Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.09.2021, Az.: 2 LB 63/21

Ergänzungsvorbereitungsdienst; Lehramtsprüfung; Prüferanzahl; Prüferkontinuität; Prüfungsausschuss; Prüfungsrecht; Prüfungsunterricht; Prüfungsverfahren; Rügeobliegenheit; Verfahrensfehler; Wiederholungsprüfung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
13.09.2021
Aktenzeichen
2 LB 63/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 70940
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 16.10.2018 - AZ: 3 A 407/17

Fundstellen

  • NordÖR 2022, 212
  • SchuR 2023, 77-79

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Der erste erfolglose Prüfungsversuch und die Wiederholungsprüfung der Staatsprüfung für das Lehramt sind nach den Bestimmungen der APVO-Lehr unselbständige Teile eines einheitlichen Prüfungsverfahrens, sodass die nach § 12 APVO-Lehr bestehenden Zuständigkeiten - vorbehaltlich bestehender Vertretungsregelungen - hinsichtlich der Zusammensetzung und der Anzahl der Mitglieder des Prüfungsausschusses unverändert bleiben (Bestätigung der Senatsrspr., Senatsbeschl. v. 6.3.2019 - 2 ME 224/19 -, juris und v. 26.9.2019 - 2 ME 633/19 -, juris).

2. Die Rügeobliegenheit des Prüflings bezieht sich grundsätzlich nicht auf Verfahrensmängel, die die rechtlichen Grundlagen der Prüfung betreffen. Die Verantwortung dafür, dass der Prüfung in ihrer konkreten Form eine hinreichende Rechtsgrundlage zugrunde liegt und insbesondere eine rechtmäßige Bestimmung der Mitglieder der Prüfungskommission erfolgt, trägt grundsätzlich die Prüfungsbehörde.

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 3. Kammer - vom 16. Oktober 2018 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Entscheidung des Beklagten über das Nichtbestehen ihrer Staatsprüfung für das Lehramt an Berufsbildenden Schulen im Wiederholungsversuch.

Die Klägerin leistete nach Abschluss ihres Studiums den Vorbereitungsdienst für das genannte Lehramt an den Berufsbildenden Schulen Wirtschaft in A-Stadt. Ihre Ausbildungsnote wurde am 20. Dezember 2016 auf die Note „ausreichend (3,8)“ festgesetzt.

Mit Schreiben vom 9. Januar 2017 gab der Beklagte der Klägerin den Prüfungstermin sowie die personelle Zusammensetzung des aus vier Personen bestehenden Prüfungsausschusses bekannt. Die am 27. Februar 2017 absolvierte Staatsprüfung im ersten Versuch bestand die Klägerin wegen der mit jeweils „mangelhaft“ (4,7 bzw. 5,0) bewerteten Prüfungsunterrichte I und II nicht.

Mit Schreiben vom 2. Mai 2017 erfolgte die Einladung der Klägerin zu der Staatsprüfung im Wiederholungsversuch für den 17. Mai 2017; hierbei wurde der Klägerin auch die personelle Besetzung des Prüfungsausschusses bekanntgegeben. Der Prüfungsausschuss setzte sich nunmehr neben den bisherigen Personen aus einer weiteren Person zusammen, die auch den Vorsitz führte.

Der Prüfungsunterricht I im Prüfungsfach Wirtschaftswissenschaften fand am 17. Mai 2017 in einer Klasse der einjährigen Berufsfachschule statt. Thema des Prüfungsunterrichtes war „Zahlungsverkehr“. Der Prüfungsausschuss bewertete die Leistungen der Klägerin in diesem Prüfungsunterricht mit der Note „mangelhaft (5,0)“ und führte zur Begründung im Wesentlichen an, dass die Planung der Stunde schwerwiegende Fehler aufgewiesen habe, der Inhalt der Stunde sowie ihre Struktur unklar gewesen seien, die inhaltliche Vertiefung unzureichend und der Lernfortschritt gering gewesen seien. Zum ersteren Kritikpunkt führte der Prüfungsausschuss in einem Klammerzusatz die Ergänzung „Ordnungsmittelbezug“ an. Dieser Kritikpunkt bezog sich auf die Angabe einer nicht mehr gültigen Rahmenrichtlinie aus dem Jahr 2005 im Unterrichtsentwurf der Klägerin. In der den wesentlichen Inhalt der Besprechung mit der Klägerin betreffenden Anlage wurden die Reflexion der Klägerin und die Bemerkungen der Mitglieder des Prüfungsausschusses zum Unterrichtsentwurf und zur Durchführung des Prüfungsunterrichts I wiedergegeben.

