Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.01.2024, Az.: 8 LB 104/23
Klageerhebung durch einen prozessunfähigen Beteiligten; Fehlende Genehmigung der Prozessführung durch den gesetzlichen Vertreter; Kostenfestsetzungsbescheid zu einer Verfügung betreffend die Duldung einer Feuerstättenschau
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 26.01.2024
- Aktenzeichen
- 8 LB 104/23
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 10624
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2024:0126.8LB104.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 18.10.2022 - AZ: 6 A 377/22
Rechtsgrundlagen
- VwGO § 62 Abs. 1 Nr. 1
- ZPO § 170 Abs. 1 Satz 2
Amtlicher Leitsatz
Wurde eine Klage durch einen prozessunfähigen Beteiligten erhoben und erfolgt keine Genehmigung der Prozessführung durch den gesetzlichen Vertreter, so ist die Klage als unzulässig abzuweisen; eine Sachentscheidung darf nicht ergehen. Hat das Verwaltungsgericht gleichwohl zur Sache entschieden, so ist die dagegen gerichtete Berufung nicht wegen der Prozessunfähigkeit unzulässig. Sie ist vielmehr unbegründet, weil die Sachentscheidungsvoraussetzungen der Klage aufgrund der fehlenden Prozessfähigkeit nicht erfüllt sind, die Klage also unzulässig ist.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Stade - 6. Kammer - vom 18. Oktober 2022 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen Kostenfestsetzungsbescheid zu einer Verfügung, mit der ihr die Duldung einer Feuerstättenschau aufgegeben worden war.
Die Klägerin ist von verschiedenen Gerichten als prozessunfähig angesehen worden. Zwei medizinische Sachverständige haben eine paranoide Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Zeitweise war der Klägerin ein Betreuer bestellt; die Betreuung wurde später wegen Unbetreubarkeit aufgehoben. Die Klägerin hat eine große Zahl erfolgloser Eingaben bei verschiedenen Behörden und Gerichten angebracht.
Mit Duldungsverfügung vom 10. März 2022 verpflichtete der Beklagte die Klägerin, die Durchführung der Feuerstättenschau in der von ihr bewohnten Liegenschaft am 22. März 2022 um 10:00 Uhr zu gestatten (Ziffer 1 des Bescheides). Für den Fall, dass die Durchführung der Feuerstättenschau am 22. März 2022 nicht gestattet werde, drohte er das Zwangsmittel des unmittelbaren Zwanges an (Ziffer 2). Die Kosten des Verfahrens wurden der Klägerin auferlegt (Ziffer 3).
Mit Kostenfestsetzungsbescheid vom selben Tag setzte der Beklagte die von der Klägerin zu tragenden Kosten auf 60,45 Euro fest.
Dagegen hat die Klägerin am 16. März 2022 Klage erhoben.
Sie hat beantragt,
die Maßnahme sofort auszusetzen, die Kosten stunden zu lassen, die Rechtswidrigkeit dessen festzustellen und den Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzulegen.
Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 18. Oktober 2022 abgewiesen. Der Antrag sei dahin auszulegen, dass die Klägerin die Aufhebung des Kostenfestsetzungsbescheides vom 10. März 2022 begehre. Die Klage sei als Anfechtungsklage zulässig, aber unbegründet. Die Kostenfestsetzung sei rechtmäßig.
Die Klägerin persönlich hat am 7. November 2022 die Zulassung der Berufung beantragt. Durch Beschluss vom 13. Juni 2023 hat der Vorsitzende ihr einen besonderen Vertreter bestellt, auf dessen Antrag hin die Berufung durch Beschluss vom 9. November 2023 unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zugelassen worden ist.
Die Klägerin trägt vor, sie sei prozessunfähig. Das Verwaltungsgericht habe dies übergangen und durch die Entscheidung in der Sache das rechtliche Gehör verletzt. Es handle sich um ein Schein- oder Nichturteil, von dem keine Rechtswirkungen ausgingen. Dies sei festzustellen und das Verfahren in erster Instanz fortzusetzen. Sehe man dies anders, wäre die Klage als unzulässig abzuweisen.
