Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.01.2024, Az.: 7 LB 11/22

Deichrechtliche Ausnahmegenehmigung bei Errichtung und Erweiterung von Gebäuden; Wärmedämmung von Bestandsgebäuden

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
25.01.2024
Aktenzeichen
7 LB 11/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 10413
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0125.7LB11.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 24.02.2020 - AZ: 1 A 871/17

Fundstelle

  • NordÖR 2024, 183-186

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt formulierte Regelung des § 14 Abs. 1, 2 NDG lässt die Errichtung oder Erweiterung von Gebäuden nach § 14 Abs. 2 Satz 2 NDG nur in besonderen Fällen öffentlicher oder allgemeinwirtschaftlicher Belange zu, wenn die Sicherheit des Deiches gewährleistet bleibt. Dazu bedarf es einer die Umstände des Einzelfalls beurteilende Ermessensentscheidung der Behörde.

  2. 2.

    Die Wärmedämmung von Bestandsgebäuden entspricht in der Regel jedenfalls auch öffentlichen Belangen.

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 1. Kammer (Einzelrichterin) - vom 24. Februar 2020 teilweise geändert.

Der Beklagte wird verpflichtet, den Antrag des Klägers vom 12. August 2016 auf Erteilung einer deichrechtlichen Ausnahmegenehmigung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts hinsichtlich der Nebenbestimmung Nr. 2 neu zu bescheiden.

Von den Kosten des Verfahrens beider Instanzen trägt der Kläger 2/3 und der Beklagte 1/3.

Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 19.364,28 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen eine Regelung in einer ihm erteilten deichrechtlichen Ausnahmegenehmigung, die Vorgaben hinsichtlich eines von ihm beabsichtigten Bauvorhabens enthält.

Er ist Eigentümer eines mit einem Zweifamilienhaus bebauten, auf dem Hauptdeich in A-Stadt belegenen Grundstücks in der C-Straße in A-Stadt. Die Gartenfläche des Grundstücks grenzt unmittelbar an die Weser an. Der Kläger beabsichtigt, das Haus zu einem Einfamilienhaus umzubauen, und beantragte aufgrund dessen am 12. August 2016 eine deichrechtliche Ausnahmegenehmigung. Neben der Aufbringung einer außenseitigen Wärmedämmung und weiterer Sanierungsmaßnahmen ist im Rahmen des Bauvorhabens u.a. die Erweiterung des bereits bestehenden Balkons durch Stützfüße zu einem Wintergarten sowie die Erstellung einer umlaufenden Dachterrasse von rund 33,9 qm, ebenfalls auf Pfeiler gestützt, vorgesehen. Nach Anhörung des II. Oldenburgischen Deichbandes, der sich im Wesentlichen gegen das Vorhaben aussprach und Bedenken hinsichtlich der Deichsicherheit erhob, erteilte der Beklagte mit Bescheid vom 23. Dezember 2016, abgesandt am 6. Januar 2017 und dem Kläger unwidersprochen nach eigenen Angaben am 10. Januar 2017 zugegangen, eine mit Nebenbestimmungen versehene deichrechtliche Ausnahmegenehmigung. Hinsichtlich des beabsichtigten Wintergartens und der Dachterrasse sah der Bescheid Vorgaben zur Pflasterung und Befestigung der darunter befindlichen Grundstücksfläche des Deiches vor.

Mit Schreiben vom 25. Januar 2017 hat der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid erhoben und darauf hingewiesen, dass die dem Bescheid beigefügte Rechtsmittelbelehrung, nach der unmittelbar Klage zu erheben sei, nach seiner Auffassung unzutreffend sein dürfte. Mit Schreiben vom 31. Januar 2017 hat der Beklagte dem Kläger mitgeteilt, dass für ein Widerspruchsverfahren kein Raum sei und die Rechtsbehelfsbelehrung eindeutig aussage, dass das Rechtsmittel der Klage zulässig sei. Daraufhin hat der Kläger am 9. Februar 2017 Klage vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg erhoben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die die Pflasterung und Befestigung der unter Balkon und Dachterrasse befindliche Grundstücksfläche betreffende Nebenbestimmung Nr. 2 des angefochtenen Bescheides beschwere ihn im Verhältnis zu anderen Anliegern des Deiches übermäßig und ungleichmäßig, zudem sei die angeordnete Maßnahme auch weder erforderlich noch verhältnismäßig. Die Begründung der Auflage verweise lediglich auf ein ca. 600 Seiten umfassendes Werk, welches Empfehlungen für die Ausführung von Küstenschutzwerken enthalte.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

