Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.04.2014, Az.: 4 PA 320/13

Zulässigkeit einer Klage bei Nichteinhaltung der Widerspruchsfrist gegen einen Bescheid

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.04.2014
Aktenzeichen
4 PA 320/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 14645
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2014:0410.4PA320.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 27.11.2013 - AZ: 3 A 4616/12

Fundstelle

  • NdsVBl 2014, 292

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 3. Kammer - vom 27. November 2013 wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin gegen den erstinstanzlichen Beschluss ist unbegründet. Denn das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht wegen der nicht hinreichenden Erfolgsaussichten ihrer Klage abgelehnt (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zutreffend als unzulässig angesehen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist ein nach §§ 68 ff. VwGO ordnungsgemäß (und erfolglos) durchgeführtes Vorverfahren für eine Anfechtungsklage (§ 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und auch für die hier vorliegende Verpflichtungsklage (§ 68 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 VwGO) eine Sachurteils- bzw. Prozessvoraussetzung (Kopp / Schenke, VwGO, Vorb § 68 Rn. 6 m.w.N.). Dazu gehört auch die nach § 70 Abs. 1 VwGO fristgemäße Einlegung des Widerspruchs. Die Zulässigkeit der Klage hängt daher von der Rechtzeitigkeit des Widerspruchs ab (BVerwG, Urteil vom 13.2.1987 - 8 C 128.84 -). Das von der Klägerin angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Juni 1988 (6 C 24.87) ist hier nicht einschlägig, da dieses den Fall betrifft, in dem die Widerspruchsbehörde sachlich über den verspäteten Widerspruch entschieden und dadurch den Weg zur verwaltungsgerichtlichen Sachprüfung eröffnet hat. Hier hat der Beklagte jedoch den Widerspruch der Klägerin in seinem Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2012 "als unzulässig zurückgewiesen" und nur zusätzlich ausgeführt, dass dieser "auch inhaltlich nicht begründet" sei. Dass der Beklagte in seinem Schriftsatz im erstinstanzlichen Verfahren vom 1. Oktober 2012 vorgetragen hat, dass er an seinen "Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 27.06.2012 hinsichtlich der fehlenden Unterschrift der Klägerin innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist nicht mehr" festhält, ändert hieran nichts. Insoweit hat das Verwaltungsgericht auch zu Recht darauf hingewiesen, dass die Feststellung der Zulässigkeit der Klage nicht zur Disposition der Beteiligten steht. Es ist hier daher zu prüfen gewesen, ob die Klägerin innerhalb der Monatsfrist des § 70 Abs. 1 VwGO Widerspruch gegen den Bescheid des Beklagten vom 7. Mai 2012 eingelegt hat. Dies hat das Verwaltungsgericht zutreffend verneint mit der Folge, dass die Klage unzulässig ist.

Der Widerspruch ist gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekannt gegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben. Dem Schriftformerfordernis wird bei bestimmenden Schriftsätzen, wie dem Widerspruchsschreiben, in der Regel nur durch eine eigenhändige Unterschrift genügt (BVerwG, Urteil vom 18.12.1992 - 7 C 16.92 - m.w.N.). Das im Verwaltungsvorgang des Beklagten befindliche, am 15. Mai 2012 beim Beklagten eingegangene Widerspruchschreiben vom 14. Mai 2012 enthält am Ende lediglich den maschinengeschriebenen bzw. elektronisch erstellten Namenszug der Klägerin. Es fehlt eine eigenhändige Unterschrift. Der diesbezügliche Einwand der Klägerin, dass es sich bei dem im Verwaltungsvorgang befindlichen Widerspruchschreiben vom 14. Mai 2012 um dessen Kopie handele, sich daher die Frage stelle, ob das Original eine handschriftliche Unterschrift enthalte, und es zu Lasten des Beklagten gehe, wenn das Original nicht gefunden werden könne, ist nicht nachvollziehbar, da wenn das Original des Widerspruchschreibens eine eigenhändige Unterschrift enthalten hätte, diese auch auf dessen Kopie zu sehen sein müsste.

