Landgericht Hannover
Urt. v. 26.04.2023, Az.: 11 O 128/22

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
26.04.2023
Aktenzeichen
11 O 128/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 50598
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2023:0426.11O128.22.00

In dem Rechtsstreit
XXX
- Kläger -
Prozessbevollmächtigte:
XXX
XXX
XXX
gegen
1. XXX
- Beklagte zu 1. -
2. XXX
XXX
- Beklagte zu 2. -
Prozessbevollmächtigte:
XXX
XXX
XXX
hat das Landgericht Hannover - 11. Zivilkammer - durch die Richterin am Landgericht
XXX als Einzelrichterin auf die mündliche Verhandlung vom 12.04.2023
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Beklagte zu 2.) wird verurteilt, an den Kläger 5.092,84 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.10.2021 sowie weitere 627,15 € nebst Zinsen seit dem 12.01.2023 zu zahlen.

  2. 2.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  3. 3.

    Mit Ausnahme der durch die Säumnis des Klägers entstandenen Kosten, welche der Kläger selbst trägt, tragen die Gerichtskosten der Kläger und die Beklagte zu 2.) je zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagte zu 1.) trägt der Kläger. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte zu 2.) zur Hälfte, im Übrigen tragen die Parteien ihre Kosten selbst.

  4. 4.

    Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht.

Der Kläger befuhr mit seinem Fahrzeug am 01.10.2021 die XXX, in welcher er auch wohnt. In der Straße befand sich eine Baustelle, welche von der Beklagte zu 2.) als Generalunternehmerin unterhalten wurde.

Das Fahrzeug des Klägers wurde beschädigt, indem er über zwei auf der Straße befindliche Schildständer fuhr - was die Beklagte mit Nichtwissen bestreitet.

Die Kosten einer Reparatur betragen 4.243,00 € netto sowie weitere 824,81 € für ein Privatgutachten. Ferner verlangt der Kläger eine Unfallkostenpauschale in Höhe von 30,00 €.

Der Kläger hat zunächst Klage gegen die Beklagte zu 1.) erhoben. Gegen das im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 05.10.2022 gegen den Kläger ergangene Versäumnisurteil, welches das Gericht an den Kläger am 12.10.2022 zugestellt hat, hat dieser mit Schriftsatz vom 19.10.2022, eingegangen bei Gericht am gleichen Tag, Einspruch eingelegt. Mit weiterem Schriftsatz vom 11.01.2023 und im Einspruchstermin vom 11.01.2023 hat der Kläger die Klage gegen die Beklagte zu 2.) erweitert und die Klage gegen die Beklagte zu 1.) zurückgenommen.

Der Kläger behauptet, die Schildständer stammen von der Baustelle der Beklagten und seien im Vorhinein nicht erkennbar gewesen. Die Kollision sei für ihn unvermeidbar gewesen.

Der Kläger beantragt nunmehr,

die Beklagte zu 2.) zu verurteilen,

  1. 1.

    an ihn 5.097,84 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.10.2021 zu zahlen;

  2. 2.

    an ihn weitere 627,15 € an vorprozessualen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte zu 2.) beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Kläger sei unaufmerksam gewesen. Die Herkunft der Schildständer von der Baustelle der Beklagten bestreitet sie, da an der Unfallstelle noch andere Baustellen betrieben hätten.

Das Gericht hat den Kläger informatorisch zum Unfallhergang angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der informatorischen Anhörung wird auf die Niederschrift des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 12.04.2023 (Bl.176 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.

I.

Der Einspruch des Klägers ist zulässig und statthaft, da sich der Kläger binnen der nach § 339 ZPO zu wahrenden Einspruchsfrist gegen das gegen ihn ergangene Versäumnisurteil gewendet hat, welches ergangen war, da dieser im Termin zur mündlichen Verhandlung am 05.10.2022 unentschuldigt nicht erschienen war, § 330 ZPO. Durch den statthaften und zulässigen Einspruch wurde der Prozess gemäß § 342 ZPO in die Lage zurückversetzt, in der er vor der Säumnis des Klägers war.

II.

