Landgericht Hannover
Urt. v. 13.07.2023, Az.: 74 O 93/22

Rechtmäßigkeit und Akteneinsicht in eine Konzessionsentscheidung bezüglich der Nutzung öffentlicher Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
13.07.2023
Aktenzeichen
74 O 93/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 55278
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2023:0713.74O93.22.00

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren
- Verfügungsklägerin -
gegen
- Verfügungsbeklagte -
hat das Landgericht Hannover - 74. Zivilkammer - durch ... auf die mündliche Verhandlung vom 22.06.2023 für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Der Verfügungsbeklagten wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, auf der Grundlage des Beschlusses des Rates der Verfügungsbeklagten vom 19.05. 2022 über den Betrieb des Stromverteilnetzes der allgemeinen Versorgung für das Konzessionsgebiet "L." im Stadtgebiet der Verfügungsbeklagten (Los 1) einen Stromkonzessionsvertrag mit der Stromnetzgesellschaft R. GmbH und Co. KG (SNGR), Rathausplatz ..., 3... R., abzuschließen, bis sie der Verfügungsklägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts nach § 47 Abs. 3 EnWG Akteneinsicht gewährt hat, über eine Abhilfe betreffend die anschließend gegebenenfalls von der Verfügungsklägerin nach § 47 Abs. 2 S. 4 EnWG erhobenen Rügen entschieden hat und die Vollzugsverbotsfristen des § 47 Abs. 6 EnWG abgelaufen sind.

  2. 2.

    Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Anordnung aus Ziffer 1. wird der Verfügungsbeklagten ein Ordnungsgeld in Höhe von 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken jeweils am Bürgermeister der Verfügungsbeklagten, angedroht.

  3. 3.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Verfügungsbeklagte.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit der Konzessionsentscheidung der Verfügungsbeklagten betreffend die Nutzung ihrer öffentlichen Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen, die zu einem Energieversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung im Konzessionsgebiet "L." (Los 1) im Stadtgebiet der Verfügungsbeklagten gehören.

Die Verfügungsbeklagte ist eine niedersächsische Kommune mit circa 30.000 Einwohnern, die, neben der Minderheitsgesellschafterin Avacon Netz GmbH (49 %) mehrheitlich mit 51 % an der Stromnetzgesellschaft R. GmbH & Co KG (SNGR) beteiligt ist.

Die Verfügungsklägerin ist ein Energieversorgungsunternehmen mit Sitz in Hannover und derzeit Konzessionsnehmerin für den Bereich Strom im Konzessionsgebiet L. (Los 1).

Mit Bekanntmachung im Bundesanzeiger vom 30.03.2020 leitete die Verfügungsbeklagte das Konzessionsvergabeverfahren zur Neuvergabe des Wegenutzungsvertrags Strom in der Stadt R. für das Konzessionsgebiet "L." (Los 1) nach §§ 46 ff. EnWG ein. Die Verfügungsklägerin bekundete fristgerecht ihr Interesse gegenüber der Verfügungsbeklagten.

Die Interessenten wurden von der Verfügungsbeklagten zur Abgabe eines ersten indikativen Angebots aufgefordert und erhielten die zugehörigen Wettbewerbsunterlagen mit den Wertungskriterien. Nachdem zwei Interessenten, nämlich die Verfügungsklägerin und die SNGR ein erstes indikatives Angebot abgegeben und ihre Eignung nachgewiesen hatten, verhandelte die Verfügungsbeklagte mit beiden Bietern örtlich und zeitlich getrennt.

Nach Abschluss der Verhandlungen wurden die Wettbewerbsunterlagen angepasst. Mit Schreiben vom 21.10.2021 forderte die Verfügungsbeklagte beide Bieter zur Abgabe eines verbindlichen Angebots, des sogenannten Best and Final Offer (BaFO) auf, woraufhin beide Bieter fristgerecht ein Angebot für Los 1 einreichten. Die Verfügungsbeklagte wertete die Angebote aus und erstellte hierzu unter dem 21.03.2022 einen ersten Auswertungsvermerk.

Der Rat der Verfügungsbeklagten beschloss am 19.05.2022, den Zuschlag auf das Angebot der SNGR zu erteilen. Hierüber informierte die Verfügungsbeklagte die Verfügungsklägerin mit Schreiben vom 20.05.2022. Dabei übersandte die Verfügungsbeklagte der Verfügungsklägerin auch den Vermerk zur Prüfung der BaFO's, eine Gesamtauswertung der eingegangenen Angebote sowie eine Wertungsmatrix mit Einzelpunktzahlen je Kriterium.

Die Verfügungsklägerin beantragte sodann mit Schreiben vom 27.05.2022 bei der Verfügungsbeklagten Akteneinsicht in die Vergabeakte. Die Verfügungsbeklagte gewährte mit Schreiben vom 09.06.2022 nur eingeschränkte Akteneinsicht mittels eines elektronischen Datenraums, in welchem über ein Passwort eine Zip-Datei mit der Vergabeakte heruntergeladen werden konnte. Die Vergabeakte enthielt den Auswertungsvermerk der Verfügungsbeklagten und eine tabellarische Übersicht der Punktevergabe sowie weitere Inhalte. In der Vergabeakte fehlten jedoch die Angebote, die im Verfahren seitens der SNGR abgegeben worden waren.

Mit Schreiben vom 14.06.2022 rügte die Verfügungsklägerin, dass die Akteneinsicht unvollständig gewährt worden sei, weil im Datenraum das Angebot der obsiegenden Bieterin, der SNGR, fehle. Nachdem die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 21.06.2022 nicht abgeholfen hatte, strengte die Verfügungsklägerin vor dem Landgericht Hannover ein einstweiliges Verfügungsverfahren auf Gewährung von Akteneinsicht an, das diese Kammer in anderer Besetzung durch Urteil vom 05.08.2022 (74 O 54/22) abwies, weil die Akteneinsicht lediglich pauschal begehrt worden sei, ohne darzulegen, für welche Kriterien welche Angaben aus dem Angebot der Mitbewerberin benötigt werden und weil das Akteinsichtsrecht nicht selbständig einklagbar sei, sondern insofern jeweils einzelne Transparenzmängel im Rahmen einzelner Rügen geltend gemacht werden könnten. Gegen diese gerichtliche Entscheidung legte die Verfügungsklägerin kein Rechtsmittel ein.

Parallel zu diesem ersten einstweiligen Verfügungsverfahren formulierte die Verfügungsklägerin bereits mit Schreiben vom 08.07.2022 weitere Rügen betreffend die Auswahlentscheidung und forderte erneut Akteneinsicht.

Die Verfügungsbeklagte half den Rügen teilweise ab und übersandte der Verfügungsklägerin - jedoch ohne weitere Gewährung von Akteneinsicht - mit Schreiben vom 15.11.2022 ihre Stellungnahme zu jeder einzelnen Rüge und eine - bei unverändertem Gesamtergebnis - überarbeitete Angebotsauswertung vom 28.10.2022 sowie eine überarbeitete Wertungsmatrix.

Daraufhin reichte die Verfügungsklägerin per besonderem elektronischem Anwaltspostfach am 29.11.2022 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung beim Landgericht Hannover ein.

Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, dass die Verfügungsbeklagte ihr nur unzureichende Akteneinsicht gewährt habe. Hierin liege eine unbillige und damit kartellrechtswidrige Behinderung. Eine eilige gerichtliche Entscheidung sei geboten, weil anderenfalls damit zu rechnen sei, dass die Verfügungsbeklagte den Konzessionsvertrag mit der SNGR abschließe.

Die Verweigerung der Akteneinsicht stelle einen Verfahrensverstoß dar. In der Folge habe die Verfügungsklägerin die Rüge in einzelnen Rügepunkten nicht in der gebotenen Tiefe vorbereiten können. Insbesondere weil die Verfügungsbeklagte die relative Bewertungsmethode angewandt habe, sei der genaue Wortlaut des Angebotsinhalts der SNGR zur Nachvollziehung der von der Verfügungsbeklagten vorgenommenen Bewertung unabdingbar. Auch habe sie keine Kenntnis von kommunalinternen Einzelheiten des Entscheidungsablaufs. Die Verfügungsklägerin bestreitet die von der Verfügungsbeklagten bei zahlreichen Wertungskriterien angeführten Tatsachen, die den Inhalt und die Bewertung des Angebots der SNGR betreffen, mit Nichtwissen unter im Einzelnen weitergehender Begründung bezüglich der sich aus dem Auswahlvermerk ergebenden Anhaltspunkte hinsichtlich der Erforderlichkeit einer weitergehenden Akteneinsicht.

Nach Ansicht der Verfügungsklägerin ergäben sich Verfahrensverstöße unter den Gesichtspunkten der unzureichenden Sachverhaltsermittlung, der inkonsistenten Abweichung bei Bewertungsabschlägen, der fehlerhaften Anwendung der eigenen Wettbewerbsunterlagen sowie der fehlerhaften Ausrichtung der Auswahlentscheidung an den jeweils nach den Wettbewerbsunterlagen geforderten Inhalten und den jeweiligen Zielvorgaben der Bewertungskriterien. Die Auswahlentscheidung sei insgesamt auf Grundlage des dargelegten Bewertungsmaßstabes in vielen Punkten nicht nachvollziehbar. Viele Rügen hätten nicht mit dem Angebot der SNGR abgeglichen werden können. Die Verfahrensführung sei in dieser Hinsicht intransparent. Eine eigene vergleichende Auswertung, die aufgrund der vergleichenden Bewertungsmethode der Verfügungsbeklagten notwendig sei, um die Auswahlentscheidung in Einzelnen nachvollziehen zu können, sei der Verfügungsklägerin aufgrund der unzureichenden Akteneinsicht verwehrt geblieben. Die Angebotsbewertung mittels einer Punkteskala von null bis sechs Punkten sei als zu grobe Skala unzulässig. Zudem sei bei Anwendung einer solch groben Skala eine Minder- bzw. Mehrbemessung nur bei bedeutenden Abweichungen zwischen den Angeboten zulässig. Die Verfügungsbeklagte habe hingegen selbst bei geringen Abweichungen Punkteabzüge zu Ungunsten der Verfügungsklägerin vorgenommen.

