Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.01.2024, Az.: 8 LB 88/22
Einzelfallbeurteilung der beachtlichen Wahrscheinlichkeit der Verfolgung eines Familienangehörigen eines Regimegegners im Iran allein aufgrund der familiären Verbindung; Berücksichtigung der Nähe des Verwandtschaftsverhältnisses, des Profils des Regimegegners, der Zugriffsmöglichkeit auf den Regimegegner selbst und sonstiger auf das Verfolgungsinteresse Einfluss habender Umstände
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 26.01.2024
- Aktenzeichen
- 8 LB 88/22
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 10968
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2024:0126.8LB88.22.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Osnabrück - 20.01.2022 - AZ: 2 A 125/20
Rechtsgrundlage
- § 3 AsylG
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Ob es beachtlich wahrscheinlich ist, dass ein Familienangehöriger eines Regimegegners im Iran allein aufgrund der familiären Verbindung einer Verfolgung ausgesetzt ist, kann nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der Nähe des Verwandtschaftsverhältnisses, des Profils des Regimegegners, der Zugriffsmöglichkeit auf den Regimegegner selbst und sonstiger Umstände, die auf das Verfolgungsinteresse Einfluss haben, beurteilt werden.
- 2.
Zu Verfolgungsmaßnahmen kann es führen, wenn vom Islam zum Christentum konvertierte iranische Staatsangehörige im Iran nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten, eine herausgehobene Rolle in einer Hauskirche einnehmen oder ihre Abkehr vom Islam nach außen dadurch zeigen, dass sie in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen kirchlichen Riten wie Gottesdiensten teilnehmen. Auch das Praktizieren des Glaubens in Hauskirchen kann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen auslösen. Die Taufe als solche oder das kurzzeitige Einstellen eines Bildes in den sozialen Medien, aus dem diese erkennbar wird, machen eine Verfolgung nicht beachtlich wahrscheinlich.
- 3.
Wegen eines mehrjährigen Aufenthalts im Ausland oder seiner Asylantragstellung droht einem iranischen Staatsangehörigen im Rückkehrfall nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung. Rückkehrer können beim Grenzübertritt befragt werden. Seit den im September 2022 begonnenen Protesten ist keine Steigerung der Befragungstätigkeit festzustellen.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 2. Kammer (Einzelrichter) - vom 20. Januar 2022 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt nach Konversion zur christlichen Religion internationalen Schutz.
Der 1994 geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger persischer Volkszugehörigkeit.
Nach seinen Angaben verließ er im Juli 2018 sein Herkunftsland und begab sich über die Türkei nach Griechenland, wo er sich von August 2018 bis November 2019 aufhielt. Die Beklagte erklärte sich zur Übernahme des Klägers aus Griechenland bereit, weil seine Ehefrau in Deutschland bereits einen Asylantrag gestellt hatte. Der Kläger reiste in das Bundesgebiet ein und beantragte am 20. November 2019 Asyl.
Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt gab er an, er habe den Iran verlassen, weil die Polizei sein Haus gestürmt habe, nachdem seine Ehefrau an einer Demonstration teilgenommen habe. Insgesamt habe sie an zwei Demonstrationen, am 1. Januar 2018 und 14. Juni 2018, teilgenommen und sei häufiger politisch aktiv gewesen und habe sich für Frauenrechte eingesetzt. Die Polizei habe einen Computer mit belastenden Dateien mitgenommen. Er selbst sei nicht politisch aktiv gewesen und habe nicht an Demonstrationen teilgenommen. Außerdem sei er in Griechenland zum Christentum konvertiert. Er legte ein Taufzertifikat der "Voice of Truth C.C.N.P." vor, wonach er nach einem Bibelkurs am 21. September 2019 getauft worden sei. An dem Tag, an dem er konvertiert sei, habe er kurzfristig ein Bild, auf dem er ein Kreuz hinter seiner Person gehabt habe, als Profilbild bei WhatsApp eingestellt, was ein Bekannter, der im Bereich "Informations- und Überwachungssystem" tätig gewesen sei, wahrgenommen habe.
Durch Bescheid vom 11. August 2020 entschied das Bundesamt, die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen, den Antrag auf Asylanerkennung abzulehnen und den subsidiären Schutzstatus nicht zuzuerkennen, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, drohte unter Setzung einer 30-tägigen Ausreisefrist die Abschiebung in den Iran an und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate. Eine identitätsprägende Hinwendung zum Christentum habe nicht stattgefunden. Das Veröffentlichen eines Bildes stelle keinen Beweis für eine Konversion dar. Wegen der Aktivitäten seiner Ehefrau sei der Kläger keiner konkreten Verfolgung ausgesetzt gewesen. Es lägen keine Erkenntnisse vor, dass er für diese Aktivitäten zur Verantwortung gezogen werden könne.
Der Kläger hat am 25. August 2020 Klage erhoben und schriftsätzlich vorgetragen, die Polizei sei nach der Anhörung beim Bundesamt noch zweimal bei seiner Mutter gewesen. Seine Verfolgung beruhe nicht nur auf der Demonstrationsteilnahme, sondern auch auf weiteren politischen Aktivitäten der Ehefrau. Hierüber habe es Dokumente auf dem von der Polizei beschlagnahmten Computer der Ehefrau geben. Der Kläger habe unmittelbar nach seiner Ankunft in A-Stadt regelmäßig die Kirche besucht. Er habe am Gemeindeleben teilgenommen und Kontakte geknüpft. Aufgrund der Corona-Krise habe er hauptsächlich YouTube-Videos geschaut, die ihm andere Gemeindemitglieder gesendet hätten. Er wolle nun aber wieder regelmäßig in die altreformierte Kirche in A-Stadt gehen. Er besuche seit mehreren Jahren regelmäßig Veranstaltungen der Kirchengemeinde.
Er hat eine Erklärung über den Eintritt in die evangelisch-altreformierte Kirchengemeinde in A-Stadt vom 17. Januar 2022 vorgelegt.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat er vorgetragen, im Iran werde er als Ehemann für die Aktivitäten seiner Frau verantwortlich gemacht. Seine Frau halte sich in England auf. Er habe seit 7 bis 8 Monaten keinen Kontakt mehr zu ihr und wolle nicht mehr mit ihr zusammen sein. Ein Scheidungsantrag sei nicht gestellt. In Griechenland habe er auf der Straße gelebt. Er sei angesprochen worden und jemand habe ihm angeboten, in die Kirche zu kommen, wo es Essen und eine Übernachtungsmöglichkeit gebe. Dort sei sein Interesse am Christentum geweckt worden. Er habe mehrere Monate die Kirche besucht und sei dann getauft worden. Kurz nach der Einreise nach Deutschland habe er eine Kirche gefunden und diese besucht, bis Corona gekommen sei. Er habe dann zu Hause gebetet. Später habe er die Kirche gewechselt, es sei jetzt eine evangelisch-altreformierte Kirche. Er sei seit etwa 6 bis 7 Monaten in der neuen Kirche Mitglied, habe keine Aufgabe, treffe sich aber mit anderen und bete.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter (teilweiser) Aufhebung ihres Bescheids vom 11. August 2020 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft,
hilfsweise, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 20. Januar 2022 abgewiesen. Die Flüchtlingseigenschaft sei nicht zuzuerkennen. Dem Kläger drohe bei einer Rückkehr in den Iran keine Verfolgung wegen seiner Religion. Zwar ziehe die Konversion zum Christentum im Iran eine erhebliche Verfolgungsgefahr nach sich. Jedoch vermöge das Gericht die Ernsthaftigkeit des Glaubenswechsels des Klägers zum Christentum nicht zu seiner vollen Überzeugung festzustellen. In Griechenland habe er aufgrund seiner Notsituation Kontakt zur christlichen Kirche erhalten. Dass er danach ein Interesse am Christentum entwickelt habe, hätten die oberflächlichen Ausführungen dazu, was ihm am Christentum besonders gefalle, nicht hinreichend erkennen lassen. Es habe offenbar einen längeren Zeitraum gegeben, in dem er kaum Kontakt mit kirchlichen Institutionen in Deutschland gehabt habe. Erst unter dem Eindruck der Ladung zur mündlichen Verhandlung habe der Kläger die Kontakte zur Kirche in Deutschland intensiviert und über einen Freund Kontakt zu einer Freikirche gefunden. Die Kircheneintrittserklärung sei drei Tage vor der mündlichen Verhandlung erfolgt. Er habe keine religiösen Beweggründe für den Wechsel der Kirchengemeinde anführen können. Die Angaben des Jugendreferenten und des Freundes des Klägers hätten an dieser Einschätzung nichts ändern können. Das Gericht halte es nicht für ausgeschlossen, dass der Kläger die häufig vorkommenden Angebote von Gemeinden an persischsprachige Asylbewerber nutze, um einen Nachfluchtgrund zu belegen. Der Kläger werde bei seiner Rückkehr in den Iran nicht die auf tiefer innerer Einstellung basierende Verpflichtung verspüren, den christlichen Glauben zu leben. Anhaltspunkte dafür, dass die iranischen Behörden eine im Bundesgebiet aus verfahrenstaktischen Gründen erfolgte Teilnahme an Gottesdiensten sowie dem Gemeindeleben einer christlichen Kirche als Anlass für Verfolgungshandlungen nutzten, bestünden nach derzeitiger Erkenntnislage nicht. Dies gelte ebenso für das kurzfristige Hochladen eines Fotos mit einem Kreuz als Profilbild. Dem Kläger drohe keine Verfolgung aufgrund der geltend gemachten politischen Aktivitäten seiner Ehefrau. Er selbst sei nicht politisch aktiv gewesen. Dass er nach seinen Angaben mit der Frauenbewegung sympathisiert habe, sei den iranischen Behörden nicht bekannt geworden. Den Erkenntnismitteln lasse sich weder entnehmen, dass im Iran grundsätzlich eine Sippenhaft bestehe, noch, dass diese gänzlich ausgeschlossen wäre. Bei der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer Sippenhaft hätten insbesondere der Inhalt der politischen Aktivitäten sowie deren Umfang und der Verwandtschaftsgrad bzw. die Bindung zu dem politischen Aktivisten Bedeutung. Die Ehefrau habe keine herausgehobene Stellung im Rahmen der Frauenbewegung gehabt. Die Aktivitäten lägen mehrere Jahre zurück. Neben der formalen Ehe bestehe keine gelebte Verbindung mehr zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau. Der Kläger habe nicht vorgetragen, dass seine im Iran lebenden Verwandten bzw. die seiner Ehefrau verfolgt würden. Die Einlassung, die Polizei sei nach der Anhörung beim Bundesamt noch zweimal gekommen, sei asyltaktisch motiviert. Es bestehe kein Anspruch auf subsidiären Schutz, da weder ein ernsthafter Glaubenswechsel noch eine Gefährdung aufgrund der Aktivitäten der Ehefrau hätten festgestellt werden können. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines nationalen Abschiebungsverbotes seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Hinsichtlich der Ausreisefrist, der Abschiebungsandrohung sowie der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bestünden keine rechtlichen Bedenken.
