Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.09.2021, Az.: 13 MN 396/21
Abstandsgebot; Corona; Maskenpflicht; Normenkontrolleilantrag; Schulen; Testobliegenheit
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 15.09.2021
- Aktenzeichen
- 13 MN 396/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 70956
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 28 IfSG
- § 28a IfSG
- § 47 Abs 6 VwGO
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert des Verfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der unter dem 3. September 2021 erneut sinngemäß gestellte Antrag (GA, Bl. 93),
§ 16 der Niedersächsischen Verordnung über infektionspräventive Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 und dessen Varianten vom 24. August 2021 (Niedersächsische Corona-Verordnung, eilverkündet unter https://www.niedersachsen.de/verkuendung, Nds. GVBl. S. 583) vorläufig außer Vollzug zu setzen,
hat keinen Erfolg.
Diese Entscheidung, die nicht den prozessrechtlichen Vorgaben des § 47 Abs. 5 VwGO unterliegt (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 607; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 110 ff.), trifft der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 12.6.2009 - 1 MN 172/08 -, juris Rn. 4 m.w.N.) und gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 NJG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter.
1. Der Antrag ist bereits unzulässig. Der Antragstellerin fehlt die nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erforderliche Antragsbefugnis.
Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann den Antrag eine natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Sinne dieser Bestimmung sind die gleichen Maßstäbe anzulegen wie bei der Klagebefugnis im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.8.2005 - BVerwG 6 BN 1.05 -, juris Rn. 3 ff., insbes. 7; Urt. v. 26.2.1999 - BVerwG 4 CN 6.98 -, juris Rn. 9). Ausreichend, aber auch erforderlich ist es daher, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch den zur Prüfung gestellten Rechtssatz in seinen subjektiven Rechten verletzt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.9.1998 - BVerwG 4 CN 2.98 -, juris Rn. 8; Senatsbeschl. v. 29.7.2020 - 13 MN 280/20 -, juris Rn. 9). Ein Nachteil ist „in absehbarer Zeit zu erwarten“, wenn sein Eintritt nach den konkret gegebenen Umständen bereits voraussehbar ist (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 27.2.1980 - 9 C 2/79 -, juris Leitsatz 1). Es kommt darauf an, ob die Rechtsverletzung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit für so nahe Zukunft droht, dass eine vernünftige, ihre Belange nicht überängstlich wahrende Person bei objektiver Würdigung der konkreten Umstände das Bemühen um Rechtsklarheit nicht noch aufschieben würde (Schoch/Schneider, VwGO, § 47 Rn. 48 (Stand: Juli 2020); Senatsbeschl. v. 25.8.2020 - 13 MN 319/20 -, juris Rn. 23; Bayerischer VGH, Beschl. v. 28.9.2020 - 20 NE 20.2142 - juris Rn. 16). Dem Grundsatz nach wird nur dann, wenn die Beschwer des Antragstellers noch nicht greifbar ist oder von Bedingungen abhängt, deren Eintritt prognostisch nicht eingeschätzt werden kann, der Antrag unzulässig sein (Schoch/Schneider, VwGO, § 47 Rn. 48 (Stand: Juli 2020)). Ein Antragsteller ist nur antragsbefugt, soweit sich sein Antrag gegen Verordnungsregelungen richtet, die ge- oder verbietend an ihn adressiert sind, die zu ihn betreffenden belastenden Verwaltungs- oder Realakten ermächtigen oder die sonst wie eine ihn belastende Wirkung entfalten können (vgl. Senatsbeschl. v. 23.12.2020 - 13 MN 506/20 -, juris Rn. 21).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Antragstellerin eine Antragsbefugnis nicht glaubhaft gemacht.
Die Antragstellerin wendet sich gegen § 16 der Niedersächsischen Corona-Verordnung. Diese Bestimmung beinhaltet eine Vielzahl von Einzelregelungen, die unterschiedliche Infektionsschutzmaßnahmen anordnen, und verweist zudem auf den „Niedersächsischen Rahmen-Hygieneplan Corona Schule“, der weitere Regelungen enthält. Aus dem Antragsschriftsatz vom 3. September 2021 geht nicht hervor, gegen welche dieser Regelungen sich die Antragstellerin im Einzelnen überhaupt wendet. Eine weitere Präzisierung hat die Antragstellerin trotz entsprechender Ablehnung bereits ihres ersten Antrags vom 27. August 2021 mit Senatsbeschluss vom 2. September 2021 - 13 MN 372/21 - nicht vorgelegt. Jedenfalls in einem Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes mit Anwaltszwang ist es nicht Aufgabe des Senats, von der Antragstellerin schlicht behauptete tatsächliche Beeinträchtigungen konkreten rechtlichen Verbotsregelungen zuzuordnen und so die von ihr geforderte Geltendmachung einer möglichen Rechtsverletzung zu ersetzen. Auch die pauschale Behauptung der Verletzung wahllos zitierter Normen des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention genügt den Anforderungen an die Geltendmachung der erforderlichen Antragsbefugnis nicht.