Die Verfügungsklägerin ist weiter der Ansicht, dass sich die Verfügungsbeklagte in unzulässiger Weise auf die SNGR vorfestgelegt habe. Entgegen dem Erfordernis einer strengen organisatorischen und personellen Trennung zwischen der Vergabestelle und dem jeweiligen Eigenbetrieb bzw. der Eigengesellschaft, habe der erste Stadtrat und Kämmerer der Verfügungsbeklagten durch Äußerungen gegenüber der Presse bereits im Jahr 2019 eine Vorfestlegung auf die SNGR zu erkennen gegeben, so dass das Konzessionsvergabeverfahren nicht diskriminierungsfrei durchgeführt worden sei.

Die Verfügungsklägerin beantragt:

  1. 1.

    Die Auswahlentscheidung über einen Wegenutzungsvertrag über den Betrieb des Stromverteilnetzes der allgemeinen Versorgung für das Konzessionsgebiet "L." im Stadtgebiet der Antragsgegnerin ("Stromkonzessionsvertrag", Los 1) wird aufgehoben und das Stromkonzessionsverfahren in den Stand vor Wertung der letzten verbindlichen Schlussangebote versetzt.

  2. 2.

    Der Antragsgegnerin wird es untersagt, aufgrund des Stadtratsbeschlusses vom 19. Mai 2022 den Stromkonzessionsvertrag mit der Stromnetzgesellschaft R. GmbH und Co. KG (SNGR), Rathausplatz 1, 3... R. abzuschließen, bis in einer neuen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts durchzuführenden Auswahlentscheidung diskriminierungsfrei und transparent über die Vergabe der Stromkonzession für das Konzessionsgebiet "L." (Los 1) entschieden ist und den Rügen vollumfänglich abgeholfen wurde.

  3. 3.

    Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Anordnung nach Ziffer 1 und/oder 2 wird ein vom Gericht festzusetzendes Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft am gesetzlichen Vertreter der Antragsgegnerin zu vollziehen ist, festgesetzt.

    sowie hinsichtlich des Antrags zu 2. - für den Fall, dass das Gericht den Antrag für nicht zulässig oder nicht auslegungsfähig hält - hilfsweise:

  4. 2.

    Der Verfügungsbeklagten wird es untersagt, aufgrund des Stadtratsbeschlusses vom 19. Mai 2022 den Stromkonzessionsvertrag "Stromnetz L. Los 1" mit der Stromnetzgesellschaft R. GmbH und Co. KG (SNGR), Rathausplatz ..., 3... R. abzuschließen, bevor sie die Angebotswertung in dem mit Bekanntmachung vom 30. März 2020 eingeleiteten Verfahren zum Abschluss eines Stromkonzessionsvertrages in dem nach Rechtsauffassung des Gerichts gebotenen Umfang wiederholt hat und die Verfügungsklägerin über die entsprechenden Wertungsergebnisse und ihre Begründung, wozu auch die Begründung der Bewertung des Angebots des Zuschlagsprätendenten zählt, falls dies nicht die Verfügungsklägerin sein sollte, in Kenntnis gesetzt und sodann mindestens die Wartefrist nach § 47 EnWG bis zur Erteilung des Zuschlags eingehalten hat.

Daneben hatte die Verfügungsklägerin für den Fall, dass eine Entscheidung des Gerichts bis zum Ablauf der Frist gemäß § 47 Abs. 5 EnWG nicht rechtzeitig möglich ist, beantragt, eine Zwischenverfügung mit dem Inhalt zu erlassen, dass der Vertragsschluss bis zum Abschluss des Eilverfahrens nicht vorgenommen werden darf und dies der Verfügungsbeklagten (ggf. telefonisch) mitzuteilen oder bei der Verfügungsbeklagten eine Zusicherung einzuholen, dass der Konzessionsvertrag bis zur Entscheidung des Gerichts nicht abgeschlossen wird.

Hinsichtlich dieses Antrags auf Erlass einer Zwischenverfügung hatte die Verfügungsbeklagte mit Schriftsatz vom 29.11.2022 bestätigt, dass sie den neuen Wegenutzungsvertrag Strom zum Los 1: Strom Stadtteil L. (Bekanntmachung im Bundesanzeiger vom 30.03.202; Zuschlagsprätendentin: Stromnetzgesellschaft R. GmbH & Co KG) bis zu einer gerichtlichen Entscheidung über einen etwaigen Verfügungsantrag der Verfügungsklägerin nicht abschließen werde, falls der Verfügungsantrag vor Ablauf des 30.11.2022 bei Gericht eingeht.

Die Verfügungsbeklagte beantragt:

die Anträge zurückzuweisen.

Die Verfügungsbeklagte ist der Ansicht, dass die von der Verfügungsklägerin gestellten Anträge bereits unzulässig seien. Der Antrag zu 1. sei unzulässig, weil im einstweiligen Verfügungsverfahren allenfalls eine Untersagung der Zuschlagserteilung möglich sei. Der Antrag zu 2. sei nicht vollstreckbar.

Die begehrte Akteneinsicht sei über den gesetzlich verpflichtenden Umfang hinaus umfassend und im vollständigen Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung der OLG Celle und des BGH gewährt worden. Auch hinsichtlich der inhaltlichen Rügen sei der Antrag unbegründet. Erstmals mit der Antragsschrift vorgebrachte Rügen seien präkludiert. Weitere Rügen würden sich in unsubstantiierten Vermutungen erschöpfen.

Die Kammer hat die Akten zu dem vor dem Landgericht Hannover unter dem Az. 74 O 54/22 geführten Verfahren beigezogen und am 22.06.2023 zur Sache verhandelt. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, sowie das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 22.06.2023 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der zulässige Antrag hat in der Sache Erfolg.

Die Verfügungsklägerin hat glaubhaft gemacht, von der Verfügungsbeklagten unbillig behindert worden zu sein, indem ihr entgegen § 47 Abs. 3 EnWG nach Art und Umfang nur unzureichend Einsicht in die Akten des Konzessionsvergabeverfahrens gewährt wurde.

Die Verfügungsbeklagte hat daher den Vertragsschluss mit der SNGR gemäß §§ 33 Abs. 1, Abs. 2, 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB zu unterlassen, bis sie der Verfügungsklägerin ordnungsgemäße Akteneinsicht gewährt hat und die Verfügungsklägerin hieraus gegebenenfalls ersichtliche Rügen im Rahmen der nach § 47 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 1 EnWG vorgesehenen Fristen geltend machen konnte und die Verfügungsbeklagte insofern gemäß § 47 Abs. 4 EnWG über eine Abhilfe entschieden hat und die Vollzugsverbotsfristen des § 47 Abs. 6 EnWG abgelaufen sind.

Die Verfügungsklägerin kann den ihr zustehenden Akteneinsichtsanspruch hier - soweit mangels Akteneinsicht schon möglich mit im Zusammenhang bereits erhobenen Rügen - gemäß § 47 Abs. 5 Satz 3 EnWG im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens geltend machen.

A. Der von der Verfügungsklägerin gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig.

I. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist gemäß § 47 Abs. 5 Satz 1 EnWG eröffnet.

Die ausschließliche sachliche Zuständigkeit des Landgerichts folgt aus §§ 102 Abs. 1, 108 EnWG, § 87 S. 1 GWB.

Die örtliche Zuständigkeit ist gemäß §§ 32 ZPO, 89 S. 1 GWB, 102 Abs. 1 EnWG, § 7 Nr. 5 Nds. Justiz-Zuständigkeitsverordnung begründet.

Rechtsstreitigkeiten der vorliegenden Art sind nach § 102 Abs. 2 EnWG Handelssachen im Sinne der §§ 93 bis 114 des Gerichtsverfassungsgesetzes. Voraussetzung für die Befassung der Kammern für Handelssachen ist jedoch stets, dass von den Parteien des Rechtsstreits rechtzeitig ein entsprechender Antrag gestellt wird. Die Verfügungsklägerin hätte einen solchen Antrag bereits in der Klageschrift stellen müssen (§ 96 Abs. 1 GVG). Die Verfügungsbeklagte wäre befugt gewesen, einen Antrag auf Verweisung an die Kammer für Handelssachen zu stellen (§ 98 Abs. 1 GVG), wobei dieser Verweisungsantrag der Verfügungsbeklagten gemäß § 101 Abs. 1 S. 2 GVG innerhalb der gesetzten Klageerwiderungsfrist zu stellen gewesen wäre (Theobald/Werk in Theobald/Kühling, Energierecht, Werkstand: 118. EL November 2022, § 102 EnWG Rn. 22; André Turiaux in Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Auflage 2019, § 102 EnWG Rn. 15). Solche Anträge haben die beiden Verfahrensbeteiligten hier nicht gestellt, so dass die Zivilkammer zuständig ist.

II. Die von der Verfügungsklägerin gestellten Anträge sind insgesamt interessengerecht so auszulegen, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrem recht verstandenen Interesse entspricht (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2013 - IX ZB 229/11 -, juris Rn. 30). Denn das Verfahrensrecht dient der Wahrung der Rechte der Beteiligten. Es soll im Interesse einer effektiven Rechtsschutzgewährung eine einwandfreie Durchführung des Verfahrens unter Wahrung ihrer Rechte sicherstellen und nicht etwa behindern (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2012 - IX ZB 86/10 -, juris Rn. 11).

Angesichts des Umstands, dass die Vorschrift des § 47 EnWG erst ab dem 03.02.2017 in Kraft ist und sich bislang noch keine einheitliche klare Linie in der Rechtsprechung entwickelt hat, wie in solchen Fällen zu tenorieren ist, ist bei der Auslegung der Anträge umso großzügiger zu verfahren.