Mit der durch Beschluss vom 27. Juni 2022 zugelassenen Berufung macht der Kläger geltend, er befürchte wegen der Aktivitäten seiner Frau eine Verfolgung, weil er sie in ihren Ambitionen unterstützt habe. Vor allem mache er aber eine Konversion zum Christentum geltend. Schon mit 17 bis 18 Jahren habe er den Islam als Religion nicht mehr akzeptieren wollen und sich innerlich von ihm abgewandt. In Griechenland habe er sich zunächst aus Not und Hunger an die Kirche gewandt. Er habe dann schnell gemerkt, dass es sich beim Christentum für ihn um eine Religion mit Liebe und ohne Zwang handle. Nach Besuch eines Bibelkurses sei er getauft worden. Seit seiner Ankunft in Deutschland besuche er regelmäßig die Kirche und nehme am Gemeindeleben teil. Dies sei zeitweise nur eingeschränkt möglich gewesen aufgrund der Regelungen der Coronaschutzverordnung. Er habe während des Lockdowns die Kirche gewechselt, unter anderem, weil in der neuen Gemeinde regelmäßig Online-Veranstaltungen angeboten worden seien. Die Formalität des Kircheneintritts sei vollzogen worden, als aufgrund der Ladung zur mündlichen Verhandlung das Nichtbestehen der formellen Kirchenmitgliedschaft zu Bewusstsein gekommen sei. Damit sei seine bereits bestehende tatsächliche Zugehörigkeit zur Gemeinde lediglich bekräftigt worden. Die Kirchengemeinde sei aus praktischen Gründen gewechselt worden. Er könne den Gottesdiensten in deutscher Sprache folgen und seine Fragen auf Deutsch stellen.
Der Kläger hat eine Bescheinigung eines Pastors der evangelisch-altreformierten Gemeinde vorgelegt, wonach er sich in die Gemeindearbeit einbringe und regelmäßig die sonntäglichen Gottesdienste besuche.
Er beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 2. Kammer (Einzelrichter) - vom 20. Januar 2022 zu ändern und die Beklagte unter entsprechender, ggf. teilweiser Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 11. August 2020 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
weiter hilfsweise, festzustellen, dass ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iran vorliegt.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, für nicht anerkannte religiöse Minderheiten werde das Recht auf freie Religions- und Glaubensausübung im Iran in unterschiedlichem Maße verletzt. Es komme auf die Glaubhaftigkeit des Klägers an. Eine auf Sippenhaft gegründete Verfolgung werde den Kläger voraussichtlich nicht treffen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Die Klage ist mit Haupt- und Hilfsanträgen unbegründet.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG setzt die Flüchtlingseigenschaft voraus, dass ein Ausländer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die (1.) auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder (2.) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 3 AsylG muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen bestehen. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67, juris Rn. 19). Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist gemäß Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.
Diese Voraussetzungen sind weder im Hinblick auf das von dem Kläger behauptete Geschehen im Iran noch wegen einer Reflexverfolgung in Bezug auf seine Ehefrau, seiner Konversion, des Lesens regimekritischer Beiträge in sozialen Medien oder des langjährigen Auslandsaufenthalts und der Asylantragstellung erfüllt.
a) Der Kläger ist nicht vorverfolgt ausgereist. Sein Vorbringen zu den Gründen für seine Ausreise aus dem Iran ist nicht glaubhaft und ergibt, selbst wenn man dessen Wahrheit unterstellt, nicht, dass er von Verfolgung bedroht war.
aa) Es steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger und seine Ehefrau von iranischen Sicherheitskräften gesucht wurden.
Was die Behauptung betrifft, die Sicherheitskräfte hätten nicht nur nach der Ehefrau des Klägers, sondern auch nach ihm selbst gesucht, obwohl dieser in eigener Person hierfür keinen Anlass gegeben hatte, ist bereits der Weg, auf dem der Kläger hiervon erfahren haben will, nicht ausreichend verlässlich, um eine Überzeugungsbildung zu stützen. Der Kläger hat angegeben, die Mitteilung sei im Rahmen eines Telefonats von seiner Mutter an seine Schwiegermutter überbracht worden, in welchem die Durchsuchung des von der Ehefrau des Klägers und diesem selbst bewohnten Zimmers in der Wohnung der Mutter des Klägers beschrieben worden sei. Seine Schwiegermutter habe die Nachricht an die Schwägerin des Klägers weitergegeben, diese an seine Ehefrau, und diese an ihn. Angesichts dessen bleibt völlig offen, ob die Sicherheitskräfte zum Ausdruck gebracht haben, dass sie nach dem Kläger suchten, oder ob diese allein seine Ehefrau suchten und die Annahme, es sei auch nach dem Kläger gesucht worden, auf dem Übermittlungsweg hinzugefügt worden ist.
Hinsichtlich des seine Frau betreffenden Sachverhalts bleiben unüberwindliche, einer Überzeugungsbildung entgegenstehende Zweifel an dem Vorbringen des Klägers. Dieser hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht von sich aus einen nachvollziehbaren, plastischen Lebensvorgang schildern können, aus dem sich ergibt, dass und warum iranische Sicherheitskräfte nach seiner Frau gesucht hätten. Während die Angaben bei dem Bundesamt noch einigermaßen ausführlich waren, berief sich der Kläger nunmehr mehrfach auf Gedächtnislücken. Als Anlass für die Furcht vor Maßnahmen der Sicherheitskräfte gab er jetzt an, seine Frau und ihre Schwester seien nach der Demonstrationsteilnahme von der Polizei verfolgt worden. Bei der Anhörung vor dem Bundesamt war davon nicht die Rede gewesen. Dort hatte der Kläger an einer Stelle die telefonische Mitteilung von der Hausdurchsuchung und an einer anderen die telefonische Mitteilung von der Festnahme der Studentin seiner Schwägerin genannt. Die Studentin, die bei der Anhörung bei dem Bundesamt eine bedeutende Rolle bei der Entstehung der Verfolgungsfurcht gespielt hatte (siehe die Anhörungsniederschrift v. 21.11.2019, S. 3), erwähnte der Kläger von sich aus gar nicht mehr. Auf sie angesprochen, konnte er sich an sie nicht erinnern. Auch, wie viele Tage nach der Demonstration die Hausdurchsuchung durchgeführt worden sein soll, konnte der Kläger bei dem Bundesamt angeben, vor dem Berufungsgericht aber nicht. Bei dem Gericht ist der Eindruck entstanden, dass dem Kläger weitgehend entfallen war, was er bei dem Bundesamt berichtet hat. Hätte er von tatsächlich erlebten, für ihn bedrohlichen Ereignissen gesprochen, wäre zu erwarten gewesen, dass diese im Kernbereich präsent geblieben wären.
Zu der mangelnden Überzeugungskraft trägt weiter bei, dass der Kläger sich nach seinem Vortrag zur Flucht entschloss, ohne nähere Kenntnis zu haben, inwiefern und warum seine Ehefrau und seine Schwägerin gefährdet waren. Er beendete mithin seinen gesamten bisherigen Lebenszuschnitt und nahm die Entfernung von seinen Eltern in Kauf, ohne ernsthaft über Einzelheiten informiert zu sein, nur anhand der Angaben der beiden Frauen, die nach seinem Vortrag rudimentär blieben. Er kannte die Themen der Demonstrationen nicht. Die Frauen informierten ihn nicht über den genauen Ablauf und die Ursachen der Verfolgung. Dem Gericht war es angesichts dessen nicht möglich, ein nachvollziehbares Bild von dem behaupteten Verhalten des Klägers zu gewinnen.
bb) Selbst wenn man den Vortrag des Klägers bei dem Bundesamt als zutreffend unterstellt, ist daraus keine Vorverfolgung des Klägers abzuleiten.
Als Verfolgter kann ein Ausländer nur dann ausgereist sein, wenn er auf der Flucht vor einer unmittelbar bevorstehenden oder einer bereits eingetretenen politischen Verfolgung sein Heimatland verlassen hat (vgl. Sächsisches OVG, Urt. v. 30.11.2021 - 2 A 488/19.A -, juris Rn. 21). Die bereits erlittener Verfolgung gleichzustellende unmittelbar - d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen muss (BVerwG, Urt. v. 24.11.2009 - 10 C 24.08 -, BVerwGE 135, 252, juris Rn. 14).
Die Motivation, aus der heraus die Sicherheitskräfte nicht nur nach der Ehefrau des Klägers, die zuvor an einer Demonstration teilgenommen hatte, sondern auch nach dem Kläger gefragt und gesucht haben könnten, ist nicht bekannt. Er hat in eigener Person keine Umstände verwirklicht, die eine Verfolgung beachtlich wahrscheinlich machen würden. Dass die Sicherheitskräfte beabsichtigten, an dem Kläger Handlungen vorzunehmen, die die in § 3a Abs. 1 AsylG bezeichnete Intensität erreichten, wäre nur dann beachtlich wahrscheinlich, wenn eine Situation vorgelegen hätte, in der im Iran mit einer Reflexverfolgung ("Sippenhaft") von Familienangehörigen zu rechnen ist. Das ist bei dem von dem Kläger behaupteten Sachverhalt nicht der Fall.
Aus den Erkenntnismitteln ist abzuleiten, dass es nicht beachtlich wahrscheinlich ist, dass jeder Familienangehörige eines Regimegegners, der sich im Iran aufhält, allein aufgrund der familiären Verbindung einer Verfolgung ausgesetzt ist. Die Wahrscheinlichkeitsprognose kann nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der Nähe des Verwandtschaftsverhältnisses, des Profils des Regimegegners, der Zugriffsmöglichkeit auf den Regimegegner selbst und sonstiger Umstände, die auf das Verfolgungsinteresse Einfluss haben, gestellt werden.
