der Zedentin im Weiteren mit, sie könnten an der Reise nicht teilnehmen. Unter Verwendung entsprechender Vordrucke der Beklagten bestätigte die behandelnde Ärztin des Klägers und der Zedentin diesen mit gesonderten Urkunden vom 18. Oktober 2022 die "Covid-19-Erkrankung". Der Kläger und die Zedentin traten die Reise nicht an, und der Reiseveranstalter vergütete ihnen im Weiteren einen Betrag in Höhe von 841,- €.

Den von dem Reiseveranstalter einbehaltenen Reisepreis wegen für den von dem Reiseveranstalter einbehaltenen Teil des Reisepreises machte der Kläger die Erstattung bei der Beklagten geltend, welche ihm mit Schreiben vom 15. November 2022 (Anlage K 12 der Klagschrift) mitteilte, es habe bei ihm und der Zedentin keine "akute schwere Erkrankung" vorgelgen. Mit vorgerichtlichem Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 29. November 2022 (Anlage K 13 der Klagschrift) wiederholte der Kläger sein Begehren erfolglos.

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte beziehe sich "zum eigenen Vorteil (unberechtigt und unbegründet)" auf die "eigenen Versicherungsbedingungen" (Seite 5 der Klagschrift; Bl. 3 d. A.). Es sei begrifflich nicht nachvollziehbar, dass eine Infektion mit dem Covid-19-Erreger keine "schwere Erkrankung" darstellen solle. Unbeschadet dessen bleibe der Beklagten die Berufung auf ihre Versicherungsbedingungen aber auch deshalb versagt, weil diese, soweit sie denn im Sinne der Beklagten auszulegen seien, gegen die Vorgaben des § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 1 Satz 2 BGB verstießen, wozu er sich auf das Urteil des Amtsgerichts Balingen vom 16. August 2016 (RRA 2016, 299) bezieht. Schließlich könne sich die Beklagte aber auch deshalb nicht auf die von ihr in Bezug genommene Regelung beziehen, da es an ihr gewesen wäre ihn darüber aufzuklären,

"er habe zwar einen Basisversicherungsschutz, aber gerade die im Vertrag relevanten Zeiträume grassierende Covid-19-Pandemie bzw. das Risiko, sich hiermit zu infizieren, sei nicht bei "ihr" versichert (Seite 6 der Klagschrift; Bl. 3 R d. A.).

Mit als "Abtretungsvereinbarung'" überschriebener privatschriftlicher Erklärung vom 18. Oktober 2022 (Anlage K 1 der Klagschrift; im Anlagensonderheft) erklärte die Zedentin, sie trete

"sämtliche mir aus dem Pauschalreisevertrag (...) sowie gegen" die Beklagte "aus Anlass der Flugpauschalreise (...)= nach Ägypten und die krankheitsbedingte Stornierung der Reise wegen Corona-Infektioin zustehenden Ansprüche, insbesondere aus Versicherungsvertrag"

an den Kläger ab.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn

  1. 1.

    7.575,- €

  2. 2.

    weitere 800,39 auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten

jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 10. Februar 2023 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie deren vorgetragenen Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1.

Die Klage ist zulässig.

Zwar fehlt es im Hinblick auf die von dem Kläger als Zessionar geltend gemachten Zahlungsansprüche der Zedentin als versicherter Person an einem Gerichtsstand nach § 215 VVG, jedoch hat sich die Beklagte zuständigkeitsbegründend rügelos eingelassen (§ 39 ZPO).

2.

In der Sache hat die Klage keinen Erfolg; weder aus eigenem noch aus abgetretenen Recht kann der Kläger von der Beklagten bedingungsgemäße Leistungen aus der Reiserücktrittversicherung verlangen. Dem tatsächlichen Vorbringen des Klägers ist weder im Hinblick auf seine eigene Person noch auf die der Zedentin eine bedingungsgemäße "schwere" Erkrankung zu entnehmen. Der Begriff der "schweren" Erkrankung ist auch nicht im Sinne einer - sei es abschließenden, sei es offenen - Auflistung außerhalb der Versicherungsbedingungen nach einem objektivierten Maßstab zu verstehen, sondern nach Maßgabe des konkreten Gesundheitszustandes der jeweiligen versicherten Person. Keine Frage: Auch eine Covid-19-Erkrankung kann einen schweren Verlauf nehmen, der sie zu einer bedingungsgemäßen "schweren" Erkrankung werden ließe. In Ermangelung eines generalisierten Maßstabes lässt sich das aber für die Infizierung des Klägers und der Zedentin eben gerade nicht sagen, und auch aus den von ihr von ihm zu den Akten gereichten ärztlichen Bescheinigungen der Frau xxx ergibt sich insoweit nichts. Dass der Kläger, wie er geltend macht, den auf den Wortlaut des Bedingungswerkes bzw. deren Ziffer 3.1 bezogenen Rechtsstandpunkt der Beklagten "nicht nachvollziehen" (Seite 5 der Klagschrift; Bl. 3 d. A.) kann, vermag die Kammer ihrerseits nicht nachzuvollziehen.

3.

Die betroffenen Abreden in den AVB halten einer Inhaltskontrolle stand: Die von dem Kläger angeführte Entscheidung des AG Balingen, die ohnedies soweit ersichtlich keine Anhängerschaft gefunden hat, dürfte - spätestens - durch die Entscheidung BGH MDR 2023, 41f [BGH 19.10.2022 - IV ZR 185/20] überholt sein.

4.

Soweit der Kläger der Beklagten anlastet, sie habe ihm nicht darauf hingewiesen, dass eine Covid-19-Infektion (die sich nicht als bedingungsgemäße schwere Erkrankung darstellt) keine Entschädigungsansprüche zu begründen vermag, stünde kein vertraglicher Leistungsanspruch, sondern allenfalls ein Schadensersatzanspruch nach § 6 Abs. 5 VVG in Rede, der freilich nicht gegeben ist, denn der Versicherer ist außerhalb von Vertragsverhandlungen nicht gehalten wegen tatsächlicher Änderungen, welche unversicherte Risiken begründen könnten, von sich aus an den Versicherungsnehmer heranzutreten und ihm eine Vertragserweiterung anzubieten bzw. ihm auf die Schutzlücke hinzuweisen (vgl. Prölss/Martin-Rudi, VVG, § 6 Rz. 50 a).

5.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Anordnung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11; 711 ZPO.

Kleybolte Vorsitzender Richter am Landgericht