Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.04.2014, Az.: 13 LA 17/13

Rechtsschutzbedürfnis zur Wahrung des Gebotes effektiven Rechtsschutzes bei hinreichender Bestimmtheit des tatsächlichen Drohens einer befürchteten Maßnahme; Anspruch einer Altenpflegeeinrichtung auf Unterlassung von Besuchen der Besuchskommission

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.04.2014
Aktenzeichen
13 LA 17/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 14641
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2014:0409.13LA17.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 18.12.2012 - AZ: 7 A 2778/12

Fundstellen

  • DÖV 2014, 636
  • NordÖR 2014, 368
  • RÜ 2014, 394

Amtlicher Leitsatz

Auch wenn bei einer vorbeugenden Unterlassungsklage gegen schlichtes Verwaltungshandeln der Suspensiveffekt des § 80 Abs. 1 VwGO nicht zur Verfügung steht, ist zur Wahrung des Gebotes effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) das Rechtsschutzbedürfnis nur zu bejahen, wenn sich mit hinreichender Bestimmtheit bereits übersehen lässt, dass die befürchtete Maßnahme auch tatsächlich jederzeit droht (hier verneint).

Tenor:

Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 7. Kammer - vom 18. Dezember 2012 zuzulassen, wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungszulassungsverfahren wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt vom Beklagten, Besuche nach § 30 Abs. 4 und 5 NPsychKG in der von ihr betriebenen Altenpflegeeinrichtung "D." in E. F., G., zu unterlassen. Die durch Versorgungsvertrag nach § 72 SGB XI zugelassene Pflegeeinrichtung der Klägerin nimmt insbesondere ältere demenzkranke und demenziell veränderte Menschen auf, die dort nach dem sog. Hausgemeinschaftskonzept in Wohngruppen betreut und versorgt werden.

Ihre auf Unterlassung von Besuchen durch die vom Beklagten gebildete Besuchskommission gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 18. Dezember 2012 als unzulässig abgewiesen. Der vorbeugenden Unterlassungsklage fehle das erforderliche qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis, weil nach Lage der Dinge nicht absehbar sei, wann es zu einem Besuch der zuständigen Besuchskommission H. und einer damit von der Klägerin befürchteten Verletzung ihrer Grundrechte (Art. 12, 13 GG) kommen werde. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Besuchskommission H. in ihrem Gebiet in den Jahren 2010 und 2011 lediglich acht von 223 in Frage kommenden Altenpflegeeinrichtungen besucht habe. Demzufolge könne es theoretisch zwar schon morgen, aber auch erst in 35 Jahren zu einem derartigen Besuch kommen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Besuchskommission H. seit ihrem 15jährigen Bestehen ihre Besuche in Altenpflegeeinrichtungen in ständiger Übung etwa vier Wochen vorher ankündige und den Träger der jeweiligen Einrichtung vor dem geplanten Besuch entsprechend detailliert informiere. Es sei nicht ersichtlich, dass der Beklagte diese bisher ständig geübte Praxis der Besuchskommission H. in Zukunft ändern werde. Auch wenn sie nach § 30 Abs. 4 Satz 2 NPsychKG von einer vorherigen Anmeldung ihres Besuches absehen könne, wenn es ihr angezeigt erscheine, habe sie davon bisher keinen Gebrauch gemacht. Auch für die Zukunft sei nichts anderes vorgesehen. Im Falle eines ihr wie üblich vorher angekündigten Besuches der Besuchskommission H. bleibe der Klägerin ausreichend Zeit, dem noch rechtzeitig durch einen Antrag nach § 123 VwGO entgegenzuwirken. Insofern sei es für die Klägerin nicht mit unzumutbaren Nachteilen verbunden und mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar, ihr vorbeugendes Unterlassungsbegehren erst dann gerichtlich geltend zu machen, wenn ein Besuch konkret bevorstehe. Ein unangemeldeter Besuch sei allenfalls dann theoretisch denkbar, wenn aus Einrichtungen über erhebliche Missstände berichtet werde. Dazu sei es bisher nicht gekommen, so dass dieser Umstand im Verhältnis zur generellen Übung nicht ins Gewicht falle. Im Übrigen sei auch bei einem (hypothetischen) unangemeldeten Besuch der zuständigen Besuchskommission in der Einrichtung der Klägerin die Gewährung eines vorläufigen effektiven Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO für sie nicht von vornherein ausgeschlossen. Davon abgesehen stehe der Klägerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage wohl auch in der Sache wahrscheinlich nicht zu (wird ausgeführt).