Die Verfügungsklägerin begehrt in der Sache zunächst weitere Akteneinsicht, um dann neue Rügen erheben oder bereits erhobene Rügen vertiefend begründen zu können. Bis dahin begehrt sie, dass es der Verfügungsbeklagten untersagt wird, den Vertrag mit der SNGR abzuschließen.

Soweit die Verfügungsklägerin zur Erreichung dieses Ziels den Verfügungsantrag zu 1. so formuliert hat, dass die Auswahlentscheidung aufgehoben werden und das Konzessionsverfahren in den Stand vor der Wertung der letzten verbindlichen Schlussangebote versetzt werden soll, und im Verfügungsantrag zu 2. zeitlich begrenzt die Untersagung des Vertragsschlusses mit der SNGR begehrt, gekoppelt an die Bedingung einer vollumfänglichen Abhilfe ihrer Rügen sowie einer neuen diskriminierungsfreien und transparenten Auswahlentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, ist bei verständiger Gesamtschau der beiden Anträge ohne weiteres ersichtlich, dass es der Verfügungsklägerin - wie tenoriert - darum geht, der Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, auf der Grundlage des Ratsbeschlusses vom 19.05.2022 einen Stromkonzessionsvertrag mit der SNGR abzuschließen, bis sie der Verfügungsklägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts nach § 47 Abs. 3 EnWG Akteneinsicht gewährt, über eine Abhilfe betreffend die anschließend gegebenenfalls von der Verfügungsklägerin nach § 47 Abs. 2 S. 4 EnWG erhobenen Rügen nach § 47 Abs. 4 EnWG neu entschieden hat und die Vollzugsverbotsfristen des § 47 Abs. 6 EnWG abgelaufen sind.

Denn das Gesetz sieht bereits in § 47 Abs. 2 S. 4 EnWG vor, dass - wenn eine Akteneinsicht nach Abs. 3 erfolgt, wie sie hier unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts nachzuholen sein wird - die 30-Tagesfrist des Abs. 2 S. 3 EnWG zur Rüge von Rechtsverletzungen im Rahmen der Auswahlentscheidungen, die aus der Ablehnungsmitteilung nach Abs. 4 S. 4 EnWG erkennbar sind, erneut beginnt ab dem ersten Tag, an dem die Gemeinde die Akten zur Einsicht bereitgestellt hat. In der Folge wird die Verfügungsbeklagte bereits aufgrund der gesetzlichen Vorgabe des § 47 Abs. 4 EnWG erneut die Abhilfe bezüglich der neuen bzw. ergänzend begründeten Rügen zu prüfen haben.

Der Zulässigkeit des Verfügungsantrags steht auch nicht etwa entgegen, dass die Verfügungsklägerin bereits mit Schreiben vom 14.06.2022 gerügt hatte, dass die Akteneinsicht unvollständig gewährt worden sei, die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 21.06.2022 nicht abgeholfen hatte und diese Kammer in der Vorgängerbesetzung das daraufhin von der Verfügungsklägerin angestrengte einstweilige Verfügungsverfahren auf Gewährung von Akteneinsicht durch Urteil vom 05.08.2022 (74 O 54/22) abgewiesen hatte, weil das Akteinsichtsrecht nicht selbständig einklagbar sei. Denn jenes Verfahren entfaltet prozessual nicht etwa eine Sperrwirkung für das vorliegende Verfahren in dem Sinne, dass ein auf mangelnde Akteneinsicht gestützter Anspruch auf vorläufiges Unterlassen eines Vertragsschlusses mit der SNGR nicht mehr geltend gemacht werden könnte. Vielmehr war in jener Entscheidung vertreten worden, dass der Akteneinsichtsanspruch nur im Zusammenhang mit entsprechenden Rügen geltend gemacht werden könnte; genau dies macht die Verfügungsklägerin nunmehr im vorliegenden Verfahren geltend.

Die Zulässigkeit des hinsichtlich der Unterlassungsverfügung unter Ziffer 3. gestellten Ordnungsmittelantrags begegnet keinen Bedenken.

III. Die Verfügungsklägerin hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auch fristgerecht gestellt. Auf die - nach Erhebung von weiteren Rügen durch die Verfügungsklägerin mit Schreiben vom 08.07.2022 - neuerliche Nichtabhilfeinformation der Verfügungsbeklagten gemäß § 47 Abs. 4 EnWG vom 15.11.2022 hat die Verfügungsklägerin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung per besonderem elektronischem Anwaltspostfach am 29.11.2022 und damit innerhalb der Frist von 15 Kalendertagen gemäß § 47 Abs. 5 S. 1 EnWG eingereicht.

B. Die Verfügungsklägerin hat einen Verfügungsanspruch gemäß §§ 935, 940 ZPO glaubhaft gemacht.

I. Der Verfügungsklägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch auf der Rechtsgrundlage der §§ 33 Abs. 1, Abs. 2, 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG zu. Sie hat glaubhaft gemacht, dass die Verfügungsbeklagte ihr im Rahmen des Stromkonzessionsvergabeverfahrens "L." (Los 1) nach Art und Umfang nur unzureichend Akteneinsicht gewährt und sie damit in kartellrechtswidriger Weise unbillig behindert hat.

Durch die beabsichtigte Vergabe der Konzession seitens der Verfügungsbeklagten an die SNGR droht eine unbillige Behinderung der Verfügungsklägerin im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB und damit ein Verstoß gegen das Verbot der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von § 19 Abs. 1 GWB.

Nach § 33 Abs. 1, Abs. 2 GWB kann derjenige, der gegen eine Vorschrift des ersten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen oder gegen Artikel 101 oder 102 AEUV verstößt oder zu verstoßen droht, vom Betroffenen auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Zu diesen Vorschriften gehört § 19 GWB, der den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung verbietet, der nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 GWB insbesondere dann vorliegt, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen ein anderes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar unbillig behindert. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

1. Die Verfügungsbeklagte ist ein marktbeherrschendes Unternehmen im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB. Marktbeherrschend ist gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 GWB ein Unternehmen, wenn es als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt ohne Wettbewerber ist. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Gemeinden, die beim Abschluss von Konzessionsverträgen als Unternehmen im Sinne des Kartellrechts handeln (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 - KZR 65/12 -, juris Rn. 18 - Stromnetz Heiligenhafen; BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 - KZR 66/12 -, juris Rn. 19 - Stromnetz Berkenthin), haben auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt für Wegenutzungsrechte zur Verlegung und zum Betrieb eines Stromverteilernetzes im Gemeindegebiet eine Monopolstellung; sie sind dort ohne Wettbewerber (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. August 2022 - VI-2 U (Kart) 4/21 -, juris Rn. 24). Auf diesem auf das Gemeindegebiet beschränkten relevanten Markt stehen sich Gemeinden als Anbieter des Wegerechts und Stromversorgungsunternehmen als Nachfrager gegenüber (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 -KZR 65/12 -, juris Rn. 21 - Stromnetz Heiligenhafen; BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 - KZR 66/12 - juris Rn. 22 - Stromnetz Berkenthin; OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. August 2022 - VI-2 U (Kart) 4/21 -, juris Rn. 24). Der marktbeherrschenden Stellung der Verfügungsbeklagten steht nicht entgegen, dass eine Stromnetzkonzession nicht nur die Verlegung und den Betrieb von Leitungen, sondern weitergehend auch die Stromversorgung umfasst. Dass der nachgelagerte Markt der Stromversorgung nicht auf das Gemeindegebiet beschränkt sein muss, ändert nichts daran, dass Städte und Gemeinden auf dem vorgelagerten Markt der Wegenutzungsrechte auf ihrem Gebiet jeweils Monopolisten sind (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. August 2022 - VI-2 U (Kart) 4/21 -, juris Rn. 24).

2. Die Verfügungsbeklagte hat die Verfügungsklägerin als Nachfragerin von Wegenutzungsrechten über den Betrieb eines Stromverteilernetzes zur allgemeinen Stromversorgung für das Stadtgebiet L. (Los 1) unbillig nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 GWB behindert.

a. Ob ein Auswahlverfahren Bewerber um eine Konzession im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1, Var. 1 GWB unbillig behindert, bestimmt sich anhand einer Gesamtwürdigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielrichtung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die auf die Sicherung des Leistungswettbewerbs und insbesondere die Offenheit der Marktzugänge gerichtet ist (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 - KZR 65/12 -, juris Rn. 51 - Stromnetz Heiligenhafen; BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 - KZR 66/12 -juris Rn. 55 - Stromnetz Berkenthin; OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. August 2022 - VI-2 U (Kart) 4/21 -, juris Rn. 26; OLG Brandenburg, Urteil vom 22. August 2017 - 6 U 1/17 Kart -, juris Rn. 159). Eine unbillige Behinderung von Bewerbern um eine Konzession liegt vor, wenn deren Chancen auf den Abschluss des Konzessionsvertrags dadurch beeinträchtigt werden, dass die Auswahlentscheidung die an sie zu stellenden verfahrensbezogenen und materiellen Anforderungen nicht erfüllt (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 - KZR 65/12 -, juris Rn. 50 - Stromnetz Heiligenhafen; BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 - KZR 66/12 -, juris Rn. 54 - Stromnetz Berkenthin). Grundlage für die an die Auswahlentscheidung zu stellenden verfahrensbezogenen und materiellen Anforderungen sind außer dem kartellrechtlichen Behinderungs- und Diskriminierungsverbot des § 19 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 GWB der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Form des Willkürverbots (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2006, 1 BvR 1160/03, NJW 2006, 3701 Rn. 64) und jedenfalls die verfahrensbezogenen Vorschriften der §§ 46 und 47 EnWG, welche die vorgenannten Grundsätze für den Teilbereich der Konzessionsvergabe im Energieversorgungsbereich konkretisieren (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. August 2022 - VI-2 U (Kart) 4/21 -, juris Rn. 26).