Fälle von Sippenhaft existieren, meistens in politischen Fällen; üblicher ist jedoch, dass Familienmitglieder unter Druck gesetzt werden, im Sinne einer Unterlassung politischer Aktivitäten auf den Betreffenden einzuwirken (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, 18.11.2022, S. 17). Dem Auswärtigen Amt sind auch Fälle bekannt, in denen Personen, die nicht politisch aktiv waren, wegen der Aktivität von Familienmitgliedern Repressalien ausgesetzt waren, verhört worden oder auch verhaftet worden sind (Auswärtiges Amt, Auskunft an das BAMF vom 8.8.2022).
Maßnahmen des iranischen Regimes gegen Familienangehörige sind in verschiedenen Zusammenhängen bekannt. Diejenigen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zu den Volksmudschahedin zu haben - einschließlich der Familienmitglieder - riskieren starke Reaktionen. Oft werden auch Familienmitglieder und Freunde von Strafverteidigern unter Druck gesetzt (verhört oder verhaftet). Als Vergeltungsmaßnahme für die Arbeit von im Ausland lebenden Oppositionellen und Medienschaffenden wurden ihre im Iran lebenden Familienangehörigen von den Behörden verhört und/oder willkürlich inhaftiert. Zwar gibt es keine klaren Kriterien dafür, gegen wen ermittelt wird und wer bestraft wird, doch laufen enge Familienmitglieder von politischen Aktivistinnen und Aktivisten gemäß einer Quelle Gefahr, von den Behörden ins Visier genommen zu werden, nicht jedoch die Großfamilie. Eine andere Quelle widerspricht dem und geht - allerdings ohne Beispiele zu nennen - davon aus, dass die Behörden die Familienangehörigen politischer Aktivisten gut behandeln, um der Welt zu zeigen, dass es in Iran Freiheit gibt und dass den Rückkehrern kein Leid zugefügt wird (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformation der Staatendokumentation. Iran, 13.4.2023, S.14, 40 f., 142 f.).
Ebenso wie im Fall von im Ausland lebenden Oppositionellen und Medienschaffenden sind im Falle von Mitgliedern kurdischer Parteien, die sich im Nordirak aufhalten, die eigentlichen Regimegegner nicht greifbar, so dass aus Sicht der iranischen Stellen Anlass bestehen kann, Familienangehörige anzusprechen. Hierzu wird ausgeführt:
Auch die Familien der Mitglieder kurdischer Parteien im Iran werden häufig kontaktiert, um die den Parteien angehörenden Familienmitglieder zu überreden, die Parteien zu verlassen und in den Iran zurückzukehren. Je höher die Position eines Parteimitglieds, desto höher ist der Druck auf die Familie in Iran (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformation der Staatendokumentation. Iran, 13.4.2023, S. 17). Es häufen sich Berichte über Repressalien gegen Kurden aufgrund suspekter Aktivitäten ihrer Verwandten im Irak, mit denen die Verwandten zum Aufgeben oder zur Einreise in den Iran bewegt werden sollen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformation der Staatendokumentation. Iran, 13.4.2023, S. 91).
Eine Quelle unterstrich, dass Personen aus vielen unterschiedlichen Gründen festgenommen werden, einschließlich der Eigenschaft als Familienmitglied von jemandem, der im Gefängnis ist, oder wegen der Unterstützung einer Idee, die der Ideologie der iranischen Regierung widerspricht (Danish Immigration Service (DIS), Country Report, Iranian Kurds, Consequences of political activities in Iran and KRI, Februar 2020, S. 22). Familienangehörige von Parteimitgliedern oder Unterstützern unterliegen dem Risiko, einbestellt, befragt, festgenommen und festgehalten zu werden. Die iranische Regierung macht davon Gebrauch, Informationen von Familienmitgliedern zu erlangen, damit die Familienmitglieder Druck auf das Parteimitglied oder den Unterstützer ausüben. Eine Quelle vertrat die Ansicht, dass ein Familienmitglied dem Risiko unterliegt, gefoltert zu werden, wenn die Behörden wissen, dass es sich um einen Familienangehörigen eines Parteimitglieds handelt. Familienangehörige von jemandem, der soziale oder politische Aktivitäten durchführt, werden überwacht; dies schließt die Überwachung von Telefonanrufen und Computernutzung ebenso ein wie die Fortbewegung. Die Vorgehensweise der Behörden gegenüber der Familie kann von Fall zu Fall variieren. In einigen Fällen wird der Vater verpflichtet, sich bei den Geheimdienstbehörden zu melden und zu versichern, dass er die Stadt nicht verlassen hat und nicht auf andere Weise versucht hat, den Sohn oder die Tochter zu treffen. Die Bestrafung von Familienmitgliedern variiert abhängig von dem Aktivitätsniveau des Aktivisten. In einigen Fällen sind die Familien festgenommen und angeklagt worden. Bei engeren Familienangehörigen, wie Ehegatten, Kindern, Eltern oder Geschwistern, ist die Wahrscheinlichkeit einer Festnahme größer (Danish Immigration Service (DIS), Country Report, Iranian Kurds, Consequences of political activities in Iran and KRI, Februar 2020, S. 27). Eine Familie mit einem Familienmitglied außerhalb des Iran, das ziviler oder politischer Aktivist ist, wird stärker überwacht und stärker unter Druck gesetzt. Es gibt Beispiele von Familienangehörigen, die festgenommen oder mit dem Tode bedroht wurden, weil ein naher Verwandter ausgedehnte politische oder Menschenrechtsaktivitäten außerhalb des Landes durchgeführt hat. Die iranischen Behörden sammeln Informationen über den Aktivisten, indem sie die Familie wiederholt auffordern, Informationen darüber zu geben, wo die geflüchtete Person lebt und was sie tut (Danish Immigration Service (DIS), Country Report, Iranian Kurds, Consequences of political activities in Iran and KRI, Februar 2020, S. 28).
Eine westliche Botschaft gab 2012/2013 an, man höre mehr und mehr von gewöhnlichen Personen, die von den Behörden verfolgt würden, weil Familienangehörige Mitglieder von Komala oder anderen kurdischen Parteien seien. In Bezug auf Komala und KDPI hieß es, die Regierung sei nicht "glücklich" mit ihnen. Wenn Kurden kulturelle Aktivitäten organisierten und eine Anzahl von Personen zusammenkomme, fürchteten die Behörden, dies sei eine Tarnung für politische Aktivitäten, weswegen sie auch kulturelle Aktivitäten und Äußerungen unterdrückten. Es sei unmöglich zu sagen, wo für die Behörden in Bezug auf kurdische Aktivitäten die Schwelle liege. Es gebe keine klare Logik und keine klare rote Linie. Ein Menschenrechtsaktivist gab an, das System ziele auf Mitglieder von Gruppen wie Komala, d. h. auf dokumentierte Mitglieder, ab, und in diesen Fällen könnten deren Familienmitglieder, einschließlich Frauen und Kinder, von den Behörden ebenfalls unter Druck gesetzt werden. Dies diene der Suche nach diesen Personen ebenso wie dazu, sie und ihre Familien unter Druck zu setzen. Das Verhalten des iranischen Systems sei kompliziert, und es sei unmöglich, eindeutig zu sagen, welche Gruppe die verwundbarste sei, und es ändere sich ständig. Alles und jedes könne durch das System als politisch angesehen werden, wenn es für die Behörden von Nutzen sei (Danish Refugee Council/Landinfo/Danish Immigration Service, Iran. On Conversion to Christianity, Issues concerning Kurds and Post-2009 Election Protestors as well as Legal Issues and Exit Procedures, 2/2013, S. 40 ff.)
Keine Reflexverfolgung, sondern unmittelbare Verfolgung, findet in den Fällen statt, in denen Familienangehörige getöteter Personen durch das Regime an Protesten, dem Verlangen nach Strafverfolgung oder öffentlicher Trauer gehindert werden. Die Maßnahmen knüpfen an eigenes Verhalten oder erwartetes Verhalten der Betroffenen an (vgl. z.B. amnesty international, Iran: Harassment of Families of Victims Unlawfully Killed during Protests Must End, 21.8.2023; amnesty international, "THEY VIOLENTLY RAPED ME". Sexual violence weaponized to crush Iran's "Woman Life Freedom" uprising, 2023, S. 26).
Im Fall des Klägers bestand ein besonders enges Näheverhältnis zu der eigentlich in den Blick der Sicherheitsbehörden geratenen Ehefrau. Allerdings war er nicht besser greifbar als die Ehefrau. Sie hatte ein niedriges oppositionelles Profil. Der Kläger hat nur berichtet, sie habe an zwei Demonstrationen teilgenommen und belastendes Material auf ihrem Rechner gespeichert. Daraus ergibt sich keine Sichtbarkeit und Wirksamkeit nach außen, die ein gesteigertes Verfolgungsinteresse auslösen könnte. Auch bei Zugrundelegung der Angaben der Ehefrau bei dem Bundesamt ändert sich nichts. Danach will sie - wovon der Kläger nicht berichtet hat - Versammlungen durchgeführt haben, bei denen sie andere Frauen über Frauenrechte informiert habe. Eine verfestigte Organisation spricht daraus nicht. Auch nach eigenen Angaben hatte sie Informationen über Frauenrechte auf dem Computer. Von eigenen Ausarbeitungen ist nicht die Rede, erst recht nicht von im Internet oder anderenorts veröffentlichten eigenen Texten. Insgesamt sind gefahrerhöhende Umstände nur in geringem Umfang vorhanden. Auch wenn die Sicherheitsbehörden den Kläger vor seiner Ausreise hätten aufspüren können, ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht mit einer intensiveren Schädigung zu rechnen als einer kurzzeitigen Festnahme, um den Kläger zu befragen und Druck auf seine Ehefrau auszuüben. Dies erreicht die in § 3a Abs. 1 AsylG vorausgesetzte Schwere nicht.
b) Bei einer Rückkehr in den Iran drohte dem Kläger auch nicht erstmalig eine Verfolgung.
aa) Bei Wahrunterstellung seines Vortrags ist eine erstmalige Reflexverfolgung im Hinblick auf seine Ehefrau auch jetzt nicht beachtlich wahrscheinlich. Es bleibt bei dem niedrigen oppositionellen Profil der Ehefrau vor der Ausreise. Zwar besteht mittlerweile ein erhöhtes Verfolgungsinteresse des iranischen Staates an Frauenrechtlerinnen infolge der durch den Tod von Mahsa Jina Amini am 16. September 2022 ausgelösten Proteste (dazu unten bb) (2)). Auch hält sich die Ehefrau des Klägers im Vereinigten Königreich auf und ist für die Sicherheitskräfte nicht greifbar. Andererseits ist die Ausreise fünfeinhalb Jahre her. Dass sich die Ehefrau exilpolitisch betätigt hätte, ist nicht ersichtlich und wurde von dem Kläger nach seiner Kenntnis verneint. Der Kläger lebt von seiner Ehefrau getrennt und hat keinen Kontakt zu ihr, was iranische Sicherheitsbehörden aufgrund der unterschiedlichen Aufenthaltsländer nachvollziehen könnten.
bb) Aus der Konversion des Klägers lässt sich keine begründete Verfolgungsfurcht ableiten.
