Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.01.2024, Az.: 1 KN 82/20
Normenkontrollantrag der Eigentümer eines angrenzenden Grundstücks gegen einen Bebauungsplan; Möglichkeit unzumutbarer Beeinträchtigungen ihres an das Plangebiet angrenzenden Wohngrundstücks aufgrund der potentiellen Ausweitung gewerblicher Tätigkeiten einer Beigeladenen; Bedenken gegen die Natura-2000-Verträglichkeit der Planung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 17.01.2024
- Aktenzeichen
- 1 KN 82/20
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 11344
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2024:0117.1KN82.20.00
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs. 1 S. 1 NKomVG,NI
- § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB
- § 1 Abs. 6 Nr. 8 a BauGB
Fundstellen
- BauR 2024, 893-897
- DÖV 2024, 537
- NordÖR 2024, 303-307
- NuR 2024, 277-279
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, nach der die formelle Baurechtswidrigkeit einer tatsächlich ausgeübten Nutzung die Abwägungserheblichkeit der aus dieser folgenden Interessen nicht entfallen lässt, sofern die Nutzung nicht auch materiell baurechtswidrig ist, also jederzeit eine formelle Legalisierung möglich ist.
- 2.
Möchte die Gemeinde einem rechtmäßig bestehenden Betrieb im Außenbereich die Erweiterung ermöglichen, so kann auch die Ausweisung einer gewerblich nutzbaren Fläche an einem Standort gerechtfertigt sein, für den unter Ausblendung des konkreten Planungsanlasses keinerlei städtebauliche Gründe sprechen.
- 3.
Ist der Ausgangsbetrieb hingegen nicht baugenehmigt und auf der Grundlage bisher geltenden Planungsrechts auch nicht genehmigungsfähig oder stellt sich das Vorhaben nicht lediglich als Betriebserweiterung, sondern als grundlegender Umbau des genehmigten Bestandsbetriebs dar, so greift diese Erwägung nicht; die Planung ist wie eine Erstansiedlung zu behandeln.
Tenor:
Der vom Rat der Antragsgegnerin am 17. Februar 2020 als Satzung beschlossene Bebauungsplan Nr. 0101 "Böhmerwold, Lohnunternehmen Gruis" ist unwirksam.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsteller vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Antragsteller wenden sich gegen den Bebauungsplan Nr. 0101 "Böhmerwold, Lohnunternehmen Gruis" der Antragsgegnerin. Sie befürchten, dass die mit diesem ermöglichte Ausweitung gewerblicher Tätigkeiten der Beigeladenen unzumutbare Beeinträchtigungen ihres an das Plangebiet angrenzenden Wohngrundstücks zur Folge haben werden.
Die Antragsteller sind Eigentümer des im Aktivrubrum genannten Grundstücks im Außenbereich der Antragsgegnerin. Das Grundstück ist mit einem aus Wohn- und Scheunentrakt bestehenden Haupthaus und einem Garagengebäude bebaut. Für den ein älteres Bauwerk ersetzenden Scheunentrakt liegt eine Baugenehmigung von 1959 vor. 1961 wurde auf dem Grundstück einem Landwirt der "Neubau des Wohngebäudes" genehmigt. 2006 erhielten die Antragsteller die Genehmigung für den Neubau einer Pkw-Doppelgarage.
Das Grundstück wird an seiner Süd-, Südwest- und einem Teil der Nordostseite vom im Eigentum der Beigeladenen stehenden, bis zum Inkrafttreten des angegriffenen Bebauungsplans dem Außenbereich zuzurechnenden Plangebiet umgeben. Im Ostteil des Plangebiets liegen die Gebäude einer noch bewirtschafteten landwirtschaftlichen Hofstelle. Westlich davon wird der als landwirtschaftliches Lohnunternehmen bezeichnete Gewerbebetrieb der Beigeladenen ausgeübt. Neben Hallen für die von einem solchen Unternehmen typischerweise verwendeten Maschinen nutzt die Beigeladene den Bereich südlich des Antragstellergrundstücks bereits als Lagerplatz für Sand, Erde und Bauschutt. Der westlich dieser Flächen, westlich und südwestlich des Antragstellergrundstücks gelegene Teil des Plangebiets wird als Maisacker bewirtschaftet. Nördlich an diesen Bereich schließt sich ein außerhalb des Plangebiets gelegenes kleines Gehölz an. Die Flächen nördlich, westlich, östlich und südöstlich des Plangebiets sind der EU-Kommission als Vogelschutzgebiet V 06 "Rheiderland" (DE 2709-401) benannt und als Landschaftsschutzgebiet festgesetzt. Der Betrieb der Beigeladenen wird von Osten her über den C-Straße erschlossen, der nördlich des Antragstellergrundstücks nach Westen abbiegt und im Gehölz endet. Nach Süden hin führt der Weg nach ca. 220 m auf die in west-östlicher Richtung verlaufende Straße "K.". Ein anderer Zweig des C-Straße verläuft vom Plangebiet in östlicher Richtung hin zur in Straße "L.".
