Landgericht Hannover
Urt. v. 27.07.2023, Az.: 6 O 134/22
Feststellung des Haftpflichtanspruchs eines Geschädigten als Voraussetzung für einen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegen den Versicherer
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 27.07.2023
- Aktenzeichen
- 6 O 134/22
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 53628
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGKIEL:2024:0404.13O40.23.00
Rechtsgrundlage
- § 106 S. 1 VVG
In dem Rechtsstreit
XXX
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigte:
XXX
gegen
XXX
- Beklagte -
Prozessbevollmächtigte:
XXX
hat das Landgericht Hannover - 6. Zivilkammer - durch den Richter am Landgericht XXX als Einzelrichter auf die mündliche Verhandlung vom 01.06.2023 für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
- 3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ersatzansprüche wegen zwei uneingeschränkten Bestätigungsvermerken geltend, die die inzwischen insolvente XXX durch ihren geschäftsführenden Gesellschafter, XXX, als Abschlussprüfer für die XXX erteilt hat.
Für die XXX (fortan Versicherungsnehmerin) bestand bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Vermögensschadenshaftpflichtversicherung. Die XXX begann im Jahr 1999 Inhaberschuldverschreibungen in mehreren Tranchen an Kleinkapitalanleger herauszugeben. Die Klägerin erwarb im Juni 2004 unter den Couponnummern XXX bis XXX vier Inhaberschuldverschreibungen im Nennwert von jeweils 2.500 € mit einem Zinscoupon von 6,75 % (vgl. Anlage K 4) sowie unter den Couponnummern XXX bis XXX vier Inhaberschuldverschreibungen im Nennwert von jeweils 2.500 € mit einem Zinscoupon von 5,5 % (vgl. Anlage K 6). Zugrunde lag ein Verkaufsprosekt der XXX, in der ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk der Versicherungsnehmerin vom 25.6.2003 für das Geschäftsjahr 2002 abgedruckt war. Die Inhaberschuldverschreibungen mit den Couponnummern XXX bis XXX wurden im Juni 2005 umgetauscht in Inhaberschuldverschreibungen mit den Couponnummern XXX und XXX mit einem Zinscoupon von 5,5 % (vgl. Anlage K 7). Darüber hinaus erwarb die Klägerin im Oktober 2005 von der XXX unter den Couponnummern XXX und XXX zwei weitere Inhaberschuldverschreibungen im Nennwert von jeweils 5.000 € mit einem Zinscoupon von 5,5 % (vgl. Anlage K 5). Sowohl dem Umtausch als auch dem Erwerb der neuen Inhaberschuldverschreibungen im Jahr 2005 lag ein Prospekt der XXX zugrunde, in der ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk der Versicherungsnehmerin vom 29.6.2004 für das Geschäftsjahr 2003 abgedruckt war. Wegen der näheren Einzelheiten der beiden Bestätigungsvermerke wird auf Seite 2-9 der Klageschrift (Bl. 2-6 d. A.) verwiesen. Eine Rückzahlung des eingezahlten Kapitals an die Klägerin erfolgte nicht. Am 1.9.2006 wurde das Insolvenzverfahren über die XXX eröffnet.
Die Klägerin erhob zunächst vor dem Landgericht Leipzig Klage u.a. gegen die Versicherungsnehmerin, mit der sie den ihr durch den Erwerb der Inhaberschuldverschreibungen entstandenen Schaden u.a. gestützt auf den Vorwurf einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung geltend machte (vgl. Anlage K 1). Während des Klageverfahrens vor dem Landgericht Leipzig wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Versicherungsnehmerin eröffnet. Mit dem am 15.2.2021 verkündeten, rechtskräftigen Versäumnisurteil (Az. 4 O 453/10) hat das Landgericht Leipzig festgestellt, dass der Klägerin in dem Insolvenzverfahren bei dem Amtsgericht Fürth (Az. IN 300/14) über das Vermögen der Versicherungsnehmerin eine Insolvenzforderung in Höhe von 30.000 € nebst außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.467,03 € zusteht (vgl. Anlage K 2). Die Forderung wurde anschließend durch den Insolvenzverwalter der Versicherungsnehmerin zur Insolvenztabelle anerkannt (vgl. Anlage K 3).
Mit der der Beklagten am 15.11.2022 zugestellten Klageschrift beantragt die Klägerin,
die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 30.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Rechtshängigkeit Zug-um-Zug gegen Abtretung der Rechte aus dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der XXX, zu zahlen.
Hilfsweise beantragt sie mit Schriftsatz vom 8.2.2023,
die Beklagte zu verurteilen, 30.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Rechtshängigkeit Zug-um-Zug gegen Abtretung der Rechte aus dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der XXX, an den Insolvenzverwalter der XXX, Herrn Rechtsanwalt XXX zwecks Auskehrung an die Klägerseite zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Klägerin sei nicht aktivlegitimiert. Zudem fehle es an Vortrag der Klägerin zum Versicherungsschutz. Jedenfalls sei sie leistungsfrei, weil der Versicherungsnehmerin eine wissentliche Pflichtverletzung zur Last falle.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 1.6.2023 (Bl. 222 d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist sowohl hinsichtlich des Haupt- als auch des Hilfsantrags unbegründet.