Zu den danach an die Auswahlentscheidung zu stellenden verfahrensbezogenen Anforderungen gehört das Akteneinsichtsrecht nach § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. August 2022 - VI-2 U (Kart) 4/21 -, juris Rn. 27).

Das Akteneinsichtsrecht ist zentraler Ausdruck der Einhaltung des Gebots eines transparenten Verfahrens und der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. August 2022 - VI-2 U (Kart) 4/21 -, juris Rn. 27; KG, Urteil vom 24. September 2020 - 2 U 93/19 -, juris Rn. 95; Huber in: Kment, EnWG, 2. Auflage 2019, § 47 Rn. 18 unter Bezugnahme auf die Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgRÄG), BT-Drucksache 13/9340, S. 18 betr. die Einführung des Akteneinsichtsrechts im damaligen § 121 GWB).

Nach § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG hat die Gemeinde einem am Verfahren beteiligten Unternehmen zur Vorbereitung einer Rüge nach § 47 Abs. 2 Satz 3 EnWG auf Antrag Einsicht in die Akten zu gewähren. Aus dieser Vorschrift ergibt sich ein weitgehend voraussetzungsloses Akteneinsichtsrecht zum Zwecke der Überprüfung der gemeindlichen Auswahlentscheidung auf entscheidungserhebliche Rechtsverletzungen; durch den unterlegenen Bieter darf insoweit "Ausforschung" betrieben werden, weil es nicht darauf ankommt, ob schon vorher genügend Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Entscheidung vorlagen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. August 2022 - VI-2 U (Kart) 4/21 -, juris Rn. 27; KG, Urteil vom 24. September 2020, 2 U 93/19, BeckRS 2020, 27566 Rn. 97; OLG Dresden, Urteil vom 10. Januar 2018, U 4/17 Kart, juris, Rn. 112 f.). Insbesondere beschränkt § 47 Abs. 3 S. 1 EnWG das Akteneinsichtsrecht nicht auf eine Information über die Gründe der Auswahlentscheidung, hier mithin den Auswertungsvermerk, im Sinne des § 46 Abs. 5 EnWG. Vielmehr verpflichtet § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG eine Gemeinde seinem Wortlaut nach dazu, einem unterlegenen Konzessionsbewerber "Einsicht in die Akten zu gewähren".

Das Akteneinsichtsrecht nach § 47 Abs. 3 EnWG bezieht sich grundsätzlich auf alle Akten und Akteninhalte des Vergabeverfahrens, nicht nur auf den Auswertungsvermerk. Entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten ist eine Einsicht in die Angebote der Mitbewerber nicht entbehrlich. Vielmehr besteht ein berechtigtes Interesse an der Einsicht auch in alle Angebote. Ein unterlegener Bewerber muss auch die Bewertung des siegreichen Angebots sowie durch Einsicht in alle Angebote und ihre Bewertungen die diskriminierungsfreie - einheitliche - tatsächliche Anwendung des nach der Auswahlentscheidung vollständig offenzulegenden Bewertungsmaßstabs auf alle Angebote prüfen können (OLG Frankfurt, Urteil vom 12. August 2021 - 11 U 1/21 (Kart) -, juris Rn. 144).

Inhaltlich erfasst der Begriff der Akten sämtliche bei der Vergabestelle im Zusammenhang mit dem Konzessionsvergabeverfahren vorhandenen Unterlagen und Aktenbestandteile einschließlich entsprechender Entwürfe, Vorbereitungsarbeiten und Abstimmungspapiere. Hierzu zählen beispielsweise insbesondere die folgenden Dokumente und Unterlagen:

- Korrespondenz der Vergabestelle mit den Bewerbern,

- von den Bewerbern eingereichte Unterlagen,

- die jeweiligen Verfahrensschritte vorbereitender interner Schriftverkehr der verfahrensführenden Stelle,

- Schriftverkehr der verfahrensführenden Stelle mit den beratenden Rechtsanwälten oder anderen technischen oder energiewirtschaftlichen Beratern,

- Schriftverkehr mit anderen Verwaltungsstellen der Gemeinde und mit Aufsichtsbehörden,

- Protokolle von Besprechungen und Bewerberpräsentationen,

- Protokolle von Nachverhandlungen mit Bewerbern,

- Verwaltungsanweisungen zur Wahrung des Geheimnisschutzes sowie der organisatorischen und personellen Trennung von Vergabestelle und gemeindeeigenem Bewerber,

- Unterlagen zur Auswertung der von den Bewerbern eingereichten Angebote, insbesondere der Auswertungsvermerk und die Bepunktung der verschiedenen Angebote und

- die Angebote selbst (vgl. LG München I, Urteil vom 11. März 2022 - 37 O 14213/21 -, juris Rn. 68 ff. m.w.N.)

Ohne Belang ist in diesem Zusammenhang, ob die Verfügungsbeklagte die entsprechenden Dokumente physisch in dem fraglichen Konzessionsvergabeverfahren spezifisch gewidmeten Aktenbänden an einem einzelnen Ort sammelt oder diese Dokumente an verschiedenen Stellen aufbewahrt. Für das Konzessionsvergabeverfahren gilt der auch im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht maßgebliche materielle Aktenbegriff, so dass auch teils elektronisch, teils papiergebunden geführte "Hybrid-Akten", beigezogene Akten anderer Behörden und Gerichte sowie möglicherweise geführte "Schattenakten" von dem Recht auf Akteneinsicht erfasst sind (Huck in: Huck/Müller, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl. 2020, VwVfG, § 29 Rn. 15; BeckOK VwVfG, Herrmann in: BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, 59. Edition, Stand: 01.04.2023, VwVfG, § 29 Rn. 9 f.; LG München I, Urteil vom 11. März 2022 - 37 O 14213/21 -, juris Rn. 79).

b. Den aus § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG folgenden Akteneinsichtsanspruch der Verfügungsklägerin hat die Verfügungsbeklagte bislang nicht erfüllt. Denn die vollständige Herausnahme der Angebote der SNGR aus der Vergabeakte und die Beschränkung der Akteneinsicht auf den Auswertungsvermerk, in dem die Verfügungsbeklagte nach eigener Auswertung lediglich teilweise Inhalte des Angebots der SNGR referiert, steht ebenso wie der Umstand, dass die Verfügungsklägerin möglicherweise auch weitere Aktenbestandteile nicht einsehen konnte, nicht im Einklang mit dem gesetzlich verbrieften Akteneinsichtsanspruch der Verfügungsklägerin aus § 47 Abs. 3 EnWG.

aa. Die Voraussetzung für einen Akteneinsichtsanspruch der Verfügungsklägerin nach § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG liegt vor.

Den dafür gemäß § 47 Abs. 3 Satz 2 EnWG allein notwendigen Antrag in Textform binnen einwöchiger Frist nach Zugang der Information nach § 46 Abs. 3 Satz 2 EnWG hat sie mit ihrem an die Verfügungsbeklagte gerichteten Schreiben vom 27. Mai 2022 gestellt, nachdem die Verfügungsbeklagte ihr mit Schreiben vom 20. Mai 2022 mitgeteilt hatte, dass der Abschluss des Wegenutzungsvertrages Strom für das Stadtgebiet L. (Los 1) mit der im Rahmen der Auswahlentscheidung obsiegenden SNGR beabsichtigt sei.

Zur Begründung des Akteneinsichtsanspruchs muss - über den Antrag auf Akteneinsicht hinaus - die Rüge einer Rechtsverletzung nicht erhoben werden (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. August 2022 - VI-2 U (Kart) 4/21 -, juris Rn. 29; Urteil vom 4. November 2020 - I-27 U 3/20 - juris Rn. 32, 33), denn nach dem Gesetzeswortlaut des § 47 Abs. 3 S. 1 EnWG dient die Akteneinsicht "zur Vorbereitung einer Rüge", also der Durchsicht der Akte durch den unterlegenen Bewerber im Hinblick auf ihn möglicherweise diskriminierende Rechtsverstöße der Kommune zu seinem Nachteil. Dass die Verfügungsklägerin hier (nach dem vorausgegangenen Verfahren 74 O 54/22) gleichwohl - soweit bereits möglich - Rügen erhoben hat, ist daher unschädlich.

bb. Auf die abschließende Klärung der umstrittenen Rechtsfrage, ob allein eine Verletzung des Akteneinsichtsrechts aus § 47 Abs. 3 EnWG - ohne Erhebung einer Rüge - im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens isoliert geltend gemacht werden kann (so OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. August 2022 - VI-2 U (Kart) 4/21 -, juris Rn. 29; Urteil vom 4. November 2020 - I-27 U 3/20 - juris Rn. 32, 33; KG, Urteil vom 24. September 2020 - 2 U 93/19.EnWG -, juris Rn. 94; OLG Dresden, Urteil vom 7. Oktober 2020 - U 1/20 Kart -, juris Rn. 26; OLG Dresden, Urteil vom 18. September 2019 - U 1/19 Kart -, juris; LG München I, Urteil vom 11. März 2022 - 37 O 14213/21 -, juris Rn. 46; dagegen: OLG Koblenz, Urteil vom 12. September 2019 - U 678/19 Kart -, juris Rn. 26; LG Stuttgart, Urteil vom 18. Februar 2021 - 11 O 398/20 -, juris Rn. 32; mit der Formulierung "dürfte" jedenfalls noch offenlassend und ohne weitergehende Begründung: OLG Celle, Beschluss vom 5. August 2022 - 13 U 81/21 -, juris Rn. 10), kommt es hier nicht weiter an.