Der Prüfungsunterricht II im Prüfungsfach Industrie erfolgte ebenfalls am 17. Mai 2017 in einer Teilzeitberufsfachschulklasse mit regulär zwölf Auszubildenden zum Industriekaufmann und zur -kauffrau mit dem Thema „Marktorientierte Geschäftsprozesse eines Industriebetriebes erfassen“. Der Prüfungsausschuss bewertete auch diesen Prüfungsunterricht mit der Note „mangelhaft (5,0)“. Ausweislich der Niederschrift über den Prüfungsunterricht bemängelte der Prüfungsausschuss, dass das zu niedrige Anspruchsniveau bereits in der Planung angelegt gewesen sei, der Lernfortschritt nicht angemessen sei und Vertiefungsfragen kaum zielführend gewesen seien. Zudem ließen unscharfe Begriffe eine nachhaltige Erfolgssicherung nicht zu und ein problemlösendes Denken und Transferleistungen seien nicht gefordert gewesen. In der den wesentlichen Inhalt der Besprechung mit der Klägerin betreffenden Anlage wurden wiederum die Reflexion der Klägerin und die Bemerkungen der Mitglieder des Prüfungsausschusses zum Unterrichtsentwurf und zur Durchführung dieses Prüfungsunterrichts dargestellt.

Da sowohl der Prüfungsunterricht I als auch der Prüfungsunterricht II als nicht bestanden bewertet worden waren, fand eine mündliche Prüfung nicht statt. Mit Bescheid vom 18. Mai 2017 stellte der Beklagte das Nichtbestehen der Wiederholungsprüfung fest.

Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch und wendete sich im Einzelnen gegen die Bewertung ihrer Leistungen im Prüfungsunterricht I und im Prüfungsunterricht II durch den Prüfungsausschuss. Unter anderem führte sie hinsichtlich der Kritik des Prüfungsausschusses hinsichtlich ihres Unterrichtsentwurfs zum Prüfungsunterricht I aus, sie habe die aus dem Jahr 2005 stammende Rahmenrichtlinie kurz vor der Prüfung von dem Bildungsserver des Niedersächsischen Kultusministeriums heruntergeladen.

Der Prüfungsausschuss befasste sich am 11. September 2017 mit den von der Klägerin erhobenen Einwänden und bestätigte im Ergebnis seine Bewertung der Leistungen der Klägerin in den beiden Prüfungsunterrichten. Mit Bescheid vom 28. September 2017 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin unter Hinweis auf die Ausführungen des Prüfungsausschusses mit der Begründung zurück, dass weder Verfahrensfehler noch Bewertungsfehler zu erkennen seien.

Die Klägerin hat hiergegen fristgerecht Klage erhoben, zu deren Begründung sie ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft hat. Die Verwendung der falschen Rahmenrichtlinien in ihrem Entwurf des Prüfungsunterrichts I gehe darauf zurück, dass das zuständige Ministerium diese Unterlagen seinerzeit auf seiner Homepage zum Herunterladen bereitgestellt habe und erst nach ihrem Einwand im Widerspruchsverfahren gelöscht habe.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 18. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2017 zu verurteilen, ihr nach Erbringung eines Ergänzungsvorbereitungsdienstes die Neuerbringung der Prüfungsunterrichte I und II im Rahmen einer erneuten Wiederholung der Staatsprüfung für das Lehramt an berufsbildenden Schulen ab diesem Prüfungsteil zu ermöglichen und das Prüfungsverfahren fortzusetzen und neu zu bescheiden.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

und zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid sowie die Stellungnahme des Prüfungsausschusses vom 11. September 2017 verwiesen.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 16. Oktober 2018 der Klage in vollem Umfang stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen angeführt: Ein Fehler im Prüfungsverfahren liege nicht vor. Die Bewertung des Prüfungsunterrichtes I mit der Note „mangelhaft (5,0)“ stelle sich aber zum Teil als fehlerhaft dar. Von den Prüfern sei zu den curricularen Vorgaben ausgeführt worden, dass die Rahmenrichtlinie für die einjährige Berufsfachschule nicht mehr gültig sei, sondern hier der Rahmenlehrplan der Kaufleute für Büromanagement gelte; damit sei der Bezug sachlich falsch. Bei der Frage der Gültigkeit der Rahmenrichtlinie handele es sich um eine fachspezifische Bewertung, die der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliege. Der Rückgriff auf die benannten Rahmenrichtlinien und die dementsprechende Annahme einer Gültigkeit seitens der Klägerin sei nicht unvertretbar. Denn die Klägerin habe ihrer Unterrichtsgestaltung Rahmenrichtlinien zugrunde gelegt, die im Erlasswege für verbindlich erklärt worden seien. Vor diesem Hintergrund könne der Klägerin nicht entgegengehalten werden, eine Rahmenrichtlinie zum Gegenstand ihrer Unterrichtsplanung und -gestaltung gemacht zu haben, die selbst für bereits hauptberuflich tätige Lehrkräfte Verbindlichkeitscharakter habe. Es könne dahinstehen, ob diese Richtlinien ggf. bereits überholt bzw. lediglich versehentlich noch auf dem NIBIS-Server abrufbar gewesen seien. Selbst wenn dies so gewesen sei, sei es an der Beklagten, diesen Zustand zu korrigieren

oder bei den hierfür zuständigen Stellen eine Korrektur zu erwirken. Dass dies möglich gewesen sei, zeige sich in der kurzfristig erfolgten Löschung in Folge des Hinweises der Klägerin. Auf das Vorliegen weiterer Bewertungsfehler komme es daher nicht entscheidungserheblich an. Gleichwohl seien angesichts des gerichtlich nur eingeschränkten Prüfungsmaßstabes derartige Fehler in der Vielzahl der von der Klägerin angegriffenen prüfungsspezifischen Bewertungen des Prüfungsunterrichts I und II nicht zu erkennen. Da die Bewertung des Prüfungsunterrichts I einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalte, sei vor dem Hintergrund der an einem Tag durchzuführenden Staatsprüfung mit den insoweit eine Einheit bildenden Prüfungsteilen des Prüfungsunterrichts I und II sowie mündlicher Prüfung auch hinsichtlich des Prüfungsunterrichts II eine Wiederholung auszusprechen.