Dagegen richtet sich der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung.

II.

Ihr Antrag hat keinen Erfolg.

Die Zulassung der Berufung setzt nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO voraus, dass einer der in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe dargelegt ist und vorliegt. Eine hinreichende Darlegung nach § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO erfordert, dass in der Begründung des Zulassungsantrags im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, weshalb der benannte Zulassungsgrund erfüllt sein soll. Zwar ist bei den Darlegungserfordernissen zu beachten, dass sie nicht in einer Weise ausgelegt und angewendet werden, welche die Beschreitung des eröffneten (Teil-)Rechtswegs in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert (BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats, Beschl. v. 12.03.2008 - 2 BvR 378/05 -; BVerfG, 2. Kammer des 1. Senats, Beschl. v. 24.01.2007 - 1 BvR 382/05 -; BVerfG, 1. Kammer des 2. Senats, Beschl. v. 21.01.2000 - 2 BvR 2125/97 -, jeweils zit. nach [...]). Erforderlich sind aber qualifizierte, ins Einzelne gehende, fallbezogene und aus sich heraus verständliche, auf den jeweiligen Zulassungsgrund bezogene und geordnete Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen.

Der von der Klägerin geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Prozessurteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) wird nicht hinreichend dargelegt bzw. liegt nicht vor. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils können nur dann bestehen, wenn gegen dessen Richtigkeit gewichtige Gründe sprechen. Das ist regelmäßig der Fall, wenn ein die Entscheidung tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458; BVerwG, Beschl. v. 10.03.2004 - 7 AV 4/03 -, [...]). Da das Erfordernis der ernstlichen Zweifel auch auf die Ergebnisrichtigkeit abstellt, dürfen sich die Zweifel indessen nicht ausschließlich auf die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung beziehen, sondern es ist zusätzlich das Ergebnis, zu dem das Verwaltungsgericht gelangt ist, mit in den Blick zu nehmen. Für die Zulassung der Berufung wegen des Vorliegens ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen hingegen nicht vor, wenn zwar einzelne Rechtssätze oder tatsächliche Feststellungen, welche das Urteil tragen, zu Zweifeln Anlass bieten, das Urteil aber im Ergebnis aus anderen Gründen offensichtlich richtig ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.03.2004 - 7 AV 4.03 -, a.a.O.).

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen.

Der Klägerin möchte gegenüber dem Beklagten erreichen, dass dieser es unterlässt, dass die von ihm gebildete Besuchskommission (§ 30 Abs. 3 NPsychKG) Besuche nach § 30 Abs. 4 und 5 NPsychKG in der Altenpflegeeinrichtung "D." in E. F., G. durchführt. Ihrer darauf gerichteten vorbeugenden Unterlassungsklage fehlt das erforderliche qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis.