2. Sofern man aus den Ausführungen auf S. 11 bis 13 der Antragsschrift vom 3. September 2021 zu den Erfolgsaussichten einer Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 VwGO eine Antragsbefugnis hinsichtlich der dort erwähnten Testverpflichtung, der Abstandsregelung und der Maskenpflicht herleiten wollte, wäre der Antrag jedenfalls unbegründet.
a) Mit der Testverpflichtung für Schüler hat sich der Senat bereits in seinem Beschluss vom 19. April 2021 - 13 MN 192/21 - (juris) befasst und diese gebilligt. An dieser Auffassung hält der Senat auch im Hinblick auf die Testplicht an Grundschulen nach § 16 Abs. 3 und 4 der Niedersächsischen Corona-Verordnung fest. Soweit in der Antragsbegründung der Antragstellerin von einer PCR-Testverpflichtung die Rede ist, muss darauf hingewiesen werden, dass § 16 Abs. 3 und 4 der Niedersächsischen Corona-Verordnung keine derartige Verpflichtung enthält. Vielmehr verweist der dort in Bezug genommene § 7 Abs. 3 Satz 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung auf die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung, die PCR-Tests, Antigen-Schnelltests und Selbsttests (mit unterschiedlicher Gültigkeitsdauer) gleichstellt. Zudem dürfen die Schüler bei Durchführung eines Selbsttests die erforderliche Dokumentation des Testergebnisses selbst erbringen.
b) Die Abstandsregelung des § 16 Abs. 1 Satz 3 der Niedersächsischen Corona-Verordnung greift in die allgemeine Handlungsfreiheit der Schüler (Art. 2 Abs. 1 GG) ein, ist jedoch durch den Gesundheitsschutz und die dazu erforderliche Möglichkeit der Nachverfolgung von Infektionsketten derzeit noch gerechtfertigt. Das Abstandsgebot beschränkt sich auf den schulischen Bereich und betrifft nur Kontakte zwischen Personen unterschiedlicher Gruppen (Kohorten). Sofern die Antragstellerin und ihre Freunde unterschiedlichen Gruppen angehören, steht § 16 Abs. 1 Satz 3 der Verordnung einem Zusammensein in der Freizeit nicht entgegen. Das mindert zwar die Effektivität der Regelung, trägt aber dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der besonderen Belastung von Kindern durch Kontaktbeschränkungen Rechnung.
c) Auch die Maskenpflicht an Schulen sieht der Senat derzeit noch als gerechtfertigt an. Er hat in seinem Beschluss vom 9. September 2021 - 13 MN 384/21 - (juris) unter Berücksichtigung der nunmehr auch von der Antragstellerin vorgelegten Studienauswertung ausgeführt:
„Die in § 16 Abs. 1 Satz 4 der Niedersächsischen Corona-Verordnung festgelegte Verpflichtung, während des Schulbetriebs eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, stellt eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG dar, die in rechtmäßiger Weise durch Rechtsverordnung nach § 32 IfSG erlassen worden ist. Sie genügt derzeit noch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Der Senat hat sich bereits in seinem Beschluss vom 30. November 2020 - 13 MN 519/20 - (juris) mit der Maskenpflicht an Schulen befasst und diese als notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG gebilligt. Daran hält der Senat im vorliegenden Fall fest. Das gilt selbst unter Berücksichtigung des Vorbringens des Antragstellers auch, soweit die Maskenpflicht auf die Schuljahrgänge 1 bis 4 ausgedehnt worden ist. Dabei verkennt der Senat nicht, dass Kinder möglicherweise sensibler auf das Tragen einer Maske reagieren als Erwachsene. Auch liegt es nahe, dass das längerfristige Tragen einer Maske insbesondere bei Kindern zu Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen und anderen kurzfristigen negativen Nebenwirkungen führen kann (vgl. die vom Antragsteller übersandte deutsche Übersetzung der Studienauswertung von Kisielinski/Giboni/ Prescher/ Klosterhalfen/Graessel/ Funken/Kempski/Hirsch, dort insb. S. 31 ff. und S. 43 f. = Bl. 14 ff. GA). Schwere gesundheitliche Schäden bei im Übrigen gesunden Kindern sind jedoch nicht hinreichend belegt (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 9.3.2021 - 13 B 266/21.NE -, juris Rn. 53 ff.; VG Weimar, Beschl. v. 20.4.2021 - 8 E 416/21 We -, juris Rn. 35 ff. unter Hinweis auf die Stellungnahmen der verschiedenen medizinischen Fachgesellschaften).