Die Beigeladene beabsichtigt, ihre Tätigkeit auszuweiten. Im Laufe des Planaufstellungsverfahrens erstellte sie eine auf die kommenden 20 Jahre bezogene "Entwicklungs-Vorausschau", die die Zwischenlagerung von 1000 m3 Sand, 400 m3 Mutterboden, 1.600 m3 Bauschutt, Beton- und Ziegelbruch und 2000 m3 Grünabfällen nebst Anlieferung und Weiterverarbeitung (Brechen, Sieben etc.) vorsah. Diese Tätigkeiten möchte sie auch in dem als Maisacker genutzten Teil des Plangebiets ausüben.
In seiner Sitzung am 31. März 2014 fasste der Rat der Antragsgegnerin den Aufstellungsbeschluss für den angegriffenen (Angebots-)Bebauungsplan mit dem Ziel, der Beigeladenen die geplanten Betriebserweiterungen zu ermöglichen. Vom 31. März bis zum 2. Mai 2017, erneut vom 21. Dezember 2018 bis zum 21. Januar 2019 und nochmals vom 8. August bis zum 9. September 2019 fanden öffentliche Auslegungen statt, in deren Rahmen die Antragsteller Einwendungen erhoben. Im Laufe des Planaufstellungsverfahrens erstellte das Planungsbüro u.a. eine FFH-Verträglichkeitsstudie vom Mai 2019, überarbeitet im Dezember 2019; diese kam zu dem Ergebnis, dass die Ausnutzung des Plans keine erheblichen Beeinträchtigungen der für die Schutzgebietsausweisung wertbestimmenden Vogelarten zur Folge haben werde. Am 17. Februar 2020 entschied der Rat der Antragsgegnerin über die eingegangenen Stellungnahmen und beschloss den Bebauungsplan als Satzung. Die Antragsgegnerin machte den Satzungsbeschluss ohne vorherige Ausfertigung der Planurkunde am 15. April 2020 im Amtsblatt für den Landkreis Leer bekannt.
Der Plan enthält für die bestehende Hofstelle lediglich Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und von Baugrenzen. Im Westen des Plangebiets, d.h. im Bereich des bestehenden Lohnunternehmens und des Ostens des Maisackers sind insgesamt fünf Sondergebiete mit der Zweckbestimmung "Lohnunternehmen" festgesetzt. Entlang der südlichen und westlichen Grenze dieses Bereichs und entlang der Grenze zum Wohngrundstück der Antragsteller sind 10 m breite private Grünflächen mit Pflanzgeboten, im äußersten Westen des Plangebiets ist eine Fläche für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Natur und Landschaft festgesetzt. Die Sondergebiete erlauben im Wesentlichen die Anlage von Gebäuden oder Stellflächen zur Unterbringung von Maschinen, Werkzeugen und Baustoffen sowie von Lagerplätzen für Erden, Sande, Baustoffe, Abbruchmaterialien und Gartenabfälle sowie sonstige untergeordnete, der Zweckbestimmung dienende Anlagen und Einrichtungen. Das 30 x 30 m große, im Südwesten des bebaubaren Plangebietsteils liegende Sondergebiet SO 4 erlaubt ferner die Errichtung je einer Brech- und einer Siebanlage, das im Norden des Maisackers gelegene Sondergebiet SO 5 die Errichtung von Bürogebäuden und Büroräumen, Personalräumen, eine betriebszugehörige Wohneinheit und Mitarbeiterstellplätze. Für die Sondergebiete sind Lärmkontingente festgesetzt, die am Wohnhaus der Antragsteller die Einhaltung eines Dauerschallpegels von 60 dB(A) tags / 45 dB(A) nachts sicherstellen sollen.
