Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.09.2021, Az.: 27 C 499/20

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
13.09.2021
Aktenzeichen
27 C 499/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 71007
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OLG - 02.03.2022 - AZ: 9 S 323/21

Tenor:

Es wird festgestellt, dass der zwischen der Klägerin zu 1.) und der Beklagten bestehende Fitness-Vertrag zur Mitglieds-Nr. # mit Wirkung zum 31. Oktober 2020 durch ordentliche Kündigung endete.

Es wird festgestellt, dass der zwischen dem Kläger zu 2.) und der Beklagten bestehende Fitness-Vertrag zur Mitglieds-Nr. # mit Wirkung zum 31. Oktober 2020 durch ordentliche Kündigung endete.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicher-heitsleistung in Höhe von 600,00 € abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstre-ckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Laufzeit von Fitness-Studio-Verträgen.

Die Beklagte betreibt Fitnessstudios. Die Kläger schlossen mit der Beklagten am 1. November 2018 beginnende Fitnessstudio-Verträge „für die Dauer von 24 Monaten“ (Anlage K1, Bl. 3 Bd.

I d. Akten). Alternativ sahen die Verträge Laufzeiten von 12 Monaten vor, die vorliegend jedoch nicht gewählt wurden. Zu den Vertragslaufzeiten ist zudem Folgendes geregelt: „Er verlängert sich jeweils stillschweigend um weitere 12 Monate, wenn nicht jeweils 3 Monate vor Ablauf in Textform gekündigt wird.“. Der Vertrag mit der Klägerin zu 1.) wurde unter der Mitglieds-Nr. # geführt und der Vertrag mit dem Kläger zu 2.) unter der Mitglieds-Nr. #.

Mit Schreiben vom 24. April 2020 kündigten die Beklagten die Verträge zum nächstmöglichen Zeitpunkt (Anlagen K2-3, Bl. 5-6 Bd. I d. Akten). Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 15. Juni 2020 (Anlage K4-5, Bl. 7-8 Bd. I d. Akten) mit, dass die Verträge zum 8. Januar 2021 enden würden. Mit Schreiben vom 6. August 2020 (Anlage K7-8, Bl. 11-12 Bd. I d. Akten) teilte die Beklagte den Klägern mit, dass die „Corona-Zeit“ wie ein „Blackout“ zu behandeln sei und sie deswegen auf das „angepasste Vertragsende bestehen“ müsse. Die Beklagte hat unter anderem versucht, anteilige Mitgliedsbeiträge für November 2020 von den Konten der Kläger einzu-ziehen (Anlage K9. Bl. 163 ff. Bd. I d. Akten).

Der Betrieb von Fitnessstudios war zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zunächst ab dem 17. März 2020 verboten. Mit der Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus vom 22. Mai 2020 wurde die Nutzung von Fitnessstudios bei Beachtung bestimmter Abstands- und Hygieneregeln ab dem 25. Mai 2020 wieder erlaubt. Vom 2. November 2020 bis zum 9. Mai 2021 war der Betrieb von Fitnessstudios dann aufgrund der Niedersächsische Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) wieder untersagt.

Die Kläger meinen, dass ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage bestehe, weil die Beklagte behaupte, dass ihr für die Zeit nach dem 31. Oktober 2020 Forderungen gegen sie zustünden.

Die Kläger begehrten zunächst die Feststellung, dass die Verträge zum 1. November 2020 durch ordentliche Kündigung endeten. Nunmehr beantragen sie,

1.festzustellen, dass der zwischen der Klägerin zu 1.) und der Beklagten bestehende Fitness-Vertrag zur Mitglieds-Nr. # mit Wirkung zum 31. Oktober 2020 durch ordentliche Kündigung endet;
2.festzustellen, dass der zwischen dem Kläger zu 2.) und der Beklagten bestehende Fitness-Vertrag zur Mitglieds-Nr. # mit Wirkung zum 31. Oktober 2020 durch ordentliche Kündigung endet.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Parteien beantragen,

die Berufung zuzulassen.

