Landgericht Hannover
Urt. v. 12.06.2023, Az.: 12 O 120/22

Beanspruchung der Vorlage von Wertermittlungsgutachten über die in den Nachlass fallenden Immobilien aus § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB durch die Pflichtteilsberechtigten

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
12.06.2023
Aktenzeichen
12 O 120/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 56007
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2023:0612.12O120.22.00

Verfahrensgang

nachfolgend
OLG Celle - AZ: 6 U 51/23

In dem Rechtsstreit
1.
2.
- Kläger -
gegen
- Beklagte -
hat das Landgericht Hannover - 12. Zivilkammer - durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht als Einzelrichterin auf die mündliche Verhandlung vom 24.05.2023 für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger je zur Hälfte.

  3. 3.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

  4. 4.

    Der Streitwert für das Verfahren wird auf 10.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Kläger sind die Kinder aus erster Ehe des am ... verstorbenen ... (Erblasser). Die Beklagte ist die zweite Ehefrau des Erblassers und nach dem notariellen Testament vom 17.11.2017 (B 1) dessen Alleinerbin. Aus der ersten Ehe des Erblassers stammt ein weiterer Sohn..., und aus der Ehe mit der Beklagten ein Sohn... . Beide sind am vorliegenden Rechtsstreit nicht beteiligt. Die Kläger fordern von der Beklagten die Vorlage von Wertermittlungsgutachten über die in den Nachlass fallenden Immobilien.

In § 3 des Testaments setzte der Erblasser zugunsten seiner Kinder verschiedene Vermächtnisse aus. Nach § 3 Abs. 3 sollten seine Depotanteile an den bei der ...bank bestehenden Wertpapierdepots (50 %, die anderen 50 % gehören der Beklagten) und der Erlös seinen Kindern ... zu je 1/3 ausgezahlt werden. Gemäß § 3 Abs. 5 des Testaments sollten die Kinder ... von seinem ideellen hälftigen Miteigentumsanteil an der Immobilie .... in ... nebst anteiligem Darlehen jeweils 1/2 erhalten. Die Grundlage für dieses Vermächtnis ist entfallen, weil das Grundstück noch zu Lebzeiten des Erblassers im Dezember 2019 verkauft wurde. Aus dem Erlös erhielten die beiden Kläger und ... jeweils 200.000,00 €. In der "Vereinbarung über vorgezogene Erbschaft für..., ..., ..., als Erbnehmer und ...und ... als Erbgeber" (B 3) bestätigten die Kläger und ..., den Anteil aus dem Verkaufserlös in Höhe von jeweils 200.000,00 € als vorgezogenes Erbe erhalten zu haben, ebenso in den Jahren 2019 jeweils weitere 200.000,00 €. Sie erklärten desweiteren den Verzicht auf erbrechtliche Rechte an dem Grundstück in Spanien.

Mit Schreiben vom 03.08.2020 wandten sich die Kläger an die Beklagte, um Auskunft über den Wert der Depotanteile bei der ...bank, die Gegenstand des Vermächtnisses gemäß § 3 Abs. 3 des Testaments waren, zu erhalten. Die Beklagte übermittelte mit Schreiben vom 20.08.2020 eine Saldenbestätigung der ... (die ...bank ist eine eingetragene Marke der ...) vom 05.06.2020 und kehrte die Drittelbeträge in Höhe von 105.556,95 € an die Kläger und ... aus. Mit anwaltlichem Schreiben vom 25.08.2020 (K 4) beanstandeten die Kläger die Auskünfte als unzureichend und erklärten, die Zahlung von jeweils 105.556,95 € lediglich als Teilzahlung anzusehen. In der Folge erhoben Sie Auskunftsklage vor dem Amtsgericht Hannover (417 C 10659/20), das die Klage mit Urteil vom 30.04.2021 abwies (B 2).

Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.10.2021 forderten die Kläger die Beklagte unter Fristsetzung auf den 22.11.2021 zur Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses auf. Mit anwaltlichem Schreiben vom 08.11.2021 erklärte die Beklagte, den Auskunftsanspruch vollumfänglich anzuerkennen. Die Erstellung des Nachlassverzeichnisses sei jedoch mit umfangreichem Aufwand verbunden, so dass die gesetzte Frist nicht eingehalten werden könne. Letztlich legte sie das notarielle Nachlassverzeichnis vom 27.06.2022 vor. Dies akzeptierten die Kläger nicht und forderten mit anwaltlichem Schreiben vom 22.07.2022 ergänzende Auskünfte sowie die Einholung eines Wertermittlungsgutachtens zu den Immobilien. Sie machten Pflichtteilsansprüche zu Gunsten der Klägerin zu 1) in Höhe von 154.434,54 € zu Gunsten des Klägers zu 2) in Höhe von 124.999,13 € geltend.