  1. 1.

    die angefochtene Auflage aufzuheben bzw. so herabzusetzen, dass ihm lediglich aufgegeben wird, den vorhandenen Belag aus Betonplatten so zu erweitern, dass die Grundfläche unter der Terrasse inklusive eines Zuschlags von 50 cm umlaufend abgedeckt wird,

  2. 2.

    hilfsweise,

    den Beklagten zu verpflichten, die Nebenbestimmung Nr. 2 der deichrechtlichen Ausnahmegenehmigung dahingehend abzuändern, dass dem Kläger aufgegeben wird, den Belag aus Betonplatten so zu erweitern, dass die Grundfläche unter der geplanten Terrasse inklusive eines Zuschlags von 50 cm umlaufend abgedeckt wird,

  3. 3.

    weiter hilfsweise,

    den Beklagten zu verpflichten, den Antrag auf Erteilung der deichrechtlichen Ausnahmegenehmigung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts hinsichtlich der Nebenbestimmung Nr. 2 neu zu bescheiden.

Der Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat zur Begründung ausgeführt, die vom Kläger angegriffene Nebenbestimmung diene der Herstellung der Deichsicherheit und sei nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger rüge, der bloße Verweis auf die Empfehlungen für die Ausführung von Küstenschutzwerken sei unzureichend, sei zu berücksichtigen, dass mehrfach Vorgespräche zwischen Kläger, Beklagtem und dem Träger der Deicherhaltung stattgefunden hätten.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 24. Februar 2020 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, hinsichtlich der Anträge zu 1. und 2. sei die Klage bereits unzulässig, weil der Kläger die Nebenbestimmung weder isoliert angreifen könne, da es sich um eine inhaltsmodifizierende Auflage handele, noch eine Ausgestaltung dessen durch das Gericht verlangen könne. Im Übrigen sei die Klage auch insgesamt unbegründet, weil die Tatbestandsvoraussetzungen zur - grundsätzlich möglichen - Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nicht vorlägen. Eine Befreiung vom in § 14 Abs. 1 NDG festgelegten Verbot der Benutzung des Deichs sei nach § 14 Abs. 2 Satz 2 NDG bei Errichtung oder Erweiterung von Gebäuden nur in besonderen Fällen öffentlicher oder allgemeinwirtschaftlicher Belange zulässig, wenn die Sicherheit des Deiches gewährleistet bleibe. Vorliegend seien weder öffentliche Belange noch allgemein wirtschaftliche Belange in diesem Sinne für den Erweiterungsbau bzw. Umbau des Zweifamilienhauses erkennbar. Selbst bei Vorliegen dieser Voraussetzungen stehe eine etwaige Entscheidung im Ermessen der Behörde. Die Behörde habe ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben. Gemessen daran dürften nach Auffassung des Verwaltungsgerichts keine Ermessensfehler gegeben sein.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 5. Mai 2022 die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zugelassen, soweit das Verwaltungsgericht die Klage auch hinsichtlich des hilfsweise geltend gemachten Begehrens auf Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung seines Antrags auf Erlass einer deichrechtlichen Ausnahmegenehmigung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts hinsichtlich der Nebenbestimmung Nr. 2 (Klageantrag zu 3.) abgewiesen hat. Den darüberhinausgehenden Antrag auf Zulassung der Berufung auch hinsichtlich der Klageanträge zu 1. und 2. hat der Senat in dem benannten Beschluss abgelehnt.

Im Berufungsverfahren haben die Beteiligten ihr erstinstanzliches Vorbringen ergänzt und vertieft, soweit die Berufung zugelassen wurde.