Hiergegen führt der Beklagte seine von dem Senat zugelassene Berufung. Er meint, dass entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts der Rückgriff der Klägerin auf die nicht mehr gültigen Rahmenrichtlinien unvertretbar sei. Zudem habe das Verwaltungsgericht selbst auf der Grundlage seiner Annahme, dass die Bewertung des Prüfungsunterrichts I an dem dargestellten Bewertungsfehler leide, mit Blick auf § 22 Abs. 2 Satz 2 APVO-Lehr zu Unrecht einen Anspruch auf Wiederholung auch des Prüfungsunterrichtes II und damit der gesamten Staatsprüfung angenommen. Den möglichen Verfahrensfehler der unzutreffenden Zusammensetzung des Prüfungsausschusses in der Wiederholungsprüfung habe die Klägerin, die insoweit eine Rügeobliegenheit treffe, erst im Berufungsverfahren und damit nicht unverzüglich gerügt.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Aus dem Grundsatz der Einheit der Prüfung folge ein Anspruch auf Wiederholung der gesamten Prüfung, wenn - wie in ihrem Fall - ein Bewertungsfehler in einer Teilprüfung vorliege. Entgegen der Ansicht des Beklagten habe sie alles getan, um die korrekten Rahmenrichtlinien in ihrem Unterricht zu verwenden. Sie habe darauf vertrauen dürfen, dass die offizielle Datenbank des NIBIS korrekt geführt und gewartet werde. Auf dem Bildungsserver seien seinerzeit sowohl die Rahmenrichtlinien aus dem Jahr 2005 für die fachrichtungsbezogenen Fächer in der einjährigen Berufsfachschule als auch der Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf Kaufmann und Kauffrau für Büromanagement aus dem Jahr 2013 zu finden gewesen. In ihrer curricularen Analyse habe sie beide Ordnungsmittel angegeben, aber primär die Rahmenrichtlinien für die einjährige Berufsfachschule als sachnäher und inhaltlich stimmiger genutzt. Auch die sie ausbildenden Lehrkräfte an ihrer Ausbildungsschule hätten es nicht moniert, dass sie, die Klägerin, in ihren Entwürfen zu Unterrichtsbesuchen die nunmehr als veraltet erkannten Rahmenrichtlinien zitiert habe. Zudem sei der Prüfungsausschuss in der Wiederholungsprüfung fehlerhaft zusammengesetzt gewesen, ohne dass sie insoweit eine Rügeobliegenheit treffe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Klägerin im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Der Bescheid des Beklagten vom 18. Mai 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. September 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, sodass ihr nach Ableistung eines Ergänzungsvorbereitungsdienstes ein Anspruch auf erneute Ableistung der Wiederholungsprüfung zusteht (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG folgt für den Rechtsschutz des Prüflings gegen - wie hier - berufsbezogene Prüfungsentscheidungen, dass den Prüfungsteilnehmern eine wirkungsvolle gerichtliche Nachprüfung ermöglicht werden muss. Die Gerichte sind berechtigt und verpflichtet, Prüfungsentscheidungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht uneingeschränkt nachzuprüfen, sofern es nicht um die Bewertung der Prüfungsleistungen geht. Insoweit steht den Prüfern ein Bewertungsspielraum zu, der nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle dahin unterliegt, ob die Prüfer dessen Grenzen überschritten haben. Hiervon ist auszugehen, wenn die Prüfer bzw. Prüfungsbehörden Verfahrensfehler begehen, anzuwendendes Recht verkennen, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgehen, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzen oder sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen. Die Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolldichte in Bezug auf die Leistungsbewertung wird dadurch ausgeglichen, dass die Prüfungsteilnehmer deren Überdenken durch die Prüfer, d.h. eine ergänzende Ausübung des Bewertungsspielraums, verlangen können. Der Bewertungsspielraum erstreckt sich nicht auf fachliche Wertungen des Prüfers, d.h. auf dessen Entscheidungen über die fachliche Richtigkeit konkreter Ausführungen des Prüfungsteilnehmers (vgl. hierzu grundlegend BVerfG, Beschl. v. 17.4.1991 - 1 BvR 419/81 u.a. -, NJW 1991, 2005 und seitdem ständige Rspr. BVerwG, vgl. zuletzt BVerwG, Urt. v. 28.10.2020 - 6 C 8.19 -, juris Rn. 11 m.w.N.).
Bei einem Verfahrensfehler kann der Prüfling nur dann die Aufhebung der Prüfungsentscheidung verlangen, wenn sich zum einen nicht ausschließen lässt, dass sich der Fehler auf das Prüfungsergebnis ausgewirkt hat, der Fehler also (wenigstens) möglicherweise von Einfluss auf das Prüfungsergebnis gewesen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.10.2020 - 6 C 8.19 -, juris Rn. 12 m.w.N.), und er zum anderen seiner etwaig bestehenden Rügepflicht ordnungsgemäß nachgekommen ist (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 27.4.1999 - 2 C 30.98 -, juris Rn. 26; SächsOVG, Beschl. v. 4.9.2020 - 2 B 333719 -, juris Rn. 9 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall liegt ein Verfahrensfehler vor, der sich im Ergebnis unabhängig von den weiteren zwischen den Beteiligten streitigen Fragen zu Bewertungsfehlern und zu den hieraus sich ergebenden Konsequenzen zu Gunsten der Klägerin auswirkt. Das Prüfungsverfahren der Wiederholungsprüfung der Klägerin leidet an einem Verfahrensfehler (dazu 1.). Dieser Verfahrensfehler greift auch durch, ohne dass der Klägerin die Verletzung einer Rügeobliegenheit entgegengehalten werden kann (dazu 2.).

1. Die Wiederholungsprüfung am 17. Mai 2017 ist mit einem Verfahrensfehler behaftet.

Ein Prüfungsverfahren ist unter anderem verfahrensfehlerhaft, wenn ein Prüfungsausschuss mit Prüferinnen und Prüfern besetzt ist, die nach der Prüfungsordnung an der Prüfung nicht mitwirken dürfen oder die wegen Befangenheit ausgeschlossen sind. Die vorschriftswidrige Besetzung eines Prüfungsausschusses stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar. Die vorschriftsmäßige Besetzung des Prüfungsausschusses ist von erheblicher Bedeutung, weil die Wertung der Leistung im Zusammenwirken aller Mitglieder des Prüfungsausschusses erfolgt, die sich in der Beratung gegenseitig beeinflussen und kontrollieren sollen. Einen unzulässigen Einfluss auf diese Wertungen nimmt derjenige vor, der dem Prüfungsausschuss nach den normativ vorgegebenen Regelungen nicht angehören darf (NdsOVG, Urt. v. 8.6.2011 - 8 LB 199/09 -, juris Rn. 36).