Der Klägerin steht kein Anspruch auf Zahlung von 30.000 € nebst Zinsen gegen die Beklagte aus dem zwischen der Beklagten und der Versicherungsnehmerin bestandenen Versicherungsvertrag zu.
1. Zwar ist die Klägerin gemäß § 110 VVG/§ 157 VVG a.F. aktivlegitimiert. Nach dieser Vorschrift kann ein Dritter wegen des ihm gegen den Versicherungsnehmer zustehenden Anspruchs abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers verlangen, wenn über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Voraussetzung für einen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegen den Versicherer ist aber - wie beim Zahlungsanspruch des Versicherungsnehmers - weiter, dass der Haftpflichtanspruch des Geschädigten gemäß § 106 Satz 1 VVG festgestellt worden ist, weil dieser durch § 110 VVG keine weitergehende Rechtsstellung als der Versicherungsnehmer erlangt (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 10.3.2021 - IV ZR 309/19, juris Rn. 10 mwN). So liegt der Fall hier. Das Landgericht Leipzig hat mit dem rechtskräftigen Versäumnisurteil vom 15.2.2021 festgestellt, dass der Klägerin in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Versicherungsnehmerin eine Insolvenzforderung in Höhe von 30.000 € nebst vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.467,03 € zusteht. Anschließend wurde die Forderung durch den Insolvenzverwalter der Versicherungsnehmerin zur Insolvenztabelle anerkannt.
2. Der geltend gemachte Anspruch scheidet jedoch deshalb aus, weil die Beklagte nach der Klausel in Teil 1 A § 4 Nr. 5 AVB Verm, die unstreitig dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag zugrunde gelegen hat, nicht zur Leistung verpflichtet ist. Der geschäftsführende Gesellschafter der Versicherungsnehmerin, XXX, der die streitgegenständlichen Bestätigungsvermerke erteilt und dessen Handeln der Versicherungsnehmerin zuzurechnen ist, hat bei der Abschlussprüfung und der anschließenden Erteilung der uneingeschränkten Bestätigungsvermerke wissentlich gegen berufliche Elementarpflichten eines Abschlussprüfers verstoßen.
a) Nach Teil 1 A § 4 Nr. 5 AVB Verm bezieht sich der Versicherungsschutz nicht auf Haftpflichtansprüche, wegen Schadensverursachung durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Auftraggebers oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung. Diese wirksame Klausel enthält einen subjektiven Risikoausschluss, der in zweifacher Hinsicht von der dispositiven Vorschrift des § 81 VVG abweicht. Zum einen stellt Teil 1 A § 4 Ziff. 5 AVB Verm zugunsten des Versicherungsnehmers nur auf näher beschriebene Verstöße ab und lässt insoweit nicht bedingten Vorsatz genügen, sondern fordert direkten Vorsatz, also zumindest dolus directus zweiten Grades. Zum anderen muss der Versicherungsnehmer nicht den schädigenden Erfolg als möglich vorhergesehen und billigend in Kauf genommen haben (BGH, Urteil vom 20.6.2001 - IV ZR 101/00, juris Rn. 13; OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.7.2017 - I-4 U 1/16, juris Rn. 64, jeweils mwN). Darlegungs- und beweispflichtig für die Verwirklichung der subjektiven Tatbestandsmerkmale des Risikoausschlusses ist der Versicherer (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2014 - IV ZR 90/13, juris Rn. 16 mwN). Dabei folgt aus der grundsätzlichen Darlegungs- und Beweislast des Versicherers, dass dieser zunächst einen Sachverhalt vorzutragen hat, der auf eine Wissentlichkeit der Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers zumindest hindeutet. Der Vortrag weiterer zusätzlicher Indizien ist dann entbehrlich, wenn es sich um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.7.2017 - I-4 U 1/16, juris Rn. 65).