Der Kläger macht insbesondere geltend, das Verwaltungsgericht habe die Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 NDG nicht verneinen dürfen, da öffentliche Belange im Sinne dieser Vorschrift durch das Bauvorhaben berührt seien. Der Beklagte habe sein Ermessen allerdings nicht zureichend ausgeübt. Zudem seien die in der Nebenbestimmung Nr. 2 vorgesehenen Maßnahmen zum Schutz des Deiches weder verhältnismäßig noch werde der Gleichheitsgrundsatz bei Auferlegung dieser Maßnahme berücksichtigt. Die Nebenbestimmung müsse lediglich eine einer geschlossenen Grasnarbe gleichwertige Abdeckung bezwecken. Bei anderen Bauwerken in ähnlicher Lage sei eine entsprechende Abdeckung mit Deckwerksteinen nicht gefordert worden, zudem gebe es auch zahlreiche unbefestigte Flächen an anderer Stelle im Deichkörper.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des VG Oldenburg - 1 A 871/17 - den Beklagten zu verpflichten, den Antrag auf Erteilung einer deichrechtlichen Ausnahmegenehmigung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts hinsichtlich der Nebenbestimmung Nr. 2 neu zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, soweit die Ermessensentscheidung angegriffen werde, handele es sich lediglich um einen Begründungsmangel, der gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG geheilt werden könne. Auch die Ermessensausübung sei nicht fehlerhaft, weil die Ermessenserwägung nach § 114 Satz 2 VwGO auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzt werden könne. Zwar sei der angefochtenen deichrechtlichen Ausnahmegenehmigung eine Ermessensausübung tatsächlich nicht zu entnehmen. Allerdings sei im Ortstermin am 28. September 2016 bereits erläutert worden, weshalb die Erteilung einer Genehmigung nur unter Auflagen in Betracht gezogen werde. Im Übrigen ergänze der Beklagte nunmehr seine Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren. Er erläutert in diesem Zusammenhang, dass und weshalb er die in der Nebenbestimmung Nr. 2 enthaltenen Vorgaben für ermessensgerecht halte, und tritt den klägerischen Einwendungen entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

II.

Die nach Zulassung der Berufung über einen längeren Zeitraum zwischen den Parteien geführten außergerichtlichen Bemühungen zu einer einvernehmlichen Beilegung des Rechtsstreits sind nach Mitteilung des Klägers durch am 7. Dezember 2023 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz gescheitert, so dass der Senat zur Entscheidung berufen war. Der Senat trifft diese Entscheidung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss (§ 130a Satz 1 VwGO), weil er die Berufung, soweit sie zugelassen wurde, einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Soweit der Antrag auf Zulassung der Berufung durch Beschluss des Senats vom 5. Mai 2022 (Az. 7 LA 10/21) abgelehnt worden ist, ist das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts (teil-)rechtskräftig und stand in Folge dessen nicht mehr zur Entscheidung des Senats.

Im Übrigen hat die statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts im Umfang der Zulassung Erfolg. Die Klage ist als Verpflichtungsklage im Sinne von § 42 Abs. 1 VwGO statthaft und zulässig. Soweit es den Umstand betrifft, dass der Kläger zunächst Widerspruch erhoben hat, da er der Auffassung war, dass es eines Vorverfahrens im Sinne von § 68 ff. VwGO bedurfte, und der Beklagte dieses Verfahren nicht weiter verfolgt hat, ist lediglich anzumerken, dass der Beklagte auf den Widerspruch des Klägers zutreffend mit Schreiben vom 31. Januar 2017 darauf hingewiesen hat, dass ein solches zum damaligen Zeitpunkt nicht vorgesehen war. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. f) NJG, wonach für Verwaltungsakte nach den Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes, des Niedersächsischen Wassergesetzes und des Niedersächsischen Deichgesetzes der Wegfall des Vorverfahrens nach § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht gilt, ist erst seit dem 2. März 2017 gültig. Davor - und damit auch zum Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels durch den Kläger - waren Streitigkeiten nach dem Niedersächsischen Deichgesetz nicht vom Ausschluss des Widerspruchsverfahrens nach § 80 Abs. 1 NJG ausgenommen (vgl. die Gesetzesfassung vom 16.12.2014, Nds. GVBl. S. 436) und infolge dessen war unmittelbar Klage zu erheben.