Sie beantragt,
den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgericht Stade vom 18. Oktober 2022 - Az.: - mit der Maßgabe aufzuheben, dass festgestellt wird, dass diesem keinerlei Rechtswirkungen zukommen,
hilfsweise, unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts Stade vom 18. Oktober 2023 - Az.: - die Klage als unzulässig abzuweisen.
Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 12. September 2023 und 10. Januar 2024 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Das Gericht entscheidet gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
Die Berufung ist mit der aus dem Tenor ersichtlichen Maßgabe zurückzuweisen. Eine Feststellung, dass dem angefochtenen Gerichtsbescheid keine Rechtswirkungen zukämen, ist nicht zu treffen. Die Klage war jedoch nicht als unbegründet, sondern als unzulässig abzuweisen.
1. Die unten näher zu begründende Prozessunfähigkeit der Klägerin hat nicht zur Folge, dass der dies verkennende Gerichtsbescheid wirkungslos wäre.
Klage und Rechtsmittel eines prozessunfähigen Beteiligten sind nicht schlechthin unbeachtlich, sondern begründen ein begrenztes Prozessrechtsverhältnis, in dem das Gericht eine Entscheidung über die Zulässigkeit mit der sich aus § 154 VwGO ergebenden Kostenfolge zu treffen hat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 2.4.1998 - 3 B 70.97 -, juris Rn. 2). Der Rechtsstreit kann nicht durch die Feststellung, dass kein wirksames Urteil vorliegt, beendet werden.
Daran ändert der Umstand nichts, dass Zustellungen an nicht prozessfähige Personen gemäß § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO unwirksam sind. Der Annahme, dass das erstinstanzliche Urteil in dem vorliegenden Verfahren deswegen ein Schein- oder Nichturteil sei, steht bereits entgegen, dass die Wirksamkeit der Zustellung an die Gegenseite keinen Bedenken ausgesetzt ist, so dass das Urteil unabhängig von der Zustellung an die Klägerin existent geworden ist. Die von der Klägerin angeführte Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 22. April 2020 (- 11 U 159/19 -, juris) betrifft einen anderen Fall, nämlich den eines - gegenüber allen Parteien - unverkündet gebliebenen Entscheidungsentwurfs.
Von dem Grundsatz der Wirkungslosigkeit von Zustellungen an Prozessunfähige ist zudem die Zustellung instanzbeendender Entscheidungen ausgenommen. Diese löst vielmehr den Lauf der Rechtsbehelfsfrist aus, nach deren Ablauf Rechtskraft eintreten kann. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass die Regelungen über die Nichtigkeitsklage wegen mangelhafter Vertretung eine wirksame Zustellung des Urteils voraussetzen (vgl. RG, Urt. v. 18.4.1928 - I 309/27 -, RGZ 121, 63, 64 f.; BGH, Urt. v. 19.3.2008 - VIII ZR 68/07 -, BGHZ 176, 74, juris Rn. 9 ff., m.w.N.; Bier/Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 62 Rn. 23 (Juni 2017); im Ergebnis auch BVerwG, Beschl. v. 19.1.1970 - IV CB 77.69 -, NJW 1970, 962).
2. Der Entscheidungsausspruch des angefochtenen Gerichtsbescheids trifft insofern zu, als die Klage abzuweisen war. Dies führt zur Zurückweisung der Berufung. Die Abweisung hätte jedoch auf die Unzulässigkeit der Klage gestützt werden müssen.
Wurde eine Klage durch einen prozessunfähigen Beteiligten erhoben und erfolgt keine Genehmigung der Prozessführung durch den gesetzlichen Vertreter, so ist die Klage als unzulässig abzuweisen; eine Sachentscheidung darf nicht ergehen. Hat das Verwaltungsgericht gleichwohl zur Sache entschieden, so ist die dagegen gerichtete Berufung nicht wegen der Prozessunfähigkeit unzulässig. Sie ist vielmehr unbegründet, weil die Sachentscheidungsvoraussetzungen der Klage aufgrund der fehlenden Prozessfähigkeit nicht erfüllt sind, die Klage also unzulässig ist. Die Berufung wird dann mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird. Hierdurch wird verhindert, dass der prozessunfähige Beteiligte den Folgen der materiellen Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils ausgesetzt ist. Für eine Aufhebung oder Abänderung des angefochtenen Urteils ist kein Raum (vgl. z.B. BVerwG, Urt. v. 24.4.1975 - VIII A 1.73 -, BVerwGE 48, 201, juris Rn. 22; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 16.12.2008 - 6 A 670/06 -, juris Rn. 13 ff.; BGH, Urt. v. 4.11.1999 - III ZR 306/98 -, BGHZ 143, 122, juris Rn. 5, 19 f.; Bier/Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 62 Rn. 23 [Juni 2017]).