(1) Die Voraussetzungen, unter denen Maßnahmen eines Akteurs wegen einer Konversion als Verfolgung anzusehen sind, und die Grundsätze der gerichtlichen Prüfung sind in der Rechtsprechung geklärt (vgl. EuGH, Urt. v. 5.9. 2021 - C-71/11, C-99/11 -, NVwZ 2012, 1612; BVerfG, Beschl. v. 3.4.2020 - 2 BvR 1838/15 -, NVwZ 2020, 950; BVerwG, Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67; zum Folgenden Sächsisches OVG, Urt. v. 30.11.2021 - 2 A 488/19.A -, juris Rn. 28 ff.). Danach kann ein Eingriff in das Recht auf Religionsausübung als Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG angesehen werden, wenn er so gravierend ist, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten. Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung in diesem Sinne dar. Es muss sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt; das setzt voraus, dass die Eingriffshandlung einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommt, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (vgl. EuGH, Urt. v. 5.9. 2021 - C-71/11, C-99/11 -, NVwZ 2012, 1612, juris Rn. 57 ff., 61; BVerwG, Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67, juris Rn. 23). Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Betroffenen, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben (§ 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG; BVerwG, Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67, juris Rn. 24).
Bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit kann es sich um eine Verfolgung i.S.d. § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG handeln, wenn der Betroffene aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in § 3c AsylG genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Darüber hinaus ist auch die im Falle der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib, Leben oder persönlicher Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten. Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit setzt indes nicht voraus, dass der Betroffene seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Dies ergibt sich daraus, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung i.S.d. § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der in § 3a Abs. 2 AsylG genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört (vgl. EuGH, Urt. v. 5.9. 2021 - C-71/11, C-99/11 -, NVwZ 2012, 1612, juris Rn. 69; BVerwG, Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67, juris Rn. 25 ff.).
Die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um als Verletzungshandlung nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG zu gelten, hängt von objektiven und subjektiven Gesichtspunkten ab. Objektive Gesichtspunkte sind die Schwere der dem Betroffenen bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn den Betroffenen durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67, juris Rn. 28).
Die durch Taufe bewirkte Mitgliedschaft in einer christlichen Religionsgemeinschaft ist nur dann allein entscheidungserheblich, wenn eine Verfolgung in einem Land ausschließlich an die Kirchenzugehörigkeit anknüpft (BVerwG, Beschl. v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 -, NVwZ 2015, 1678, juris Rn. 11). Anderenfalls ist als relevanter subjektiver Gesichtspunkt der Umstand anzusehen, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet. Maßgeblich ist, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung, auch wenn deren Befolgung für die betreffende Glaubensgemeinschaft nicht von zentraler Bedeutung ist, für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist. Es reicht nicht aus, dass der Betroffene eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmestaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Betroffene zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67, juris Rn. 30).
Beruft sich der Schutzsuchende auf eine Verfolgungsgefährdung mit der Begründung, er sei zu einer in seinem Herkunftsland bekämpften Religion übergetreten, muss er die inneren Beweggründe glaubhaft machen, die ihn zur Konversion veranlasst haben. Es muss festgestellt werden, dass die Konversion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht auf Opportunitätserwägungen beruht und der Glaubenswechsel nunmehr die religiöse Identität des Schutzsuchenden prägt. Er muss sich nach dem aus der Gesamtheit des verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Verfahrens gewonnenen Eindruck aus voller innerer Überzeugung von seinem bisherigen Bekenntnis gelöst und dem anderen Glauben zugewandt haben. Hierbei kommt es entscheidend auf die Glaubhaftigkeit der Schilderung und die Glaubwürdigkeit der Person des Schutzsuchenden an, die das Gericht im Rahmen einer persönlichen Anhörung zu überprüfen und tatrichterlich zu würdigen hat. Eine Bindung an die Beurteilung des zuständigen Amtsträgers einer christlichen Kirche, der Taufe des betreffenden Asylantragstellers liege eine ernsthafte und nachhaltige Glaubensentscheidung zugrunde, besteht hierbei nicht. Die Verwaltungsgerichte haben die innere Tatsache, ob und inwieweit der Asylantragsteller eine bestimmte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung seiner religiösen Identität empfindet, vielmehr selbst anhand seines Vorbringens sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen zu überprüfen und hierbei das Regelbeweismaß der vollen Überzeugung des Gerichts zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67, juris Rn. 30). Es unterliegt der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, auf welche Weise der Tatrichter versucht, sich die erforderliche Überzeugungsgewissheit vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsache der Wahrung der religiösen Identität des Asylantragstellers zu verschaffen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.4.2020 - 2 BvR 1838/15 -, NVwZ 2020, 950, juris Rn. 34; BVerwG, Beschl. v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 -, NVwZ 2015, 1678, juris Rn. 13 f.). Bei der gebotenen Überprüfung der religiösen Identität als innerer Tatsache kann nur im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen geschlossen werden. Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung einer Vielzahl von Gesichtspunkten, wie etwa die religiöse Vorprägung des Betroffenen und seiner Familie, eine Glaubensbetätigung bereits im Herkunftsland, der äußere Anstoß für den Konversionsprozess sowie dessen Dauer oder Intensität, die inneren Beweggründe für die Abwendung vom bisherigen Glauben, die Vorbereitung auf die Konversion und deren Vollzug, die Information und Reaktion des familiären und sozialen Umfeldes, das Wissen über die neue Religion und die Konversionskirche, die Bedeutung und Auswirkungen des neuen Glaubens für beziehungsweise auf das neue Leben sowie Art und Umfang der Betätigung des neuen Glaubens wie zum Beispiel die Teilnahme an Gottesdiensten, an Gebeten und am kirchlichen Leben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.4.2020 - 2 BvR 1838/15 -, NVwZ 2020, 950, juris Rn. 35).
(2) Zu Verfolgungsmaßnahmen kann es führen, wenn vom Islam zum Christentum konvertierte iranische Staatsangehörige im Iran nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten, eine herausgehobene Rolle in einer Hauskirche einnehmen oder ihre Abkehr vom Islam nach außen dadurch zeigen, dass sie in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen kirchlichen Riten wie Gottesdiensten teilnehmen. Auch das Praktizieren des Glaubens in Hauskirchen kann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen auslösen (ebenso die Bewertung durch Bayerischer VGH, Urt. v. 29.10.2020 - 14 B 19.32048 -, juris Rn. 22; Hamburgisches OVG, Urt. v. 8.11.2021 - 2 Bf 539/19.A -, juris Rn. 51 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 7.6.2021 - 6 A 2115/19.A -, juris Rn. 72 ff.; Sächsisches OVG, Urt. v. 30.11.2021 - 2 A 488/19.A -, juris Rn. 44 ff.; OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 24.3.2020 - 2 LB 20/19 -, juris Rn. 31 ff.). Die Taufe als solche oder das kurzzeitige Einstellen eines Bildes in den sozialen Medien, aus dem diese erkennbar wird, machen eine Verfolgung nicht beachtlich wahrscheinlich.
Zwar kennt das iranische Strafgesetzbuch den Straftatbestand der Konversion zum Christentum nicht. Diese kann allerdings nach islamischem Recht den Straftatbestand der Apostasie erfüllen und eine Verurteilung zur Folge haben. Gemäß Art. 167 der iranischen Verfassung findet auf Angelegenheiten, die nicht im kodifizierten Recht geregelt sind, islamisch-religiöses Recht Anwendung. Danach kann Apostasie mit der Todesstrafe (Männer) bzw. einer lebenslangen Haftstrafe (Frauen) geahndet werden. In den letzten 33 Jahren sind nur drei Todesurteile verhängt worden. Die einzige Hinrichtung aufgrund von Apostasie fand 1990 statt. In der Regel findet eine Strafverfolgung unter Heranziehung anderer (kodifizierter) Straftatbestände wie "Gefährdung der nationalen Sicherheit", "Organisation von Hauskirchen" oder "Beleidigung des Propheten" statt, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe zu vermeiden. Die Handhabung ist dabei willkürlich und uneinheitlich. Das setzt sich bis in die neueste Zeit fort. Einerseits sind die Tatbestände der Aktionen gegen die nationale Sicherheit und der Propaganda gegen das System (Art. 499 f. des iranischen Strafgesetzbuchs) im Jahr 2021 verschärft worden. Auf der Grundlage der Neufassung sind christliche Konvertiten zu Haftstrafen von fünf Jahren verurteilt worden. Andererseits haben einige Richter, auch des Obersten Gerichtshofs, die Ausübung christlicher Mission und die Gründung von Hauskirchen als nicht nach Art. 498 f. des iranischen Strafgesetzbuchs strafbar angesehen, was Freisprüche zur Folge hatte. Diese Urteile werden jedoch nicht als Präzedenzfälle angesehen, sondern dahingehend bewertet, dass sie die Ansichten einzelner Richter widerspiegeln. Die Freigesprochenen wurden in der Folgezeit teilweise erneut angeklagt. In anderen Fällen wurden auch im November 2021 und im Jahr 2022 Christen aufgrund ihrer Beteiligung an Hauskirchen verurteilt und Strafen verhängt. Im Mai 2023 gab es wiederum einen Fall, in dem ein zum Christentum konvertiertes Ehepaar freigesprochen wurde (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, 18.11.2022, S. 15; BAMF, Briefing Notes Zusammenfassung. Iran - Januar bis Juni 2023, 30.6.2023, S. 12; BAMF, Länderreport 52: Iran. Konversion und Evangelikalismus aus der Sicht der staatlichen Verfolger, Mai 2022, S. 17 ff.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA], Länderinformation der Staatendokumentation: Iran, 13.4.2023, S. 67 ff.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA], Anfragebeantwortung. Iran. Gesetzeslage zu Apostasie, Behandlung von Atheisten, 20.6.2023; Home Office, Country Policy and Information Note. Iran: Christians and Christian Converts, September 2022, S. 34 f.; Landinfo, Themenvermerk: Verhaftung und Strafverfolgung von christlichen Konvertiten - ein Update, 20.6.2022, S. 10 ff.; Landinfo, Report: Iran: Christian converts and house churches (2), 29.11.2017, S. 11 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Iran: Gefährdung von Konvertierten. Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse, 7.6.2018, S. 5 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Iran: Gefährdung von Konvertierten. Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 23.11.2023, S. 8 ff.).
