Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.01.2024, Az.: 4 LA 2/24

Darlegung eines Gehörsverstosses bei nicht ordnungsgemäßer Einführung von Erkenntnismitteln

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.01.2024
Aktenzeichen
4 LA 2/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 10342
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0129.4LA2.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 24.03.2022 - AZ: 7 A 3722/21

Fundstelle

  • AUAS 2024, 56-58

Amtlicher Leitsatz

Bei nicht ordnungsgemäßer Einführung von Erkenntnismitteln ist zur Darlegung eines Gehörsverstosses auszuführen, in welchem Zusammenhang das Verwaltungsgericht das jeweilige Erkenntnismittel herangezogen hat, inwieweit die in dem Erkenntnismittel enthaltenen Tatsachen oder die hieraus von dem Verwaltungsgericht gezogenen Schlüsse unzutreffend sind und was bei ordnungsgemäßer Einführung in Bezug auf die in diesem Erkenntnismittel enthaltenen Tatsachen vorgetragen worden wäre.

Tenor:

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 7. Kammer - vom 24. März 2022 wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die außergerichtlichen Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Kläger, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen, hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist nicht wegen des von den Klägern geltend gemachten Zulassungsgrunds der Versagung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

Das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundrecht soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und mangelnder Berücksichtigung des Sachvortrags eines Beteiligten haben (vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 18.2.2021 - 1 B 9.21 -, juris Rn. 4 m.w.N.). Da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass das Gericht seiner diesbezüglichen Verpflichtung nachkommt, ist eine Versagung rechtlichen Gehörs jedoch nur dann anzunehmen, wenn besondere Umstände des Einzelfalls deutlich machen, dass dies wider Erwarten nicht geschehen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.12.2020 - 1 BvR 117/16 -, juris Rn. 12). Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht ferner, sein Urteil nur auf solche Tatsachen und Beweismittel zu stützen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Hieraus folgt im gerichtlichen Asylverfahren grundsätzlich die Pflicht des Gerichts, die Erkenntnismittel, auf die es seine Entscheidung zu stützen beabsichtigt, in einer Weise zu bezeichnen und in das Verfahren einzuführen, die es den Verfahrensbeteiligten ermöglicht, diese zur Kenntnis zu nehmen und sich zu ihnen zu äußern (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.6.1985 - 2 BvR 414/84 -, juris Rn. 27; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 8.1.2024 - 9 LA 233/21 -, juris Rn. 19).

Gemessen daran ist die Berufung hier nicht wegen der Versagung rechtlichen Gehörs zuzulassen. Die Kläger haben mit ihrem Zulassungsantrag einen derartigen Verfahrensfehler nicht hinreichend dargelegt.

Soweit die Kläger mit ihrem Zulassungsantrag rügen, "der pauschale Verweis auf einen Bericht aus Österreich zur Staatendokumentation" könne "nicht dazu führen, dass das konkrete Vorbringen des Einzelnen ... nicht ausreichend gewürdigt wird", womit sie offensichtlich den vom Verwaltungsgericht im Rahmen der von ihm getroffenen Entscheidung berücksichtigten Bericht des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Georgien, Stand: 15. Oktober 2021 (Version 5), meinen (siehe Urteilsabdruck, S. 5), stellt die nach Auffassung der Kläger unzureichende Würdigung des Sachverhalts keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar.

Mit ihrem weiteren Vorbringen, es sei "nicht nachvollziehbar, dass sich das Gericht einem Bericht aus Österreich bedient" und es "wurde vorher nicht bekannt gegeben, dass sich das Gericht einer solchen Quelle bedient", ist ein Verfahrensfehler ebenfalls nicht hinreichend dargelegt. Das Vorbringen ist bereits im Ausgangspunkt unzutreffend. Zum einen sind die Kläger bereits mit der Bestätigung des Eingangs ihrer Klage durch gerichtliches Schreiben vom 3. Dezember 2021 darauf hingewiesen worden, dass die Kammer eine Vielzahl von Lageberichten, Auskünften und sonstigen Unterlagen zur Situation im Herkunftsland gesammelt hat, diese Erkenntnismittel zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden und ein Exemplar der Erkenntnismittelliste auf Anforderung übersendet wird. Zum anderen hat das Verwaltungsgericht ausweislich der Niederschrift über die öffentliche Sitzung vom 24. März 2022 die Liste der Erkenntnismittel zur Lage in Georgien mit Stand vom 21. März 2022 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht, den Klägern ein Exemplar ausgehändigt und diesen den Zweck der Erkenntnismittelliste erläutert (Sitzungsniederschrift, S. 2). Die ausgehändigte Erkenntnismittelliste mit Stand vom 21. März 2022 enthielt auch den vorgenannten Bericht des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl.