Die Kläger meinem, sie hätten aus § 2314 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses sowie die Vorlage von Wertermittlungsgutachten. Sie behaupten, weder ausdrücklich noch konkludent mit der Forderung des Vermächtnisses und/oder der Annahme der Zahlung der Beklagten auf das Vermächtnis auf ihren Pflichtteilsanspruch verzichtet zu haben. Zum Zeitpunkt der Forderung und Zahlung sei die Höhe des Depots unklar gewesen. Darüber hinaus sei der Wert des Nachlasses insgesamt nach wie vor unklar. Aus dem Schreiben vom 25.08.2020 ergebe sich, dass die Kläger weitere Auskünfte über die Depots gefordert hätten. Letztlich habe die Beklagte selbst mit anwaltlichem Schreiben vom 08.11.2021 einen Auskunftsanspruch der Kläger anerkannt und das notarielle Nachlassverzeichnis vom 27.06.2022 vorgelegt. Auf einen konkludenten Pflichtteilsverzicht könne sie sich daher nicht berufen.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte zu verurteilen, den Wert der im Nachlassbestandsverzeichnis des Notars Dr. ... vom 27.06.2022 unter "A. Aktiva des Nachlassverzeichnisses- I. Immobilien" aufgeführten Immobilien des Nachlasses, und zwar namentlich

  1. a.

    Einfamilienhaus ...., eingetragen beim Amtsgericht

    im Grundbuch von ... Blatt ...,

  2. b.

    Einfamilienhaus ..., eingetragen beim Amtsgericht

    im Grundbuch von ... Blätter, ... und ...,

  3. c.

    Wohnungseigentum ..., eingetragen beim

    Amtsgericht im Wohnungsgrundbuch von ... Blatt ...,

  4. d.

    Wohnungseigentum ..., eingetragen beim Amtsgericht

    im Wohnungsgrundbuch von ...Blatt ...,

  5. e.

    Ferienhaus ..., Spanien,

    durch ein Wertgutachten eines unparteiischen Sachverständigen ermitteln zu lassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, einen Anspruch auf Vorlage von Wertermittlungsgutachten bestünde nicht. Als Pflichtteilsberechtigte und Vermächtnisnehmer hätten die Kläger in § 2307 BGB ein Wahlrecht gehabt, ob sie das Vermächtnis annehmen oder es ausschlagen und den Pflichtteil geltend machen. Dieses Wahlrecht hätten sie vorbehaltlos ausgeübt, indem sie ihren Anteil am Wertpapierdepot gefordert und erhalten hätten. Damit stünde allenfalls noch ein möglicher Zusatzpflichtteil im Raum. Mit der vorbehaltlosen Forderung und Annahme des Vermächtnisses hätten sie jedoch konkludent ihren Verzicht auf einen vermeintlichen Zusatzpflichtteil erklärt. Ein solcher bestünde auch deshalb nicht, weil die Kläger entsprechend der Vereinbarung vom 05.01.2020 bereits ein vorgezogenes Erbe in Höhe von 400.000,00 € erhalten hätten. Bei einer Pflichtteilsquote von 1/16 sei unter Berücksichtigung der Zahlung in Höhe von 105.556,095 € auf das Vermächtnis mehr als der Pflichtteilsanspruch. Darüber hinaus behauptet die Beklagte, Rechtsanwalt ... habe für die Kläger im Beurkundungstermin Einverständnis damit erklärt, dass die Wertermittlung für die in den Nachlass fallenden Immobilien auf der Grundlage der Angaben des Gutachterausschusses für Vergleichsobjekte aus den Kaufverträgen der letzten 3 Jahre erfolgen solle. Unabhängig von einem Verzicht auf den Zusatzpflichtteil verstoße damit die Forderung nach der Vorlage von Wertermittlungsgutachten gegen Treu und Glauben und das Schikaneverbot aus § 226 BGB.

Wegen des Vortrags der Parteien im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

I.