Die Beklagte meint, dass die 24-monatige Vertragslaufzeit nicht am Stück ablaufe. Außerdem sei eine Vertragsanpassung über § 313 BGB erfolgt und die Verträge dadurch um den coronabedingten Schließungszeitraum verlängert worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig und begründet.

1.Die Klage ist zulässig.

Nach § 256 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn d. Kläger*in ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis alsbald festgestellt werde.

Die Kläger wollen nicht lediglich die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen festge-stellt wissen, sondern die Beendigung der Verträge zum 31. Oktober 2020. Das ist ein feststel-lungsfähiges Rechtsverhältnis nach § 256 Abs. 1 ZPO (vgl. Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 256 Rn. 2; Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 256 Rn. 4).

Die Kläger haben auch ein Interesse an der Feststellung, nachdem die Beklagte die Auffas¬sung vertritt, die Verträge seien nicht wirksam zum 31. Oktober 2020 beendet worden und die Kläger seien insb. zur Begleichung der anteiligen Mitgliedsbeiträge für November 2020 verpflichtet.

2.Die Klage ist begründet.

Die Fitness-Verträge endeten mit Wirkung zum 31. Oktober 2020.

a)Die Verträge wurden ab dem 1. November 2018 für die Dauer von 24 Monaten geschlossen und endeten zum 31. Oktober 2020. Soweit die Beklagte geltend macht, dass keine festen Vertragsablaufzeiten nach dem Kalender vereinbart worden seien, trifft das nicht zu. Die Vertragsablaufzeitpunkte waren in den Verträgen zwar nicht ausdrücklich nach dem Kalender bestimmt, aufgrund der dargestellten vertraglichen Regelungen aber nach dem Kalender zu berechnen. Die Verträge sollten zum 1. November 2018 beginnen und „für die Dauer von 24 Monaten“ laufen. Daraus folgt, dass die Verträge 24 Monate nach dem Vertragsbeginn endeten, mithin am 31. Oktober 2020.
b)Die Fitness-Verträge haben sich auch nicht um weitere 12 Monate verlängert. Zu einer Vertragsverlängerung sollte es nach den Vertragsbestimmungen nicht kommen, wenn die Verträge 3 Monate vor Ablauf der Erstlaufzeiten gekündigt wurden. Das ist vorliegend der Fall. Die ordentlichen Kündigungen vom 24. April 2020 erfolgten mehr als 3 Monate vor Ablauf der Erstlaufzeiten am 31. Oktober 2020.
c)Die Beklagte hat auch keinen Anspruch gegen die Kläger auf Anpassung der Verträge in der Weise, dass die Zeiten, in denen der Betrieb von Fitnessstudios zur Bekämpfung der Corona-Pandemie verboten war, an die ursprünglich vereinbarten Vertragslaufzeiten angehängt wird.

Voraussetzung für eine Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1 BGB ist zunächst, dass sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten. Die Anpassung des Vertrages kann aber nur dann verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Schwerwiegende Veränderungen sind bei beachtlicher Äquivalenzstörung anzunehmen und, wenn die in sonstiger Weise eintretende Veränderung der außerhalb des abgeschlossenen Vertrags gebliebenen Vertragsgrundlage die vertragliche Konstellation in besonderer Weise zum Nachteil einer Vertragspartei verändert hat (Böttcher in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 313 BGB, Rn. 26).

Vorliegend haben sich die Grundlagen der Verträge nicht bzw. jedenfalls nicht schwerwiegend verändert.

In den Zeiten der behördlich angeordneten Schließungen der Fitnessstudios konnte die Beklagte die von ihr geschuldete Leistung - nämlich das Zurverfügungstellen von Räumlich-keiten zum Trainieren - nicht erfüllen. Die Leistung war der Beklagten in den von den Schließungen betroffenen Vertragsmonaten unmöglich geworden und der Leistungsanspruch der Kläger gem. § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. Gemäß § 326 Abs. 1 BGB ist dadurch auch der Anspruch der Beklagten auf die Gegenleistung, die jeweiligen Beiträge, entfallen. Aufgrund des Wegfalls der gegenseitigen Leistungspflichten der Vertragsparteien kam es nicht zu einer Äquivalenzstörung.