Die Klägerin ist prozessunfähig (so u.a. schon Senatsbeschl. v. 27.2.2020 - 8 LA 17/20 -; v. 15.2.2022 - 8 LA 32/22 -; v. 24.8.2022 - 8 ME 58/22 -; ebenso BVerwG, Beschl. v. 11.12.2017 - 5 A 4.17 -, juris Rn. 4 ff.) und ihr besonderer Vertreter hat die Prozessführung ausdrücklich nicht genehmigt (siehe den Schriftsatz v. 12.9.2023, S. 1).
Das Fehlen der Prozessfähigkeit ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Die Fähigkeit zur Vornahme von Verfahrenshandlungen knüpft nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO an die Geschäftsfähigkeit des bürgerlichen Rechts an. Prozessfähig ist, wer nach bürgerlichem Recht geschäftsfähig ist. Prozessunfähig ist demgegenüber, wer sich in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet (§ 104 Nr. 2 BGB) und deshalb nicht in der Lage ist, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen (BSG, Beschl. v. 14.8.2017 - B 12 KR 103/14 B -, juris Rn. 4; BFH, Beschl. v. 10.3.2016 - X S 47/15 -, juris Rn. 12; BGH, Beschl. v. 5.11.2004 - IXa ZB 76/04 -, juris Rn. 13 m.w.N.). Eine derartige Prozessunfähigkeit liegt im Fall der Klägerin offensichtlich vor. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 11. Dezember 2017 ausgeführt:
"Bei der Klägerin liegt ein die freie Willensbildung ausschließender, nicht lediglich vorübergehender Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit offensichtlich vor. Das ergibt sich unzweifelhaft aus dem in dem Betreuungsverfahren vor dem Amtsgericht Rotenburg (Wümme) vorgelegten Sachverständigengutachten vom 6. Oktober 2014, dem ergänzenden mündlichen Gutachten des Sachverständigen in der Anhörung vor dem Landgericht Verden am 4. Februar 2015, den Beschlüssen des Amtsgerichts Rotenburg (Wümme) vom 18. Dezember 2014 und vom 7. Februar 2017 dem Beschluss des Landgerichts Verden vom 6. Februar 2015 sowie aus der Prozessführung der Klägerin vor dem Bundesverwaltungsgericht zwischen dem 24. September 2014 und dem 4. Dezember 2017.
Anlass des Betreuungsverfahrens, in dem das Betreuungsgericht um die Erstellung des Sachverständigengutachtens ersucht hat, war eine Anregung des örtlichen Familiengerichts, im Hinblick auf die Vielzahl dort anhängiger Verfahren der Klägerin deren Betreuungsbedürftigkeit zu überprüfen. In dem Gutachten vom 6. Oktober 2014 gelangt der Sachverständige nach einer Untersuchung der Klägerin zu der Einschätzung, dass diese unter einer querulatorischen Persönlichkeitsstörung leide, die eine Betreuung für den Wirkungskreis Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten im Interesse der Betreuten rechtfertige. In Bezug auf ihre Rechtsangelegenheiten sei die Betroffene logischen und sinnvollen Argumentationen gegenüber unzugänglich und habe den Realitätsbezug verloren, so dass sie sich durch ihr konkretes Verhalten potentiell und real selbst schädige. Diese Einschätzung hat der Sachverständige in der Anhörung vor dem Landgericht Verden am 4. Februar 2015 in einem mündlichen Gutachten bestätigt und konkretisiert und kommt zu dem Ergebnis, dass eine paranoide Persönlichkeitsstörung mit der ICD-Klassifizierung F 60.0 anzunehmen sei.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Rotenburg (Wümme) vom 18. Dezember 2014 wurde die Klägerin aufgrund dieses Gutachtens für ihre Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten unter Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt gestellt. Ihre dagegen erhobene Beschwerde wies das Landgericht Verden mit Beschluss vom 6. Februar 2015 aufgrund der Anhörung am 4. Februar 2015 zurück. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts Rotenburg (Wümme) in dem Beschluss vom 4. Februar 2015 versagte der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 31. März 2015 mangels hinreichender Erfolgsaussichten die Verfahrenskostenhilfe für ein dagegen eingelegtes Rechtsmittel.