b) So liegt der Fall hier. Nach dem eigenen, von der Beklagten nicht in Abrede genommenen Vortrag der Klägerin waren der Versicherungsnehmerin und ihrem geschäftsführenden Gesellschafter bekannt, dass im Prüfungszeitraum die Refinanzierung der XXX in einem nicht unerheblichen Teil durch Einwerben von Anlegegeldern mittels Herausgabe von Inhaberteilschuldverschreibungen erfolgte. Ihnen war auch bekannt, dass die Einwerbung mittels Emissionsprospekten erfolgte. Sie hatten Kenntnis von dem Inhalt zumindest einzelner Prospekte. Damit wussten sie, dass ihre Bestätigungsvermerke zu früheren Jahresabschlüssen in den Prospekten aufgenommen waren. Ihnen war auch bekannt, dass aufgrund des damals noch geltenden § 11 VermVerkProspVO in den Verkaufsprospekten der Bestätigungsvermerk aufzunehmen war. Sie wussten, dass die notwendige Liquidität der XXX auch künftig durch die Herausgabe von Inhaberteilschuldverschreibungen beschafft werden musste. Für die Annahme, dass das Einwerben von Anlegergeldern nicht wiederum mittels Emissionsprospekten erfolgen werde, gab es hingegen keinen Anlass. Der geschäftsführende Gesellschafter hat es zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, wenn nicht gar gewusst, dass die Anleger den Jahresabschluss, den Lageplan und den vom Beklagten erteilten Bestätigungsvermerk zur Grundlage ihrer Entscheidung, Inhaberteilschuldverschreibungen der XXX zu erwerben, machen werden, da ihm zumindest einzelne Prospekte der XXX bekannt waren, in denen diese Angaben stets abgedruckt waren. Es handelt sich bei diesen Unterlagen um zentrale Dokumente, aus denen die aktuelle Situation der Gesellschaft für einen Anleger ablesbar ist, und letztlich die einzige Prospektaussage, die nicht von der XXX, sondern einem vermeintlich objektiven Fachmann stammt. Er wusste aber auch, dass die Gefahr, dass die Anleger keine Rückzahlungen erhalten würden, wesentlich höher war, als dies aus dem von ihm testierten Lagebericht erkennbar war (vgl. zum Vorstehenden S. 2 des Schriftsatzes vom 7.2.2023, Bl. 47 Rs. d. A.). Damit hat der geschäftsführende Gesellschafter der Versicherungsnehmerin gegen die elementare und deshalb auch gemäß § 332 HGB strafbewehrte Berufspflicht eines Abschlussprüfers nach § 322 Abs. 3 HGB verstoßen, einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk nur dann zu erteilen, wenn die von ihm nach § 317 HGB durchgeführte Prüfung zu keinen Einwendungen geführt hat und dass der von den gesetzlichen Vertretern der Gesellschaft aufgestellte Jahres- oder Konzernabschluss aufgrund der bei der Prüfung gewonnenen Erkenntnisse des Abschlussprüfers nach seiner Beurteilung den gesetzlichen Vorschriften entspricht und unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung oder sonstiger maßgeblicher Rechnungslegungsgrundsätze ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft vermittelt.
c) Der weitere Vortrag der Klägerin rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Vielmehr bewertet sie wiederholt unter Darlegung verschiedener Fehler und Versäumnisse, der dem geschäftsführenden Gesellschafter der Versicherungsnehmerin bei der Abschlussprüfung zur Last zu legen seien, die Erteilung der uneingeschränkten Bestätigungsvermerke als vorsätzliche Verletzung der Berufspflichten eines Abschlussprüfers (vgl. S. 172, 177, 183, 186 f., 190, 206, 208, 210, 214, 217 f. des Schriftsatzes vom 7.2.2023, Bl. 132 Rs., 135, 138 ff., 141 Rs., 149 ff., 153 Rs., 155 d. A.). Das Vorliegen eines Verstoßes des geschäftsführenden Gesellschafters der Versicherungsnehmerin gegen elementare Berufspflichten findet überdies Bestätigung in dem weiteren Vortrag der Klägerin, die Erteilung der uneingeschränkten Bestätigungsvermerke stelle im Hinblick auf die angenommene Werthaltigkeit der von der XXX ausgewiesenen Forderungen gegenüber anderen Unternehmen, die zu den in den Jahresabschlüssen der XXX ausgewiesenen positiven Beteiligungs- und damit letztlich positiven Jahresergebnissen geführt hätten, einen eklatanten Verstoß gegen die Grundsätze der ordnungsgemäßen Abschlussprüfung dar (vgl. S. 216 des Schriftsatzes vom 7.2.2023, Bl. 154 Rs. d. A.). Die Kammer ist nach alledem davon überzeugt, dass der geschäftsführende Gesellschafter der Versicherungsnehmerin nicht nur bedingt vorsätzlich, sondern wissentlich bei der Erteilung der uneingeschränkten Bestätigungsvermerke gegen die ihm als Abschlussprüfer obliegenden Pflichten verstoßen hat.
d) Die Kammer braucht nicht zu entscheiden, ob der der Klägerin entstandene Schaden neben der wissentlichen Pflichtverletzung noch durch weitere, nicht wissentliche Pflichtverletzungen mitverursacht worden ist. Denn auch in einer solchen Sachverhaltskonstellation greift nach der Auslegung der streitgegenständlichen Klausel aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers der Deckungsausschluss für Schadenverursachung durch wissentliche Pflichtverletzung in der Vermögensschadenhaftpflichtversicherung ein (vgl. BGH, Beschluss vom 27.5.2015 - IV ZR 322/14).
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 ZPO.