Der Anspruch der Verfügungsklägerin ist in formeller Hinsicht nicht etwa durch das Urteil der Kammer vom 05.08.2022 in dem Verfahren 74 O 54/22 gesperrt. Denn die Verfügungsklägerin hatte zuvor bereits mit Schreiben vom 14.06.2022 gerügt, dass die Akteneinsicht unvollständig gewährt worden sei, die Verfügungsbeklagte hatte mit Schreiben vom 21.06.2022 nicht abgeholfen und die Verfügungsklägerin hatte sodann das (erste) einstweilige Verfügungsverfahren angestrengt. Mehr war von der Verfügungsklägerin insofern nach der geltenden Rechtslage nicht zu verlangen. Auch in materiell rechtlicher Hinsicht ergibt sich insofern aus dem Urteil vom 05.08.2022 (74 O 54/22) nicht etwa eine Sperrwirkung für das vorliegende Verfahren.

cc. Eine Rechtsverletzung ist dann gegeben, wenn die Wertungsentscheidung der Kommune zu einem Auswahlkriterium aufgrund einer ungerechtfertigten Vorenthaltung von Akteneinsicht für den Bewerber intransparent ist (OLG Celle, Beschluss vom 5. August 2022 - 13 U 81/21 -, juris Rn. 11; Urteil vom 16. Juni 2022 - 13 U 67/21 (Kart) -, Rn. 163, juris; Theobald/Kühling/Theobald/Schneider, 115. EL Januar 2022, EnWG § 47 Rn. 47). Hierdurch wird ihm eine Überprüfung der Wertungsentscheidung unmöglich gemacht oder jedenfalls unzulässig erschwert. In diesem Fall muss der unterlegene Bewerber nicht zusätzlich vortragen, dass insoweit auch Anhaltspunkte für einen Wertungsfehler vorliegen. Es genügt, dass die Wertungsentscheidung für ihn - und das Gericht - durch die vorgenommenen Schwärzungen nicht mehr hinreichend nachvollziehbar ist. Eine solche Intransparenz kann sich nicht nur durch eine Schwärzung des Auswertungsvermerks ergeben. Auch dann, wenn nur das Angebot des obsiegenden Bewerbers geschwärzt ist - oder wie hier gänzlich vorenthalten wird -, kann dies zur Intransparenz der Wertung führen (OLG Celle, Beschluss vom 5. August 2022 - 13 U 81/21 -, juris Rn. 11). So liegt es hier.

Soweit das OLG Celle in seinem Beschluss vom 5. August 2022 - 13 U 81/21 -, juris Rn. 11, weitergehend - ohne dies abschließend zu entscheiden - die Auffassung andeutet, dass einerseits zwar eine Intransparenz vorliegen könne, wenn für die Wertung wesentliche Elemente des Angebots nicht in dem Auswertungsvermerk dargestellt werden, sondern insoweit auf das Angebot Bezug genommen wird, dass andererseits die bloße Möglichkeit, die Gemeinde könne das Angebot in dem Auswertungsvermerk unzutreffend wiedergegeben haben, grundsätzlich nicht ausreichen "dürfte" um die Intransparenz einer Wertungsentscheidung zu begründen, wenn nicht entsprechende Anhaltspunkte für eine unzutreffende Darstellung der Angebote vorliegen, kann dies nicht überzeugen.

Denn die Frage des Umfangs des Anspruchs auf Akteneinsicht ist in erster Linie anhand der gesetzlichen Vorschriften zu beantworten.

Dabei ist der Wortlaut des § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG " Einsicht in die Akten" (und nicht etwa nur in den Auswertungsvermerk nach § 46 Abs. 5 EnWG) zu gewähren, absolute Grenze für die weitere Auslegung der Vorschrift.

Sinn und Zweck des Akteneinsichtsrechts des § 47 Abs. 3 S. 1 EnWG ist es, dem unterlegenen Mitbewerber eine effektive Überprüfung der Konzessionsvergabeentscheidung durch die Kommune auf Diskriminierungsgesichtspunkte zu ermöglichen, konkret den Auswertungsvermerk mit den Angeboten auf eventuelle Übertragungsfehler abgleichen und auch weitere, durch den Auswertungsvermerk noch nicht bekannte und erkennbare Anhaltspunkte für Rügen entdecken zu können (vgl. OLG Dresden, Urt. v. 18.09.2019, Az. U 1/19 Kart, juris Tz. 27; LG München I, Urteil vom 11. März 2022 - 37 O 14213/21 -, juris Rn. 81).

Auch aus der Gesetzessystematik ergibt sich, dass dem unterlegenen Konzessionsbewerber mit der Regelung des § 47 Abs. 3 EnWG ein umfassendes und inhaltlich weit zu verstehendes Akteneinsichtsrecht an die Hand gegeben werden sollte. Denn wenn der Gesetzgeber beabsichtigt hätte, Gemeinden nur zur Offenlegung des Auswertungsvermerks und nicht der Angebotsunterlagen des obsiegenden Konzessionsbewerbers zu verpflichten, hätte dies im Wortlaut ohne weiteres zum Ausdruck gebracht werden können. Insofern ist in den Blick zu nehmen, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Regelung der §§ 46, 47 EnWG im Übrigen begrifflich klar und spezifisch zwischen konkreten Informationspflichten und -mitteilungen differenziert. So ist die Gemeinde auf der Stufe der Ausschreibung der zu vergebenden Konzession gemäß § 46 Abs. 4 Satz 4 EnWG verpflichtet, "die Auswahlkriterien und deren Gewichtung" mitzuteilen. Auf der Stufe der Auswahlentscheidung ist die Gemeinde dann gemäß § 46 Abs. 5 Satz 1 EnWG verpflichtet, die unterlegenen Konzessionspetenten "über die Gründe der vorgesehenen Ablehnung ihres Angebots und über den frühesten Zeitpunkt des beabsichtigten Vertragsschlusses in Textform zu informieren". Trotz dieser begrifflichen Differenzierungen findet sich in § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG zum Zwecke der Herstellung der nötigen Transparenz der Auswahlentscheidung bewusst der umfassendere Begriff der "Einsicht in die Akten" LG München I, Urteil vom 11. März 2022 - 37 O 14213/21 -, juris Rn. 83).

Dieses weite Verständnis des gesetzlichen Akteneinsichtsrechts aus § 47 Abs. 3 EnWG wird bestätigt durch eine Betrachtung der historischen Gesetzesentstehung und der insofern festzustellenden Intention des Gesetzgebers, der einerseits ein strenges Präklusionsregime mit sehr kurzen Rügefristen geschaffen hat, andererseits im Gegenzug die Transparenz des Verfahrens durch ein umfassendes Akteneinsichtsrecht stärken wollte. Daher setzt eine Rügeobliegenheit in Bezug auf die von der Gemeinde getroffene Auswahlentscheidung voraus, dass dem unterlegenen Bewerber "zügig Informationen über sämtliche Tatsachen zugänglich gemacht werden, die eine Verletzung in seinen Rechten begründen könnten" (OLG Celle, Beschluss vom 5. August 2022 - 13 U 81/21 -, juris Rn. 61; BR-Drucksache 18/8184, S. 17).

Auch eine verfassungskonforme Auslegung des § 47 Abs. 3 EnWG ergibt, dass vor dem Hintergrund des aus Art. 20 Abs. 3 GG resultierenden Gebotes effektiven Rechtsschutzes der Verfügungsklägerin - ggf. eingeschränkt nur durch den Zweck einer Rügevorbereitung bzw. nach der gebotenen Abwägung von ggf. zu wahrenden konkreten Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen gemäß § 47 Abs. 3 S. 3 EnWG - Akteneinsicht nicht nur in den von der Gemeinde erstellten Auswertungsvermerk, sondern auch in das Angebot der ausgewählten Bewerberin und auch im Übrigen in den Vergabevorgang zu gewähren ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 - 1 BvR 2087/03 -, juris Rn. 114; OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. August 2022 - VI-2 U (Kart) 4/21 -, juris Rn. 27; KG, Urteil vom 24. September 2020 - 2 U 93/19 -, juris Rn. 95; Huber in: Kment, EnWG, 2. Auflage 2019, § 47 Rn. 18 unter Bezugnahme auf die Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgRÄG), BT-Drucksache 13/9340, S. 18 betr. die Einführung des Akteneinsichtsrechts im damaligen § 121 GWB). Nur mit einer möglichst umfassenden Akteneinsichtsmöglichkeit wird der unterlegene Mitbewerber in die Lage versetzt, die von der Gemeinde getroffene Auswahlentscheidung nachzuvollziehen und eine Entscheidung betreffend die Ergreifung von Rechtsmitteln treffen zu können; nur so können letztlich auch die Gerichte die Auswahlentscheidung überprüfen.

Eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 47 Abs. 3 EnWG bestätigt diesen Befund. Zwar bestand zur Einführung eines Vergabeverfahrens, wie es in § 46 Abs. 2 bis 6 EnWG vorgesehen ist, unionsrechtlich keine Verpflichtung; gleichwohl unterliegt dessen Durchführung auch unionsrechtlichen Vorgaben (Hellermann in Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, 4. Auflage 2023, § 46 EnWG Rn. 25). Die Konzessionsvertragsvergabe mit - wie hier gegebener Binnenmarktrelevanz - unterliegt den primärrechtlichen Vorgaben des unionsrechtlichen Diskriminierungsverbots und Transparenzgebots, die der EuGH insbesondere mit Blick auf die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen entfaltet hat (vgl. EuGH Urt. v. 7. 12. 2000 - C-324/98, NZBau 2001, 148 Rn. 60 ff.; Urt. v. 21. 7. 2005 - C-231/03, NVwZ 2005, 1052 Rn. 16; Urt. v. 13. 10. 2005 - C-458/03, NVwZ 2005, 1407 Rn. 46 ff.) und die auch auf die Energiekonzessionsvertragsvergabe anwendbar sind, ohne dass es auf deren umstrittene Qualifikation als Dienstleitungskonzession ankommt (Hellermann in Bourwieg/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, 4. Auflage 2023, § 46 EnWG Rn. 73). Ohne ausreichende Akteneinsicht - über den Auswertungsvermerk hinaus - auch in das Angebot der ausgewählten Bewerberin und auch im Übrigen in den Vergabevorgang würde das unionsrechtliche Diskriminierungsverbots und Transparenzgebot verletzt.