Mit Beschluss vom 7. Februar 2017 hat das Amtsgericht - Betreuungsgericht - Rotenburg (Wümme) die Betreuung der Klägerin mit sofortiger Wirksamkeit aufgehoben. Gleichwohl ist der Senat aber nach Würdigung aller vorliegenden Erkenntnismittel davon überzeugt, dass die Klägerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nach wie vor an der von dem Sachverständigen in dem Gutachten vom 6. Oktober 2014 und der Anhörung am 4. Februar 2015 diagnostizierten Persönlichkeitsstörung leidet, die ihre freie Willensbildung für die Führung von Gerichtsverfahren ausschließt.
Denn das Betreuungsgericht hat die Betreuung nicht etwa deshalb aufgehoben, weil der ursprünglich angenommene Grund für die Betreuung weggefallen wäre. Vielmehr hat es offensichtlich keinerlei Anhaltspunkte dafür gesehen, dass die Persönlichkeitsstörung der Klägerin, die Grund für die Bestellung eines Betreuers war, nicht mehr bestehen könnte. Im Gegenteil hat es seiner Entscheidung eine "Unbetreubarkeit" der Klägerin zugrunde gelegt, die darauf beruht, dass die Klägerin ihr Prozessverhalten, das zu der Diagnose des Sachverständigen geführt hat, nicht nur unverändert fortgesetzt, sondern unter der Betreuung sogar noch erheblich gesteigert hat, so dass der Betreuer seine Aufgaben nicht habe wahrnehmen können, weil die Klägerin vollständig beratungsresistent sei. Seine Bestellung habe vielmehr zu einer annähernden Verdoppelung der Anträge geführt, die sich nun auch gegen die in den Verfahren tätigen Organwalter und den Betreuer selbst richteten, so dass ihr mit Beschluss vom 31. August 2015 ein Ergänzungsbetreuer mit dem Aufgabenbereich "Prüfung etwaiger Schadensersatzansprüche gegen den Betreuer" bestellt worden sei.
Dass sich an der die Prozessfähigkeit ausschließenden Persönlichkeitsstörung der Klägerin seit ihrer letzten Begutachtung und insbesondere seit der Aufhebung ihrer Betreuung am 7. Februar 2017 nichts geändert hat, ergibt sich außerdem mit jeden vernünftigen Zweifel ausschließendem Gewicht aus ihrer Prozessführung vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Die Klägerin hat zwischen dem 24. September 2014 und dem 4. Dezember 2017 insgesamt 457 in die Verfahrensregister eingetragene Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht anhängig gemacht. Bis zur Anordnung der Betreuung mit Beschluss vom 18. Dezember 2014 hatte sie innerhalb von etwa 4 Monaten insgesamt 56 Nichtzulassungsbeschwerden und Revisionen in Jugendhilfe- und Wohngeldangelegenheiten erhoben, Anträge auf Prozesskostenhilfe gestellt oder Kostenerinnerungen eingelegt, was etwa 14 Anträgen im monatlichen Durchschnitt entspricht. Während der Zeit ihrer Betreuung vom 18. Dezember 2014 bis zum 7. Februar 2017, also in einem Zeitraum von knapp 26 Monaten, machte sie insgesamt 305 Anträge und Verfahren anhängig, darunter neben Nichtzulassungsbeschwerden und Revisionen oder Anträgen auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Notanwalts auch Anhörungsrügen sowie Nichtigkeits- und Restitutionsklagen gegen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, also etwa 12 Anträge im Monatsdurchschnitt. Von all diesen Anträgen war wegen fehlender Prozessvoraussetzungen kein einziger erfolgreich, wobei der Senat erst am 17. Juni 2015 davon Kenntnis erhielt, dass die Klägerin unter Betreuung gestellt worden war und deshalb zunächst nicht auf ihre Prozessunfähigkeit und das Fehlen einer Genehmigung des Betreuers abstellen konnte.