Die vertraglichen Konstellationen haben sich auch nicht in einer anderen besonderen Weise zum Nachteil einer Vertragspartei verändert. Die mit den behördlich angeordneten Schließungen der Fitnessstudios verbundenen rechtlichen Folgen haben im vorliegenden Vertragsverhältnis lediglich dazu geführt, dass die Beklagte nur für 21 volle Monate (November 2018 bis Februar 2020 = 16 Monate, Juni 2021 bis Oktober 2012 = 5 Monate) statt der vereinbarten 24 Monate zur Leistung gegenüber den Klägern verpflichtet war und ihr daher auch nur 21 volle Monatsbeiträge zustanden. Dass sich dadurch die vertraglichen Konstellationen nicht in besonderer Weise zum Nachteil der Beklagten geändert haben, ergibt sich insbesondere daraus, dass die Beklagte auch Fitness-Verträge mit einer Laufzeit von 12 Monaten anbot und dementsprechend mit einer kürzeren Laufzeit als die Verträge vorliegend erfüllt wurden.

Nach alledem ist davon auszugehen, dass sich die Grundlagen der Verträge nicht bzw. jeden-falls nicht schwerwiegend verändert haben. Das Gericht verkennt insoweit nicht, dass es für die Beklagte von existenzieller Bedeutung sein kann, dass sie in den Zeiten der behördlich angeordneten Schließungen der Fitnessstudios gegenüber sämtlichen ihrer Mitglieder keine Ansprüche auf die Gegenleistungen gem. §§ 326 Abs. 1, 275 BGB hat. Ein Rückgriff auf die Regeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlage kommt aber nicht alleine deswegen in Betracht, weil die Anwendung des Leistungsstörungsrechts für die Beklagte ggf. zu einer wirtschaftlich existenzbedrohenden Folge führt (vgl. BGH, NJW-RR 1995, 854 [BGH 17.02.1995 - V ZR 267/93], Rn. 13, zit. n. juris).

Auch die weiteren Voraussetzungen einer Vertragsanpassung nach § 313 BGB liegen nicht vor. Im vorliegenden Fall ist nicht davon auszugehen, dass die Parteien die Verträge bei Kenntnis der Umstände mit dem Inhalt geschlossen hätten, dass die Zeiten, in den der Betrieb von Fitnessstudios zur Bekämpfung der Corona-Pandemie verboten war, an die ursprüngliche Vertragszeit angehängt wird. Die Verlängerung einer 24-monatigen Vertragslaufzeit entspricht nicht zwingend den Interessen des Mitglieds. Die Kündigung der Mitgliedschaft kann bspw. darin begründet liegen, dass das Mitglied an einem vom Fitnessstudio weiter entfernten Ort zieht, aus persönlichen oder gesundheitlichen Gründen sich nicht mehr in der Lage sieht, die angebotenen Trainingsleistungen in Anspruch zu nehmen. In diesem Fall würde eine Lösung, wie sie die Beklagte als sachgerecht ansieht, einseitig die wirtschaftlichen Interessen der Beklagten befriedigen, nicht jedoch dem Interesse des Mitglieds dienen. Unter anderem vor diesem Hintergrund sieht der Bundesgerichtshof in einem Fitness-Vertrag mit einer Erstlaufzeit von mehr als 24 Monaten aufgrund vorformulierter Vertragsbestimmungen eine unangemessene Benachteiligung des Mitglieds (BGH, Versäumnisurteil vom 08. Februar 2012 - XII ZR 42/10 -, juris). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die von der Beklagten mit Schreiben vom 15. Juni 2020 geltend gemachten Vertragsverlängerungen bis zum

7. Januar 2021 angesichts der weiteren behördlich angeordneten Schließung der Fitnessstu-dios vom 2. November 2020 bis zum 9. Mai 2021 sinnfrei wäre.

II.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Zulassung der Berufung erfolgt gemäß § 511 Abs. 4 ZPO, da der Frage, ob der Anwendungsbereich des § 313 BGB in Fällen wie dem vorliegenden eröffnet ist, grundsätzliche Bedeutung zukommt.