Die Verfügungsklägerin muss sich daher als Mitbewerberin im Rahmen des durch § 47 Abs. 3 S. 1 EnWG gesetzlich verbrieften Akteneinsichtsrechts grundsätzlich nicht darauf verweisen lassen, darauf vertrauen zu müssen, dass die Kommune als Monopolistin die relevanten Angaben aus dem Angebot des ausgewählten Bewerbers im Auswertungsvermerk vollständig und zutreffend wiedergegeben hat, und sie im Übrigen Mutmaßungen über den Angebotsinhalt der ausgewählten Konkurrentin anstellen müsste (so auch das OLG Celle in dem Beschluss vom 5. August 2022 - 13 U 81/21 -, juris Rn. 61).

Die Auffassung, der gesetzliche Akteneinsichtsanspruch erstrecke sich von vornherein nicht auf die Angebote (so offenbar Theobald/Kühling/Theobald/Schneider, 115. EL Januar 2022, EnWG § 47 Rn. 44), findet im Gesetz keine Stütze. Vielmehr sind die Angebote ohne Weiteres Bestandteil der Vergabeakten. Möglicherweise beruht diese Auffassung auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, die noch die frühere Rechtslage vor Schaffung des gesetzlichen Akteneinsichtsanspruchs betrafen (OLG Celle, Beschluss vom 5. August 2022 - 13 U 81/21 -, juris Rn. 63).

Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen ist auch mehr als zweifelhaft, ob die vom BGH am Ende des Urteils vom 07.09.2021 - EnZR 29/20 -, juris RN. 33 - Gasnetz Rösrath lediglich als obiter dictum und damit nicht entscheidungstragend geäußerte Ansicht, dass über den ungeschwärzten Auswahlvermerk hinaus Einsicht in das Angebot der ausgewählten Konkurrentin nur in Betracht kommen werde, wenn die unterlegene Bewerberin substantiiert darlege, dass dies neben der Kenntnis des Auswahlvermerks notwendig sei, um erkennen zu können, aufgrund welcher Erwägungen die Gemeinde zu ihrem Auswahlergebnis gelangt sei, in Zukunft in eine entsprechende (ständige) Rechtsprechung des BGH zum § 47 Abs. 3 EnWG münden wird.

Insofern hatte das OLG Celle in seinem Beschluss vom 5. August 2022 - 13 U 81/21 -, juris Rn. 63 weiter ausgeführt hat, dass diese Auffassung dazu führen würde, dass die Anforderungen an den Auswertungsvermerk erheblich steigen würden und dann die Bewertungen im Auswertungsvermerk stets aus sich heraus nachvollziehbar sein müssten, ohne dass dabei ergänzend auf die Angebote zurückgegriffen werden könnte.

Eine solche Handhabung würde indes aus den bereits dargelegten Gründen zu einer Aushebelung des in § 47 Abs. 3 EnWG gesetzlich verbrieften umfassenden Akteneinsichtsanspruchs führen.

dd. Das Akteneinsichtsrecht nach § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG gilt nicht schrankenlos.

Die Verfügungsbeklagte kann den von der Verfügungsklägerin geltend gemachten Akteneinsichtsanspruch insbesondere bezüglich des vollständigen Angebots der SNGR aber nicht ohne weiteres und nicht wie geschehen beschränken.

(a) Zunächst wird das Akteneinsichtsrecht bereits durch seinen Zweck begrenzt, Rechtsverletzungen im Rahmen der Auswahlentscheidung rügen zu können. Diesem Sinn und Zweck entsprechend besteht es nur in Bezug auf Aktenbestandteile des Vergabevorgangs, die für die Auswahlentscheidung relevant sind (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. August 2022 - VI-2 U (Kart) 4/21 -, juris Rn. 31; Huber in Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl., § 47 Rn. 20; Embacher/Wolf, RdE 2019, 374). Aus den bereits dargestellten Gründen ist insofern aber nicht etwa eine Begrenzung nur auf den Auswertungsvermerk vorzunehmen. Vielmehr muss zur Sicherstellung einer umfassenden Überprüfung durch den Konzessionsbewerber, also zur Aufdeckung von Anhaltspunkten für Rechtsverletzungen, auch in weitere Aktenbestandteile und insbesondere in das Angebot des ausgewählten Bewerbers Einsicht gewährt werden.

(b) Außerdem ist das Akteneinsichtsrecht begrenzt durch § 47 Abs. 3 Satz 3 EnWG. Danach hat die Gemeinde das Akteneinsichtsrecht zu versagen, soweit dies zur Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen geboten ist.

Durch die Konjunktion "soweit" im Gesetzeswortlaut wird deutlich, dass es einer Abwägungsentscheidung zwischen dem Interesse des unterlegenen Bewerbers an der Akteneinsicht auf der einen und dem Interesse des für den Zuschlag vorgesehenen Unternehmens an der Wahrung seiner Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse auf der anderen Seite bedarf (OLG Celle, Beschluss vom 5. August 2022 - 13 U 81/21 -, juris RN. 62; OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. August 2022 - VI-2 U (Kart) 4/21 -, juris Rn. 32; OLG Koblenz, Urteil vom 12. September 2019, U 678/19 Kart, BeckRS 2019, 29906 Rn. 27).

Die notwendige Abwägungsentscheidung ist von der Gemeinde zu treffen. Das folgt unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut. Die Gemeinde ist Adressatin des § 47 Abs. 3 Satz 3 EnWG. Sie wird darin als diejenige benannt, die die Akteneinsicht zu versagen hat, soweit dies geboten ist.

Im Rahmen der Abwägung genügt das Interesse an der Aufrechterhaltung des Geheimwettbewerbs für sich genommen nicht, um eine Begrenzung der Akteneinsicht zu rechtfertigen. Denn es ist zu beachten, dass der Grundsatz des Geheimwettbewerbs im Fall der öffentlichen Auftragsvergabe im Wettbewerb um den jeweiligen Auftrag von vornherein durch das Transparenzgebot begrenzt wird (BGH, Urteil vom 7. September 2021 - Gasnetz Rösrath - Rn. 13; OLG Celle, Beschluss vom 5. August 2022 - 13 U 81/21 -, juris Rn. 62). Ein im damaligen Gesetzgebungsverfahren vom Bundesrat eingebrachter Vorschlag, den Akteneinsichtsanspruch auch zum Schutz des Geheimwettbewerbs zu begrenzen (BT-Drucksache 18/8184, S. 21), ist gerade nicht Gesetz geworden.

Mit der Zielrichtung des § 47 Abs. 3 EnWG ist es gerade nicht vereinbar, dass die Gemeinde - wie hier - die Akteneinsicht, zudem ohne jede Darlegung von Abwägungsgründen, durch einen Auswahlvermerk zu ersetzen versucht, in dem sie selbst die von ihr für relevant gehaltenen Teile aus dem Angebot der ausgewählten Bewerberin referiert. Damit würde der unterlegene Bewerber um die Möglichkeit einer eigenen Überprüfung der Auswahlentscheidung gebracht, die Auswahlentscheidung würde - wie hier - intransparent.

Auch ist insofern die vorherige Darlegung eines konkreten Offenlegungsinteresses durch die unterlegene Bewerberin gerade keine tatbestandliche Voraussetzung des § 47 Abs. 3 EnWG.

Vielmehr ist grundsätzlich umgekehrt zunächst von der Kommune konkret für jede geschwärzte oder anderweitig vorenthaltene (Original-)Information (Zahl, etc.) aus der Akte darzulegen, welche Art von Information jeweils betroffen ist und aus welchen konkreten Gründen der Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen dies unter Abwägung der beiderseitigen Interessen geboten ist (BGH, Urt. v. 07.09.2021 - EnZR 29/20 - Gasnetz Rösrath, juris Rn. 12; OLG Celle, Beschluss vom 5. August 2022 - 13 U 81/21 -, juris Rn. 65). Nur so ist eine transparente Auswahlentscheidung möglich. Andernfalls hätte die vergebende Gemeinde als Monopolistin es in der Hand die Auswahlentscheidung nach ihrem Belieben zu gestalten und durch (teilweises) Vorenthalten von Akteneinsicht eine objektive Nachprüfbarkeit - auch durch das Gericht - zu verhindern. Gerade dies sollte mit der Einführung des § 47 Abs. 3 EnWG unterbunden werden.

Die von der Gemeinde nach § 47 Abs. 3 Satz 3 EnWG zu treffenden Abwägungsentscheidung erfordert zunächst die Bestimmung der abzuwägenden Belange. Sie muss die gegen das Akteneinsichtsverlangen abzuwägenden Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse ermitteln. Dabei ist sie an die Mitteilung des für den Zuschlag vorgesehenen Unternehmens, welche seiner Angebotsinhalte als Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse anzusehen sind, nicht gebunden. Der Umfang des Geheimnisschutzes durch § 47 Abs. 3 Satz 3 EnWG wird nicht durch die Rechtsauffassungen der Verfahrensbeteiligten, sondern durch die objektive Rechtslage geprägt OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. August 2022 - VI-2 U (Kart) 4/21 -, juris Rn. 33; OLG Dresden, Urteil vom 7. Oktober 2020 - U 1/20 Kart - juris Rn. 30). Die Gemeinde hat die Angaben des Unternehmens zur Geheimhaltungsbedürftigkeit zu prüfen und danach, soweit auch nach ihrer Rechtsauffassung Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse vorliegen, eine Abwägungsentscheidung zu treffen und diese begründet mitzuteilen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. August 2022 - VI-2 U (Kart) 4/21 -, juris Rn. 33). Hier fehlt es bereits an der gebotenen Ermittlung der abzuwägenden Belange durch die Verfügungsbeklagte.

