Landgericht Hannover
Urt. v. 21.03.2023, Az.: 20 S 51/22
Ordentliche Kündigung des Wohnraummietverhältnisses; Berechtigtes Interesse einer juristischen Person des öffentlichen Rechts an der Beendigung eines Mietverhältnisses
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 21.03.2023
- Aktenzeichen
- 20 S 51/22
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 44489
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHANNO:2023:0321.20S51.22.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Springe - 09.11.2022 - AZ: 4 C 61/22 (II)
Rechtsgrundlagen
- § 546 Abs. 1 BGB
- § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB
Fundstelle
- ZMR 2023, 790-791
In dem Rechtsstreit
1. XXX
2. XXX
3. XXX
- Beklagte und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigter zu 1., 2. und 3.:
XXX
XXX
gegen
XXX
- Klägerin und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte:
XXX
XXX
hat das Landgericht Hannover - 20. Zivilkammer - durch XXX, XXX und XXX auf die mündliche Verhandlung vom 16.02.2023 für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Springe vom 09.11.2022 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
- 2.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
- 3.
Der Streitwert wird auf 7.044,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Von der Widergabe der tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts und der Darstellung etwaiger Änderungen wird abgesehen.
II.
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Das Amtsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die von der Klägerin am 30.09.2021 ausgesprochene Kündigung zur Beendigung des Mietverhältnisses mit den Beklagten geführt hat, so dass diese gemäß § 546 Abs. 1 BGB zur Räumung der von ihnen angemieteten Räumlichkeiten verpflichtet sind.
Die Klägerin ist gemäß § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB zur ordentlichen Kündigung des Wohnraummietverhältnisses mit den Beklagten berechtigt gewesen. Nach dieser Vorschrift kann auch eine juristische Person des öffentlichen Rechts ein berechtigtes Interesse an der Beendigung eines Mietverhältnisses haben, wenn eine öffentlich-rechtliche Körperschaft die von ihr vermietete Wohnung zur Umsetzung von Aufgaben benötigt, an deren Erfüllung ein gewichtiges öffentliches Interesse besteht (BGH, Urteil vom 09.05.2012, VIII 238/11). Das öffentliche Interesse muss ein höheres Gewicht haben als das Interesse des Mieters am Erhalt der Wohnung. Hierbei ist insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
Das Amtsgericht ist nach umfassender Würdigung und Abwägung der Interessen der Gemeinde als auch der Interessen der Beklagten zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass vorliegend das öffentliche Interesse der Klägerin an der Beendigung des Mietverhältnisses gegenüber dem Erhaltungsinteresse der Beklagten überwiegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die ausführlichen, in jeder Hinsicht zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts verwiesen.
Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die von der Klägerseite ausgesprochene ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses der Durchsetzung berechtigter Interessen der Klägerin gemeinnütziger Natur dient. Insoweit hat die Klägerin durch Vorlage der Anlage K 5, die die Zuweisung von mindestens 104 Flüchtlingen in Kürze ausweist, hinreichend belegt, dass sie für diese Schutzsuchenden einen angemessenen Wohnraum zur Verfügung stellen musste.
Die Kammer geht konform mit der Ansicht des Amtsgerichts, dass demgegenüber das Interesse der Beklagten an dem Erhalt der streitgegenständlichen Wohnung zurücktritt. Entscheidend ist hierbei, dass die Beklagten sich nunmehr seit 8 Jahren in den Räumlichkeiten befinden und diese allein schon angesichts des mehrjährigen Aufenthalts in Deutschland zumindest weniger Sprachbarrieren haben dürften als die neu angekommenen Flüchtlinge. Zudem haben sie sich mittlerweile in Deutschland eingelebt, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass die Beklagte zu 3) einem Ausbildungsberuf nachgeht. Im Gegensatz dazu sind die neu angekommenen Flüchtlinge, allein schon aufgrund der bestehenden Sprachbarriere, als erheblich schutzwürdiger zu betrachten, als die Beklagten, zumal, wie das Amtsgericht ebenfalls zutreffend festgestellt hat, eiliger Handlungsbedarf besteht. Hinzu kommt, dass die Beklagten im Gegensatz zu den neu ankommenden Flüchtlingen nicht an eine Wohnsitzauflage gebunden sind, mithin die Beklagten bei der Wohnungssuche mehr Spielraum haben als die neu ankommenden Flüchtlinge. Es liegt zu dem auf der Hand, dass neu ankommende Flüchtlinge, die nicht der deutschen Sprache mächtig sind, mehr Schwierigkeiten haben, eine Wohnung zu finden, als bereits seit 8 Jahren in Deutschland lebende Personen.
Entgegen der Ansicht der Beklagten erfüllt die von der Klägerin ausgesprochene Kündigung auch die Anforderungen des § 573 Abs. 3 BGB, wonach die Gründe für das berechtigte Interesse des Vermieters in dem Kündigungsschreiben anzugeben sind. Mit der festgeschriebenen Begründungspflicht soll erreicht werden, dass der Mieter zum frühestmöglichen Zeitpunkt Klarheit über seine Rechtsposition erlangt und so in die Lage versetzt wird, rechtzeitig alles Erforderliche zur Wahrung seiner Interessen zu veranlassen. Gemessen an diesen Voraussetzungen geht aus dem Kündigungsschreiben der Klägerin eindeutig hervor, dass die Verpflichtung der Klägerin, neue Flüchtlinge unterbringen zu müssen, zu der Kündigung des Mietverhältnisses mit dem Beklagten geführt hat. Soweit die Beklagten monieren, dass die Zahl bzw. die Namen der Flüchtlinge, die in den Räumlichkeiten untergebracht werden sollen, nicht namentlich benannt worden sind, sind sie darauf zu verweisen, dass die Klägerin als Gemeinde immer nur kurzfristig die Übermittlung der Anzahl der zugewiesenen Personen mitgeteilt bekommt. Die konkrete Zuweisung der einzelnen Personen erfolgt, wie der Zeuge XXX im Rahmen seiner zeugenschaftlichen Vernehmung bestätigt hat, teilweise innerhalb von Tagen. Es würde daher die Voraussetzungen an die Begründungspflicht gemäß § 573 Abs. 3 überspannen, wenn die Klägerin tatsächlich die genaue Anzahl und Namen der Personen angeben müsste. Dies ist ihr schlichtweg nicht möglich, was in der Natur der Sache liegt.