Die Antragsteller haben den Bebauungsplan am 7. Mai 2020 mit dem vorliegenden Normenkontrollantrag angegriffen. Zur Begründung führen sie aus: Sie seien antragsbefugt. Ihre durch das planungsauslösende Vorhaben abwägungserheblich beeinträchtigte Wohnnutzung werde von der Bauaufsichtsbehörde nicht beanstandet; sie sei zumindest materiell rechtmäßig. Der Bebauungsplan sei nicht ausgefertigt. Die eingeholte FFH-Verträglichkeitsstudie räume vernünftige Zweifel, dass die Planung Beeinträchtigungen der für das FFH-Gebiet wertgebenden Vogelarten zur Folge haben werde, nicht aus. Die Auswirkungen planbedingten Zu- und Abgangsverkehrs auf die Vögel seien nicht untersucht worden. Die ermöglichte Gebäudekulisse werde im Vergleich zur Vorbelastung durch vorhandene Gehölzstrukturen ein stärkeres Meideverhalten bewirken. Auch die Auswirkungen planbedingter Staub- und Schadstoffemissionen auf die Vögel seien nicht untersucht worden. Eine Zulassung nach § 34 Abs. 3 BNatSchG scheide aus. Die Artenschutzprüfung nach § 44 BNatSchG sei ebenfalls fehlerhaft. Die Planung verstoße gegen § 1a Abs. 2 BauGB.
Der Senat hat einem zwischenzeitlich von den Antragstellern gestellten Normenkontrolleilantrag mit Beschluss vom 1. Dezember 2020 - 1 MN 113/20 - stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, der Plan sei voraussichtlich unwirksam, da die dem Plan zugrundeliegende FFH-Verträglichkeitsprüfung aus dem Mai 2019 unzureichend sei. Sie gehe nicht auf die Auswirkungen planbedingten Zu- und Abgangsverkehrs auf dem von der Vorhabenzufahrt nach Osten führenden Zweig des C-Straße auf die wertbestimmenden Vorgelarten ein; die Annahme, die Zufahrten zum Plangebiet seien durch Vertikalstrukturen, die ein Meideverhalten im Umkreis von 350 m auslösten, vorbelastet, treffe auf diesen Weg nicht zu. Zudem sei die Annahme einer Meidedistanz von 350 m nicht nachvollziehbar. Die Antragsgegnerin hat hierauf auf die - zuvor nicht bei den Akten befindliche - Studienfassung aus Dezember 2019 hingewiesen und zwei Ergänzungspapiere vom März 2021 und Juni 2022 zur FFH-Verträglichkeitsstudie (nachfolgend: 1. bzw. 2. Ergänzungspapier) erstellen lassen, um die Bedenken des Senats auszuräumen. Die C-Straße für Kraftfahrzeugverkehr gesperrt und der Betrieb der Brechanlage zeitlich beschränkt wird.
Die Antragsteller halten an ihrem Rechtsschutzbegehren fest. Sie sind der Auffassung, die Ergänzungspapiere seien nicht geeignet, die vom Senat und ihnen formulierten Zweifel an der Aussagekraft der FFH-Verträglichkeitsstudie auszuräumen. Hinzu komme, dass die als Vorbelastung berücksichtigten Meidedistanzen von Vertikalstrukturen von den Vögeln tatsächlich unterschritten würden. Eine Konfliktverlagerung ins Genehmigungsverfahren sei unzulässig, zumal die planungsanlassgebende Vorhabenkonzeption im Detail bekannt sei. Der Ausfertigungsmangel sei nicht behoben. Eine Teilbarkeit des Plans mit Blick auf eine mögliche Unwirksamkeit der Festsetzung für das die Brechanlage betreffende Sondergebiet, wie sie die Beigeladene sehe, bestehe ebenfalls nicht. Der Bebauungsplan sei nicht aus dem Flächennutzungsplan entwickelt und widerspreche einer Vorranggebietsausweisung "Grünlandbewirtschaftung" im Entwurf des Regionalen Raumordnungsprogramms des Landkreises Leer. Die Auswirkungen der Planung auf europarechtlich geschützte Fledermausarten seien in der FFH-Verträglichkeitsprüfung unzureichend betrachtet worden.