Die Klage ist im Umfang der zugelassenen Berufung auch begründet. Der Bescheid vom 23. Dezember 2016 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, als er einen Anspruch auf Neubescheidung seines Antrags auf eine deichrechtliche Ausnahmegenehmigung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts hinsichtlich der Nebenbestimmung Nr. 2 hat (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Soweit das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten hat, ein Verpflichtungsanspruch auf Neubescheidung der Behörde scheide aus, weil bereits der Tatbestand des § 14 Abs. 2 Satz 2 NDG nicht gegeben sei, da ein Fall öffentlicher oder allgemein wirtschaftlicher Belange im Sinne dieser Vorschrift nicht vorliege, kann dem in dieser Pauschalität nicht gefolgt werden. Der Senat hat bereits in dem die Berufung zulassenden Beschluss vom 5. Mai 2022 (Az. 7 LA 10/21) darauf hingewiesen, dass nicht maßgebend ist, ob - wie das Verwaltungsgericht zugrunde gelegt hat - einzelne Maßnahmen des Bauvorhabens dem nicht entsprechen könnten. Der Kläger hat seinen Antrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung seines Antrags auf eine deichrechtliche Ausnahmegenehmigung/Erlaubnis im Rahmen des Antrags - im Übrigen auch im Berufungsverfahren - nicht auf einzelne Bestandteile seines Bauvorhabens beschränkt. Die Behörde hat vielmehr den Antrag des Klägers vom 12. August 2016 in seiner Gesamtheit erneut zu bescheiden. Gegenstand des Antrags ist nicht nur die vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegte Erweiterung des Balkons zu einem Wintergarten und die umlaufend vorgesehene Terrasse, sondern zugleich auch u.a. eine außenseitige Wärmedämmung des Gebäudes. Die Wärmedämmung von Bestandsgebäuden entspricht in der Regel jedenfalls auch öffentlichen Belangen (vgl. BGH, Urteil vom 12.11.2021 - V ZR 115/20 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.01.2017 - 2 A 917/15 -, juris). Ungeachtet dessen scheint es zudem auch nicht ausgeschlossen, dass bspw. auch die Errichtung eines Wintergartens unter energetischen Gesichtspunkten erfolgen kann. Dass der Tatbestand des § 14 Abs. 2 Satz 2 NDG für einen Neubescheidungsanspruch in Gänze nicht erfüllt wäre, so dass die Beklagte von vorneherein an einer Ermessensausübung gehindert wäre, lässt sich vor diesem Hintergrund nicht feststellen. Die dem angegriffenen Bescheid des Beklagten zugrunde gelegte Annahme, dass eine deichrechtliche Ausnahmegenehmigung vorliegend grundsätzlich in Betracht komme, ist in Folge dessen nicht zu beanstanden.

Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung liegt im Ermessen der Deichbehörde (§ 14 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 14 Abs. 2 Satz 1 NDG). Dem Kläger steht der geltend gemachte Neubescheidungsanspruch zu, weil der in Rede stehende Bescheid an einem Ermessensfehler leidet. Der Senat hat bereits in dem die Berufung zulassenden Beschluss vom 5. Mai 2022 wie folgt ausgeführt: "Mit Blick auf § 114 VwGO kann das Gericht die behördliche Ermessensentscheidung nur daraufhin überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Davon ist i.d.R. bereits dann auszugehen, wenn die Behörde eine unzureichende Begründung anführt. Das Fehlen einer ausreichend substantiellen, nachvollziehbaren Begründung oder die "Vagheit" einer Begründung, der nichts Wesentliches zur Sache entnommen werden kann, ist bei Ermessensentscheidungen an sich schon ein Mangel, der als solcher den Verwaltungsakt rechtswidrig macht (Niedersächsisches OVG, Urteil vom 10.02.2011 - 12 LB 318/08 -, BeckRS 2011, 47494).

Gemäß § 39 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG ist ein Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen, in der die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen sind, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben; die Begründung von Ermessensentscheidungen soll auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Daran fehlt es vorliegend gänzlich. Die in dem Bescheid des Beklagten vom 23. Dezember 2016 unter "Begründung der Nebenbestimmungen" zu Nr. 2 aufgeführte Erwägung stellt keine Begründung dar, sondern enthält der Sache nach mit der dort allein aufgeführten Formulierung, dass für eine ordnungsgemäße Herstellung und Sicherung der Pflasterfläche im Deich die Empfehlungen für die Ausführung von Küstenschutzwerken (EAK in der korrigierten Fassung 2007) anzuwenden seien, allenfalls eine weitere Nebenbestimmung, jedenfalls aber keine Begründung der auferlegten Nebenbestimmung." Diese Einschätzung gilt fort. Dass der Beklagte das ihm eingeräumte Ermessen überhaupt ausgeübt hat, lässt sich vor diesem Hintergrund nicht feststellen. Aus diesem Grunde liegt ein Ermessensausfall vor.

