Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.09.2021, Az.: 13 MN 395/21

angemessen; Ärzte; Behandlung; Corona-Virus; einzustellen; erledigt erklärt; freiheitsrechtlich; gleichheitsrechtlich; Heilpraktiker; Inanspruchnahme; Inzidenz; körpernahe Dienstleistung; Leistungen; medizinisch notwendig; Normenkontrolleilverfahren; Praxen; Ungleichbehandlung; Zutritt

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
28.09.2021
Aktenzeichen
13 MN 395/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70953
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert des Verfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Nachdem die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 23. und 27. September 2021 (Bl. 39, 46 der GA) den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Normenkontrolleilverfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

II. Ferner ist über die Verfahrenskosten gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Im vorliegenden Fall entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des Normenkontrolleilverfahrens dem Antragsgegner aufzuerlegen.

1. Zum einen folgt die Kostenlast des Antragsgegners aus dem Rechtsgedanken des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der (voraussichtlich) unterliegende Beteiligte eines Rechtsstreits die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.

a) Der von der Antragstellerin am 9. September 2021 eingereichte Normenkontrolleilantrag war bei verständiger Auslegung (§§ 88, 122 Abs. 1 VwGO) darauf gerichtet, § 8 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 in Verbindung mit Sätzen 1 und 2 der Niedersächsischen Verordnung über infektionspräventive Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 und dessen Varianten (Niedersächsische Corona-Verordnung) in der Urfassung vom 24. August 2021 (Nds. GVBl. S. 583) gemäß § 47 Abs. 6 VwGO vorläufig außer Vollzug zu setzen, soweit danach in Landkreisen und kreisfreien Städten, in denen gemäß oder entsprechend § 3 der Verordnung festgestellt ist, dass dort mindestens die Warnstufe 1 vorliegt oder dass der Leitindikator „Neuinfizierte“ gemäß § 2 Abs. 3 der Verordnung mehr als 50 beträgt, der Zutritt zu den Praxen für Heilpraktikerinnen und Heilpraktikern und die Inanspruchnahme deren Leistungen auf geimpfte, genesene und (negativ) getestete Personen beschränkt gewesen ist.

b) Mit dieser Zielrichtung hätte dem zulässigen Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO ohne das erledigende Ereignis - Neufassung der Zutritts- und Leistungsinanspruchnahmebeschränkung mit Wirkung vom 22. September 2021 durch Art. 1 Nr. 8 der Änderungsverordnung vom 21. September 2021 (Nds. GVBl. 655) unter Neuverortung in § 8 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 der Niedersächsischen Corona-Verordnung und unter Schaffung einer Ausnahme für „medizinisch notwendige körpernahe Dienstleistungen“, die sich ausweislich der Begründung (Nds. GVBl. S. 672) auch auf Behandlungen durch Heilpraktiker erstreckt - aller Voraussicht nach in der Sache stattgegeben werden müssen.

Denn ein gegen die angegriffene Verordnungsbestimmung in der Hauptsache noch zu stellen gewesener Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 75 NJG hätte voraussichtlich Erfolgsaussichten gehabt. Diese Verordnungsregelung erwies sich in Bezug auf medizinisch notwendige Behandlungen durch Praxen der Heilpraktiker und deren Leistungen jedenfalls in gleichheitsrechtlicher (Art. 3 Abs. 1 GG) Hinsicht, wohl aber auch in freiheitsrechtlicher Hinsicht (Art. 12 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 GG) als voraussichtlich rechtswidrig. Aus dieser Grundrechtsverletzung resultierte auch ein hinreichend schwerer Nachteil, der eine vorläufige Außervollzugsetzung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache geboten hätte, wäre die Norm nicht mit Wirkung vom 22. September 2021 geändert worden.

aa) Eine voraussichtlich vor dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr zu rechtfertigende Ungleichbehandlung lag nach Ansicht des Senats bezogen auf die Praxen der Heilpraktiker und deren Leistungen im Vergleich zu Praxen der Ärzte und deren medizinischen Leistungen vor, bezüglich welcher eine mit § 8 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 der Niedersächsischen Corona-Verordnung a.F. vergleichbare Beschränkung nicht statuiert worden war.