Die Antragsteller beantragen,
den Bebauungsplan Nr. 0101 der Gemeinde Jemgum "Böhmerwold, Lohnunternehmen Gruis" für unwirksam zu erklären.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Normenkontrollantrag abzulehnen.
Sie meint, den Antragstellern fehle bereits die Antragsbefugnis; ihre nichtprivilegierte Wohnnutzung im Außenbereich sei weder genehmigt noch genehmigungsfähig und daher nicht schutzwürdig; dies werde infolge einer beabsichtigten Prüfung des Landkreises Leer bis zur mündlichen Verhandlung feststehen. Die Bedenken, die der Senat in seinem Beschluss vom 1. Dezember 2020 und der Berichterstatter in einer ergänzenden Hinweisverfügung vom 13. Januar 2022 geäußert habe, seien nach ihrem Dafürhalten durch die Ergänzungspapiere vom März 2021 bzw. Juni 2022 ausgeräumt.
Die Beigeladene hält den Normenkontrollantrag ebenfalls für unzulässig; die Wohnnutzung der Antragsteller sei ungenehmigt und nicht genehmigungsfähig, da die ursprüngliche landwirtschaftliche Bausubstanz stark verändert worden sei. Mit Blick auf die Begründetheit des Antrags meint sie, das Ergänzungspapier vom Juni 2022 habe die Bedenken des Senats und des Berichterstatters ausgeräumt. Die im Ergänzungspapier vorgeschlagenen Beschränkungen des Anlagenbetriebes könnten im Genehmigungsverfahren geregelt werden. Eine etwaige Unwirksamkeit der Festsetzung eines Sondergebiets für die Brechanlage führe nicht zur Gesamtunwirksamkeit des Plans; es sei nicht erkennbar, dass es dem Rat gerade auf die Verwirklichung der Brechanlage angekommen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Der Normenkontrollantrag hat Erfolg.
I.
Er ist zulässig, insbesondere sind die Antragsteller antragsbefugt. Erforderlich, aber auch ausreichend für die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird. Wenn es - wie hier - um das Recht auf gerechte Abwägung geht, reicht es aus, dass der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange in der Abwägung als möglich erscheinen lassen. Antragsbefugt ist hiernach, wer sich auf einen abwägungserheblichen Belang, d.h. ein mehr als nur geringfügig schutzwürdiges Interesse, berufen kann. Für die Prüfung der Antragsbefugnis kommt es grundsätzlich auf die Darlegungen des Antragstellers im Normenkontrollverfahren an. Allerdings ist die Antragsbefugnis nicht schon dann zu bejahen, wenn solche Tatsachen im gerichtlichen Verfahren behauptet werden und der Vortrag in Bezug auf den geltend gemachten Abwägungsfehler schlüssig ist. Zwar ist die Prüfung der Antragsbefugnis nicht unter Auswertung des gesamten Prozessstoffes und in einem Umfang und einer Intensität vorzunehmen, die einer Begründetheitsprüfung gleichkommt. Das Normenkontrollgericht ist insbesondere nicht befugt, für die Entscheidung über die Antragsbefugnis den Sachverhalt von sich aus weiter aufzuklären. Andererseits muss es widerstreitendes Vorbringen des Antragsgegners, auf dessen Grundlage sich die maßgeblichen Tatsachenbehauptungen in der Antragsschrift als offensichtlich unrichtig erweisen, nicht ausblenden, sondern kann auf der Grundlage des wechselseitigen Schriftverkehrs darüber befinden, ob es einen abwägungserheblichen Belang des Antragstellers geben kann (vgl. zum Ganzen BVerwG, Beschl. v. 10.7.2012 - 4 BN 16.12 -, BauR 2012, 1771 = BRS 79 Nr. 61 = juris Rn. 2 f. m.w.N.).