Entgegen der Einschätzung des Beklagten handelt es sich in Folge dessen weder lediglich um einen Begründungsmangel, der gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG geheilt werden könnte, noch konnte die Behörde ihre Ermessensausübung im Laufe des gerichtlichen Verfahrens nachholen. § 45 VwVfG gilt für die Nachbesserung formeller Begründungsmängel, nicht aber für die Nachbesserung materieller Begründungsmängel, wie vorliegend. Die Grenzen der behördlichen Nachbesserungsbefugnis nach § 45 Abs. 1 Satz 2 VwVfG werden deshalb überschritten, wenn Ermessenserwägungen - wie vorliegend - nachträglich erstmals dargelegt werden (Schneider in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 3. EL 2022, VwVfG, § 45 Rn. 87; BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 -, juris). In einem solchen Fall besteht für die Behörde nur noch die Option, den fehlerhaft begründeten ursprünglichen Verwaltungsakt aufzuheben und einen eigenständigen, neuen Verwaltungsakt zu erlassen (Schneider in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 3. EL 2022, VwVfG, § 45 Rn. 87).

Der Beklagte hat seine Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren auch nicht gemäß § 114 Satz 2 VwGO ergänzen können. Er hat selbst - zutreffend - vorgetragen, dass der angefochtenen deichrechtlichen Ausnahmegenehmigung eine Ermessensentscheidung nicht zu entnehmen ist. Vor diesem Hintergrund ist schon der Anwendungsbereich des § 114 Satz 2 VwGO nicht eröffnet. § 114 Satz 2 VwGO ermöglicht lediglich ein Ergänzen von Ermessenserwägungen, nicht die vollkommen neue, erstmalige Ausübung des Ermessens (BVerwG, Beschluss vom 19.06.2009 - 1 B 12.08 -, juris; BVerwG, Beschluss vom 16.07.2010 - 5 B 2.10 -, juris; vgl. Urteil des Senats vom 25.04.2023 - 7 LB 187/21 -, n.v.). Denn die Grenzen des § 114 Satz 2 VwGO sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls dann überschritten, wenn die Behörde ihr Ermessen erstmals ausübt oder die Ermessenserwägungen vollständig oder doch in ihrem Wesensgehalt auswechselt (BVerwG, Beschluss vom 19.06.2009 - 1 B 12.08 -, juris; BVerwG, Beschluss vom 16.07.2010 - 5 B 2.10 -, juris). Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang darauf rekurriert, dass auch "neue entscheidungserhebliche Umstände, die nach der behördlichen Entscheidung eingetreten oder bekannt geworden sind", durch das Gericht Berücksichtigung finden müssen, verkennt er, dass ein solcher Fall vorliegend nicht gegeben ist. Die tatsächlichen Gegebenheiten für die durch den Beklagten zu treffenden Entscheidung haben sich nicht geändert und waren dem Beklagten auch bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der deichrechtlichen Ausnahmegenehmigung bekannt. Er hat diesbezüglich schlicht eine Ermessensentscheidung nicht getroffen. Der eindeutige Wortlaut des § 114 Satz 2 VwGO ("Ermessenserwägungen ergänzen") lässt auch nicht die durch den Beklagten vorgenommene Interpretation zu, auch eine bisher nicht getroffene Ermessensentscheidung könne im gerichtlichen Verfahren jederzeit - auch wie vorliegend erstmalig in der zweiten Instanz - erfolgen.

Entgegen der Annahme des Beklagten ergab sich eine Ermessensausübung auch nicht aus anderen Umständen. Soweit er in diesem Zusammenhang ausführt, bereits in dem im September 2016 durchgeführten Ortstermin seien dem Kläger alle entscheidungserheblichen Umstände mitgeteilt worden, verfängt dies schon deshalb nicht, weil - wie der Senat bereits im Zulassungsbeschluss vom 5. Mai 2022 ausgeführt hat - Art, Ausmaß und Ausführungsmodalitäten der nunmehr in der Nebenbestimmung Nr. 2 vorgesehenen Pflasterung ausweislich der Verwaltungsvorgänge erst im Nachgang zu diesem Ortstermin erstmalig und allein zwischen dem Beklagten und dem Oldenburger Deichband abgestimmt und festgelegt wurden. Dass der Kläger daran beteiligt worden wäre oder anderweitig Kenntnis davon erlangt hätte, hat der Beklagte auch nach Erlass des benannten Beschlusses weder dargelegt, noch ist dies anderweitig ersichtlich.