Die vom Antragsgegner in der Antragserwiderung vom 14. September 2021 (Bl. 16 ff., insbes. Bl. 31 ff. der GA) betonten Unterschiede zwischen diesen beiden Berufsgruppen, welche die Ausbildung, darauf sich gründende Wissensstände und die Befugnis zur Behandlung auch schwerwiegender Krankheitsbilder betreffen, ändern nichts an dem Befund, dass es sich bei einer Behandlung durch Heilpraktiker ebenso wie bei derjenigen durch approbierte Ärzte um eine berufs- oder gewerbsmäßige Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von körperlichen oder seelischen Krankheiten sowie Leiden oder Körperschäden bei Menschen und daher um Heilkunde handelt, die Heilpraktiker, die nicht approbiert sind, nur mit staatlicher Erlaubnis ausüben dürfen (vgl. § 1 Abs. 1 HeilprG). Die berufsrechtliche Verpflichtung der Heilpraktiker, sich der Grenzen ihres Wissens und Könnens bewusst zu sein und Patientinnen und Patienten bei schwerwiegenden Erkrankungen an approbierte Ärzte zu verweisen, führt entgegen der Darstellung des Antragsgegners (vgl. S. 19 der Antragserwiderung, Bl. 34 der GA) nicht dazu, dass jeder durch einen Heilpraktiker zu deckende sofortige (dringliche) Behandlungsbedarf wegen eines Leidens sogleich als „medizinischer Notfall“ eingestuft werden müsste, dessentwegen der Patient an die ärztlich verantwortete Notfallrettung im Sinne des § 2 NRettDG (112) oder an den (schulmedizinischen) ärztlichen Bereitschaftsdienst (116 117) zu verweisen wäre.

bb) Unabhängig davon bestanden mit Bezug auf medizinisch notwendige Behandlungen auch im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit der Heilpraktiker) und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (Recht der Patienten auf körperliche Unversehrtheit) erhebliche Zweifel, ob die Zutritts- und Leistungsinanspruchnahmebeschränkungen für Patienten auf der Nachfrageseite, denen auf der Angebotsseite ein entsprechendes partielles Behandlungsverbot für Heilpraktiker in deren Praxen korrespondierte, noch als verhältnismäßig im weiteren Sinne (Art. 20 Abs. 3 GG), insbesondere als angemessen, angesehen werden konnten.

2. Zum anderen ist die Kostenlast des Antragsgegners hier auch daraus abzuleiten, dass dieser - offenbar anlässlich des vorliegenden Verfahrens - die angegriffene Norm von sich aus mit Wirkung vom 22. September 2021 durch die Änderungsverordnung zur Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 21. September 2021 (Nds. GVBl. S. 655) neugefasst und dabei durch Schaffung („ergänzende“ Regelung, vgl. Nds. GVBl. S. 672) einer Ausnahme für „medizinisch notwendige körpernahe Dienstleistungen“ und damit für Behandlungen durch Heilpraktiker und Psychotherapeuten sowie - nach ärztlicher oder zahnärztlicher Verordnung oder entsprechendem Attest - durch Angehörige verschiedener Heilhilfsberufe, die in der Verordnungsbegründung zur Stammverordnung der (10.) Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 24. August 2021 (Nds. GVBl. S. 583) genannt worden waren (Nds. GVBl. S. 604), z.B. Physio- und Ergotherapeuten, Podologen/Fußpfleger, Orthopädie-Schuhmacher oder -Techniker), die Beschwer für Heilpraktiker und ihre Patienten beseitigt und sich in die Rolle des Unterlegenen begeben hat.

Offenbar hat auch der Antragsgegner die unter II.1. genannten verfassungsrechtlichen Bedenken - ungeachtet seiner die angegriffene Regelung noch verteidigenden Argumentation im vorliegenden Normenkontrolleilverfahren 13 MN 395/21 - zwischenzeitlich geteilt und deshalb die „abhelfende“ Ausnahme geschaffen. Dass diese stattdessen auf eine inzwischen günstigere Infektionslage im Hinblick auf die Ausbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 zurückginge, lässt weder die Begründung zur Änderungsverordnung vom 21. September 2021 erkennen, noch ist dies für den Senat offensichtlich.

III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Es entspricht der Praxis des Senats, in Normenkontrollverfahren in der Hauptsache nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO grundsätzlich den doppelten Auffangwert im Sinne des § 52 Abs. 2 GKG, mithin 10.000 EUR, als Streitwert anzusetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, Nds. Rpfl. 2019, 130 f. - juris Rn. 29). Dieser Streitwert ist für das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 47 Abs. 6 VwGO zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 2 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).