Solche Konsequenzen sind mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nur im Falle des aktiven Auslebens des Glaubens zu befürchten. Für den iranischen Staat wird ein Verfolgungsinteresse weniger durch den Religionswechsel als solchen, sondern insbesondere dann begründet, wenn die Gefahr gesehen wird, dass sich die religiöse Grundausrichtung der iranischen Gesellschaft ändern könnte, weil sich der revolutionäre Anspruch des Regimes auf die Verbindung von iranischem Staat, Volk und Religion richtet. Ausschlaggebend ist in jedem Fall die Auffassung, an der religiösen muslimischen Grundausrichtung der Gesellschaft dürfe sich nichts ändern. Damit geht es nicht so sehr allein um die Apostasie als Akt der inneren Abkehr vom Islam, sondern die gesellschaftlichen Folgen aufgrund des Versuchs, andere Musliminnen und Muslime von ihrem Glauben abzubringen. Dieses Verfolgungsinteresse wird bei einer nach außen erkennbaren Abwendung vom (schiitischen) Islam durch Missionierung, Gemeindeleitung und Gottesdienstbesuch angesprochen. In diesem Fall ist die Verurteilung zu einer mehrjährigen Haftstrafe beachtlich wahrscheinlich. Hinzu kommt die wohl auch beachtlich wahrscheinliche Gefahr von Misshandlungen in der - länger andauernden - Haft (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformation der Staatendokumentation. Iran, 13.4.2023, S. 73 f.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Anfragebeantwortung. Iran. Gesetzeslage zu Apostasie, Behandlung von Atheisten, 20.06.2023, S. 2; Danish Immigration Service (DIS), Iran. House Churches and Converts, 23.2.2018, S. 7, 9 ff.; EASO, COI Query. Iran: Religious Freedom and Conversion, 20.12.2021; Landinfo, Report: Iran: Christian converts and house churches (1), 27.11.2017, S. 21 ff.; Landinfo, Report: Iran: Christian converts and house churches (2), 29.11.2017, S. 20 ff.; Landinfo, Antwort: Iran: Christliche Konvertiten - ein Update zu Verhaftungen und Strafverfolgung, 16.10.2019, S. 4 ff.; Landinfo, Themenvermerk: Verhaftung und Strafverfolgung von christlichen Konvertiten - ein Update, 20.6.2022, S. 16 ff., 20, 23 ff., 32 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Iran: Gefährdung von Konvertierten. Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 23.11.2023, S. 7 f., 27; Upper Tribunal, PS (Iran) v. Home Secretary [2020] UKUT 00046 (IAC) Rn. 22 ff., 88 ff.).
Der Besuch von Gottesdiensten in einer Hauskirche ohne Innehabung einer besonderen Funktion führt für sich allein betrachtet nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu Rechtsverletzungen i.S.d. § 3a Abs. 1 AsylG. Dennoch ist die Flüchtlingseigenschaft bereits zuzuerkennen, wenn feststeht, dass der Betroffene aus voller innerer Überzeugung im Iran an solchen Gottesdiensten teilnehmen würde. Wer als einfaches Mitglied bei der Versammlung einer Hauskirche angetroffen wird, wird mit Wahrscheinlichkeit festgenommen und über einen kurzen Zeitraum hinweg befragt. Die Freilassung kann in der Regel dadurch herbeigeführt werden, dass der Betroffene dem Verlangen nachgibt, eine Erklärung zu unterschreiben, wonach er von weiteren christlichen Aktivitäten absieht. Lediglich im Ausnahmefall ist nicht auszuschließen, dass bereits die Anwesenheit bei einem Hauskirchen-Gottesdienst als solche schwerwiegendere Konsequenzen hat. Das liegt in dem willkürlichen Vorgehen der iranischen Behörden und Gerichte begründet. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit kann aus den dokumentierten Einzelfällen, in denen feststeht, dass allein an die einfache Mitgliedschaft in der Hauskirche angeknüpft wurde, allerdings nicht abgeleitet werden. Es gibt jedoch eine Vielzahl von gefahrerhöhenden Umständen, bei denen die Wahrscheinlichkeit schwerwiegender Rechtsverletzungen über die Beachtlichkeitsschwelle steigt. Solche Umstände sind einerseits Eigenschaften der Hauskirche wie die Größe und Vernetzung sowie Kontakte zum westlichen Ausland bzw. dort ansässigen religiösen Organisationen. Andererseits handelt es sich um das Verhalten des Betroffenen wie die Leitung der Hauskirche, die Organisation von Gottesdiensten, das Transferieren von Geld aus dem oder in das Ausland, das Unterrichten anderer Personen im Glauben oder das Missionieren. Ein solch gefahrerhöhender Umstand ist es auch, wenn der Betroffene zum wiederholten Male mit den Sicherheitsbehörden zu tun hat, insbesondere, wenn er zuvor eine Erklärung unterschrieben hat, wonach er von weiteren christlichen Aktivitäten absieht (vgl. Auswärtiges Amt, Anfragebeantwortung an VG Stuttgart, 11.4.2018; BAMF, Länderreport 52: Iran. Konversion und Evangelikalismus aus der Sicht der staatlichen Verfolger, Mai 2022, S. 18 ff.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformation der Staatendokumentation. Iran, 13.4.2023, S. 73 f.; Danish Immigration Service (DIS), Iran. House Churches and Converts, 23.2.2018, S. 5, 7; Landinfo, Report: Iran: Christian converts and house churches (1), 27.11.2017, S. 24 ff.; Landinfo, Report: Iran: Christian converts and house churches (2), 29.11.2017, S. 20 ff.; Landinfo, Antwort: Iran: Christliche Konvertiten - ein Update zu Verhaftungen und Strafverfolgung, 16.10.2019, S. 2, 4 f., 9 ff.; Landinfo, Themenvermerk: Verhaftung und Strafverfolgung von christlichen Konvertiten - ein Update, 20.6.2022, S. 17 f., 29 f., 32 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Iran: Gefährdung von Konvertierten. Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 23.11.2023, S. 13; Upper Tribunal, PS (Iran) v. Home Secretary [2020] UKUT 00046 (IAC) Rn. 51 ff., 124 ff.).
Wer aus voller innerer religiöser Überzeugung an Hauskirchen-Gottesdiensten teilnehmen will, kann dies folglich nur bis zu seiner ersten Festnahme tun, ohne mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung fürchten zu müssen. Danach hat er nur noch die Wahl, sich Maßnahmen im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG auszusetzen oder auf die weitere Religionsausübung zu verzichten (vgl. Bayerischer VGH, Urt. v. 29.10.2020 - 14 B 19.32048 -, juris Rn. 22). Da nur diese Alternativen bestehen, ist der Flüchtlingsbegriff erfüllt. Aus diesem Grund folgt der Senat nicht der - nicht entscheidungstragenden - abweichenden Einschätzung des OVG Mecklenburg-Vorpommern (Urt. v. 2.3.2022 - 4 LB 785/20 OVG -, juris Rn. 45; möglicherweise auch OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 14.7.2022 - 3 L 9/20 -, juris Rn. 39).
Es liegen keine belastbaren Erkenntnisse dafür vor, dass einem Konvertiten allein wegen eines bloß formalen Wechsels zum christlichen Glauben durch Taufe oder wegen seiner bisherigen religiösen Betätigung in Deutschland als solcher mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Iran eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung drohen könnte. Den iranischen Behörden ist vielmehr bekannt, dass eine große Zahl iranischer Asylbewerber aus wirtschaftlichen oder anderen unpolitischen Gründen versucht, im westlichen Ausland dauernden Aufenthalt zu finden. Die iranischen Behörden schätzen die Nachfluchtaktivitäten iranischer Asylbewerber realistisch ein und ziehen aus diesen Umständen ohne Hinzutreten weiterer Umstände keinen Rückschluss auf die religiöse Gesinnung des Asylbewerbers (vgl. BAMF, Briefing Notes Zusammenfassung. Iran - Juli bis Dezember 2022, 1.1.2023, S. 6; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformation der Staatendokumentation. Iran, 13.4.2023, S. 74 f.; Danish Immigration Service (DIS), Iran. House Churches and Converts, 23.2.2018, S. 7, 9; ebenso die Bewertung durch Bayerischer VGH, Urt. v. 29.10.2020 - 14 B 19.32048 -, juris Rn. 22 f.; Hamburgisches OVG, Urt. v. 8.11.2021 - 2 Bf 539/19.A -, juris Rn. 56; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 7.6.2021 - 6 A 2115/19.A -, juris Rn. 82; Sächsisches OVG, Urt. v. 30.11.2021 - 2 A 488/19.A -, juris Rn. 46; OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 14.7.2022 - 3 L 9/20 -, juris Rn. 38; OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 24.3.2020 - 2 LB 20/19 -, juris Rn. 33; Thüringer OVG, Urt. v. 28.5.2020 - 3 KO 590/13 -, juris Rn. 79). Nach Aussage einer zum christlichen Glauben konvertierten iranischen Person über die evangelische Kirche zieht ein Übertritt zum christlichen Glauben bzw. dessen Bekanntwerden nicht automatisch Repressionen nach sich. Es komme darauf an, ob sich der Betroffene "missionarisch" verhält (vgl. Auswärtiges Amt, Anfragebeantwortung an OVG Schleswig-Holstein, 14.6.2023, S. 10). Anderes ergibt sich nicht aus der Wertung der schweizerischen Flüchtlingshilfe, um eine Festnahme und Anklage zu rechtfertigen, reiche es aus, dass die Behörden erführen, dass eine Person sich habe taufen lassen (so Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Iran: Gefährdung von Konvertierten. Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 23.11.2023, S. 18; vgl. auch Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Iran: Gefährdung von Konvertierten. Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse, 7.6.2018, wo jedoch die insbesondere an das Aktivitätsniveau anknüpfenden Unterschiede in der Behandlung nicht hinreichend herausgearbeitet werden). Die hierfür zitierte Kontaktperson A spricht nur von Personen, die religiöse Aktivitäten entfalten oder Mitglieder in einer Hauskirche sind. Die zitierte Kontaktperson C äußert nur eine unbelegte Risikoeinschätzung, die von den Interessen geleitet sein mag, die die Kontaktperson als Mitarbeiterin einer internationalen NGO, die sich auf die Verteidigung der Religionsfreiheit spezialisiert hat, vertritt.