Die Kläger zeigen mit ihrem Zulassungsantrag auch nicht auf, dass dieses Erkenntnismittel nicht ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt und ihnen dadurch die Möglichkeit, sich hierzu zu äußern, genommen worden sei. In welcher Form das Verwaltungsgericht Erkenntnismittel in das Verfahren einzuführen hat, ist nicht ausdrücklich geregelt. Ausreichend und üblich ist es, dass das Gericht den Beteiligten eine Liste der Erkenntnismittel übersendet und diese zur Einsicht vorhält. Diese Vorgehensweise ist aber nur eine von mehreren Möglichkeiten (GK-AsylG, § 78 Rn. 341, Stand: März 2019). Hier hat das Verwaltungsgericht - wie bereits ausgeführt - mit der Eingangsbestätigung vom 3. Dezember 2021 auf die Möglichkeit der Übersendung der Erkenntnismittelliste auf Anforderung hingewiesen und in der mündlichen Verhandlung die in der Kammer geführte Liste der Erkenntnismittel zur Lage in Georgien mit Stand vom 21. März 2022 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht sowie den Klägern die Erkenntnismittelliste ausgehändigt. Diese Verfahrensweise lässt nicht ohne Weiteres auf eine nicht ordnungsgemäße Einführung der Erkenntnismittel schließen. Für den Zeitpunkt der Einführung gilt zwar, dass ein gewissenhafter Verfahrensbeteiligter die realistische Chance haben muss, die eingeführten Erkenntnismittel einzusehen und sich sachgerecht zu äußern, so dass die erstmals in der mündlichen Verhandlung erfolgende Einführung einer umfangreichen Erkenntnismittelliste im Regelfall den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 2.1.1997 - 13 A 5120/96.A -, juris Rn. 6 f. zu einer Erkenntnismittelliste mit mehr als 600 Auskünften und Berichten; ferner GK-AsylG, § 78 Rn. 340, Stand: März 2019). Die Kläger verhalten sich mit ihrem Zulassungsantrag aber nicht zu der hier erfolgten Einführung der Erkenntnismittelliste und machen nicht einmal im Ansatz oder sinngemäß geltend, dass für sie wegen der Einführung der Erkenntnismittelliste erst in der mündlichen Verhandlung keine hinreichende Kenntnisnahmemöglichkeit für die vom Gericht bei seiner Entscheidung berücksichtigten Erkenntnismittel bestanden hat. Dies drängt sich mit Blick darauf, dass die Kläger bereits mit der Eingangsbestätigung und erneut zu Beginn der mündlichen Verhandlung auf die beim Gericht geführte Erkenntnismittelliste und ihren Zweck der Erkenntnismittelliste hingewiesen worden sind und die ihnen ausgehändigte Erkenntnismittelliste in etwa 50 Berichte und Auskünfte zu dem Herkunftsland Georgien enthält, für den Senat auch nicht ohne Weiteres auf, ohne dass es hierzu einer näheren Darlegung durch die Kläger in ihrem Zulassungsantrag bedurft hätte.

Selbst wenn man hier trotz des insoweit unzureichenden Zulassungsvorbringens von einer nicht rechtzeitigen und daher nicht ordnungsgemäßen Einführung der Erkenntnismittel ausgeht, führt dies jedoch nicht zur Zulassung der Berufung wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs. Denn die Verletzung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass die angegriffene Entscheidung auf dem Fehlen des rechtlichen Gehörs beruht. Das ist aber nur dann der Fall, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Anhörung des Beteiligten zu einer anderen und für ihn günstigeren Entscheidung geführt hätte. Der Anspruch auf rechtliches Gehör bezieht sich nämlich nur auf entscheidungserhebliches Vorbringen. Demzufolge muss vom Zulassungsantragsteller auch in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz dargelegt werden, was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte, mithin weshalb der geltend gemachte Gehörsverstoß entscheidungserheblich ist (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 8.1.2024 - 9 LA 233/21 -, juris Rn. 25 und Beschl. v. 10.7.2019 - 10 LA 35/19 -, juris Rn. 7; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 29.12.2004 - 1 B 91.04 -, juris Rn. 3). Bei nicht ordnungsgemäßer Einführung von Erkenntnismitteln ist daher auszuführen, in welchem Zusammenhang das Verwaltungsgericht das jeweilige Erkenntnismittel herangezogen hat, inwieweit die in dem Erkenntnismittel enthaltenen Tatsachen oder die hieraus von dem Verwaltungsgericht gezogenen Schlüsse unzutreffend sind und was - bei ordnungsgemäßer Einführung - in Bezug auf die in diesem Erkenntnismittel enthaltenen Tatsachen vorgetragen worden wäre. Denn nur auf dieser Grundlage kann geprüft und entschieden werden, ob auszuschließen ist, dass die Gewährung rechtlichen Gehörs zu einer anderen, für den Kläger günstigeren Entscheidung geführt hätte (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 8.1.2024 - 9 LA 233/21 -, juris Rn. 25 und Beschl. v. 10.7.2019 - 10 LA 35/19 -, juris Rn. 7; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. vom 9.2.2022 - 19 A 544/21.A -, juris Rn. 19).

Diesen Anforderungen an die Darlegung eines Gehörsverstoßes durch eine nicht ordnungsgemäße Einführung der Erkenntnismittel genügen die Kläger mit ihrem Zulassungsvorbringen aber ebenfalls nicht. Sie setzen sich inhaltlich nicht mit den vom Verwaltungsgericht berücksichtigten Erkenntnismitteln zur medizinischen Versorgungslage in Georgien, insbesondere nicht mit dem Bericht des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 15. Oktober 2021 auseinander. Zudem zeigen sie auch nicht auf, inwieweit der Bericht oder die hieraus von dem Verwaltungsgericht gezogenen Schlüsse unzutreffend sind. Sie wenden vielmehr allein ein, dass die Erkrankungen und Behinderungen der Klägerin zu 3. zu erheblichen Einschränkungen bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben führten, was durch das Verwaltungsgericht nur unzureichend gewürdigt worden sei. Die nach Auffassung der Kläger unzureichende Würdigung des Sachverhalts stellt jedoch - wie bereits ausgeführt - keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO und § 83b AsylG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).