Durch Schriftsatz vom 11.01.2023 und Prozessantrag im Einspruchstermin am 11.01.2023 hat der Kläger die Klage wirksam subjektiv nach §§ 59, 60 ZPO gegen die Beklagte zu 2.) erweitert. Zwar lag der Schriftsatz des Klägers in der mündlichen Verhandlung am gleichen Tag noch nicht vor, das Gericht hat dem Kläger nach § 297 Abs. 1 Satz 2 ZPO jedoch gestattet, seinen Antrag zu Protokoll zu erklären, wobei auch eine Bezugnahme auf den Schriftsatz vom 11.01.2023 möglich gewesen wäre. Darüber hinaus hat das Gericht den Prozessbevollmächtigten der Beklagten vorab telefonisch in Kenntnis gesetzt, dass eine Klageerweiterung vom Kläger beabsichtigt sei.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Klageänderung nicht beanstandet, sodass selbst im Falle einer Verletzung einer Verfahrensvorschrift diese durch die fehlende Rüge nach § 295 Abs. 1 ZPO unbeachtlich ist.

Ferner konnte der Kläger auch wirksam die Teilklage gegen die Beklagte zu 1.) ohne Zustimmung der Beklagten im Einspruchstermin am 11.01.2023 erklären, da sie vor Beginn der mündlichen Verhandlung erfolgte und der Kläger selbst zur Sache noch nicht verhandelt hatte, § 269 ZPO.

III.

Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 2.) einen Anspruch auf Schadensersatz in zuerkannter Höhe.

Die Beklagte zu 2.) haftet nach §§ 823 Abs. 1, 31, 831 BGB wegen der Verletzung einer ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht dem Kläger auf den ihm unstreitig an seinem Fahrzeug entstandenen Schaden.

Eine Verkehrssicherungspflicht verpflichtet grundsätzlich denjenigen, der eine Gefahrenlage schafft, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Dabei genügen diejenigen Vorkehrungen, die nach den konkreten Umständen zur Beseitigung der Gefahr erforderlich und zumutbar sind (vgl. etwa OLG Hamm, Hinweisbeschluss v. 22.12.2021 - 11 U 169/21 - beck-online).

Durch die von der Beklagten zu 2.) als Generalunternehmerin betriebene Baustelle war diese verpflichtet, durch von ihr verwendete Baustelleneinrichtung so sichern, dass durch diese Dritte, die XXX befahrende Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet werden.

Die Beklagte zu 2.) verletzte diese Verkehrssicherungspflicht, indem Schildständer ihrer Baustelle, auf die Fahrbahn gelangten und dort Hindernisse zulasten anderer Verkehrsteilnehmer darstellten.

Soweit die Beklagte behauptet hat, die Schildständer stammen nicht von ihr, da noch andere Baustellen in dem Unfallbereich betrieben hätten, war dieser bloß pauschalen Schutzbehauptung nicht weiter nachzugehen. Denn das Gericht hat bereits mit Hinweis vom 04.07.2022 darauf aufmerksam gemacht, dass insoweit zu den dritten Baustellenbetreibern weiter vorzutragen sei, woraufhin jedoch die Beklagte nicht weiter ausgeführt hat.

Zwar sind Dritten grundsätzlich nur soweit vor Gefahren zu schützen, die sie selbst, ausgehend von der sich ihnen konkret darbietenden Situation bei Anwendung der von ihnen in dieser Situation zu erwartenden Sorgfalt erfahrungsgemäß nicht oder nicht rechtszeitig erkennen und vermeiden können. Ist die Verkehrssicherungspflicht jedoch durch den Verkehrssicherungspflichtigen selbst entstanden - hier die Beklagte zu 2.) - so ist an ihre Sicherungspflicht ein besonders strenger Maßstab anzulegen (vgl. OLG Hamm, a.a.O. - beck-online).

Das Gericht ist nach der informatorischen Anhörung des Klägers zu der Überzeugung gelangt, dass die Beklagte zu 2.) ihre Schildständer nicht hinreichend gesichert hatte. Sowohl nach den Ausführungen des Klägers als auch den zur Akten gereichten Fotos (Anlagenband Kläger) ergibt sich, dass Schildständer ungesichert auf der Fahrbahn liegen und den Fahrweg blockieren.