Verwaltungsrechtsschutz ist grundsätzlich nachgängiger Rechtsschutz. Das folgt aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der der Gerichtsbarkeit nur die Kontrolle der Verwaltungstätigkeit aufträgt, ihr aber grundsätzlich nicht gestattet, bereits im Vorhinein gebietend oder verbietend in den Bereich der Verwaltung einzugreifen. Die Verwaltungsgerichtsordnung stellt darum ein System nachgängigen - ggf. einstweiligen - Rechtsschutzes bereit und geht davon aus, dass dieses zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) grundsätzlich ausreicht. Vorbeugende Klagen sind daher nur zulässig, wenn ein besonderes schützenswertes Interesse gerade an der Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes besteht, wenn mit anderen Worten der Verweis auf den nachgängigen Rechtsschutz - einschließlich des einstweiligen Rechtsschutzes - mit für die Klägerin unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (stRspr., vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Januar 1967 - BVerwG 3 C 58.65 - BVerwGE 26, 23 = Buchholz 427.3 § 338 LAG Nr. 13, vom 8. September 1972 - BVerwG 4 C 17.71 - BVerwGE 40, 323 <326 f.>, vom 29. Juli 1977 - BVerwG 4 C 51.75 - BVerwGE 54, 211 <214 f.>, vom 7. Mai 1987 - BVerwG 3 C 53.85 - BVerwGE 77, 207 <212> = Buchholz 418.711 LMBG Nr. 16 S. 34, vom 25. September 2008 - BVerwG 3 C 35/07 -, BVerwGE 132, 64 <68>). Ein solches spezifisches Interesse der Klägerin gerade an vorbeugendem Rechtsschutz ist auch nach den Ausführungen in ihrem Zulassungsantrag nicht erkennbar. Dass die Klägerin besondere Gründe hat, die es rechtfertigen, den aus ihrer Sicht jederzeit drohenden unangekündigten Besuch ihrer Einrichtung nicht abzuwarten, weil dann vorläufiger Rechtsschutz nach § 123 VwGO nicht mehr wirksam zu erlangen sei, hat das Verwaltungsgericht unter eingehender Auswertung der bisherigen Besuchspraxis der Besuchskommission H. mit zutreffenden Erwägungen, denen der Senat folgt, verneint. Auch wenn bei einer vorbeugenden Unterlassungsklage gegen schlichtes Verwaltungshandeln der Suspensiveffekt des § 80 Abs. 1 VwGO der Klägerin hier nicht zur Verfügung steht, ist zur Wahrung des Gebotes effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) das Rechtsschutzbedürfnis nur zu bejahen, sofern sich mit hinreichender Bestimmtheit bereits übersehen lässt, dass die befürchtete Maßnahme der Verwaltung auch tatsächlich jederzeit droht. Das ist hier nicht der Fall. Der Senat vermag unter Berücksichtigung der Ausführungen des Beklagten in der Antragserwiderung nicht zu erkennen, dass die zuständige Besuchskommission H. sich auf einen Besuch der Einrichtung der Klägerin bereits unzweideutig festgelegt hat und die nach ihrer Auffassung abzuwehrende Rechtsverletzung deswegen unmittelbar bevorsteht. Wenn der diesbezügliche Entscheidungsfindungsprozess wie hier noch aussteht und von künftigen nicht vorhersehbaren Verhältnissen abhängt und deshalb noch völlig ungewiss ist, ob, wann, in welcher Weise und unter welchen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen die Besuchskommission sich zu einem unangemeldeten Besuch der Einrichtung der Klägerin entschließt, kommt jede Klage zu früh und kann ein berechtigtes Interesse an einem vorbeugenden Rechtsschutz nicht anerkannt werden (vgl. BVerwGE 45, 99 <105>).

Die Rechtssache weist insoweit auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Beurteilung des besonderen Rechtsschutzbedürfnisses der Klägerin für ihre vorbeugende Unterlassungsklage erweist sich nach dem Vorstehenden weder tatsächlich noch rechtlich als besonders schwierig und liegt nicht signifikant über dem Durchschnitt verwaltungsgerichtlicher Fälle.

Auf die Begründetheit der Klage und die in diesem Zusammenhang vorsorglich von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe gegen das obiter dictum des Verwaltungsgerichts kommt es nicht mehr entscheidungserheblich an.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).