Im Übrigen stellt es auch kein unzulässiges Nachschieben von Kündigungsgründen dar, wenn die Klägerin im Laufe des Verfahrens noch auf die Zunahme der Zahlen der geflüchteten Personen verweist.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die von der Klägerin ausgesprochene Eigenbedarfskündigung nicht wegen Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB unwirksam. Zwar ist den Beklagten dahingehend Recht zu geben, dass eine Eigenbedarfskündigung dann wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam ist, wenn sich der Vermieter mit ihrem Ausspruch zu seinem eigenen Verhalten in Widerspruch setzt (Urteil, BGH, VII ZR 62/08, BGH-Urteil vom 20.03.2013, VIII ZR 233/12). So liegt ein rechtsmissbräuchliches Verhalten in diesem Sinne dann vor, wenn der Vermieter Wohnraum auf unbestimmte Zeit vermietet, obwohl er entweder entschlossen ist oder zumindest erwägt, ihn alsbald selbst in Gebrauch zu nehmen. Er darf in diesen Fällen den Mieter, der mit einer längeren Mietdauer rechnet, die mit jedem Umzug verbundenen Belastungen dann nicht zumuten, wenn er ihn über die Aussicht begrenzter Mietdauer nicht aufklärt (BGH, Urteil vom 21.01.2009, VII ZR 62/08). Teilweise wird in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass es für die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Vermieters schon genügt, dass dieser einen künftigen Eigenbedarf bei Abschluss des Mietvertrages zwar nicht konkret erwägt, aber bei vorausschauender Planung aufgrund hinreichend konkreter Anhaltspunkte hätte in Erwägung ziehen müssen und den mit einer längeren Mietdauer rechnenden Mieter nicht ungefragt über einen solchen möglichen Eigenbedarf unterrichtet. Diese sogenannte "Bedarfsvorschau" hält der BGH allerdings für zu weitreichend. Diese sei mit den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Kriterien für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs in Gestalt eines widersprüchlichen Verhaltens nicht in Einklang zu bringen. Ein widersprüchliches Verhalten liege vor, wenn sich eine Partei zu ihrem früheren Verhalten inhaltlich in Widerspruch setze; nicht jeder Widerspruch zwischen zwei Verhaltensweisen sei jedoch als unzulässige Rechtsausübung zu werten. Sei durch das frühere Verhalten der Partei kein schutzwürdiges Vertrauen der Gegenseite begründet worden, so sei ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht zu ziehen, etwa bei einem unlösbaren Widerspruch zwischen früherer und späterer Rechtsausübung (BGH, Urteil vom 20.09.1995, VIII ZR 52/94; BGH, Urteil vom 04.02.2015, VIII ZR 154/14).
Gemessen an diesen Maßstäben liegt in den Fällen, in denen ein Vermieter einen unbefristeten Mietvertrag wegen eines nach Vertragsabschluss entstandenen Eigenbedarf kündigt, kein Rechtsmissbrauch vor, wenn das künftige Entstehen des Eigenbedarfs zwar im Rahmen einer "Bedarfsvorschau" zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses erkennbar gewesen wäre, der Vermieter aber zu diesem Zeitpunkt weder entschlossen war, alsbald Eigenbedarf geltend zu machen, noch ein solches Vorgehen erwogen, also ernsthaft in Betracht gezogen hat (BGH, VIII ZR 154/14).
Vorliegend hat die Klägerin bei Abschluss des Mietvertrages mit den Beklagten im Jahr 2015 in keinem Fall in Betracht gezogen, die Wohnungen "alsbald" wegen Eigenbedarfs zu kündigen. Von einer "alsbaldigen Anmeldung des Eigenbedarfs" kann nach Ablauf von 7 Jahren mitnichten die Rede sein. Im Übrigen hält die Kammer es für zu weitgehend anzunehmen, dass die Klägerin schon bei Abschluss des Mietvertrages im Jahr 2015 davon ausgehen musste, dass es alsbald zu einer erneuten Flüchtlingswelle kommen würde.
Aus den vom Amtsgericht ausgeführten Gründen sind auch keine Härtegründe nach § 574 Abs. 1 BGB ersichtlich, die nach dem Widerspruch der Beklagten die Fortsetzung des Mietverhältnisses gebieten würden. Es wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts verwiesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil keine Revisionsgründe gemäß § 543 ZPO gegeben sind. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Grundsätzliche Bedeutung ist gegeben, wenn eine klärungsbedürftige Rechtsfrage gegeben ist, deren Auftreten in einer Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb ein abstraktes Interesse einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung zu erwarten ist. Ob eine Gemeinde sich auf ein öffentliches Interesse für eine Kündigung nach § 573 BGB berufen kann, ist höchstrichterlich bereits entschieden, und, da weder Instanzgerichte noch Rechtsprechung hiervon nachhaltig abweichen, nicht mehr klärungsbedürftig. Auch liegen der Entscheidung der Kammer keine Grundsatzerwägungen zugrunde, sondern die Anwendung grundsätzlicher Bestimmungen unter Beachtung höchstrichterlicher Rechtsprechung auf den konkreten Lebenssachverhalt.