Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.09.2021, Az.: 4 LA 171/21

Asylprozess, Anwesenheitsinteresse; Erscheinen, persönliches; rechtliches Gehör; rechtliches Gehör, Anwesenheitsinteresse

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.09.2021
Aktenzeichen
4 LA 171/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70955
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 09.07.2021 - AZ: 11 A 1437/21

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Sofern der Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist, genügt zur Gewährleistung rechtlichen Gehörs regelmäßig die Anwesenheit des Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung. Dies gilt grundsätzlich auch im Asylprozess.

Etwas anderes gilt im Einzelfall allerdings dann‚ wenn gewichtige Gründe vorliegen‚ die die persönliche Anwesenheit des Beteiligten in der mündlichen Verhandlung zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur effektiven Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung als erforderlich erscheinen lassen.

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 11. Kammer - vom 9. Juli 2021 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen, hat keinen Erfolg.

Der von ihm geltend gemachte Gehörsverstoß (§§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht dadurch verletzt, dass es in der Sache verhandelt und durch Urteil entschieden hat, ohne den Kläger, der zum Verhandlungstermin am 9. Juli 2021 nicht erschienen ist, persönlich anzuhören.

Das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfG, Beschl. v. 1.7.2021 - 1 BvR 145/20 -, juris Rn. 14; BVerwG, Beschl. v. 28.7.2021 - 4 BN 26.21 -, juris Rn. 2). Der verfassungsrechtlich verankerte Anspruch auf rechtliches Gehör vermittelt den Beteiligten daher das Recht, an einer im Verwaltungsrechtsstreit stattfindenden mündlichen Verhandlung teilzunehmen und sich dort zu Tatsachen und Rechtsfragen zu äußern (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 3.9.2020 - 10 LA 144/20 -, juris Rn. 18; Bay. VGH, Beschl. v. 17.3.2020 - 10 ZB 20.21 -, juris Rn. 7). Sofern der Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist, genügt zur Gewährleistung rechtlichen Gehörs allerdings regelmäßig die Anwesenheit des Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung (BVerwG, Beschl. v. 30.11.2018 - 5 B 33.18 D -, juris Rn. 16; Nds. OVG, Beschl. v. 3.9.2020 - 10 LA 144/20 -, juris Rn. 18). Dies gilt grundsätzlich auch im Asylprozess (BVerwG, Beschl. v. 4.2.2002 - 1 B 313.01 -, juris Rn. 5; Nds. OVG, Beschl. v. 3.9.2020 - 10 LA 144/20 -, juris Rn. 18; Bay. VGH, Beschl. v. 15.4.2020 - 4 ZB 20.30838 -, juris Rn. 5). Einen generellen Anspruch auf eine persönliche Anhörung anwaltlich vertretener Kläger sieht die Prozessordnung im Asylrechtsstreit nicht vor (BVerwG, Beschl. v. 8.8.2007 - 10 B 74.07 - juris Rn. 8; Bay. VGH, Beschl. v. 6.6.2018 - 15 ZB 18.31230 -, juris Rn. 17). Etwas anderes gilt im Einzelfall allerdings dann‚ wenn gewichtige Gründe vorliegen‚ die die persönliche Anwesenheit des Beteiligten in der mündlichen Verhandlung zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur effektiven Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung als erforderlich erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.8.1982 - 9 C 1.81 -, juris Rn. 12; ferner Bay. VGH, Beschl. v. 6.6.2018 - 15 ZB 18.31230 -, juris Rn. 17; OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 7.12.2020 - 4 LA 204/18 -, juris Rn. 11). So kann das Unterbleiben einer persönlichen Anhörung je nach den Umständen des Einzelfalles verfahrensfehlerhaft sein, wenn es für die Entscheidung nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts auf den persönlichen Eindruck von dem Asylbewerber ankommt, etwa weil das Gericht auf seine Glaubwürdigkeit oder die Glaubhaftigkeit seiner Angaben abstellt (BVerwG, Beschl. v. 8.8.2007 - 10 B 74.07 -, juris Rn. 8; Bay. VGH, Beschl. v. 6.6.2018 - 15 ZB 18.31230 -, juris Rn. 17; OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 7.12.2020 - 4 LA 204/18 -, juris Rn. 11).