Dieses Prozessverhalten hat die Klägerin nach der Aufhebung der Betreuung unverändert fortgesetzt. Zwar hat sie abweichend von dem vorherigen "Muster" erst zweieinhalb Monate nach Aufhebung der Betreuung am 26. April 2017 wieder einen Antrag beim Bundesverwaltungsgericht gestellt. Diese vergleichsweise kurze "Pause" markiert aber ebenso wenig eine grundlegende Veränderung ihres Prozessverhaltens wie der Umstand, dass zwischen dem 26. April 2017 und dem 1. September 2017, also in einem Zeitraum von rund vier Monaten, für die Klägerin nur 11 Verfahren und Anträge beim Bundesverwaltungsgericht in die Verfahrensregister eingetragen worden sind. Dies beruht maßgeblich darauf, dass die betroffenen Senate teilweise dazu übergegangen sind, die Vielzahl von Anträgen unter einem Aktenzeichen zusammenzufassen. So sind zum Beispiel unter dem Aktenzeichen 1 ER12 16.17 mit Beschluss vom 4. Juli 2017 Anträge und Rechtsmittel in Schriftsätzen aus den Monaten April und Mai 2017 und insbesondere Rechtsmittel gegen drei Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen und 8 Entscheidungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts als unzulässig verworfen worden. In dem Verfahren 5 B 16.17 hatte die Klägerin Entschädigungsklage und Feststellungsklage im Hinblick auf 20 PKH-Verfahren erhoben und die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt. Nachdem der Senat die Anträge mit Beschluss vom 5. Juli 2017 als offensichtlich unzulässig verworfen hatte, wurden unter dem Aktenzeichen die dagegen erhobenen Nichtzulassungsbeschwerden und Anhörungsrügen sowie die Befangenheitsanträge gegen die entscheidenden Richterinnen und Richter zusammengefasst, während die ebenfalls beantragten "Amtsverfahren" und "Dienstverfahren" zuständigkeitshalber an den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts abgegeben wurden. Unter dem Aktenzeichen 5 A 3.17 D ist "Entschädigungsklage gem. § 198 GVG" und "Feststellungsklage" in mehr als 20 Einzelverfahren erhoben worden. Auch in dem vorliegenden Verfahren sind unter dem Aktenzeichen 5 A 4.17 Nichtigkeitsklagen und Verzögerungsrügen zu den Entscheidungen des Senats in den Verfahren 5 A 32.16 bis 5 A 59.16, also insgesamt 28 Einzelverfahren zusammengefasst. In dem Verfahren 5 A 17.17 hat die Klägerin "PKH-Beschwerde", "Nichtzulassungsbeschwerde", "Anhörungsrüge", "Befangenheitsanträge", "Amtsverfahren" und "Dienstverfahren" in dem Verfahren 5 PKH 9.17 erhoben. Die Zahl der Anträge hat sich also nicht nur nicht verringert, sondern mit mehr als 87 Einzelanträgen innerhalb von vier Monaten vielmehr noch erhöht. Das gilt auch für die darauffolgenden Monate, in denen zwischen dem 2. September und dem 4. Dezember 2017 insgesamt 85 neue Verfahren für die Klägerin eingetragen worden sind.
Diese immense Anzahl - soweit darüber bereits entschieden wurde, offensichtlich erfolgloser - Anträge, die völlige Beratungsresistenz der Klägerin und ihre Unfähigkeit, aus erfolglosen Verfahren Konsequenzen für ihre Verfahrensführung zu ziehen, legen bereits für sich genommen den Schluss nahe, dass ihr die dafür erforderliche Einsichtsfähigkeit fehlt und ihre freie Willensbildung entsprechend eingeschränkt ist. Sie bestätigen außerdem die Diagnose des Sachverständigen in den Gutachten vom 6. Oktober 2014 und 4. Februar 2015, da sie exakt dem Verhalten der Klägerin entsprechen, dass für den Sachverständigen im Betreuungsverfahren maßgeblich für die Einschätzung war, dass die Klägerin wegen einer Persönlichkeitsstörung nicht in der Lage ist, ihre Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten selbst zu besorgen. Es ist daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die in den Sachverständigengutachten im Betreuungsverfahren getroffene Diagnose nach wie vor zutrifft und die Klägerin unter einer die Prozessfähigkeit ausschließenden paranoiden Persönlichkeitsstörung leidet."
