Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.09.2021, Az.: 13 MN 398/21

Corona-Virus; Erfolgsaussicht; Maskenpflicht; Mund-Nasen-Bedeckung; Nachteil; Normenkontrollantrag; Rechtsschutz, vorläufiger; Schule; Verordnung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.09.2021
Aktenzeichen
13 MN 398/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70943
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten es übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.

Der Streitwert des Verfahrens wird auf 10.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Nachdem die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 22. September 2021 das Verfahren übereinstimmend für erklärt haben, soweit es auf eine vorläufige Außervollzugsetzung des § 16 Abs. 1 Satz 4 der Niedersächsischen Verordnung über infektionspräventive Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 und dessen Varianten (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 24. August 2021 (Nds. GVBl. S. 583) gerichtet gewesen war, ist das Verfahren insoweit in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

II. Der im Übrigen sinngemäß gestellte Antrag (Schriftsätze der Antragstellerinnen v. 14.9.2021, S. 19, und v. 22.9.2021, S. 6),

§ 4 Abs. 1 Satz 1 der Niedersächsischen Verordnung über infektionspräventive Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 und dessen Varianten (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 24. August 2021 (Nds. GVBl. S. 583), zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 21. September 2021 (eilverkündet unter: https://www.niedersachsen.de/verkuendung/), im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO vorläufig außer Vollzug zu setzen,

bleibt ohne Erfolg.

Diese Entscheidung, die nicht den prozessrechtlichen Vorgaben des § 47 Abs. 5 VwGO unterliegt (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 607; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 110 ff.), trifft der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 12.6.2009 - 1 MN 172/08 -, juris Rn. 4 m.w.N.) und gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 NJG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter.

Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht in Normenkontrollverfahren auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind zunächst die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrages im Hauptsacheverfahren, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag voraussichtlich Erfolg haben wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind im Rahmen der sog. "Doppelhypothese" die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe müssen die gegenläufigen Interessen deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.4.2019 - BVerwG 4 VR 3.19 -, juris Rn. 4 (zur Normenkontrolle eines Bebauungsplans); OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 22.10.2019 - 6 B 11533/19 -, juris Rn. 5 (zur Normenkontrolle einer Rechtsverordnung über die Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags); Sächsisches OVG, Beschl. v. 10.7.2019 - 4 B 170/19 -, juris Rn. 20 (zur Normenkontrolle einer Rechtsverordnung zur Bildung und Arbeit des Integrationsbeirats); Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 11.5.2018 - 12 MN 40/18 -, juris Rn. 24 ff. (zur Normenkontrolle gegen die Ausschlusswirkung im Flächennutzungsplan) jeweils m.w.N.).

Unter Anwendung dieser Grundsätze kommt eine vorläufige Außervollzugsetzung des § 4 Abs. 1 Satz 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung nicht in Betracht. Der in der Hauptsache gestellte Normenkontrollantrag der Antragstellerinnen (13 KN 397/21) wäre voraussichtlich unbegründet (1.). Auch haben die Antragstellerinnen nicht glaubhaft gemacht, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist (2.).

1. Der in der Hauptsache mit dem Normenkontrollantrag angegriffene § 4 Abs. 1 Satz 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung, der lautet "Jede Person hat in geschlossenen Räumen, die öffentlich oder im Rahmen eines Besuchs- oder Kundenverkehrs zugänglich sind, eine medizinische Maske als Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen.", ist voraussichtlich rechtmäßig.

Die Regelungen der Niedersächsischen Corona-Verordnung betreffend Pflichten zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung finden ihrerseits in § 32 Sätze 1 und 2 in Verbindung mit §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 28a Abs. 1 Nr. 2 IfSG eine tragfähige Rechtsgrundlage (vgl. zu Inhalt und Grenzen der Verordnungsermächtigung des § 32 IfSG: Senatsbeschl. v. 24.3.2021 - 13 MN 145/21 -, juris Rn. 33), sind formell rechtmäßig (vgl. hierzu im Einzelnen: Senatsbeschl. v. 11.3.2021 - 13 MN 70/21 -, juris Rn. 18 ff.; v. 11.11.2020 - 13 MN 485/20 -, juris Rn. 19 ff. m.w.N.) und in materieller Hinsicht mit Blick auf den Adressatenkreis, die Art der Schutzmaßnahme und grundsätzlich auch den konkreten Umfang der Schutzmaßnahme nicht zu beanstanden (vgl. bspw. Senatsbeschl. v. 9.9.2021 - 13 MN 384/21 -, juris (Maskenpflicht an Grundschulen); v. 21.7.2021 - 13 MN 342/21 -, juris Rn. 24 ff. (Maskenpflicht auf Wochenmärkten); v. 3.5.2021 - 13 ME 234/21 -, juris Rn. 9 ff. (Maskenpflicht in Innenstadtbereichen); v. 24.3.2021 - 13 MN 145/21 -, juris Rn. 28 ff. (Maskenpflicht in religiösen Veranstaltungen); v. 25.11.2020 - 13 MN 487/20 -, juris Rn. 33 ff. (Maskenpflicht bei Nichteinhaltung des Abstandsgebots)). Auch die hier angegriffene allgemeine Maskenpflicht nach § 4 Abs. 1 Satz 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung hat der Senat in seinem Beschluss vom 15. September 2021 (- 13 MN 369/21 -, juris) unter Berücksichtigung des aktuellen Infektionsgeschehens für voraussichtlich rechtmäßig erachtet (vgl. ähnlich auch VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 12.8.2021 - 1 S 2315/21 -, juris und OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 28.7.2021 - 13 B 1041/21.NE -, juris (jeweils zur Maskenpflicht für vollständig geimpfte Personen)).