Gemessen hieran ist die Antragsbefugnis der Antragsteller zu bejahen. Dass ihr Interesse, vor planbedingt ermöglichten Lärm- und Staubimmissionen verschont zu bleiben, dann abwägungserheblich wäre, wenn ihr Grundstück den einer legalen Wohnnutzung im Außenbereich zukommenden Schutzanspruch hätte, stellen auch Antragsgegnerin und Beigeladene nicht in Abrede. Sie meinen lediglich, die tatsächlich dort ausgeübte Wohnnutzung sei rechtlich nicht schutzwürdig, da sie nicht genehmigt und auch nicht genehmigungsfähig sei. Dem folgt der Senat (nur) insoweit, als er von einer formellen Baurechtswidrigkeit dieser Wohnnutzung ausgeht. Die vom Landkreis Leer für den Wohntrakt des auf dem Antragstellergrundstück gelegenen Hauptgebäudes vorgelegte Baugenehmigung vom 21. April 1961 bezieht sich auch ohne explizite Klarstellung erkennbar auf ein im Außenbereich privilegiertes landwirtschaftsbezogenes Wohnen im Zusammenhang mit der damals offenbar auf dem Grundstück vorhandenen Hofstelle. Die, soweit ersichtlich, von den Antragstellern ausgeübte allgemeine Wohnnutzung ist davon nicht gedeckt, eine Nutzungsänderungsgenehmigung liegt dem Senat nicht vor. Auch die Baugenehmigung für die Garage dürfte eine solche nicht beinhalten.
Ob dies in einer zum Ausschluss schon der Antragsbefugnis genügenden Weise offenkundig ist, kann dahinstehen. Der Senat hält nämlich auch angesichts der schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Einwände der Antragsgegnerin und der Beigeladenen an seiner u.a. im Beschluss vom 1. Dezember 2020 vertretenen Rechtsprechung fest, nach der die formelle Baurechtswidrigkeit einer tatsächlich ausgeübten Nutzung die Abwägungserheblichkeit der aus dieser folgenden Interessen nicht entfallen lässt, sofern die Nutzung nicht auch materiell baurechtswidrig, also jederzeit eine formelle Legalisierung möglich ist. Dabei erfordert die Geltendmachung einer Rechtsverletzung i.S.d. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht, dass der Antragsteller im Detail die Tatsachen vorträgt, die Voraussetzung der materiellen Baurechtmäßigkeit sind, und mögliche Ausschlussgründe vorsorglich substantiiert bestreitet. Vielmehr genügt jedenfalls im Falle einer tatsächlich ausgeübten und von den zuständigen Aufsichtsbehörden nicht untersagten Nutzung die allgemeine Berufung auf sein Nutzungsinteresse; ob dessen Schutzwürdigkeit und damit die Gefahr einer Verletzung sich bereits auf Zulässigkeitsebene ausschließen lässt, ist sodann unter Berücksichtigung substantiierten Gegenvorbringens, aber unter Anlegung eines Offenkundigkeitsmaßstabs von Amts wegen zu prüfen (s.o.).
Gemessen hieran verbleibt es dabei, dass eine Genehmigungsfähigkeit der von den Antragstellern ausgeübten und entgegen einer bereits mit Schriftsatz vom 12. April 2021 erfolgten Ankündigung der Antragsgegnerin bislang von der Bauaufsichtsbehörde nicht untersagten Wohnnutzung möglich ist. Grundsätzlich kommt eine Teilprivilegierung der Nutzung nach § 35 Abs. 4 Nr. 1 BauGB in Betracht, da sie in einem ehemals landwirtschaftlichen Wohnhaus stattfindet und die - offenkundig nicht vorliegende - Voraussetzung einer nicht länger als sieben Jahre zurückliegenden Aufgabe der Ursprungsnutzung in Niedersachsen nicht erfüllt werden muss (§ 245b BauGB i.V.m. § 1 NBauGBDG). Ob, wie die Beigeladene in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, die Antragsteller ihr Wohnhaus nach Erwerb derart verändert haben, dass die Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 Nr. 1 b BauGB entfielen, lässt sich mit der in der Zulässigkeitsprüfung allein zulässigen Prüfungsdichte nicht beantworten. Gleiches gilt für die Frage, ob die Wohnnutzung aufgrund ihrer Nähe zum Vogelschutzgebiet die von § 35 Abs. 4 BauGB nicht überwundenen Belange des Naturschutzes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) beeinträchtigt. Angesichts der deutlich geringeren Störintensität einer Einfamilienhausnutzung gegenüber einem Gewerbebetrieb lässt sich dies entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht daraus ableiten, dass eine solche Beeinträchtigung durch das gewerbliche Vorhaben der Beigeladenen tatsächlich naheliegt (s.u.).