Es ist möglich, dass zurückkehrende Konvertiten von den Sicherheitsbehörden in Einzelfällen insbesondere zu ihren Angaben im Asylverfahren oder zur Konfession befragt werden (vgl. auch Auswärtiges Amt, Anfragebeantwortung an VG Schwerin, 28.8.2012; Auswärtiges Amt, Anfragebeantwortung an OVG Schleswig-Holstein, 14.6.2023; allgemein zu Befragungen von Rückkehrern unten dd)). Ist die Konversion nicht auf der Grundlage einer vollen inneren Glaubensüberzeugung erfolgt, ist es dem Betroffenen grundsätzlich zumutbar, diese nicht mitzuteilen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 19.5.2021 - 6 A 3129/19.A -, juris Rn. 23). Er hat auch keinen Anlass, den Behörden Taufbescheinigungen oder Fotos zukommen zu lassen (dazu Auswärtiges Amt, Anfragebeantwortung an OVG Schleswig-Holstein, 14.6.2023). Dann erhalten die iranischen Stellen von der Konversion schon keine Kenntnis und sie kann nicht zum Anknüpfungspunkt von Verfolgungsmaßnahmen gemacht werden. Selbst wenn der Betroffene seinen nur formalen Glaubenswechsel angibt, ist eine Verfolgung nicht beachtlich wahrscheinlich. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass sich die Behörden mit der Erklärung, keine christlichen Aktivitäten auszuüben, zufriedengeben (vgl. Upper Tribunal, PS (Iran) v. Home Secretary [2020] UKUT 00046 (IAC) Rn. 95 ff.). Diese Erklärung kann jemand, der den Wechsel zum christlichen Glauben aus asyltaktischen Gründen vollzogen hat, unproblematisch abgeben. Die Einschätzung, alle zurückkehrenden Konvertiten seien gefährdet (so möglicherweise Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Iran: Gefährdung von Konvertierten. Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse, 7.6.2018, S. 17 f.), beruht auf einer unzureichenden Unterscheidung zwischen Konvertiten, bei denen gefahrerhöhende Umstände (dazu Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformation der Staatendokumentation. Iran, 13.4.2023, S. 74) vorliegen oder die zumindest aus voller innerer Überzeugung konvertiert sind, und Personen, die einen nur formalen Glaubenswechsel vollzogen haben (ebenso die Bewertung durch Bayerischer VGH, Urt. v. 29.10.2020 - 14 B 19.32048 -, juris Rn. 23; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 19.5.2021 - 6 A 3129/19.A -, juris Rn. 21; Sächsisches OVG, Urt. v. 30.11.2021 - 2 A 488/19.A -, juris Rn. 50; die Zitierung dieser Quelle durch das Auswärtige Amt, Anfragebeantwortung an OVG Schleswig-Holstein, 14.6.2023, geht daher fehl). In neuerer Zeit hat die schweizerische Flüchtlingshilfe die Einschätzung einer Kontaktperson ergänzt, nur diejenigen, bei denen habe nachgewiesen werden können, dass sie einer Hauskirche angehörten oder sich aktiv an einem christlichen Gottesdienst (auch online) beteiligten, seien mit Gefängnis oder Geldstrafen bestraft worden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Iran: Gefährdung von Konvertierten. Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 23.11.2023, S. 28).
Zu den gefahrerhöhenden Umständen gehört nicht bereits die vereinzelt gebliebene Mitteilung des Kircheneintritts in sozialen Medien. Im Fokus der Überwachung können Online- und Social-Media-Aktivitäten von Personen, Gruppen oder Medien stehen, die das politische oder religiöse Gefüge anfeinden und in Frage stellen. Das betrifft insbesondere diejenigen mit einer hohen Reichweite und Vernetzung (etwa auch aufgrund ihrer Profession, Kontakte, Bekanntheit) sowie entsprechend anzunehmendem Einfluss auf die Öffentlichkeit, darunter auch Iranerinnen und Iraner im Ausland (BAMF, Netzaktivitäten - Netzüberwachung, Juli 2023, S. 6). Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das aber durchaus zu Problemen führen, wenn es sich um eine eigene Analyse der Religionen und nicht bloß das Hineinkopieren von Phrasen handelt (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformation der Staatendokumentation. Iran, 13.4.2023, S. 74; Danish Immigration Service (DIS), Iran. House Churches and Converts, 23.2.2018, S. 8; vgl. auch Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Iran: Gefährdung von Konvertierten. Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 23.11.2023, S. 25; dort S. 26 f. zu weiteren widersprüchlichen Risikoeinschätzungen). Dass eine einzelne Quelle angibt, es seien Personen wegen eines zufälligen Beitrags in Gefahr geraten oder iranische Behörden könnten auch einen Fall "erfinden", um eine Person strafrechtlich zu belangen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Iran: Überwachung der sozialen Medien im Ausland. Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 25.11.2023, S. 14), rechtfertigt noch nicht den Schluss, die vereinzelte Mitteilung der Konversion in sozialen Medien mache eine Verfolgung beachtlich wahrscheinlich.
Die staatlichen Repressionsmaßnahmen infolge der durch den Tod von Mahsa Jina Amini am 16. September 2022 ausgelösten Proteste ändern an der Gefährdungseinschätzung nichts. Im Fokus der Sicherheitskräfte stehen offenbar Teilnehmer an Protestveranstaltungen und innerstaatliche politische Gegner.
Berichtet wurde über Festnahmen und Schüsse bei Protestversammlungen. Zeitweilig inhaftiert wurden rund 20.000 Protestteilnehmer, die Zahl der Getöteten soll bis Februar 2023 über 500 betragen haben. Im Zuge der Niederschlagung der Proteste festgenommene Personen waren Berichten zufolge mitunter der Folter ausgesetzt, teilweise mit Todesfolge, ebenso wie sexuellem Missbrauch und Vergewaltigungen. Haftstrafen und Todesurteile wurden verhängt. Es gab mindestens 40 Todesurteile, die teilweise vollstreckt wurden, aber auch Begnadigungen. Zu den Zielen der Verfolgung gehörten weiter Journalisten, Menschenrechts-, Frauenrechte-, Arbeitnehmerrechteaktivisten, LGBTI-Personen, Künstler und Sportler, die die Proteste unterstützt hatten, Studierende und Wissenschaftler sowie Rechtsanwälte. Auch medizinisches Personal, das Protestteilnehmer behandelte, war betroffen. In Belutschistan und Kurdistan wurde von einem vergleichsweise härteren Vorgehen berichtet. Bezweckt wurden Einschüchterung, Bestrafung und Erniedrigung, Diskriminierung und das Herbeiführen erzwungener "Geständnisse". Es gab Maßnahmen gegen Frauen, die den Hijab nicht trugen, wobei vom Frühjahr 2023 an über verstärkte Maßnahmen zur Einhaltung der islamischen Kleiderordnung berichtet wurde und im September 2023 das Parlament einem Gesetzentwurf zustimmte, der erweiterte Strafen bei Verstößen gegen die islamischen Vorschriften vorsah (vgl. amnesty international, "THEY VIOLENTLY RAPED ME". Sexual violence weaponized to crush Iran's "Woman Life Freedom" uprising, 2023, passim; BAMF, Briefing Notes Zusammenfassung. Iran - Januar bis Juni 2023, 30.6.2023, S. 9, 14 f.; BAMF, Briefing Notes, 25.9.2023, S. 5; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformation der Staatendokumentation. Iran, 13.4.2023, S. 37, 52 f.; Danish Immigration Service (DIS), Iran. Protests 2022-2023, March 2023, passim; BBC, Iran protests: Fact-checking claims of ,15.000 death sentences', 16.11.2022).
Im Hinblick auf Exil-Iraner führte die Teilnahme an einem Fernseh- oder Online-Interview bei einzelnen Personen in Kanada dazu, dass deren Familie im Iran von den Behörden aufgesucht wurden. Zu den überwachten Personen könnten neben politisch sehr aktiven Personen auch gewöhnliche Menschen gehören, die nicht täglich, sondern von Zeit zu Zeit politisch tätig seien (IRB, Iran: Monitoring of Iranian citizens outside of Iran, including political opponents and Christians, by Iranian authorities; monitoring of Iranian citizens in Canada; consequences upon return to Iran (2021-March 2023), 2.3.2023). Der Iran will mehrere mutmaßliche Protestanführer im Ausland verhaftet haben, die als Anführer von Demonstrationen in Erscheinung getreten sein sollen (BAMF, Briefing Notes, 18.9.2023, S. 4). Nach den Landinfo vorliegenden Informationen besteht Anlass zu der Annahme, dass iranische Behörden eine erhöhte Wachsamkeit gegenüber dem Exilmilieu im Westen aufrechterhalten und ihre Drohungen gegen bestimmte Gruppen verstärkt haben. Gleichzeitig könne die breite Protestteilnahme dagegen sprechen, dass jeder Regimekritiker erfasst worden sei. Es habe mehr Personen und mehr Aktivitäten zu verfolgen gegeben, sowohl im Ausland als auch im Iran, weswegen natürlich die Frage gestellt werden könne, in welchem Umfang es dem Regime gelungen sei, eine breite Erfassung durchzuführen (vgl. Landinfo, Respons. Iran: Overvåking av regimekritikere i utlandet som følge av "Kvinne, liv, frihet-protestene", 5.7.2023, S. 4).
In Bezug auf Christinnen und Christen wird von Drohungen, die diese an einer Teilnahme an Protestaktionen abhalten sollten, berichtet. Dies betrifft in erster Linie die anerkannten armenischen und assyrischen Kirchen. Daneben wird von einer erhöhten Zahl der Verhaftungen von Christinnen und Christen von 2021 bis 2022 berichtet, wobei sich dieser Trend 2023 fortgesetzt zu haben scheint. Dabei wird nicht zwischen Konvertiten und anderen Personen unterschieden. Die schweizerische Flüchtlingshilfe zitiert die Bewertung einer Kontaktperson, wonach sich die Behandlung von Christinnen und Christen, insbesondere Evangelikalen, die als Bedrohung für die nationale Sicherheit angesehen würden, durch die Regierung in den letzten 20 Jahren nicht wirklich verändert habe. Verhaftungen erfolgten oft in Wellen, wie die Massenverhaftungen von Christinnen und Christen zwischen Juni und August 2023 zeigten (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Iran: Gefährdung von Konvertierten. Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 23.11.2023, 20). Zuletzt habe sich das tiefe Misstrauen des Regimes gegenüber Anhängern anderer Religionen während der Protestwelle in der zweiten Jahreshälfte 2022 gezeigt. Insbesondere Bahai und konvertierte Christen sowie Mitglieder der sunnitischen Minderheit seien überproportional häufig unter dem Vorwurf der Spionage festgenommen worden (Auswärtiges Amt, Anfragebeantwortung an OVG Schleswig-Holstein, 14.6.2023, S. 10). Dies ist freilich keine Aussage zu bloß formell Konvertierten. Insgesamt lässt sich keine Erhöhung der Verfolgungswahrscheinlichkeit von Personengruppen ableiten, für die nach den vorstehenden Ausführungen nicht schon vor den Protesten eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bestand.