Hieran hält der Senat auch im vorliegenden Verfahren nach Würdigung des Vorbringens der Antragstellerinnen fest. Entgegen deren Auffassung bezieht sich die in § 4 Abs. 1 Satz 1 der Niedersächsischen Corona-Verordnung angeordnete Maskenpflicht nur auf besonders infektionsrelevante Zusammenkünfte einer Vielzahl von Personen insbesondere in geschlossenen Räumen (vgl. mit weiteren zahlreichen Nachweisen zur Senatsrechtsprechung: Senatsbeschl. v. 25.11.2020 - 13 MN 487/20 -, juris Rn. 83), bestehen an der Eignung von (medizinischen) Masken zur Reduzierung des Infektionsrisikos keine vernünftigen Bedenken (vgl. Senatsbeschl. vom 25.11.2020 -13 MN 487/20 -, juris Rn. 78 m.w.N.), sind schwere gesundheitliche Schäden durch das Tragen von medizinischen Masken durch gesunde Personen nicht belegt (vgl. Senatsbeschl. v. 9.9.2021 - 13 MN 384/21 -, juris Rn. 6) und ist die Anordnung einer Maskenpflicht angesichts der durchaus noch bestehenden Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems durch eine Vielzahl gleichzeitig schwer erkrankter ungeimpfter Personen derzeit noch erforderlich und angemessen (vgl. Senatsbeschl. v. 15.9.2021 - 13 MN 369/21 -, juris Rn. 28 ff.; v. 9.9.2021 - 13 MN 384/21 -, juris Rn. 9). Auch den Vorschlägen der Antragstellerinnen für differenzierende Regelungen der Maskenpflicht muss der Antragsgegner nicht nachkommen. Eine Norm wie die Niedersächsische Corona-Verordnung muss es nicht leisten, auf jede noch so spezifische Konstellation einzugehen, vielmehr ist eine Pauschalierung notwendig und auch geboten. Deutlich kleinteiligere Regelungen würden dazu führen, dass die grundsätzliche Maskenpflicht an Übersichtlichkeit einbüßen würde und sie nur noch schwer handhabbar wäre (vgl. Senatsbeschl. v. 15.9.2021 - 13 MN 369/21 -, juris Rn. 30).

2. Der weitere Vollzug der streitgegenständlichen Verordnungsregelung lässt vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren auch keine Nachteile befürchten, die unter Berücksichtigung der Belange der Antragstellerinnen, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Außervollzugsetzung geboten wäre. Dies folgt zwangsläufig bereits aus den mangelnden Erfolgsaussichten des in der Hauptsache gestellten Normenkontrollantrags (siehe hierzu oben II.1.). Aber selbst wenn man die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als offen ansähe, ergäben sich aus dem Vorbringen der Antragstellerinnen keine gewichtigen, eine vorläufige Außervollzugsetzung gebietenden Nachteile. Die Maßnahmen zur Maskenpflicht in öffentlich zugänglichen Räumen bewirken fraglos Grundrechtseingriffe, deren Gewicht auch unter Berücksichtigung des finanziellen Aufwands für die Beschaffung der Masken und etwaiger Unannehmlichkeiten sowie Nachteile für das soziale Miteinander beim Tragen dieser entgegen der Annahme der Antragstellerinnen aber eher als gering zu bewerten ist.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 161 Abs. 2 Satz 1, 154 Abs. 1 und 159 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO.

Auch soweit das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, entspricht es billigem Ermessen, die Kosten den Antragstellerinnen aufzuerlegen. Ihr Antrag wäre unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des Senats zur Maskenpflicht nach § 16 Abs. 1 Satz 4 der Niedersächsischen Corona-Verordnung voraussichtlich ohne Erfolg geblieben (vgl. bspw. Senatsbeschl. v. 9.9.2021 - 13 MN 384/21 -, juris). Die Neuregelung durch Art. 1 Nr. 16 Buchst. b der Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Corona-Verordnung vom 21. September 2021, wonach nunmehr abweichend von § 16 Abs. 1 Satz 4 der Niedersächsischen Corona-Verordnung in den Schuljahrgängen 1 und 2 die Mund-Nasen-Bedeckung in Unterrichts- und Arbeitsräumen abgelegt werden darf, soweit und solange die pflichtige Person einen Sitzplatz eingenommen hat, bietet keinen Anlass für eine abweichende Kostenverteilung. Denn mit dieser Neuregelung hat sich der Antragsgegner ersichtlich nicht freiwillig in die Rolle des Unterlegenen begeben (vgl. zur Relevanz dieses Aspekts für die Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO: BVerwG, Beschl. v. 28.10.2011 - BVerwG 1 C 9.10 -, NVwZ 2012, 61, 62; Beschl. v. 18.10.2002 - BVerwG 1 B 149.02 -, juris Rn. 4; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 9.6.2011 - 10 S 2636/10 -, juris Rn. 2), sondern nur die gebotenen Schlussfolgerungen aus der fortlaufend zu aktualisierenden Bewertung der Notwendigkeit angeordneter Schutzmaßnahmen gezogen (vgl. zu dieser Verpflichtung: BVerfG, Beschl. v. 10.4.2020 - 1 BvQ 31/20 -, juris Rn. 16).

IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1 GKG. Es entspricht der ständigen Praxis des Senats, in Normenkontrollverfahren in der Hauptsache nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO für jeden Antragsteller und jede Rechtsverordnung grundsätzlich den doppelten Auffangwert im Sinne des § 52 Abs. 2 GKG, mithin 10.000 EUR, als Streitwert anzusetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 9.6.2021 - 13 KN 127/20 -, juris Rn. 74; v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, Nds. Rpfl. 2019, 130 f. - juris Rn. 29). Dieser Streitwert ist für das Verfahren auf sofortige Außervollzugsetzung der Verordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).