Der Prüfungsausschuss, der die Wiederholungsprüfung der Klägerin am 17. Mai 2017 abgenommen hat, war fehlerhaft zusammengesetzt. Während im ersten Prüfungsversuch der Prüfungsausschuss aus vier Mitgliedern bestand, war im Prüfungsausschuss in der Wiederholungsprüfung der Klägerin neben diesen vier Mitgliedern zusätzlich ein weiteres Mitglied in der Funktion als Vorsitzender vertreten, sodass in dieser Prüfung fünf Personen den Prüfungsausschuss bildeten.

Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über die Ausbildung und Prüfung von Lehrkräften im Vorbereitungsdienst (APVO-Lehr) vom 13. Juli 2010 (Nds. GVBl. S. 288) in der Fassung vom 2. März 2017 (Nds. GVBl. S. 57) gehören dem Prüfungsausschuss vier Mitglieder an, die in Satz 2 dieser Norm näher bestimmt werden. Der so zusammengesetzte Prüfungsausschuss bleibt für die Dauer des gesamten Prüfungsverfahrens unverändert, sofern nicht ein Mitglied verhindert ist und deshalb der Vertretungsfall eintritt (§ 12 Abs. 3 APVO-Lehr). Aus § 22 Abs. 2 Satz 2 APVO-Lehr, wonach im Wiederholungsfall die gemäß § 11 Abs. 1 APVO-Lehr mit der Mitteilung der Ausbildungsnote eingeleitete Prüfung weiterhin eingeleitet bleibt, folgt, dass der erste erfolglose Prüfungsversuch und die Wiederholungsprüfung Teile eines einheitlichen Prüfungsverfahrens darstellen, sodass auch die nach § 12 APVO-Lehr bestehenden Zuständigkeiten unverändert bleiben. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsbeschl. v. 6.3.2019 - 2 ME 224/19 -, juris) ist der Beklagte als Prüfungsbehörde daher nicht befugt, die gesetzlich angeordnete Zusammensetzung eines Prüfungsausschusses während des laufenden Prüfungsverfahrens zu verändern. Dieser Grundsatz gilt nicht nur für die personelle Zusammensetzung des Prüfungsausschusses - sodass nicht nur ein Austausch von bestellten Prüferinnen und Prüfern untersagt ist -, sondern auch für die Anzahl der Mitglieder des Prüfungsausschusses, sodass insbesondere die personelle Erweiterung des Prüfungsausschusses in der Wiederholungsprüfung um ein weiteres Mitglied ausgeschlossen ist (vgl. Senatsbeschl. v. 26.9.2019 - 2 ME 633/19 -, juris). Deshalb kann sich der Beklagte nicht mit Erfolg auf die Regelungen in § 12 Abs. 5 Satz 1 APVO-Lehr und § 12 Abs. 6 Satz 1 APVO-Lehr berufen. Auch in diesen Fällen muss der Prüfungsausschuss nach dem oben Gesagten sowohl - bis auf Vertretungsfälle - in personeller Hinsicht als auch hinsichtlich der Anzahl seiner Mitglieder in der ersten Prüfung und der Wiederholungsprüfung unverändert bleiben. An dieser in Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Rechtsprechung hält der Senat nach erneuter Prüfung auch im vorliegenden Berufungsverfahren fest.

Dieses Ergebnis wird nicht durch die von dem Beklagten in der mündlichen Verhandlung angeführte historische Betrachtung infrage gestellt. Zwar mag es zutreffen, dass aufgrund des Wechsels von der Verordnung über die Ausbildung und die Zweiten Staatsprüfungen für Lehrämter (PVO-Lehr II) vom 18. Oktober 2001 (Nds. GVBl.
S. 655) zur APVO-Lehr sich die Notwendigkeit ergeben hat, auch externe Prüferinnen und Prüfer zur Teilnahme an Staatsprüfungen und insbesondere auch an Wiederholungsprüfungen zu berechtigen. Dieser Umstand hat sich - wie ausgeführt - aber weder im Wortlaut noch in der Systematik der APVO-Lehr niedergeschlagen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Leistungen des Prüflings im ersten Prüfungsversuch und in der Wiederholungsprüfung jeweils für sich unabhängig voneinander in den Blick genommen und bewertet werden. Die inhaltliche Frage nach dem materiellen Bewertungsmaßstab ist zu trennen von der hier allein interessierenden formellen Frage nach der richtigen Zusammensetzung des Prüfungsausschusses in der Wiederholungsprüfung.

