Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.01.2024, Az.: 12 KS 2/24

Umfang der erstinstanzlichen Zuständigkeit des OVG nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a VwGO; Streit um die den laufenden Betrieb einer Windenergieanlage unberührt lassenenden Überwachungsmaßnahmen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.01.2024
Aktenzeichen
12 KS 2/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 10313
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0123.12KS2.24.00

Amtlicher Leitsatz

Der Streit um Überwachungsmaßnahmen, die den laufenden Betrieb einer Windenergieanlage unberührt lassen, fällt nicht in die erstinstanzliche Zuständigkeit des OVG nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a VwGO.

Tenor:

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ist unzuständig.

Der Rechtsstreit wird an das Verwaltungsgericht Stade verwiesen.

Gründe

Nach § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG spricht das Oberverwaltungsgericht im Falle seiner (sachlichen) Unzuständigkeit (1) dieselbe aus und verweist den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten zugleich an das sachlich und örtlich zuständige Gericht (2).

1. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ist unzuständig. Denn auf der Grundlage des als zuständigkeitsbegründend allein in Betracht zu ziehenden § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a VwGO ist seine Zuständigkeit nicht gegeben.

Die genannte Vorschrift weist dem Obergericht zwar die erstinstanzliche sachliche Zuständigkeit für sämtliche Streitigkeiten zu, die die Errichtung, den Betrieb und die Änderung von Windenergieanlagen (WEA) an Land mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 m (raumbedeutsame WEA) betreffen.

Danach muss es sich, soweit vorliegend in Betracht kommend, um eine Streitigkeit handeln, die "den Betrieb" einer raumbedeutsamen WEA betrifft. Wenn auch der Wortlaut der Norm insoweit offen ist, so sprechen doch die übrigen Auslegungskriterien deutlich für ein Verständnis dieses Merkmals dahin, dass sich die streitige Maßnahme unmittelbar regelnd auf diesen Betrieb beziehen muss. Denn bei der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Obergerichts handelt es sich um eine Ausnahme vom Regelfall der Eingangszuständigkeit des Verwaltungsgerichts nach § 45 VwGO. Wie der Senat bereits durch Beschluss vom 16. Juni 2022 (- 12 KS 71/22 - juris, Rn. 7, m. w. N.) entschieden hat, besteht das mit der Einfügung der Nr. 3a verfolgte gesetzgeberische Ziel darin, durch eine Verkürzung des Instanzenzugs in Rechtsstreitigkeiten über Genehmigungen schneller zu rechtskräftigen Gerichtsentscheidungen zu gelangen. Dies soll die Verwirklichung der von der Zuständigkeitszuweisung erfassten Vorhaben und damit die Erreichung der auf Letztere bezogenen, für die "Energiewende" zentralen Ausbauziele beschleunigen. Nach dem Verständnis des Senats ist darüber hinaus der "Betrieb" von WEA auch dann noch betroffen, wenn um die Rechtmäßigkeit von nachträglichen Betriebseinschränkungen, etwa nach § 3 Abs. 2 BNatSchG (vgl. Senatsurt. v. 5.7.2022 - 12 KS 121/21 -, juris, sowie den vorhergehenden, unveröffentlichten Beschl. v. 12.5.2021 - 12 MS 47/21 -, S. 3 des Abdrucks) oder gemäß § 17 BImSchG (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 15.2.2022 - 11 S 45/21 -, juris, Rn. 15, m. w. N. auch zu abweichenden Ansichten) gestritten wird, weil auch insoweit unmittelbar die im Zentrum des gesetzgeberischen Interesses liegende Energiegewinnung durch den "Betrieb" von WEA betroffen ist. Damit ist jedoch regelmäßig die Grenze des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a VwGO bezeichnet, so dass Streitverfahren nicht mehr von der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Obergerichts umfasst sind, die lediglich mittelbare Beeinträchtigungen des Betriebs (von raumbedeutsamen WEA) oder solche Maßnahmen zum Gegenstand haben, durch die nur geklärt werden soll, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für eine mögliche spätere betriebsbeschränkende Regelung vorliegen.

Das gilt damit auch für die hier in Rede stehenden Maßnahmen, mit denen der Kläger erreichen will, dass der Beklagte nach § 52 Abs. 1 bzw. § 26 BImSchG die Lärmimmissionen, die von drei von ihm, dem Beklagten, in den Jahren 2018 und 2019 genehmigten raumbedeutsamen WEA auf das klägerische Wohnhaus einwirken, durch einen unabhängigen Gutachter ermitteln lässt. Denn dadurch wird der genehmigte Betrieb dieser WEA nicht geregelt, sondern gerade vorausgesetzt und allenfalls potentiell, aber noch nicht zwangsläufig und unmittelbar die Grundlage für weitere, selbständige Maßnahmen, etwa nach § 17 BImSchG geschaffen, deren richterliche Kontrolle dann allerdings in die erstinstanzliche Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts fallen kann.

Die abweichende Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid des Beklagten ist damit unrichtig, aber als solche ohne Einfluss auf die gerichtliche Zuständigkeit (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 24.3.2022 - 19 D 66/22.A -, juris, Rn. 7 f.)

2. Zuständig für die Verpflichtungsklage ist das Verwaltungsgericht Stade. Dies folgt für die sachliche Zuständigkeit aus § 45 VwGO und für die örtliche aus § 52 Nr. 3 Satz 1 und 5 VwGO i. V. m. § 73 Abs. 2 Nr. 7 NJG, wonach dasjenige Verwaltungsgericht örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk der (ablehnende) Verwaltungsakt erlassen wurde.

3.Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil die Kosten im Verfahren vor dem angerufenen Gericht als Teil der Kosten behandelt werden, die bei dem Gericht erwachsen, an das der Rechtsstreit verwiesen wird (§ 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 83 Satz 2 VwGO).