Aus demselben Grund kann den Antragstellern nicht das Rechtsschutzinteresse, das grundsätzlich durch die Antragsbefugnis indiziert wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.6.2023 - 4 BN 27.22 -, juris Rn. 6), abgesprochen werden. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin versuchen die Antragsteller hier nicht, den Plan unter Berufung auf eine Beeinträchtigung des Vogelschutzgebiets zu Fall zu bringen, die von ihrer eigenen Nutzung in gleicher Weise ausgeht; vielmehr bewegen sich die Lärm- und Staubemissionen des der Störintensität nach wohl als Industriebetrieb einzuordnenden Vorhabens in einer völlig anderen Größenordnung als die eines einzelnen Wohnhauses.
II.
Der Normenkontrollantrag ist auch begründet.
1.
Der angegriffene Bebauungsplan ist unwirksam, weil er nicht ausgefertigt wurde. In Konkretisierung des Rechtsstaatsgebots sieht § 11 Abs. 1 Satz 1 NKomVG vor, dass Satzungen - also auch Bebauungspläne - von der Hauptverwaltungsbeamtin oder dem Hauptverwaltungsbeamten zu unterzeichnen sind. Das ist hier unstreitig weder im ursprünglichen Planaufstellungsverfahren geschehen noch bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in einem ergänzenden Verfahren nachgeholt worden.
2.
Nur vorsorglich merkt der Senat daher an, dass der Bebauungsplan mit seinem aktuellen Inhalt an weiteren Fehlern leiden dürfte; ob diese in einem ergänzenden Verfahren behoben werden können, ist zweifelhaft.
a)
Auch unter Berücksichtigung der im Verlauf des Normenkontrollverfahrens eingereichten Ergänzungspapiere zur FFH-Verträglichkeitsstudie verbleiben gravierende Zweifel daran, ob sich erhebliche Beeinträchtigungen des Vogelschutzgebiets V 06 "Rheiderland" in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen durch die Planung ausschließen lassen.
Bereits in seinem Beschluss vom 1. Dezember 2020 hatte der Senat gerügt, dass die ursprüngliche FFH-Verträglichkeitsstudie eine Beeinträchtigung wertbestimmender Vogelarten des Schutzgebiets durch der Planung zurechenbaren Mehrverkehr mit dem Argument ausgeschlossen hatte, bereits die an den Zufahrtstraßen vorhandenen Vertikalstrukturen (insbesondere Straßenbäume) bewirkten einen Meideeffekt, der durch Kfz-Bewegungen nicht mehr vergrößert werde, tatsächlich weise aber jedenfalls der als Zufahrt in Betracht kommende Ostzweig des C-Straße keine derartigen Vertikalstrukturen auf. Dem hat das 1. Ergänzungspapier durch Aufzeigen der Möglichkeit Rechnung getragen, diesen Wegarm für Kraftfahrzeugverkehr zu sperren. Den Bedenken des Senats wäre damit Rechnung getragen; die dafür nötigen Schritte hat der Rat aber bislang weder durch planerische Vorkehrungen noch in sonstiger Weise sichergestellt und die Teilsperrung sowie die dafür nötige Teileinziehung auch nicht zum Gegenstand seiner Abwägung gemacht.
