Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.07.2010, Az.: 2 PA 234/10

Erforderlichkeit der Substanziierung einer Verletzung rechtlichen Gehörs i.R.e. Anhörungsrüge; Anwendbarkeit der Anhörungsrüge auf die Verletzung anderer verfassungsrechtlicher Verfahrensbestimmungen; Umfang der Prüfungspflicht eines Beschwerdegerichts i.R.e. Beschwerdeverfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gem. § 123 Abs. 1 VwGO

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.07.2010
Aktenzeichen
2 PA 234/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 21171
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0708.2PA234.10.0A

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Anhörungsrüge genügt zum Teil bereits nicht dem Darlegungsgebot des § 152 a Abs. 2 Satz 6 VwGO, weil die Verletzung rechtlichen Gehörs pauschal erhoben wird, ohne insoweit nähere Ausführungen zu machen. Der geltend gemachte Verstoß gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG niedergelegte Willkürverbot vermag einen Gehörsverstoß nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen.

  2. 2.

    Zur Frage, ob die Anhörungsrüge gemäß § 152 a VwGO analog auf die Verletzung anderer grundgesetzlicher Verfahrensbestimmungen wie etwa das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) angewendet werden kann (hier: offengelassen).

  3. 3.

    Ein Verstoß gegen das Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot liegt nicht vor: Das Beschwerdegericht ist im Rahmen eines (Beschwerde-)Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 123 Abs. 1 VwGO gehalten, nicht nur das Vorliegen eines (vom Verwaltungsgerichts allein verneinten) Anordnungsgrundes, sondern auch und insbesondere eines (vom Verwaltungsgericht nicht angesprochenen) Anordnungsanspruches zu prüfen.

Gründe

1

Die Anhörungsrüge der Antragsteller gegen den Beschluss des Senats vom 11. Juni 2010 - 2 PA 187/10 -, mit dem die Beschwerde der Antragsteller gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für die erste Instanz durch das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. April 2010 - 6 B 1574/09 - zurückgewiesen worden ist, hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen des Rechtsbehelfs nach § 152 a VwGO liegen nicht vor.

2

Nach § 152 a Abs. 1 Satz 1 VwGO ist das gerichtliche Verfahren auf die Rüge eines durch die gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten fortzuführen, wenn zum einen ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und zum anderen das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

3

Diese Voraussetzungen liegen im Ergebnis nicht vor. Zum einen ist bereits zweifelhaft, ob die in diesem Beschwerdeverfahren erhobene Anhörungsrüge der Antragsteller in unmittelbarer Anwendung des § 152 a VwGO mit dem von ihnen erhobenen Einwand statthaft ist (dazu 1.). Jedenfalls aber kann sie in der Sache keinen Erfolg haben (dazu 2.).

4

1.

Fraglich ist, ob die Anhörungsrüge zulässig ist.

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Der Beschluss des Senats vom 11. Juni 2010 - 2 PA 187/10 -, mit dem die Beschwerde der Antragsteller gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade vom 15. April 2010 - 6 B 1574/09 - zurückgewiesen worden ist, ist zwar gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar, sodass die Voraussetzung des § 152 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO gegeben ist. Auch die zweiwöchige Rügefrist des § 152 a Abs. 2 Satz 1 VwGO ist gewahrt. Fraglich ist aber, ob das weitere Erfordernis des § 152 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO erfüllt ist, wonach das Gericht den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt haben muss.

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Die Antragsteller rügen zum einen, der Senat habe mit seinem Beschluss vom 11. Juni 2010 ihren Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, ohne hierzu in ihrer das Beschwerdeverfahren 2 PA 187/10 betreffenden Anhörungsrüge weitere Ausführungen zu machen. Zum anderen rügen sie, dass die Zurückweisung ihrer Beschwerde gegen den die Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar, mithin willkürlich sei und daher gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot verstoße. Mit diesen Einwänden dringen sie in der vorliegenden Anhörungsrüge nicht durch.

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a)

Die Antragsteller genügen mit ihrem in der vorliegenden Anhörungsrüge pauschal erhobenen Einwand der Verletzung rechtlichen Gehörs bereits nicht dem Darlegungsgebot des § 152 a Abs. 2 Satz 6 VwGO und insoweit ist die Anhörungsrüge bereits unzulässig. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass - anders als die Antragsteller es in ihrer vorliegenden Anhörungsrüge offenbar meinen - ein Verstoß gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG niedergelegte Willkürverbot einen Gehörsverstoß nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen vermag. Soweit man zu ihren Gunsten davon ausgehen würde, dass sie der Sache nach auf ihr Vorbringen in ihrer weiteren das Beschwerdeverfahren 2 ME 186/10 betreffenden Anhörungsrüge, die unter dem Aktenzeichen 2 ME 233/10 geführt wird, abstellen wollten, wäre für einen Erfolg der vorliegenden Anhörungsrüge in der Sache nichts gewonnen. Der Senat hat mit Beschluss vom heutigen Tag in dem Anhörungsrügeverfahren 2 ME 233/10 festgestellt, dass ein entscheidungserheblicher Gehörsverstoß nicht vorliegt; hierauf wird verwiesen.

