Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.09.2021, Az.: 13 LA 286/21
Antrag auf Zulassung der Berufung; Auszubildender; Corona; Entschädigung; Quarantäne; subjektives Leistungshindernis; Verdienstausfall
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 23.09.2021
- Aktenzeichen
- 13 LA 286/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 70946
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 16.04.2021 - AZ: 7 A 3445/20
Rechtsgrundlagen
- § 19 Abs 1 Nr 2b BBiG
- § 30 IfSG
- § 56 Abs 1 IfSG
- § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO
- § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die amtlich angeordnete Absonderung wegen eines Ansteckungs- oder Krankheitsverdachts nach § 30 IfSG ist ein in der Person des Auszubildenden liegender Grund im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b BBiG.
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 7. Kammer - vom 16. April 2021 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Der Streitwert des Berufungszulassungsverfahrens wird auf 525,51 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 7. Kammer - vom 16. April 2021, mit dem dieses ihre Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Gewährung einer infektionsschutzrechtlichen Verdienstausfallentschädigung sowie auf Aufhebung des ablehnenden Bescheids des Landkreises C. vom 28. Oktober 2020 (Blatt 33 der Gerichtsakte) abgewiesen hat, bleibt ohne Erfolg.
Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (2.) liegen nicht vor.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, BVerfGE 125, 104, 140 - juris Rn. 96). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, 542, 543 - juris Rn. 9). Eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert, dass im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, dass und warum Zweifel an der Richtigkeit der Auffassung des erkennenden Verwaltungsgerichts bestehen sollen. Hierzu bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 31.8.2017 - 13 LA 188/15 -, juris Rn. 8; Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth u.a., VwGO, 7. Aufl. 2018, § 124a Rn. 80 jeweils m.w.N.).
Die Klägerin wendet gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ein, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für einen infektionsschutzrechtlichen Verdienstausfallentschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG verneint. Gegenüber ihrem Auszubildenden D. E. habe das Gesundheitsamt des Landkreises C. mit Bescheid vom 3. August 2020 (Blatt 27 der Gerichtsakte) eine häusliche Quarantäne angeordnet, die bis zum 24. August 2020 angedauert habe. Infolge dieser Absonderungspflicht habe der Auszubildende einen Verdienstausfall in Höhe von 525,51 EUR erlitten. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe der Auszubildende auch keine Vergütungsfortzahlung nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b BBiG beanspruchen können. Dies setze ein persönliches Leistungshindernis voraus. Die Corona-Pandemie sei aber ein globales und gesamtgesellschaftliches Ereignis. Sie begründe eine allgemeine Gefahrenlage und betreffe die Allgemeinheit. Es seien nicht nur ihr Auszubildender und eine große Anzahl von anderen Personen betroffen. Vielmehr könne jede Person ansteckungsverdächtig werden. Die Absonderung dieser Personen diene der Gefahrenabwehr und erfolge im Interesse der Allgemeinheit. Das danach objektive Leistungshindernis schließe eine Vergütungsfortzahlung nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b BBiG aus.
Diese Einwände begründen nach dem dargestellten Maßstab eine Berufungszulassung gebietende ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht. Das Verwaltungsrecht hat - ungeachtet der hier nicht entscheidungserheblichen Frage, ob die Klage gegen den richtigen Beklagten gerichtet ist (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NGöGD i.V.m. MS, Erstattung der nach § 56 des Infektionsschutzgesetzes geleisteten Verdienstausfallentschädigungen, Runderl. v. 7.4.2005, Nds. MBl. S. 281) - zu Recht angenommen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen infektionsschutzrechtlichen Verdienstausfallentschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG (vgl. hierzu: Senatsbeschl. v. 2.7.2021 - 13 LA 258/21 -, juris Rn. 7 ff.) nicht erfüllt sind, da der bei der Klägerin beschäftigte Auszubildende D. E. aufgrund der Anordnung einer häuslichen Quarantäne durch das Gesundheitsamt des Landkreises C. mit Bescheid vom 3. August 2020 (Blatt 27 der Gerichtsakte) keinen Verdienstausfall erlitten hat. Dieser kann vielmehr nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b BBiG auch für den angeordneten Absonderungszeitraum vom 1. bis zum 24. August 2020 die Fortzahlung seiner Ausbildungsvergütung gegenüber der Klägerin beanspruchen.
Nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b BBiG ist Auszubildenden die Vergütung auch zu zahlen bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn sie aus einem sonstigen, in ihrer Person liegenden Grund unverschuldet verhindert sind, ihre Pflichten aus dem Berufsausbildungsverhältnis zu erfüllen. Das hier von der Klägerin allein infrage gestellte Tatbestandsmerkmal des subjektiven Leistungshindernisses ("aus einem … in ihrer Person liegenden Grund") ist erfüllt. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die amtlich angeordnete Absonderung nach § 30 IfSG ein solches subjektives Leistungshindernis, da sich bei der Anordnung der Absonderung ein personenbezogener Gefahrenverdacht verwirklicht (Senatsbeschl. v. 2.7.2021 - 13 LA 258/21 -, juris Rn. 10 (zu § 616 Abs. 1 BGB; vgl. dahingehend auch VG Frankfurt, Urt. v. 20.7.2021 - 5 K 578/21.F -, juris Rn. 24 ff.; Noack, Entgeltfortzahlung und Entschädigung - Entgeltrisiko und Durchsetzbarkeit des Anspruchs aus § 56 IfSG, in: NZA 2021, 251 (253); Hohenstatt/Krois, Lohnrisiko und Entgeltfortzahlung während der Corona-Pandemie, in: NZA 2020, 413 (415); Stöß/Putzer, Entschädigung von Verdienstausfall während der Corona-Pandemie, in: NJW 2020, 1465 (1468); Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann (Hrsg.), BGB, § 616 Rn. 17, Stand: Februar 2020; MüKo, BGB, 8. Aufl. 2020, § 616 Rn. 25; a.A. Weller/Lieberknecht/Habrich, Virulente Leistungsstörungen - Auswirkungen der Corona-Krise auf die Vertragsdurchführung, in: NJW 2020, 1017 (1019); Kraayvanger/Schrader, Erstattungsanspruch des Arbeitgebers nach § 56 V 2 IfSG bei COVID-19?, in: NZA-RR 2020, 623 (626)). Auch wenn es sich bei der Corona-Pandemie um ein weltweites Ereignis handelt, durch die ein vergleichbares Leistungshindernis zur selben Zeit für mehrere Beschäftigte bestehen kann, liegt in einer Absonderung wegen eines individuellen Ansteckungs- oder Krankheitsverdachts ein subjektives Leistungshindernis, da die besonderen persönlichen Verhältnisse des Beschäftigten derart betroffen sind, dass Rückwirkungen auf seinen körperlichen oder seelischen Zustand bestehen, womit stets ein personenbedingter Grund anzunehmen ist (vgl. Preis/Mazurek/Schmid, Rechtsfragen der Entgeltfortzahlung in der Pandemie, in: NZA 2020, 1137 (1139 f.)).
2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Eine solche grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine höchstrichterlich noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang ungeklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich im Rechtsmittelverfahren stellen würde und im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf (vgl. Senatsbeschl. v. 31.8.2017 - 13 LA 188/15 -, juris Rn. 53 m.w.N.). Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen, hat der Zulassungsantragsteller die für fallübergreifend gehaltene Frage zu formulieren sowie näher zu begründen, weshalb sie eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat und ein allgemeines Interesse an ihrer Klärung besteht. Darzustellen ist weiter, dass sie entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten steht (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 15.8.2014 - 8 LA 172/13 -, GewArch 2015, 84, 85 - juris Rn. 15; Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 35 ff. m.w.N.).
Hieran gemessen kommt der von der Klägerin aufgeworfenen Frage,
"Ist die Quarantäne-Anordnung aufgrund der COVID-19 Pandemie ein 'in ihrer Person liegender Grund' des Arbeitnehmers/Auszubildenden im Sinne des § 616 BGB/§ 19 Abs. 1 Nr. 2 lit. b BBiG (und damit) ein subjektives Leistungshindernis?",
eine die Zulassung der Berufung gebietende grundsätzliche Bedeutung nicht zu.
Die Frage als solche ist schon nicht entscheidungserheblich. Denn es ist keine allgemeine "Quarantäne-Anordnung aufgrund der COVID-19 Pandemie" ergangen. Gegenüber dem bei der Klägerin beschäftigten Auszubildenden D. E. hat das Gesundheitsamt des Landkreises C. mit Bescheid vom 3. August 2020 (Blatt 27 der Gerichtsakte) vielmehr eine häusliche Quarantäne wegen eines individuellen Ansteckungsverdachts angeordnet. Diese Anordnung begründet, wie zu 1. ausgeführt, ein subjektives Leistungshindernis, so dass die auf den entscheidungserheblichen Gegenstand reduzierte Frage (bejahend) zu beantworten ist, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, 52 Abs. 1 und 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).