Bedenken hat der Senat weiterhin insbesondere, ob eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des Vogelschutzgebietes durch planbedingten Gewerbelärm ausgeschlossen werden kann. Die FFH-Verträglichkeitsstudie hatte dies mit der Erwägung bejaht, dass die Lärmkulisse, die zu einem Meideverhalten durch wertbestimmende Vogelarten führe und die sie unter Berufung auf eine Studie von Garniel u.a. (Arbeitshilfe Vögel und Straßenverkehr, 2010) mit einem Dauerschallpegel von 58 dB(A) gleichgesetzt hatte, weitgehend außerhalb des Vogelschutzgebietes, jedenfalls aber innerhalb des Meideradius von 350 m liege, den die Vögel zu bereits bestehenden Vertikalstrukturen - Gehölzen, Gebäuden - einhielten. Diese Überlegung lässt sich jedenfalls nach Reduktion des Meideradius auf wohl realistischere 50-100 m zu Gehölzen und 175 m zu Gebäuden nicht mehr halten. Zwar würde auch unter Berücksichtigung dieser Abstände die aus den festgesetzten Lärmemissionskontingenten errechnete 58 dB(A)-Isophone das vorbelastete Gebiet nicht überschreiten. Indes ist die Annahme, Schalleinwirkungen unterhalb eines Dauerschallpegels von 58 dB(A) könnten keine erhebliche Beeinträchtigung der Habitatqualität des FFH-Gebiets für die wertbestimmenden Arten darstellen, nicht gerechtfertigt. Hinsichtlich der diesbezüglichen Bedenken wird auf das Hinweisschreiben des Berichterstatters vom 13. Januar 2022 an die Beteiligten Bezug genommen.
Auch das 2. Ergänzungspapier vermag diese Bedenken nicht auszuräumen. Darin werden die Zweifel, ob die auf Straßenlärm bezogenen Unbedenklichkeitswerte der Studie Garniel u.a. 2010, auf den planbedingten Lärm übertragbar seien, zwar aufgegriffen. Das Ergänzungspapier differenziert nun: Nach Garniel u.a., Vögel und Verkehrslärm, 2007, sei kritisch nur kontinuierlicher Lärm - worunter Lärm verstanden wird, der länger als 15 Minuten am Stück anhält -, da dieser Warnrufe vor Prädatoren maskiere. Die Brechanlage sei bei dem planbedingt zulässigen Dauerbetrieb daher kritisch. Als Vermeidungsmaßnahme könne diese entweder abgestellt werden, oder es könne nach jeweils 15-minütigem Betrieb eine 45-minütige Pause vorgegeben werden. Mit Blick auf allen übrigen Lärm sei nach Garniel u.a., 2007, ein kontinuierlicher Lärmpegel von 52 dB(A) unbedenklich. Die aus den nicht dem SO 4 zugeordneten Lärmkontingenten resultierende 52-dB(A)-Isophone aber verlaufe wiederum nur teilweise im Schutzgebiet und dort nur in optisch vorbelasteten Bereichen.
Diese Erwägungen könnten der Planung von vornherein nur dann zur Wirksamkeit verhelfen, wenn eine im ergänzenden Verfahren beschlossene Planung die vorgeschlagenen Betriebsbeschränkungen der Brechanlage durch entsprechende Festsetzungen sicherstellen würde; eine Konfliktverlagerung ins Baugenehmigungsverfahren ist mit Blick auf § 34 Abs. 8 BNatSchG nicht möglich. Ob eine Brechanlage unter den genannten Bedingungen sinnvoll betrieben und die Beschränkung wirksam überwacht werden kann, müsste dann unter dem Gesichtspunkt der Planerforderlichkeit geklärt werden. Allerdings ist bereits zweifelhaft, ob die Ausführungen im 2. Ergänzungspapier geeignet sind, eine erhebliche Beeinträchtigung der wertbestimmenden Arten durch diskontinuierlichen Lärm - verstanden als Lärm, der je Stunde einmal bis zu 15 Minuten am Stück auftritt - auszuschließen. Zu Recht wenden die Antragsteller ein, dass die zur Begründung angeführte gutachterlich festgestellte Unempfindlichkeit bestimmter Vögel gegenüber Verkehrslärm, der in dem Sinne diskontinuierlich auftritt, dass er jeweils für die Dauer eines schnellen Überflugs bzw. einer schnellen Vorbeifahrt anhält, nicht unbedingt auf eine Unempfindlichkeit gegenüber 15-minütigen Lärmereignissen schließen lässt. Mit Blick auf die Störwirkung des unter Herausrechnung des SO 4 nach den Lärmkontingenten möglichen Gesamtlärms verbleibt es bei den Bedenken, die der Berichterstatter bereits in seinem Hinweisschreiben vom 13. Januar 2022 formuliert hatte: Die Lärmkontingente gewährleisten lediglich die Einhaltung eines bestimmten über den Tagzeitraum gemittelten Dauerschallpegels. Sie können aber durchaus so ausgenutzt werden, dass zu bestimmten - möglicherweise für die Vögel besonders problematischen - Zeiten ein deutlich über dem Durchschnittspegel liegender Lärm emittiert wird, während in anderen Phasen des Bemessungszeitraums kein Betrieb stattfindet. Eine annähernd gleichmäßige Geräuschkulisse ist angesichts der Art des von der Beigeladenen beabsichtigten Betriebes, der namentlich durch gelegentliche Rangier- und Entladevorgänge geprägt sein dürfte, auch tatsächlich eher unwahrscheinlich. Eine Natura-2000-Verträglichkeit der Planung läge jedoch nur vor, wenn erhebliche Beeinträchtigungen auch für ein solches Szenario ausgeschlossen werden könnten.