Zudem beeinträchtigt jede Vorenthaltung einer die Auswahlentscheidung tragenden Information auch den verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz im Rahmen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs, weil es insoweit in der Folge auch an einer gerichtlichen Überprüfung fehlen würde. Daher wird eine unvollständige Gewährung von Akteneinsicht nur in besonders gelagerten und eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht kommen können, nämlich soweit dies zum Schutz eines für die Zukunft des betroffenen Unternehmens essentiellen Geschäftsgeheimnisses ausnahmsweise unerlässlich ist. Es bedarf daher stets einer Abwägung, ob Geheimnisschutz auch angesichts des Interesses an einem effektiven Rechtsschutz zu gewähren ist (BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006, 1 BvR 2087/03, NVwZ 2006, 1041 Rn. 114; OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. August 2022 - VI-2 U (Kart) 4/21 -, juris Rn. 40). An einer solchen Abwägung seitens der Verfügungsbeklagten fehlt es hier ebenfalls.

(c) Die von der Verfügungsbeklagten bisher gegebene Begründung der Verweigerung einer weitergehenden Akteneinsicht genügt all diesen Anforderungen nicht. Die Verfügungsbeklagte hat den durch § 47 Abs. 3 EnWG festgeschriebenen Grundsatz, dass in der Regel vollständige Akteneinsicht in den Auswahlvorgang zu gewähren ist und nur ausnahmsweise bestimmte einzelne Informationen zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen vorenthalten werden dürfen, nicht beachtet.

Die Verfügungsbeklagte hat gegenüber der Verfügungsklägerin zu der eingeschränkten Akteneinsicht im ersten Nichtabhilfeschreiben vom 21.06.2022 mitgeteilt, dass eine Einsicht in das konkurrierende Angebot "zu diesem Zeitpunkt" nicht in Betracht komme, eine "Offenlegung der Angebote regelmäßig nicht erforderlich" sei, wenn das Angebot Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthalte. Im vorliegenden Fall hätten alle Bieter den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen geltend gemacht, wie von Kap 3.5. (1) der Wettbewerbsunterlagen Teil A. vorgesehen sei. Die Wettbewerbsunterlagen würden in Kapitel 3.5. (3) vorsehen, dass die Angebotsbewertung offengelegt wird und dass sich die Bieter damit einverstanden erklären. Es sei auch zu berücksichtigen, dass sie die beteiligten Unternehmen jedenfalls mittelbar auch in anderen Konzessionsvergabeverfahren gegenüberstehen würden, so dass die Offenlegung des Auswertungsgutachten ausreiche.

Diese Begründung zeigt, dass das Vorgehen der Verfügungsbeklagten den Anforderungen des § 47 Abs. 3 EnWG offensichtlich nicht entspricht. Der allgemeine Verweis darauf, dass eine Einsicht in das konkurrierende Angebot nicht in Betracht komme, wenn dieses Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthalte, verkennt grundlegend die oben bereits dargestellten Anforderungen an die Ermittlungen und die Abwägungsentscheidung nach § 47 Abs. 3 S. 3 EnWG. Es wird bereits nicht deutlich, ob die Verfügungsbeklagte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der SNGR überhaupt, ggf. welche konkret ermittelt hat. Der Umstand, dass sich die Bieter nach den Wettbewerbsunterlagen damit einverstanden erklären mussten, dass die Angebotsbewertung offengelegt wird, lässt selbstverständlich nicht das Akteneinsichtsrecht nach § 47 Abs. 3 S. 1 EnWG entfallen und macht auch die nach § 47 Abs.3 S. 3 EnWG von der Gemeinde zu treffende Abwägungsentscheidung nicht etwa entbehrlich.

Die Verfügungsbeklagte führt im Nichtabhilfeschreiben vom 21.06.2022 insofern weiter aus: "Da der Wertungsvorgang damit im Detail nachvollzogen werden kann, überwiegt hinsichtlich der einzelnen Angebotsdateien das Geheimhaltungsinteresse des jeweiligen Bieters." Dieser pauschale Hinweis enthält ebenfalls offensichtlich keine Abwägung konkreter Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse mit dem Akteneinsichtsrecht der Verfügungsklägerin und ihrem damit zusammenhängenden Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes.

In dem zweiten Nichtabhilfeschreiben vom 15.11.2022 verweist die Verfügungsbeklagte insofern lediglich auf Ihren Nichtabhilfebeschluss vom 21.06.2022 und darauf, dass, soweit die Verfügungsklägerin ein konkretes Offenlegungsinteresse darlege, hierauf bei den einzelnen Kriterien eingegangen werde, was indes - soweit hier noch von der Kammer, weil für die Entscheidung nicht mehr relevant, nur stichprobenhaft geprüft - gleichwohl nicht der Fall ist.

Mit der Antragserwiderung der Verfügungsbeklagten vom 25.01.2023 wird deutlich, dass diese sich auf ein sehr eigenes Verständnis verschiedener gerichtlicher Entscheidungen zurückziehen und auf diese Weise begründen möchte, dass Angebote von Mitbewerbern nur im Ausnahmefall vorzulegen seien, im Einzelnen dargelegt werden müsse, aus welchen Gründen die Nachvollziehbarkeit beeinträchtigt sein soll und andernfalls durch einfaches Bestreiten mit Nichtwissen von - lediglich im Auswahlvermerk referierten - Angebotsinhalten die Ausnahme zur Einsicht in die Angebote zur Regel gemacht werden könnte. Dies offenbart ein grundlegendes Missverständnis der maßgeblichen gesetzlichen Konstruktion des § 47 Abs. 3 EnWG, die - wie oben bereits dargelegt - genau anders herum funktioniert: Eine unvollständige Gewährung von Akteneinsicht kommt nur in besonders gelagerten und eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, soweit dies zum Schutz eines für die Zukunft des betroffenen Unternehmen essentiellen Geschäftsgeheimnisses ausnahmsweise unerlässlich ist, wobei es insofern stets einer Abwägung bedarf, ob Geheimnisschutz auch angesichts des Interesses an einem effektivem Rechtsschutz zu gewähren ist (BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006, 1 BvR 2087/03, NVwZ 2006, 1041 Rn. 114; OLG Düsseldorf, Urteil vom 17. August 2022 - VI-2 U (Kart) 4/21 -, juris Rn. 40).

Das Vorgehen der Verfügungsbeklagten entspricht damit nicht den dargestellten Anforderungen des § 47 Abs. 3 EnWG an das Akteneinsichtsrecht. Die Verfügungsbeklagte hat nicht dargelegt, ob und ggf. welche Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der SNGR sie überhaupt ermittelt hat und aus welchen konkreten Abwägungsgründen sie der Verfügungsklägerin das gesamte Angebot der SNGR sowie ggf. auch im Übrigen weitergehende Akteneinsicht vorenthält.

ee. Selbst wenn man mit der Ansicht der Verfügungsbeklagten annehmen wollte, eine Einsicht in das Angebot der SNGR sei nur zu gewähren, wenn die Verfügungsbeklagte substantiiert darlegte, aus welchen Gründen sie neben der Kenntnis des Auswertungsvermerks auch Einsicht in das Angebot der SNGR benötige, sei hier hilfsweise angemerkt, dass die Verfügungsklägerin zu zahlreichen Einzelkriterien Anhaltspunkte dafür vorgetragen hat, dass die Wertungsentscheidung der Verfügungsbeklagten für sie - und damit auch für das Gericht - aufgrund der vorenthaltenen Akteneinsicht nicht mehr hinreichend nachvollziehbar ist. Auf die Rüge-Details betreffend die einzelnen Kriterien kommt es im Rahmen dieser Entscheidung indes nicht mehr an.

Denn soweit die Verfügungsklägerin ihren Unterlassungsanspruch aufgrund unbilliger Behinderung oder Diskriminierung nach § 19 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 GWB mit Bewertungsfehlern der Verfügungsbeklagten begründet, ist hierüber in Ermangelung einer ordnungsgemäßen Bescheidung ihres Akteneinsichtsgesuchs im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.

Dies deshalb, weil die Akteneinsicht nach § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG - wie bereits ausgeführt gerade erst der Vorbereitung einer Rüge nach § 47 Abs. 2 Satz 3 EnWG dient, also der Rüge von Rechtsverletzungen im Rahmen der Auswahlentscheidung. Sie ist der Überprüfung der Auswahlentscheidung prozessual vorgelagert. Erst auf der Grundlage einer nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen erteilten umfassenden Akteneinsicht kann die Verfügungsklägerin die Bewertung der Angebote prüfen und gegebenenfalls bestehende Fehler hinreichend substantiiert rügen. Auch dem Gericht ist erst danach eine erschöpfende Überprüfung der Beanstandungen der Auswahlentscheidung möglich. Eine Überprüfung der Rügen wäre demnach derzeit nicht weiterführend und hat daher hier zunächst zu unterbleiben.

Auch kann hier nicht etwa bereits eine teilweise Überprüfung der Rügen im Übrigen, soweit diese unabhängig von der Frage der Akteneinsicht erhoben worden sind, erfolgen. Denn eine teilweise Entscheidung über die Frage, ob die Verfügungsbeklagte den Vertragsabschluss mit der SNGR zu unterlassen hat, ist nicht möglich; sie hat derzeit den Vertragsschluss jedenfalls wegen unzureichend gewährter Akteneinsicht zu unterlassen. Die Verfügungsklägerin wird vielmehr solche Rügen, die sie auch nach weitergehender Akteneinsicht unverändert aufrechterhalten möchte, ggf. zu wiederholen haben.

Insofern werden Rügen, die bislang nicht präkludiert waren, und nach neu gewährter Akteneinsicht erweitert begründet oder erstmals neu vorgebracht werden, nicht präkludiert sein. Denn wenn eine Akteneinsicht nach Abs. 3 erfolgt, wie sie hier unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts nachzuholen sein wird, beginnt die 30-Tagesfrist des Abs. 2 S. 3 EnWG zur Rüge von Rechtsverletzungen im Rahmen der Auswahlentscheidungen, die aus der Ablehnungsmitteilung nach Abs. 4 S. 4 EnWG erkennbar sind, erneut ab dem ersten Tag, an dem die Gemeinde die Akten zur Einsicht bereitgestellt hat. In der Folge wird die Verfügungsbeklagte bereits aufgrund der gesetzlichen Vorgabe des § 47 Abs. 4 EnWG erneut die Abhilfe bezüglich der neuen bzw. ergänzend begründeten Rügen zu prüfen haben. Die Verfügungsklägerin wird nach erteilter Akteneinsicht ein weiteres Verfahren nach § 47 Abs. 5 EnWG anstrengen können.

ff. Die von der Verfügungsklägerin aufgeworfene Frage einer organisatorischen und personellen Trennung von Vergabestelle und Bewerber zur Wahrung der gebotenen Neutralität, ist mit den dem Gericht bislang vorliegenden Unterlagen nicht abschließend zu beantworten.