Gemessen an den vorgenannten Maßstäben liegt hier ein Gehörsverstoß nicht vor. Der Kläger ist ausweislich der Gerichtsakte über seinen Prozessbevollmächtigten durch Schreiben vom 15. Juni 2021 ordnungsgemäß zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 9. Juli 2021 geladen worden. Neben der Zustellung der Ladung an den Prozessbevollmächtigten bedurfte es nach § 67 Abs. 6 Satz 5 VwGO einer Ladung des Klägers selbst nicht. Eine solche Ladung des Klägers selbst ist durch das Verwaltungsgericht, worauf der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der Ladung vom 15. Juni 2021 hingewiesen worden ist, auch nicht erfolgt. Es ist daher Sache des Prozessbevollmächtigten gewesen, seine Mandantschaft rechtzeitig von gerichtlichen Mitteilungen und einem anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung zu unterrichten. Das Recht zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung des Klägers ist folglich durch die ordnungsgemäße Ladung zum Termin über seinen Prozessbevollmächtigten und dessen Teilnahme an der mündlichen Verhandlung gewahrt gewesen.

Eine persönliche Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist auch nicht nach den Umständen des Einzelfalls erforderlich gewesen. Das Verwaltungsgericht hat für seine Entscheidung vielmehr verfahrensfehlerfrei auch ohne persönliche Anhörung des Klägers darauf abstellen können, dass das Fernbleiben des Klägers in der mündlichen Verhandlung den Eindruck erwecke, dass er selbst keine reale Furcht vor einer Rückkehr hegt bzw. ihm der Ausgang des Verfahrens gleichgültig ist, da er ohne Angabe von Hinderungsgründen nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist, um seine Situation darzustellen (Urteilsabdruck, S. 4). Auch soweit das Verwaltungsgericht den Feststellungen und der Begründung in dem angefochtenen Bescheid gemäß § 77 Abs. 2 AsylG gefolgt ist (Urteilsabdruck, S. 4), konnte dies ohne eine persönliche Anhörung des Klägers verfahrensfehlerfrei erfolgen. Denn in dem angefochtenen Bescheid vom 11. Februar 2019 wird darauf abgestellt, dass die Mitgliedschaft und Betätigung in der zugelassenen Partei UFDG grundsätzlich nicht zu einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgung seitens der guinesischen Behörden führe, die Gefahr einer Inhaftierung und Misshandlung des Klägers bei einer Rückkehr in sein Heimatland nicht mehr bestehe und er allein wegen der Zugehörigkeit zur Ethnie der Peul keine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung zu befürchten habe (Bescheidabdruck, S. 3 f.). Auf die fehlende Glaubwürdigkeit des Klägers bzw. Glaubhaftigkeit seiner Angaben hat das Verwaltungsgericht durch die erfolgte Bezugnahme auf die Ausführungen in dem angegriffenen Bescheid damit nicht entscheidungserheblich abgestellt.

Im Übrigen ist für eine begründete Verfahrensrüge wegen der Versagung rechtlichen Gehörs die (erfolglose) vorherige Ausschöpfung sämtlicher verfahrensrechtlich eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, geboten (BVerwG, Beschl. v. 31.3.2008 - 9 B 55.07 -, juris Rn. 4; ferner Bay. VGH, Beschl. v. 1.4.2021 - 23 ZB 20.30366 -, juris Rn. 9; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24.6.2020 - 9 A 3758/19.A -, juris Rn. 16). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat ausweislich des Sitzungsprotokolls im Termin zur mündlichen Verhandlung keinen Vertagungsantrag gestellt, um seinem Mandanten rechtliches Gehör durch eine persönliche Anhörung zu verschaffen.

Soweit der Kläger mit seinem Zulassungsantrag geltend gemacht hat, das Verwaltungsgericht habe sein persönliches Erscheinen nicht angeordnet, obwohl es auf seine Aussage angekommen sei, so dass die bisherige Sachaufklärung hier für die Entscheidung noch nicht ausreichend gewesen sei, macht er der Sache nach einen Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht bzw. den Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 86 Abs. 1 VwGO geltend. Bei einem Verstoß hiergegen handelt es sich jedoch grundsätzlich nicht um einen Gehörsverstoß und damit um einen absoluten Revisionsgrund nach § 138 VwGO, der von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG erfasst wäre (vgl. Senatsbeschl. v. 27.4.2021 - 4 LA 97/21 -, n.v.; ferner OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 27.11.2018 - 4 A 3762/18.A -, juris Rn. 5; Bay. VGH, Beschl. v. 18.4.2019 - 5 ZB 19.50014 -, juris 11). Ein mit Erfolg rügefähiger Verfahrensfehler durch eine unzureichende bzw. unterbliebene Aufklärung des Sachverhalts liegt nur vor, wenn dieser Mangel Ausdruck einer Gehörsverletzung ist (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 3.3.2020 - OVG 9 N 2.20 -, juris Rn. 6; OVG Bremen, Beschl. v. 21.9.2020 - 1 LA 33/20 -, juris Rn. 9). Dies ist hier nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht ist – wie ausgeführt – zur Wahrung des rechtlichen Gehörs des Klägers nicht verpflichtet gewesen, sein persönliches Erscheinen anzuordnen und ihn persönlich in der mündlichen Verhandlung anzuhören.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).