Ausnahmsweise ist jedoch eine eigenhändige Unterschrift nicht erforderlich, wenn sich aus dem Schriftsatz allein oder in Verbindung mit beigefügten Unterlagen die Urheberschaft und der Wille, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, hinreichend sicher ergeben, ohne dass darüber Beweis erhoben werden müsste (BVerwG, Urteil vom 18.12.1992 - 7 C 16.92 -, zum Widerspruchsschreiben und BVerwG, Beschlüsse vom 19.12.2001 - 3 B 33.01 - und 26.6.1980 - 7 B 160.79 -, zur Klageschrift). Es kann insofern im Einzelfall möglicherweise auch die eigenhändige Angabe der Anschrift auf dem verschlossenen Briefumschlag, der den Widerspruch enthält, genügen (siehe hierzu Kopp / Schenke, VwGO, § 70 Rn. 2). Hier sind dem per Einschreiben übersandten Widerspruchsschreiben vom 14. Mai 2012 offenbar zwei Bescheide des Studentenwerks Augsburg vom 12. Dezember 2011 und das Schreiben eines Immobilienfonds vom 31. Mai 2011, die an die Klägerin adressiert sind, beigefügt gewesen. Dies könnte zwar für die Urheberschaft der Klägerin und ihren Willen, dass das Widerspruchsschreiben an den Beklagten gelangen sollte, sprechen. Doch ist der Briefumschlag nicht von der Klägerin selbst handschriftlich beschriftet worden. Die Klägerin hat in ihrem Schreiben an den Beklagten vom 10. Juli 2012 und im Rahmen ihrer Beschwerdebegründung eingeräumt, dass ihr Freund sowohl das Widerspruchsschreiben verfasst als auch den Briefumschlag beschriftet habe. Auch durch einen Vergleich der Handschrift der Klägerin (beispielsweise bei der handschriftlichen Ausfüllung des Antrages auf Ausbildungsförderung vom 10. Februar 2011) mit der Handschrift auf dem Briefumschlag, der das Widerspruchsschreiben enthalten hat, ist ohne weiteres erkennbar, dass die Klägerin den Briefumschlag nicht selbst beschriftet hat. Dieser Umstand spricht maßgeblich dagegen, dass zum Zeitpunkt des Eingangs des Widerspruchsschreibens vom 14. Mai 2012 beim Beklagten ohne Beweiserhebung bzw. Nachforschungen erkennbar gewesen ist, dass der Widerspruch von der Klägerin herrührt und mit ihrem Willen an den Beklagten gelangt ist. Dass die Klägerin (erst) im Beschwerdeverfahren eine Bevollmächtigung ihres Freundes vorgelegt hat, ist insoweit ohne Belang. Denn dies ändert nichts daran, dass die Urheberschaft der Klägerin und ihr Wille, das Widerspruchsschreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, sich für den Beklagten weder aus dem die Unterschrift der Klägerin nicht aufweisenden Widerspruchsschreiben vom 14. Mai 2012 allein noch in Verbindung mit den sonstigen, insofern zu berücksichtigenden Sachverhaltsumständen hinreichend sicher ergeben haben, ohne dass hierüber noch Nachforschungen hätten angestellt werden müssen. Das Widerspruchsschreiben vom 14. Mai 2012 genügt daher nicht zur Wahrung der Frist des § 70 Abs. 1 VwGO. Erst mit dem am 11. Juli 2012 beim Beklagten eingereichten Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 10. Juli 2012 hat die Klägerin wirksam Widerspruch gegen den Bescheid des Beklagten vom 7. Mai 2012 eingelegt. Zu diesem Zeitpunkt ist die Widerspruchsfrist des § 70 Abs. 1 VwGO jedoch bereits abgelaufen gewesen.

Der von der Klägerin ferner geltend gemachte Umstand, dass sie in dem genannten Schreiben vom 10. Juli 2012 auch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt hat, über den der Beklagte noch nicht entschieden hat, ändert nichts daran, dass der Widerspruch verspätet eingelegt worden ist, deshalb die Sachurteilsvoraussetzung eines ordnungsgemäßen Vorverfahrens gemäß §§ 68 ff. VwGO nicht erfüllt ist und daher die Klage unzulässig ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 188 VwGO und § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.