2. Dieser Verfahrensfehler der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Prüfungsausschusses in der Wiederholungsprüfung wirkt sich auch zugunsten der Klägerin aus. Denn sie traf insoweit keine Rügeobliegenheit.

Das Prüfungsrechtsverhältnis umfasst zahlreiche Pflichten und Obliegenheiten des Prüflings. Dies ergibt sich auch ohne eine normative Festlegung in einer Prüfungsordnung letztlich aus dem auch im öffentlichen Recht und insbesondere im Prüfungsrechtsverhältnis geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Ein Mangel des Prüfungsverfahrens muss von dem Prüfling daher grundsätzlich unverzüglich gerügt werden. Damit soll zu einen verhindert werden, dass der Prüfling in Kenntnis des Verfahrensmangels zunächst die Prüfung fortsetzt und das Prüfungsergebnis abwartet, um sich so eine ihm nicht zustehende weitere Prüfungschance zu verschaffen. Zum anderen dient die Rügeobliegenheit dem Interesse der Prüfungsbehörde an einer eigenen, möglichst zeitnahen Überprüfung des gerügten Mangels mit dem Ziel einer schnellstmöglichen Aufklärung, Korrektur oder zumindest Kompensation. Insbesondere hat der Prüfling die in den Prüfungsordnungen enthaltenen verfahrensrechtlichen Regelungen - zum Beispiel hinsichtlich der Anmeldungen, Anwesenheiten und Fristen - einzuhalten. Er kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihm diese Regelungen nicht bekannt waren. Denn ihn trifft insbesondere die Obliegenheit, sich über den Inhalt der für ihn maßgeblichen Prüfungsordnung Kenntnis zu verschaffen. Deshalb trifft ihn grundsätzlich die Obliegenheit, auf eine fehlerfreie Verfahrensgestaltung hinzuwirken und insbesondere nicht ohne Weiteres erkennbare persönliche Betroffenheiten etwa infolge gesundheitlicher Mängel oder Störungen des Prüfungsablaufs - zum Beispiel durch Lärm oder Unruhe im Prüfungsraum - rechtzeitig, das heißt unverzüglich geltend zu machen. Er darf sich auch nicht in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten setzen (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 6.8.2014 - 2 LA 451/13 -, juris Rn. 7 und v. 18.4.2016 - 2 ME 281/15 -; SächsOVG, Beschl. v. 4.9.2020 - 2 B 333719 -, juris Rn. 9; OVG NRW, Beschl. v. 7.8.2017 - 19 A 1451/15 -, juris Rn. 8 ff.; Jeremias, in: Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 213 ff., jeweils m.w.N.).

Diese Grundsätze rechtfertigen es aber nicht, durch eine exzessive Ausdehnung der Rügeobliegenheit letztlich dem Prüfling die Verantwortung für ein ordnungsgemäßes Prüfungsverfahren insgesamt aufzuerlegen. Eine Mitwirkung kann vom Prüfling immer nur im Rahmen des ihm Zumutbaren und Möglichen verlangt werden. Daher kann ihm eine nicht unverzügliche Rüge nur entgegengehalten werden, wenn er den Verfahrensmangel vor der Prüfung gekannt hat oder hätte erkennen müssen und seine Bedeutung für die Prüfung erfasst hat oder hätte erfassen müssen. Hierfür fehlt vorliegend eine tragfähige Grundlage. Der Beklagte hat der Klägerin zwar sowohl die Zusammensetzung des Prüfungsausschusses in der Erstprüfung als auch in der Wiederholungsprüfung zuvor jeweils mit der Einladung zu den jeweiligen Prüfungsunterrichten bekanntgegeben. Durch diese Bekanntgabe war für die Klägerin aber zum einen lediglich offensichtlich, dass die Anzahl der Mitglieder des Prüfungsausschusses in der Erst- und Wiederholungsprüfung nicht identisch war. Es bestehen indes keine Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin die Bedeutung dieses Umstandes als Verfahrensfehler bekannt gewesen war oder hätte bekannt gewesen sein müssen. Daher führt auch der Gesichtspunkt unzulässiger Rechtsausübung in Gestalt der Verwirkung nicht zu einem für die Klägerin negativen Ergebnis. Dieses macht auch der Beklagte nicht geltend.