Ergänzend ist auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 23. Februar 2017 (- III ZB 46/16 -) hinzuweisen, wonach die Klägerin in unzähligen Verfahren unzulässige Anträge gestellt hatte, bei denen es sich um substanzlose, offensichtlich unzulässige oder rechtsmissbräuchliche Eingaben gehandelt hatte.
Die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts wird weiterhin durch das in dem Verfahren vor dem Landgericht Hannover (Az. 10 O 95/16) erstellte Gutachten des Sachverständigen G. vom 5. Dezember 2017 bestätigt, das unter Auswertung des Gutachtens H. vom 6. Oktober 2014 und der sich aus den Akten des Landgerichts Hannover ergebenden Umstände der Klägerin eine paranoide Persönlichkeitsstörung (ICD 10 F 60.0) attestiert, die die Fähigkeit, Prozesshandlungen selbst oder durch selbst bestellte Vertreter vorzunehmen bzw. vornehmen zu lassen, aufhebt.
An dem so zu beurteilenden Verhalten der Klägerin, das auf eine geistige und psychische Störung schließen lässt, hat sich seit dem Gutachten G. und der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom Dezember 2017 ersichtlich nichts geändert, so dass ein weiteres Gutachten zur Prozessfähigkeit der Klägerin nicht einzuholen ist. Um die Prozessfähigkeit von Verfahrensbeteiligten beurteilen zu können, muss ein Fachgericht alle verfügbaren Beweismittel ausschöpfen und insbesondere regelmäßig ein Sachverständigengutachten einholen und vor der Beweisaufnahme zur Prozessfähigkeit eine persönliche Anhörung durchführen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.11.2005 - 1 BvR 1542/05 -, juris Rn. 15, v. 19.8.2013 - 1 BvR 577/13 -, juris Rn. 12, u. v. 16.6.2016 - 1 BvR 2509/15 -, juris Rn. 14). Es kann dazu auch auf Erkenntnisse und Beweismittel aus anderen Verfahren zurückgreifen (BVerwG, Beschl. v. 11.12.2017 - 5 A 4.17 -, juris Rn. 14, u. v. 13.9.1991 - 7 B 114.91 - juris Rn. 2; BVerwG, Urt. v. 25.1.1973 - V CB 119.69 -, juris Rn. 7). Im Fall der Klägerin ist indes offensichtlich, dass eine erneute Begutachtung zu keinem anderen Ergebnis kommen würde. Sie überzieht weiterhin Verwaltungsgerichte und das Oberverwaltungsgericht mit einer Vielzahl von sinn- und aussichtslosen Verfahren.
In dem ausgewerteten Zeitraum vom 31. Dezember 2014 bis zum 2. Dezember 2019 hat die Klägerin bei 7 Senaten allein des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts insgesamt 775 Verfahren anhängig gemacht, davon 573 seit Dezember 2017, allein im Jahr 2019 waren es 176 Verfahren. Sie richteten sich gegen den Landkreis Rotenburg, die J., das Finanzamt Rotenburg, die Landeskartellbehörde Niedersachsen, die Generalstaatsanwaltschaft Celle, die Amtsgerichte Rotenburg (Wümme), Soltau, Goslar und Helmstedt, die Präsidentin des Oberlandesgerichts Oldenburg, das Oberlandesgericht Celle, die Präsidentin des Verwaltungsgerichts Stade, die Polizeiinspektion Rotenburg, das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, die Staatsanwaltschaft Verden, das Land Niedersachsen, die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, die K., das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, das Niedersächsische Justizministerium, die L. M. -Stadt und N. -Stadt, das Sozialgericht Stade, die Landgerichte Verden, Hannover und Lüneburg, den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Hannover, die Verwaltungsgerichte Stade, Lüneburg und Hannover, das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht, das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung, die O., gegen zwei Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht persönlich sowie verschiedene natürliche Personen und blieben allesamt erfolglos. Es ist nahezu durchweg nicht nachvollziehbar, welches tatsächliche Ziel sie mit ihren vielfältigen Rechtsschutzersuchen in der Sache verfolgt, dass diese auf dem Verwaltungsrechtsweg durchsetzbar und die in Betracht zu ziehenden konkreten rechtlichen