b)
Vor dem Hintergrund der gravierenden Bedenken gegen die Natura-2000-Verträglichkeit der Planung stellt sich ferner die Frage, ob diese noch als erforderlich i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB angesehen werden kann. Die Erforderlichkeit ist einer Planung zwar nicht bereits deshalb abzusprechen, weil diese die Ansiedlungs- oder Expansionswünsche eines Gewerbetreibenden bedient; denn die Belange der Wirtschaft sind nach § 1 Abs. 6 Nr. 8 a BauGB explizit bei der Bauleitplanung zu berücksichtigen. Sind diese Wünsche auf die Erweiterung eines bestehenden, genehmigten Betriebes gerichtet, so kann auch die Ausweisung einer gewerblich nutzbaren Fläche an einem Standort gerechtfertigt sein, für den unter Ausblendung des konkreten Planungsanlasses keinerlei städtebauliche Gründe sprechen; denn auch das Interesse, einen Gewerbebetrieb nicht nur um den Preis der Aufgabe schutzwürdiger bestehender Bausubstanz erweitern zu können, darf die Gemeinde zum Planungsanlass nehmen. Ist der Ausgangsbetrieb hingegen nicht baugenehmigt und auf der Grundlage bisher geltenden Planungsrechts auch nicht genehmigungsfähig oder stellt sich das Vorhaben nicht lediglich als Betriebserweiterung, sondern als grundlegender Umbau des genehmigten Bestandsbetriebes dar, so greift diese Erwägung nicht; die Planung ist wie eine Erstansiedlung zu behandeln. In diesem Fall kann sich eine Standortauswahl, für die abgesehen vom Legalisierungsinteresse des Gewerbetreibenden nichts spricht, die aber erheblichen städtebaulichen Bedenken ausgesetzt ist, als ein die Erforderlichkeit ausschließender städtebaulicher Missgriff erweisen (ähnlich VGH BW, Urt. v. 30.1.1995 - 5 S 862/94 -, NuR 1996, 36 = juris Rn. 19 ff.).
Ein solcher Fall könnte hier vorliegen. Nach Aktenlage scheinen die wesentlichen für das landwirtschaftliche Lohnunternehmen der Beigeladenen genutzten Anlagen für ihren gegenwärtigen Nutzungszweck nicht baugenehmigt zu sein; von der Privilegierung der ursprünglich - und wohl betrieblich getrennt vom Lohnunternehmen noch immer - auf dem Grundstück bestehenden Landwirtschaft ist ein Lohnunternehmen größeren Umfangs nicht umfasst. Erst recht gilt dies, wenn sich der Betriebsschwerpunkt in Richtung der Lagerung und Verarbeitung von Böden und Abfällen verschöbe. Ob vor diesem Hintergrund noch ein hinreichender städtebaulicher Anknüpfungspunkt für die Ansiedelung eines emissionsträchtigen Betriebes an einem Standort ohne unmittelbaren Anschluss an größere Straßen und in unmittelbarer Nähe zu einem europäischen Vogelschutzgebiet besteht, ist ernstlich zweifelhaft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen beruht die Entscheidung auf § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10 (analog), 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 20.000 EUR festgesetzt.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).