(3) Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Kläger wegen des Glaubenswechsels und der Taufe als solchen keine Verfolgung zu befürchten hat. Das kurzzeitig eingestellte WhatsApp-Bild mit einem Kreuz ergibt kein so hohes Aktivitätsniveau, dass das Verfolgungsinteresse der iranischen Sicherheitsbehörden geweckt würde. Das gilt auch dann, wenn unterstellt wird, dass ein Bekannter und Arbeitskollege des Klägers, der auch bei der Security tätig war, das Bild zur Kenntnis genommen und erfahren hat, dass der Kläger jetzt Christ ist.
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung behauptet hat, dass die Polizei seine Mutter zu Hause aufgesucht habe und ihr die Konversion des Klägers mitgeteilt habe, ist das Gericht von der Wahrheit dieser Angabe nicht überzeugt. Es handelt sich um gesteigertes Vorbringen; der Kläger hatte diesen Sachverhalt weder beim Bundesamt mitgeteilt noch im Klageverfahren vorgetragen. Die Art und Weise des Vortrags in der mündlichen Verhandlung war auch nicht stimmig. Obwohl es für den Kläger potentiell bedrohlich sein müsste, dass die Polizei bei einer häuslichen Kontrolle zu erkennen gegeben haben soll, dass sie über seine Konversion informiert sei, ließ der Kläger diesen Vortrag zum Schluss der Befragung zum Komplex Konversion ganz beiläufig und ohne Erläuterung einfließen.
Es gehört nicht zur religiösen Identität des Klägers, die christliche Religion im Iran aktiv - zumindest durch die Teilnahme an Gottesdiensten einer Hausgemeinde - auszuüben. Das ergibt die Gesamtschau der diesbezüglichen Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung sowie der Angaben der vernommenen Zeugen.
Das Gericht hat nicht die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger sich in Griechenland aus innerer Überzeugung hat taufen lassen. Die Taufe erfolgte nach nur wenigen Monaten des Kirchenbesuchs. Der Kläger hat nur kurz angegeben, wie er sich über das Christentum informiert habe. Dies nahm nicht mehr Raum ein als die Schilderung seiner Lage in Griechenland und der Hilfsangebote der Kirche. Dabei ist nicht deutlich geworden, dass sich neben einigen Kenntnissen über christliche Lehren auch eine Glaubensüberzeugung gebildet hätte.
Es ist auch nicht erkennbar geworden, dass die Zugehörigkeit zu einer christlichen Gemeinde in Deutschland und insbesondere zu der evangelisch-altreformierten Gemeinde A-Stadt daran etwas geändert hätten. Nicht zweifelhaft ist, dass der Kläger sich an zahlreichen außergottesdienstlichen Veranstaltungen der Gemeinde beteiligt hat und zu Gemeindemitgliedern zahlreiche und für ihn wichtige soziale Kontakte pflegt. Es ist jedoch nicht erkennbar geworden und der Kläger hat auch nicht geäußert, dass dies über ein Bedürfnis nach sozialer Interaktion hinausgehend einem religiösen Bedürfnis entspringt. Dass es sich um einen unverzichtbaren Teil seiner Glaubensausübung handeln könnte, Anteil am Handeln seiner Kirche in der Welt zu haben, war kein von dem Kläger vorgebrachter Gedanke.
In der mündlichen Verhandlung wurden keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der regelmäßige Gottesdienstbesuch des Klägers Teil seiner religiösen Identität ist. Den in jedem Sonntagsdienst gesprochenen Text des Vaterunsers konnte er auf Deutsch nur schlecht wiedergeben. Das ebenfalls in jedem Sonntagsgottesdienst gesprochene Glaubensbekenntnis konnte er gar nicht abrufen. Er machte auch nicht deutlich, dass er diese Gebete etwa still auf Persisch mitspräche. Die Predigten kann er nicht genau verstehen. Inwiefern er unter diesen Umständen die Gottesdienstteilnahme als religiöses Bedürfnis empfindet, wurde nicht deutlich. Dagegen, dass das so sein könnte, spricht vielmehr, dass er zu Weihnachten keinen Gottesdienst besucht hat. Er feierte bei einem Freund in einer anderen Stadt, wo er auch gebetet haben will. Er hat aber von keinen Bemühungen berichtet, dort einen für ihn geeigneten Weihnachtsgottesdienst zu finden.
Das Gericht hatte den Eindruck, dass der Kläger die Gründe, aus denen er den Islam ablehnt, ungleich überzeugender und plastischer darstellen konnte als die Gründe, derentwegen er eine Notwendigkeit spürt, den christlichen Glauben zu praktizieren. Er vermittelte lebendig, dass er es für falsch hält, wenn Muslime im Iran Gebete auf Arabisch sprechen, ohne sie zu verstehen. Auch konnte er überzeugend darlegen, dass er einen Widerspruch darin sehe, wenn dem Gläubigen im Islam der Alkoholgenuss zu Lebzeiten verboten, aber im Jenseits erlaubt sei. Eine vergleichbare Aussagestruktur fand sich bei seinen Aussagen zum Christentum nicht. Wenn er von der Sündenvergebung, dem Kreuzestod Jesu und der Bedeutung der Taufe sprach, wirkte das auf das Gericht abstrakt und nicht von lebendiger Anteilnahme geprägt. Das Abendmahl erwähnte er, ohne deutlich zu machen, ob und aus welchen Gründen die Teilnahme daran für ihn bedeutsam oder gar - um in tradierten Begriffen zu sprechen - heilsnotwendig ist. Obwohl er angab, an der altreformierten Gemeinde sprächen ihn neben den Gemeindemitgliedern auch die Glaubensinhalte an, äußerte er sich nicht dazu, inwiefern das Bekenntnis seiner altreformierten Kirche Besonderheiten aufweist. Er hat zwar behauptet, er habe sich vor dem formellen Kircheneintritt viele Gedanken gemacht, hat aber auch dabei nicht verdeutlicht, welche religiös-inhaltlichen Gründe für die Mitgliedschaft gerade in dieser Gemeinde gesprochen haben könnten.
Vor diesem Hintergrund konnte das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen, dass das tägliche Gebet, wie von dem Kläger für sich in Anspruch genommen, seine religiöse Identität prägt. Die angegebenen Gebetsinhalte - Gesundheit, Wiedersehen mit den Eltern, Glück - bezogen sich allgemein auf göttlichen Beistand zum Wohlergehen und hatten keinen Bezug zu den Glaubensinhalten, die der Kläger als für sich bedeutsam angeführt hatte.
Die vernommenen Zeugen berichteten nicht von eigenen Gesprächen mit dem Kläger, bei denen sie Äußerungen über seine Glaubensüberzeugung wahrgenommen hätten. Die Zeugen E. und D. haben dem Kläger dabei geholfen, seine Kenntnisse über das Christentum zu erweitern. Gesprächsinhalte, die Rückschlüsse auf seine religiöse Identität ermöglichten, gaben sie insoweit jedoch nicht an. Die Zeugen D. und K. berichteten von einer aktiven Teilnahme an dem Gesprächskreis der Gemeinde. Es war jedoch nicht möglich, aus ihrer Darstellung abzuleiten, dass für den Kläger nicht nur die soziale Gemeinschaft in der Gruppe, sondern eine religiöse Dimension entscheidend war. Der Eindruck des Zeugen D., das Bekenntnis des Klägers sei echt, blieb abstrakt und wurde nicht mit Tatsachen aus eigener Wahrnehmung unterlegt. Die Zeugen D. und K. bezogen sich weiter auf eine Begebenheit in der Berufsschule, bei der der Kläger im Religionsunterricht offen bekannt hat, Christ zu sein oder zu glauben, dass es einen Gott gibt. Der Kläger hat sich insoweit widerspruchsfrei zu seiner Gemeindemitgliedschaft verhalten. Die Äußerung ist als nicht durch das Klageverfahren motiviert in die Gesamtschau einzubeziehen. Das Gericht sieht jedoch auch bei Berücksichtigung dieser Äußerung aufgrund des eigenen Eindrucks von dem Kläger und angesichts von dessen im Übrigen dürftigen Angaben zu Umständen, die die Ausbildung einer christlichen religiösen Identität belegen könnten, in der mündlichen Verhandlung, keine ausreichenden Anhaltspunkte, um eine solche Identität, die bei einer Rückkehr in den Iran von dem Kläger eine aktive Glaubensbetätigung fordern würde, zu bejahen.
cc) Eine Verfolgung ist nicht beachtlich wahrscheinlich, weil der Kläger Instagram-Kanäle mit auch regimekritischen Inhalten abonniert und die dortigen Beiträge gelesen hat.
Im Iran kann der Internetverlauf "gefiltert" bzw. mitgelesen werden. Der Staat überwacht soziale Medien auf Aktivitäten, die er für illegal hält (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, 18.11.2022, S. 12; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformation der Staatendokumentation. Iran, 13.4.2023, S. 50; C. (BAMF), Netzaktivitäten - Netzüberwachung, Juli 2023, S. 3 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Iran: Überwachung der sozialen Medien im Ausland. Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 25.11.2023, S. 4 f.). Bei Nutzung sozialer Medien im Ausland kann den iranischen Sicherheitsdiensten das Veröffentlichen von Beiträgen bekannt werden. Gegen exponierte Exilpolitiker und Aktivisten sind Cyberangriffe durchgeführt worden, um diese auszuspähen. Im Einzelfall kann im Rahmen einer Befragung bei der Einreise (dazu unten dd)) verlangt werden, dass Passwörter für den Zugang zu Online-Konten preisgegeben werden, wodurch ebenfalls eine Kenntnisnahme der Inhalte möglich wird (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Iran: Konsequenzen regierungskritischer Aktivitäten im Ausland bei der Rückkehr. Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 26.11.2023, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Iran: Überwachung der sozialen Medien im Ausland. Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 25.11.2023, S. 6 f.).