Entscheidend kommt hinzu, dass die Rügeobliegenheit des Prüflings Verfahrensmängel, die die rechtlichen Grundlagen der Prüfung betreffen, grundsätzlich nicht umfasst. Die Verantwortung dafür, dass der Prüfung in ihrer konkreten Form eine hinreichende Rechtsgrundlage zugrunde liegt und insbesondere eine rechtmäßige Bestimmung der zuständigen Prüferinnen und Prüfer erfolgt, trägt grundsätzlich die Prüfungsbehörde. Dieser Umstand fällt mit anderen Worten in ihren Verantwortungsbereich und ihre Risikosphäre. Etwas anderes gilt nur dann, wenn etwa die Befangenheit von Mitgliedern des Prüfungsausschusses im Raum steht (vgl. hierzu etwa Senatsbeschl. v. 17.8.2016 - 2 LA 86/16 -, juris Rn. 10 f.; Jeremias, in: Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 336 ff. und Rn. 373). Daher ist eine Prüfung, die im Hinblick auf die Zusammensetzung des Prüfungsausschusses nicht auf einer ausreichenden Rechtsgrundlage beruht, grundsätzlich zu wiederholen ungeachtet der Frage, ob der entsprechende Mangel gerügt wurde (vgl. hierzu VGH BW, Urt. v. 26.6.2019 - 9 S 1209/18 -, juris Rn. 26 und Urt. v. 10.3.2015 - 9 S 2309/13 -, juris Rn. 35; Jeremias, in: Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 217, jeweils m.w.N.; in diese Richtung auch OVG NRW, Urt. v. 9.3.1989 - 22 A 688/88 -, juris Rn. 27; a. A. NdsOVG, Urt. v. 8.6.2011 - 8 LB 199/09 -, juris Rn. 45 für den Fall, dass der bereits im Widerspruchsverfahren anwaltlich vertretene Prüfling bereits vor der Ablegung der praktischen Prüfung über die Regelungen der ordnungsgemäßen Besetzung des Prüfungsausschusses hinreichend informiert war). Lediglich in offensichtlichen Fällen kann abhängig von den Umständen des Einzelfalls etwas anderes gelten. Hiervon kann im vorliegenden Fall aber keine Rede sein, zumal selbst der Beklagte von der rechtmäßigen Zusammensetzung des Prüfungsausschusses ausgegangen ist und die Frage der Rechtmäßigkeit der unterschiedlichen Zusammensetzung des Prüfungsausschusses gegenüber der Klägerin nicht thematisiert hat.

Die gegen die maßgebliche Prüfungsordnung der APVO-Lehr verstoßende Besetzung des Prüfungsausschusses ist ein erheblicher Verfahrensfehler, der die Prüfungsentscheidung rechtswidrig macht. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin bei einer richtigen Zusammensetzung des Prüfungsausschusses ein besseres Ergebnis erreicht hätte.

Da der aufgezeigte Verfahrensfehler der fehlerhaften Zusammensetzung des Prüfungsausschusses in der Wiederholungsprüfung sowohl den Prüfungsunterricht I als auch den Prüfungsunterricht II betrifft, hat die Klägerin im Ergebnis - wie vom Verwaltungsgericht ausgeurteilt - einen Anspruch auf Fortsetzung des Prüfungsverfahrens in Gestalt der Neuerbringung beider Prüfungsunterrichte im Rahmen einer erneuten Wiederholung der Staatsprüfung für das Lehramt am Berufsbildenden Schulen und anschließenden Neubescheidung, wobei der Klägerin die Möglichkeit einzuräumen ist, ihren Ergänzungsvorbereitungsdienst erneut zu erbringen. Einem Prüfling ist wegen der Wahrung der Chancengleichheit vor dem Beginn der Wiederholungsprüfung eine angemessene Zeit zur Wiedereinarbeitung zu gewähren (vgl. hierzu Fischer, in: Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 763).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.