Diese waren auch vom Kläger im Vorhinein nicht hinreichend erkennbar, sodass eine Kollision durch sorgfaltsgemäßes Verhalten seinerseits nicht zu verhindern gewesen wäre. Insoweit hat der Kläger sehr eindrücklich geschildert, dass es nach Abbiegen in die Kirchhöfner Straße eine Fahrbahnerhöhung gibt, auf welcher sich der erste Schildständer befunden habe.

Er habe zunächst einen geradeaus fahrenden Radfahrer passieren lassen müssen und sei dann auf die Fahrbahnerhöhung hochgefahren, wo es zur Kollision mit dem ersten Schildständer gekommen sei.

Zwar konnte der Kläger zu den Wetterverhältnissen keine konkreten Angaben machen, allerdings ist auf den nach dem Unfall gefertigten Lichtbildern erkennbar, dass die Schildständer aufgrund Farbe (grau), Form (flach), Verschmutzungsgrad (Sand) und Lichtverhältnissen (Sonne und Schatten) zwar auf den Lichtbildern erkennbar sind, jedoch starke farbliche Ähnlichkeit mit dem Straßenbelag aufweisen und durch ihre Form auch nicht besonders hochragen.

Wird nunmehr noch berücksichtigt, dass der Kläger im Abbiegevorgang zunächst Rücksicht auf bevorrechtigte Verkehrsteilnehmer nehmen musste und aufgrund der Fahrbahnerhöhung sein Fahrzeug schräg angehoben gewesen ist, als es zu Kollision gekommen ist, so ist dem Kläger kein Sorgfaltsverstoß zu machen, dass er die Schildständer nicht wahrgenommen hat.

Dies gilt auch hinsichtlich der Kollision mit dem zweiten Schildständer, welcher sich hinter der Fahrbahnerhöhung befand und vom Kläger angesichts des geringen Abstands auch nach Erstkollision nicht zwingend wahrzunehmen gewesen ist. Ferner war dem Kläger nach Erstkollision auch nicht aufzugeben, sein Fahrzeug an Ort und Stelle der Erstkollision zu belassen, denn insoweit hätte das Fahrzeug im Einmündungsbereich der Kirchhöfner Straße für dritte Verkehrsteilnehmer ein Hindernis und eine Gefahrsituation eröffnet. Der Kläger musste mithin trotz Erstkollision weiterfahren.

Auch diesbezüglich hat der Kläger detailliert angegeben, dass hinter ihm ein weiteres Fahrzeug gefahren sei, welches gleichermaßen nachfolgend mit den Schildständern kollidiert sei. Der Kläger hat den Wahrheitsgehalt seiner Aussage auch dadurch untermauert, dass er Angaben zum Fahrer des nachfolgenden Wagens mit Namen machen konnte und insoweit eine Überprüfbarkeit seiner Aussage angeboten hat.

Nach alldem hat die Beklagte zu 2.) den vom Kläger behauptet Reparaturaufwand für sein Fahrzeug nebst Gutachterkosten und vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren zu ersetzen.

Eine Unfallkostenpauschale kann der Kläger nach gefestigter Rechtsprechung nach § 249 BGB lediglich in Höhe von 25,00 € verlangen. Höhere Aufwendungen hat er im Übrigen nicht dargelegt, sodass die Klage in Höhe dieser 5,00 € unbegründet ist.

Auswirkungen auf die Höhe der zu ersetzenden Rechtsanwaltsgebühren hat diese geringfügige Zuvielforderung nicht, da hierdurch keine höheren Gebühren verursacht wurden.

Zinsen auf die Hauptforderung schuldet die Beklagte zu 2.) seit dem 01.10.2021.

Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten sind nach §§ 291, 288, 187 BGB seit dem 12.01.2023 zu verzinsen, denn der Kläger hat im Termin am 11.01.2023 die Klage wirksam gegen die Beklagte zu 2.) erweitert.

IV.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92. Abs. 2 Nr. 1, 269, 344, 709 Satz 2 ZPO.