Die zwischen den Beteiligten im Weiteren streitigen Fragen, insbesondere in welcher Art und Ausgestaltung die von dem Beklagten geforderte Abdeckung des Deichlandes zu erfolgen hat, sind vor diesem Hintergrund für die gerichtliche Entscheidung unerheblich und bedürfen deshalb auch keiner weitergehenden Vertiefung durch das Gericht.

Der Senat weist gleichwohl vorsorglich mit Blick auf die vorzunehmende Neubescheidung des klägerischen Begehrens auf folgendes hin: Die als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt formulierte Regelung des § 14 Abs. 1, 2 NDG lässt die Errichtung oder Erweiterung von Gebäuden nur in besonderen Fällen öffentlicher oder allgemeinwirtschaftlicher Belange zu, wenn die Sicherheit des Deiches gewährleistet bleibt (§ 14 Abs. 2 Satz 2 NDG). Schon aufgrund des in Folge dessen jeweils zu beurteilenden Einzelfalls, ob die Sicherheit des Deiches durch die konkret beabsichtigte Baumaßnahme gewährleistet bleibt, kann es entgegen der Annahme des Klägers nicht darauf hinauslaufen, dass die vorgesehene Abdeckung ausschließlich eine einer geschlossenen Grasnarbe gleichwertigen Abdeckung entsprechen darf. Diese Entscheidung liegt vielmehr allein im Ermessen der Behörde. Eine - von dem Kläger der Sache nach begehrte - Ermessensreduzierung bzw. Einschränkung auf nur bestimmte Maßnahmen ergibt sich aufgrund des weit gefassten Wortlauts der Vorschrift nicht. Ebenso wenig ist vor diesem Hintergrund erheblich, ob an anderer Stelle andere Baumaßnahmen mit anderen Nebenbestimmungen gestattet wurden. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang - in der Sache - u.a. auf eine aus Art. 3 Abs. 1 GG resultierende Pflicht der Behörde zur Fortsetzung einer von ihr begründeten Verwaltungspraxis abstellt, ist darauf hinzuweisen, dass - selbst eine derartige Verwaltungspraxis unterstellt - die Behörde sich stets die Möglichkeit offenhalten muss, im Rahmen der Ermessensausübung den besonderen Umständen des Einzelfalles Rechnung zu tragen (BVerwG, Urteil vom 16.07.2009 - 2 C 44.08 -, BeckRS 2009, 38079). Auch bleibt es der Behörde unbenommen, ihre bisherige Verwaltungspraxis aus sachlichen Gründen für die Zukunft zu ändern. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht zwingend maßgeblich, ob auf anderen Grundstücken eine vom Kläger favorisierte Abdeckung seit Jahrzehnten Anwendung findet. Entscheidend kann allein die Frage der Gewährleistung der Deichsicherheit zum konkreten Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung sein; dies gilt umso mehr, als sich im Laufe der Jahrzehnte nicht nur die Möglichkeiten der einzusetzenden Materialien, sondern mit Blick auf den Klimawandel insbesondere auch die Anforderungen an die Deichsicherheit geändert haben können. Andererseits wird sich die Behörde im Rahmen der von ihr vorzunehmenden Neubescheidung mit den geäußerten Bedenken des Klägers konkret auseinandersetzen müssen. Zu einer Ermessenentscheidung gehört es auch, ausgehend vom Zweck der Ermächtigung die beteiligten Interessen - und damit auch die Interessen des Klägers - und Rechtsgüter zu identifizieren, zu gewichten und gegeneinander abzuwägen.

Die Kostenentscheidung beruht mit Blick auf das teilweise erstinstanzliche Unterliegen sowie der nur teilweise erfolgten Zulassung der Berufung auf § 155 Abs. 1 VwGO, wobei der Senat es als sachgerecht erachtet, jeden Klageantrag für sich genommen mit 1/3 zu bewerten.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 709 Satz 2 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG und entspricht der erstinstanzlichen Festsetzung, der die Beteiligten nicht entgegengetreten sind.