Die Kläger haben gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Vorlage von Wertermittlungsgutachten über die in den Nachlass fallenden Immobilien aus § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB. Zwar sind sie durch das notarielle Testament vom 17.01.2017 enterbt worden und waren deshalb gemäß § 2303 BGB pflichtteilsberechtigt. Enthält ein Testament wie hier zugunsten des Pflichtteilsberechtigten ein Vermächtnis, so hat der Pflichtteilsberechtigte nach § 2307 BGB ein Wahlrecht, ob er das Vermächtnis ausschlägt, um den vollen Pflichtteil zu erhalten oder das Vermächtnis annimmt. In diesem Fall hat er grundsätzlich einen Anspruch auf den Restpflichtteil in Höhe der Differenz zwischen dem Wert des Vermächtnisses und seinem Pflichtteil. Anders liegt es, wenn der Pflichtteilsberechtigte mit der Forderung bzw. Annahme des Vermächtnisses auf einen etwaigen Zusatzpflichtteil verzichtet hat. Einen ausdrücklichen Verzicht haben die Kläger zwar nicht erklärt. Allerdings ist ein Verzicht auf Pflichtteilsansprüche nach dem Erbfall auch formlos und damit konkludent möglich. Bei einer konkludenten Willenserklärung nimmt der Erklärende Handlungen vor, die mittelbar den Schluss auf einen bestimmten Rechtsfolgewillen zulassen (Grüneberg/Ellenberger, Einführung vor § 116, Rdnr. 6 m. w. N.). Fordert der Pflichtteilsberechtigte ein Vermächtnis, ohne sich dabei den Zusatzpflichtteil vorzubehalten, so ist darin der Verzicht auf einen Zusatzanspruch zu sehen (Grüneberg/Weidlich, § 2307 BGB, Rdnr. 2 m. w. N.). Danach ist hier von einem konkludenten Verzicht auszugehen. Die Kläger haben das Vermächtnis in Gestalt ihres Anteils am Wertpapierdepot nicht nur gefordert, sondern auch angenommen, ohne sich jeweils den etwaigen Zusatzpflichtteil vorzubehalten. Das Gericht hat mit Beschluss vom 13.12.2022 darauf hingewiesen, dass ein ausdrücklicher Vorbehalt nicht erkennbar ist. Weiteren Vortrag haben die Kläger dazu nicht gehalten; sie sind vielmehr der Ansicht, dass ein stillschweigender Verzicht nicht vorliege. Dem schließt sich das Gericht allerdings aus folgenden Gründen nicht an.

Soweit die Kläger damit argumentieren, die Höhe des Vermächtnisses habe mangels ausreichender Auskunftserteilung durch die Beklagte im Zeitpunkt der Forderung und Annahme der Zahlung der Beklagten auf das Vermächtnis nicht festgestanden, so dass man auf keine Ansprüche verzichtet habe und dies auch aus Sicht der Beklagten nicht der Fall habe sein können, bezieht sich dies auf die Höhe des Vermächtnisses, nicht jedoch auf einen etwaigen Zusatzpflichtteil. Ein dahingehender Vorbehalt lässt sich weder dem Vortrag des Beklagten im Schriftsatz vom 29.12.2022 (Bl., 59 f. d. A.) noch dem Schreiben vom 25.08.2020, noch den Ausführungen des Prozessbevollmächtigten der Kläger im Verhandlungstermin am 24.05.2023 entnehmen. Soweit die Kläger damit argumentieren, die Forderung und Annahme des Vermächtnisses könne nicht als konkludenter Verzicht auf einen Zusatzpflichtteil angesehen werden, weil der Wert des Nachlasses damals nicht festgestanden habe und im Übrigen auch heute noch nicht feststünde, weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass die Kläger ausweislich der Vereinbarung vom 05.01.2020 jeweils insgesamt 400.000,00 € als "vorgezogenes Erbe" erhalten und darin bereits auf erbrechtliche Ansprüche an dem Grundstück in Spanien verzichtet haben. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick darauf, dass die Kläger lediglich mit einer Pflichtteilsquote von 1/16 am Nachlass beteiligt sind, durfte die Beklagte die vorbehaltlose Forderung und Annahme des Vermächtnisses durch die Kläger dahingehend verstehen, dass es mit der Auszahlung des Vermächtnisses in Höhe von jeweils 105.556,95 € auch aus Sicht der Kläger sein Bewenden haben sollte.

Eben davon ist die Beklagte auch ausgegangen. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass sie im anwaltlichen Schreiben vom 08.11.2021 auf die Forderung der Kläger, ein notarielles Nachlassverzeichnis zu erstellen, diesen Auskunftsanspruch vollumfänglich anerkannt und in der Folge das notarielle Nachlassverzeichnis vom 27.06.2022 vorgelegt hat. Die Beklagte hat dazu im Schriftsatz vom 19.12.2022 unbestritten vorgetragen, dass sie sich seinerzeit in keiner guten gesundheitlichen Verfassung befunden habe und daher zur Vermeidung einer weiteren gerichtlichen Auseinandersetzung bereit gewesen sei, ein Nachlassverzeichnis zu erstellen. Zudem sei sie sicher gewesen, dass sich im Hinblick auf die erfolgten Zahlungen an die Kläger kein Zusatzpflichtteil ergeben würde. Dies hat die Beklagte im Verhandlungstermin am 24.05.2023 noch einmal nachvollziehbar bestätigt. Sie sei immer davon ausgegangen, dass die Kläger nach Auszahlung des Vermächtnisses keine Ansprüche aus dem Erbfall mehr geltend machen würden; dementsprechend habe auch ... keine weiteren Forderungen gestellt. Insofern ändert das Anerkenntnisschreiben vom 08.11.2021 nichts daran, dass die Beklagte die Forderung der Kläger auf Auszahlung des Vermächtnisses und dessen Annahme im August 2020 ohne Vorbehalt des Zusatzpflichtteils als einen Verzicht auf dessen Geltendmachung verstanden hat und verstehen durfte.

II.

Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 91 ZPO abzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Vorsitzende Richterin am Landgericht