Voraussetzungen dafür auch nur ansatzweise erfüllt sein könnten (Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 31.5.2018 - 13 ME 191/18 -, V.n.b.). Kennzeichnend für ihr Prozessverhalten sind die in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stade vom 12. Dezember 2019 (Az. 10 A 2382/18, Seite 8 der Entscheidungsgründe) beschriebenen permanent sinnlosen und widersprüchlichen Verfahrensaktionen. Ebenso verhielt es sich beispielsweise in dem 2022 durchgeführten Senatsverfahren 8 LA 32/22, in dem ein nicht auf vernünftigen Erwägungen beruhendes, planloses Prozessverhalten zu beobachten war. Die Klägerin strengte erneut ein gerichtliches Verfahren an, nachdem zuvor ein inhaltsgleiches Verfahren (VG Stade, 6 A 2389/18) erfolglos geblieben war. Trotz des Hinweises, dass der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts unanfechtbar sei, erhob die Klägerin Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht, welches ihr die Unanfechtbarkeit bestätigte (Beschl. v. 16.6.2022 - 8 B 29.22 -). Zeitlich nachfolgend reichte sie Schriftsätze ein, mit denen sie eine Verzögerungsrüge und sodann - nun wieder bei dem Oberverwaltungsgericht - eine Beschwerde gegen "Versagung der Beiordnung" erheben wollte. In neuerer Zeit lässt das Verhalten nicht wesentlich nach. Seit Januar 2022 hat die Klägerin allein bei dem Senat über 100 unverständliche und/oder von vornherein aussichtslose Eingaben eingereicht.
3. Zur Vermeidung weiteren Rechtsstreits weist das Gericht darauf hin, dass die Verwaltungsakte, die den Anlass zu den Klageverfahren gebildet haben, nicht wirksam geworden sein dürften, was auch einer Vollstreckung der noch im Raum stehenden Kostenforderungen entgegenstehen dürfte.
Gemäß § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Die Bekanntgabe an einen Handlungsunfähigen lässt den Verwaltungsakt nicht wirksam werden, selbst wenn die Handlungsunfähigkeit der Behörde nicht bekannt ist (vgl. z.B. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 20.2.1990 - 4 S 287/87 -, NVwZ-RR 1991, 493, juris Rn. 27). Die Gründe, auf denen die Feststellung der Prozessunfähigkeit der Klägerin im vorliegenden Verfahren beruht, dürften auch deren fehlende Handlungsfähigkeit gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG in dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren zur Folge haben. Die Wirksamkeit von an die Klägerin adressierten belastenden Verwaltungsakten kann dann nur durch Bekanntgabe oder Zustellung (§ 1 Abs. 1 NVwZG i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 VwZG) an den gesetzlichen Vertreter herbeigeführt werden. Solange die Klägerin keinen gesetzlichen Vertreter hat, bedarf es im Einzelfall der Bestellung eines Vertreters durch das Betreuungsgericht gemäß § 16 VwVfG. Hierbei kommt es auf eine "Betreubarkeit" der Klägerin nicht an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO (vgl. BVerwG, Beschl. v. 2.4.1998 - 3 B 70.97 -, juris Rn. 2).
Von der Erhebung von Gerichtskosten ist nach § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG abzusehen. Nach dieser Vorschrift kann für abweisende Entscheidungen sowie bei Zurücknahme eines Antrags von der Erhebung von Kosten abgesehen werden, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht. Diese Voraussetzungen sieht der Senat im Hinblick auf die - oben dargelegte - Prozessunfähigkeit der Klägerin als gegeben an. Sie ist offensichtlich nicht in der Lage, die Tragweite ihrer Prozesshandlungen zu erfassen und ihr Verhalten vernunftgerecht zu steuern. Die Entscheidung betrifft nur das Berufungsverfahren; für die Anwendung des § 21 GKG im erstinstanzlichen Verfahren ist das Verwaltungsgericht zuständig (vgl. BVerwG, Beschl. v. 6.11.1989 - 3 C 9.86 -, Buchholz 360 § 8 GKG Nr. 3; v. 3.12.1998 - 1 B 110.98 -, Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 6).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.