Die besondere Belastung der Kinder durch die Maskenpflicht hat der Antragsgegner in den ergänzenden Regelungen zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in der Rundverfügung Nr. 22/2021 der Regionalen Landesämter für Schule und Bildung vom 26. August 2021 auch berücksichtigt. Schülern zwischen dem vollendeten 6. und 14. Lebensjahr ist anstelle einer medizinischen Maske das Tragen jeder beliebigen anderen textilen oder textilähnlichen Bedeckung gestattet, die aufgrund ihrer Beschaffenheit eine Ausbreitung von übertragungsfähigen Tröpfchenpartikeln durch Husten, Niesen oder Aussprache verringert. Zudem sind Maskenpausen während des Unterrichts vorgesehen, und es besteht auf dem Schulgelände im Freien auch in den Unterrichtspausen keine Maskenpflicht. Auf diese Weise wird die Belastung durch die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Rahmen des Möglichen erheblich reduziert.
Im Übrigen gilt bei schulpflichtigen Kindern, denen aufgrund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigung oder einer Vorerkrankung das Tragen einer Mund-Nasen Bedeckung nicht zumutbar ist, bei Vorlage eines Attests oder einer vergleichbaren amtlichen Bescheinigung die Ausnahmeregelung des § 4 Abs. 5 der Niedersächsischen Corona-Verordnung.
Auf der anderen Seite wird durch die Maskenpflicht auch in Schulen der Überlastung des Gesundheitssystems entgegengewirkt. Allerdings dürfte die bloße Verhinderung einer Infektion der Mitschüler für sich genommen nicht verhältnismäßig sein, da Kinder im Grundschulalter sich zwar häufig infizieren, aber nur sehr selten schwer oder gar tödlich erkranken. Auch der Schutz der ungeimpften Erwachsenen, die durch infizierte Kinder selbst infiziert werden und schwer erkranken können, ist zur Rechtfertigung der Maskenpflicht allein nicht ausreichend, da für diese Erwachsenen regelmäßig die Möglichkeit besteht, sich durch eine Impfung selbst vor schweren Erkrankungen hinreichend zu schützen. Den Schülern, für die derzeit eine Impfmöglichkeit erst ab dem vollendeten 12. Lebensjahr besteht, dürfen keine Belastungen allein zum Schutz impfunwilliger Erwachsener auferlegt werden. Allerdings bewegt sich die Impfquote in Niedersachsen mit über 63,6% vollständig Geimpften derzeit noch in einem Bereich, in dem allein die Erkrankung Ungeimpfter und nicht vollständig Geimpfter zu einer Überlastung des Gesundheitssystems führen kann. Eine derartige Situation kann unabhängig davon, dass Schulen nicht als „Treiber der Pandemie“ bezeichnet werden, schon aufgrund der großen Zahl der schulpflichtigen Kinder entstehen, die über ihre Kontakte insbesondere im familiären Umfeld eine mögliche Infektion weitergeben können. Der Schutz des Gesundheitssystems vor einer Überlastungssituation ist aber nach wie vor ein legitimer Zweck, der die Ergreifung notwendiger Maßnahmen rechtfertigt, wozu eine Maskenpflicht in Schulen derzeit noch zu rechnen ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass alternativ denkbare und in der Vergangenheit auch praktizierte Schulschließungen sowie ausufernde Quarantäneanordnungen sich für die Betroffenen als deutlich belastender darstellen. Die Maskenpflicht auch in den Schuljahrgängen 1 bis 4 dient damit derzeit noch der Aufrechterhaltung des Präsenzunterrichts. Der Verordnungsgeber wird aber den weiteren Impffortschritt voranzutreiben und zu beobachten sowie die Maskenpflicht zumindest für jüngere Schüler aufzuheben haben, sobald die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems durch Weitergabe des Virus durch diese Schüler realistischerweise nicht mehr besteht.“
Die Ausführungen der Antragstellerin rechtfertigen keine andere Betrachtungsweise. Insbesondere erfordert die geringere Effektivität einer auch nach § 4 Abs. 1 Satz 4 der Niedersächsischen Corona-Verordnung zugelassenen textilen Mund-Nasen-Bedeckung gegenüber einer medizinischen Maske kein völliges Absehen von dieser Barriere, die zumindest größere Tröpfchen zurückhält und damit die Viruslast verringert. Eine Maßnahme ist nicht nur dann geeignet, wenn sie einen vollkommenen Schutz gewährleistet. Der Verzicht auf die effektivere, aber belastendere Verpflichtung zum Tragen einer medizinischen Maske ist durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Es entspricht der ständigen Praxis des Senats, in Normenkontrollverfahren in der Hauptsache nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO grundsätzlich den doppelten Auffangwert im Sinne des § 52 Abs. 2 GKG, mithin 10.000 EUR, als Streitwert anzusetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, Nds. Rpfl. 2019, 130 f. - juris Rn. 29). Dieser Streitwert ist für das Verfahren auf sofortige Außervollzugsetzung der Verordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO zu halbieren.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).