(a) Bei dem Trennungs- und Neutralitätsgebot handelt es sich um einen wesentlichen Eckpfeiler des Konzessionsvergabeverfahrens. Gemeinden ist es zwar grundsätzlich schon in Ausübung der verfassungsrechtlich gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten kommunalen Selbstverwaltung ohne weiteres erlaubt, die örtliche Energieversorgung über kommunale Eigenbetriebe sicherzustellen. Zur Sicherstellung des gemäß § 1 Abs. 2 EnWG geforderten wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs müssen Eigengesellschaften aber in diskriminierungsfreier Art und Weise an dem Vergabeverfahren nach §§ 46, 47 EnWG beteiligt werden. Insbesondere muss eine Gemeinde auch im Hinblick auf einen kommunalen Eigenbetrieb die für das Vergabeverfahren vorab definierten Vergabekriterien einhalten. Eine Vorfestlegung hat zu unterbleiben. Hieraus folgt, dass, auch auf der Ebene der Gemeindeverwaltung, eine strenge organisatorische und personelle Trennung zwischen der Vergabestelle und dem jeweiligen Eigenbetrieb vorzunehmen ist.

Angesichts dieser grundlegenden Bedeutung des Trennungs- und Neutralitätsgebotes kommt es für die Feststellung eines möglichen Verstoßes nicht darauf an, ob die Auswahlentscheidung tatsächlich durch unsachliche Erwägungen beeinflusst worden ist. Vielmehr genügt bereits eine Konstellation, die geeignet ist, das Fehlen der notwendigen Unparteilichkeit der zuständigen Vergabestelle zu begründen. Das Rechtsstaatsgebot und der Grundsatz des freien Wettbewerbs gebieten es den Gemeinden, alles zu vermeiden, was auch nur den "bösen Schein" mangelnder Objektivität erwecken könnte. Das notwendige Vertrauen der Öffentlichkeit in die Transparenz und Diskriminierungsfreiheit des Auswahlverfahrens fordern eine strenge Sichtweise. Der Beweis für eine Kausalität von personellen Verflechtungen für eine ihm nachteilige Entscheidung ist für den Bieter, der im Wege einstweiliger Verfügung den Zuschlag auf einen Mitkonkurrenten zu verhindern sucht, regelmäßig nicht zu führen (BGH, Urt. v. 12.10.2021 - EnZR 43/20 - Stadt Bargeheide, juris Rn. 34 ff.).

(b) Ein Verstoß gegen das Trennungs- und Neutralitätsgebot ist von der Verfügungsklägerin nicht nur völlig unsubstantiiert ins Blaue hinein behauptet worden.

(aa) Im Gegenteil erscheint es der Kammer schon auf Grund der Tatsache, dass die von der Verfügungsbeklagten als Nachweis der erforderlichen Trennung erlassene Verwaltungsanweisungen vom 10./14.09.2020 (Anl. AG 18 und 19) auf einen Zeitpunkt datiert sind, zu dem das im Bundesanzeiger vom 30.03.2020 bekannt gemachte Vergabeverfahren bereits seit mehreren Monaten in Gang gesetzt war, denkbar, dass eine hinreichende Trennung nicht eingehalten wurde.

(bb) Auch lassen die vorgelegten Verwaltungsanweisungen inhaltlich erkennen, dass lediglich die Verwaltungssachbearbeiterin und ihre Vertreterin angewiesen war, Ihrerseits Informationen an Mitarbeiter der SNGR nicht weiterzugeben und diesen keine Auskünfte zu erteilen. Zu den in diesem Zusammenhang fraglos mindestens ebenso interessierenden Informations- bzw. Einflussnahmemöglichkeiten von der SNGR auf die Vergabestelle verhält sich die Verfügungsbeklagte indes nicht.

(cc) Ebenso bleiben die innere Organisation der Vergabestelle, auch das genaue Zusammenwirken mit den Prozessbevollmächtigten der Verfügungsbeklagten, die insofern im Verfahren als Anlaufstelle fungierten, hinsichtlich derer die Verfügungsbeklagte aber bestreitet, dass diese als Vergabestelle fungiert hätten, und deren Kontakte mit der SNGR nach den dem Gericht bislang vorliegenden Unterlagen im Unklaren.

(dd) Ein Indiz für eine unzulässige Vorfestlegung und damit auch für eine Verletzung des Neutralitätsgebots könnte weiterhin darin zu sehen sein, dass - wie die Verfügungsklägerin mit Schriftsatz vom 31.03.2023 vorgetragen hat - der erste Stadtrat und Kämmerer der Stadt R. , Herr G., sich Anfang 2019 bezüglich der Gründung der SNGR gegenüber der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung dahingehend geäußert habe, dass die Kommune sich eine Rendite erhoffe und letztlich Eigentum am Strom- und Gasnetz aufbauen wolle, dann idealerweise alles in einer Hand liege und man Tafelsilber schaffen wolle. Angesichts solcher Äußerungen ist es naheliegend zu fragen, wie die genauen stadtinternen Organisationsstrukturen auch zwischen Kämmerer, der SNGR und der Vergabestelle im Einzelnen ausgestaltet waren.

(ee) Weiterhin begegnet es - vor dem Hintergrund einer im Hinblick auf das Neutralitätsgebot unzulässigen einseitigen Vorfestlegung - Bedenken, dass der Rat der Stadt R. in seinem Beschluss vom 19.05.2022 die Verwaltung nicht nur ermächtigt hat, auf Basis der ersten Angebotsauswertung vom 21.03.2022 die konsolidierten Verträge zu unterzeichnen, sondern zugleich beschlossen hat, dass die Verwaltung über etwaige künftige Anträge auf Akteneinsicht sowie etwaige künftige Rügen gegen die Auswahlentscheidung ohne erneute Gremienbefassung entscheiden dürfe, soweit sich dadurch das Verfahrensergebnis nicht ändere. Grundsätzlich obliegt insofern nach § 58 Abs. 1 NKomVG (wohl Nr. 14) dem Rat die Beschlussfassung über diese Angelegenheit. Insofern der Rat jedoch die Entscheidung über weitere Rügen - unabhängig von deren Reichweite und Würdigung - letztlich der Verwaltung überlässt, soweit es nur bei der SNGR als ausgewählter Bewerberin bleibt, und selbst keine erneute eigenverantwortliche Nachprüfung einer neuerlichen Auswertungsentscheidung der Verwaltung vornehmen und keinen neuen Beschluss nach § 58 Abs. 1 NKomVG fassen möchte, erscheint dies einerseits vor dem Hintergrund der kommunalverfassungsrechtlichen Aufgabenverteilung zwischen Rat und Verwaltung und die Bedeutung der Entscheidung für die Kommune als mindestens bedenklich, andererseits jedoch auch als eine - im Sinne einer unzulässigen und das Neutralitätsgebot verletzende - wegleitenden Vorfestlegung auf die SNGR als die von der Verwaltung möglichst auszuwählende Bewerberin.

II. Schließlich liegt auch die für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch erforderliche Begehungsgefahr vor. Mit dem Nichtabhilfeschreiben vom 15.11.2022 hat die Verfügungsbeklagte das Akteneinsichtsgesuch der Verfügungsklägerin rechtswidrig zurückgewiesen. Mit einem Abschluss des Konzessionsvertrages würde eine Vertiefung der in der rechtswidrig verweigerten Akteneinsicht liegenden Rechtsverletzung drohen (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 04.11.2020, - I-27 U 3/20 - Rn. 30).

Der Anspruch war daher wie geschehen zu tenorieren, um den Abschluss des Konzessionsvertrages der Verfügungsbeklagten mit der SNGR vorläufig zu unterbinden und sicherzustellen, dass die rechtlich gebotene Akteneinsicht nachgeholt werden kann und die Rügen nach Gewährung der Akteneinsicht binnen der gemäß § 47 Abs. 2 Satz 4 EnWG einheitlich für sämtliche Rügen neu laufenden Frist von 30 Kalendertagen geltend gemacht werden können.

C. Einen Verfügungsgrund im Sinne von §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO musste die Verfügungsklägerin gemäß § 47 Abs. 5 Satz 3 EnWG nicht glaubhaft machen, wobei sich ein solcher unproblematisch aus der gemäß §§ 935, 940 ZPO erforderlichen Rechtsgefährdung, der Gefahr eines Vertragsschlusses der Verfügungsbeklagten (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 04.11.2020, - I-27 U 3/20 - juris Rn. 52). mit der SNGR ergäbe. Angesichts des vom 15.11.2022 datierenden Nichtabhilfeschreibens betreffend sowohl das von der Verfügungsklägerin geltend gemachte Akteneinsichtsrecht als auch die soweit möglich zugleich unpräjudiziell vorgetragenen, weiteren Verfahrens- und Sachrügen droht - jedenfalls nach Abschluss des hiesigen Verfahrens - ein Vollzug der mit Ratsbeschluss vom 19.05.2022 erfolgten Vergabeentscheidung.

D. Die Ordnungsmittelandrohung folgt aus § 890 ZPO.

E. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich, ohne dass dies im Tenor auszusprechen war, aus der Natur des streitgegenständlichen Verfahrens als einstweiliges Verfügungsverfahren (Götz in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, ZPO, § 704 Rn. 15).