Welche Konsequenzen aufgrund von Online-Aktivitäten drohen, muss im Einzelfall anhand des Inhalts und der Reichweite der Äußerungen und des Profils der betroffenen Person beurteilt werden. Die vorhandenen Erkenntnismittel beschäftigen sich ausschließlich mit regimekritischen Äußerungen im Internet bzw. in sozialen Medien. Dass das bloße Lesen solcher Beiträge Maßnahmen der iranischen Sicherheitskräfte ausgelöst hätte, ist nicht ersichtlich (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, 18.11.2022, S. 12; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformation der Staatendokumentation. Iran, 13.4.2023, S. 50; C. (BAMF), Netzaktivitäten - Netzüberwachung, Juli 2023, S. 6 ff.; IRB, Iran: Monitoring of Iranian citizens outside of Iran, including political opponents and Christians, by Iranian authorities; monitoring of Iranian citizens in Canada; consequences upon return to Iran (2021-March 2023), 2.3.2023; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Iran: Überwachung der sozialen Medien im Ausland. Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 25.11.2023, S. 8 ff.).
dd) Wegen seines mehrjährigen Aufenthalts im Ausland oder seiner Asylantragstellung in Deutschland droht dem Kläger im Rückkehrfall nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung. Allein der Umstand, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, löst bei der Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. Ausgenommen davon sind Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als Regimegegner identifiziert wurden und an denen ein Verfolgungsinteresse besteht (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, 18.11.2022, S. 25; Auswärtiges Amt, Anfragebeantwortung an OVG Schleswig-Holstein, 14.6.2023, S. 4).
Dem Auswärtigen Amt sind einzelne Fälle bekannt, bei denen aus dem Ausland einreisende iranische Staatsangehörige bei Einreise durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt befragt oder sogar verhaftet wurden. Es werden weder bei Einreise in den Iran generell noch nach längerem Auslandsaufenthalt flächendeckende Befragungen zur politischen Überzeugung durchgeführt. Das heißt jedoch nicht, dass im Einzelfall mit einer solchen Befragung nicht gerechnet werden muss (Auswärtiges Amt, Anfragebeantwortung an OVG Schleswig-Holstein, 14.6.2023, S.2).
Befragungen betreffen einige der Iraner, deren Aktivitäten im Ausland überwacht worden sind (vgl. IRB, Iran: Monitoring of Iranian citizens outside of Iran, including political opponents and Christians, by Iranian authorities; monitoring of Iranian citizens in Canada; consequences upon return to Iran (2021-March 2023), 2.3.2023). Allgemein herrscht der Eindruck vor, dass diejenigen, die vor ihrer Ausreise aus Iran Gegenstand negativer behördlicher Aufmerksamkeit waren, bei ihrer Rückkehr mit Reaktionen rechnen müssen. Als weiterer Faktor wird die Art der Informationen genannt, welche Behörden über die Aktivitäten einer Person im Ausland erhalten haben, und ob diese Aktivitäten dem Regime schaden - oder ihm möglicherweise nützen - können. Einer Quelle zufolge spielt der ethnische oder religiöse Hintergrund oder die sexuelle Orientierung eines Rückkehrers für sich genommen keine Rolle. Einer anderen Quelle zufolge können diese Faktoren eine kumulierende Wirkung haben. Eine weitere Quelle geht davon aus, dass aus Europa zurückkehrende Asylwerber gefährdet sind, von den iranischen Behörden befragt, verhaftet und in manchen Fällen auch gefoltert und getötet zu werden, wenn die Behörden sie mit politischem Aktivismus in Verbindung bringen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformation der Staatendokumentation. Iran, 13.4.2023, S. 140 f.; ähnlich Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Iran: Konsequenzen regierungskritischer Aktivitäten im Ausland bei der Rückkehr. Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 26.11.2023, S. 8 ff.).
Die Auswirkungen der aktuellen Proteste und deren blutiger Niederschlagung auf mögliche Rückkehrende hält das Auswärtige Amt für im Augenblick nicht abschließend einschätzbar. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass Rückkehrende verstärkt von den Sicherheitsdiensten überprüft würden. Soweit es bereits vor den aktuellen Protesten in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt gekommen ist, liegen über deren Ausgang keine Erkenntnisse vor; bisher wurde kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung physisch oder psychisch gefoltert wurden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, 18.11.2022, S. 25; Auswärtiges Amt, Anfragebeantwortung an OVG Schleswig-Holstein, 14.6.2023, S. 2).
Die schweizerische Flüchtlingshilfe referiert, eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums habe im März 2023 von mehreren Fällen von Rückkehrenden berichtet, die bei der Passkontrolle herausgenommen und in einem anderen Raum befragt worden seien. Dabei sei der Inhalt ihrer Laptops, Mobiltelefone und Festplatten überprüft worden. Zudem hätten die Personen ihre Passwörter angeben müssen. Die Personen seien nicht willkürlich ausgewählt worden, sondern die Behörden hätten im Voraus gewusst, wen sie zu überprüfen hatten (Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Iran: Konsequenzen regierungskritischer Aktivitäten im Ausland bei der Rückkehr. Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 26.11.2023, S. 5 f.). Diese Beobachtungen lassen keine Steigerung der Befragungstätigkeit gegenüber der Vergangenheit erkennen.
Laut dem dänischen Einwanderungsdienst gab es wenige Informationen über Veränderungen der Vorgehensweise an den Landgrenzen und den Flughäfen seit dem Beginn der Proteste im September 2022. Es gab auch wenig Informationen darüber, ob Telefone oder Aktivitäten von Rückkehrern in sozialen Medien bei der Rückkehr untersucht wurden oder ob eine verstärkte Befragung von Rückkehrern durchgesetzt wurde. Das dänische Außenministerium teilte mit, es habe keine Veränderung des Vorgehens bei der Einreise von Iranern, einschließlich abgelehnter Asylbewerber, gegeben. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass Telefone und Aktivitäten in sozialen Medien untersucht würden, was aber auch vor September 2022 geschehen sei. Fälle, in denen Iraner bei der Rückkehr an der Passkontrolle zur Seite gezogen worden seien, hätten die von dem Außenministerium herangezogenen Quellen nicht beobachtet. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass solche Fälle aus unterschiedlichen Gründen vorkämen, sowohl vor als auch nach September 2022 (Danish Immigration Service (DIS), Iran. Protests 2022-2023, March 2023, S. 26).
Landinfo gab an, es gebe wenige Hinweise dafür, dass die iranischen Behörden systematische Maßnahmen zur Verschärfung der Einreisekontrollen ergriffen hätten. Eine Quelle wusste nur von der Kontrolle von Mobiltelefonen am Flughafen, aber nicht von anderen Maßnahmen, die auf verschärfte Einreisekontrollen hinwiesen. Eine andere Quelle wusste von niemandem, der Reaktionen ausgesetzt gewesen war, und von keinen verschärften Einreisekontrollen, wollte Repressalien des iranischen Staates aber nicht ausschließen (vgl. Landinfo, Respons. Iran: Overvåking av regimekritikere i utlandet som følge av "Kvinne, liv, frihet-protestene", 5.7.2023, S. 8 f.). In einem Bericht der belgischen Dienststelle Cedoca wurden vier Quellen wiedergegeben, von denen keine konkrete Beispiele für Verhaftungen hatte, es wurden aber Sorgen im Hinblick auf ein mögliches Risiko bei einer Rückkehr geäußert. Als relevant wurden das Profil der Rückkehrer und die konkreten Aktivitäten, an denen sie teilgenommen hatten, genannt, als risikoerhöhend die Organisation von Demonstrationen, eine doppelte Staatsangehörigkeit und Kontakte mit fremden Regierungen oder Medien angesehen. Die belgische Dienststelle fand im Zeitraum 1. März 2020 bis 30. März 2023 keine Informationen, die darauf hindeuteten, dass zurückkehrende Asylsuchende nach ihrer Rückkehr Probleme mit den Behörden bekommen hatten (vgl. Landinfo, Respons. Iran: Overvåking av regimekritikere i utlandet som følge av "Kvinne, liv, frihet-protestene", 5.7.2023, S. 9 f.).
Soweit gefahrerhöhende Umstände - wie hier - nicht vorliegen, können aus dem Fehlen entsprechender Referenzfälle keine für eine Verfolgungsgefahr sprechenden Rückschlüsse gezogen werden; die Befragungen stellen für sich genommen keine einen Schutzstatus begründenden Handlungen dar (Sächsisches OVG, Urt. v. 30.11.2021 - 2 A 488/19.A -, juris Rn. 52; vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 7.6.2021 - 6 A 2115/19.A -, juris Rn. 55). Soweit es Beobachtungen gibt, wonach abgelehnte Asylbewerber als solche befragt worden sein sollen (Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Iran: Konsequenzen regierungskritischer Aktivitäten im Ausland bei der Rückkehr. Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 26.11.2023, S. 8), ist erstens nicht bekannt, ob bei diesen einer der erwähnten gefahrerhöhenden Umstände vorlag, und zweitens, dass sich eine Verfolgungshandlung oder ein ernsthafter Schaden angeschlossen hätte.
2. Ein Anspruch auf subsidiären Schutz besteht nicht. Es sind keine Gründe für die Annahme gegeben, dem Antragsteller könnte ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 AsylG drohen.
3. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5, 7 Satz 1 AufenthG besteht nicht. Der Kläger hat bei der Anhörung vor dem Bundesamt von einer im Iran behandelten Blutgerinnungsstörung gesprochen, sich hierauf im Klageverfahren aber nicht mehr berufen.
4. Die nach Maßgabe der § 34, § 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Abschiebungshindernisse sind nicht geltend gemacht und nicht ersichtlich.
5. Gegen die Entscheidung, das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate zu befristen, ist nichts zu erinnern, da keine Ermessensfehler ersichtlich sind. Es sind insbesondere durch den Kläger keine Aspekte vorgetragen worden, die zu seinen Gunsten zu einer kürzeren Befristung als 30 Monate oder gar Absehen von einem Einreise- und Aufenthaltsverbot führen müssten. Die gegenwärtig andauernde Berufsausbildung hat dies nicht zur Folge (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.9.2021 - 1 C 47.20 -, NVwZ 2021, 1842, juris Rn. 18, 24 f.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Eine Zulassung der Revision gemäß § 78 Abs. 8 Satz 1 AsylG ist ebenfalls nicht veranlasst.