8

b)

Soweit die Antragsteller in ihrer vorliegenden Anhörungsrüge auf eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes desArt. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot abstellen und vortragen, die Zurückweisung ihrer Beschwerde durch den Senat mit Beschluss vom 11. Juni 2010 - 2 PA 187/10 - gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 15. April 2010 sei deshalb unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar, sodass der Senat die Rechtslage in krasser Weise verkannt habe, weil er auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 15. April 2010 hätte abstellen müssen und weil der Senat anders als das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Anordnungsgrundes bejaht habe, begegnet die Zulässigkeit der Anhörungsrüge ebenfalls Zweifeln.

9

Die Anhörungsrüge beschränkt sich gemäß § 152 a VwGO sowohl von seinem Wortlaut als auch seiner Entstehungsgeschichte auf Verletzungen des rechtlichen Gehörs. Es spricht daher Überwiegendes dafür, dass § 152 a VwGO auf die Verletzung anderer grundgesetzlicher Verfahrensbestimmungen wie hier das von den Antragstellern angeführte Willkürverbot weder direkt noch (mangels Regelungslücke) analog angewendet werden kann (so etwa auch BGH, Beschl. v. 13.12.2007 - I ZR 47/06 -, NJW 2008, 2126, 2127 zum wortgleichen § 321 a ZPO; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 152 a Rdnr. 22 m.w.N.: a. A. aber etwa noch Nds. OVG, Beschl. v. 8.2.2006 - 11 LA 82/05 -, NJW 2006, 2506, 2507 = [...] Langtext Rdnr. 12 f. unter Hinweis auf die frühere Rechtsprechung des BVerfG, Beschl. der 2. Kammer des 1. Senats vom 17.8.2005 - 1 BvR 1165/05 -, [...]). Jedenfalls in seiner neueren Rechtsprechung geht auch das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Einlegung einer Anhörungsrüge wegen Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte (als den Grundsatz des rechtlichen Gehörs) keine Voraussetzung für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde ist, es sich vielmehr aus der Perspektive des Verfassungsprozessrechts um einen offensichtlich unzulässigen Rechtsbehelf handelt (siehe etwa BVerfG, Beschl. v. 30.6.2009 - 1 BvR 893/09 -, NJW 2009, 3710 = [...] Langtext Rdnr. 17 m.w.N.; vgl. dazu Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 152 a Rdnr. 22 a. E. m.w.N.). Auch dies spricht dafür, den Anwendungsbereich des§ 152 a VwGO allein auf den Grundsatz der Verletzung rechtlichen Gehörs zu beschränken.

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2.

Der Senat kann diese Frage im Ergebnis aber dahinstehen lassen, weil selbst nach dem Vorbringen der Antragsteller in dem hier vorliegenden Anhörungsrügeverfahren zum anderen nicht ersichtlich ist, dass die Ausführungen des Senats in dem angefochtenen Beschluss zu Recht dem Vorwurf eines Verstoßes gegen das Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot ausgesetzt sind.

11

Die Rüge der Antragsteller, der Senat hätte bei seiner Entscheidung auf den Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stade vom 15. April 2010 abstellen müssen, geht ins Leere. Es ist bereits weder ersichtlich noch vorgetragen, dass dem nicht so ist. Die Antragsteller vermengen bei ihrer Argumentation zwei Gesichtspunkte und ziehen hieraus falsche Schlüsse: zum einen die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt, auf den das Beschwerdegericht bei einer Prozesskostenhilfebeschwerde abzustellen hat, und zum anderen die Frage, ob das Beschwerdegericht hierbei allein die - als fehlerhaft erkannten - Ausführungen der ersten Instanz zugrunde legen darf. Der Senat ist bei seiner Beschlussfassung von dem Sachverhalt ausgegangen ist, wie er auch bereits in erster Instanz vorgelegen hat, sodass es mit Blick auf die erstere Frage nicht darauf ankommt, ob er als Beschwerdegericht auch neue, nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts eingetretene Umstände hätte berücksichtigen können oder müssen.

12

Dass der Senat anders als das Verwaltungsgericht im Rahmen der Prüfung, ob die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO in dem beantragten Sinn gegeben sind, das Vorliegen eines Anordnungsgrundes und mithin die Eilbedürftigkeit bejaht hat, rechtfertigt entgegen der Ansicht der Antragsteller für sich genommen nicht die nach§§ 166 VwGO, 114 Satz 1 ZPO erforderliche Annahme, die Rechtsverfolgung der Antragsteller biete hinreichende Aussicht auf Erfolg, sodass Prozesskostenhilfe zu gewähren wäre. Vielmehr ist der Senat auch in einem Beschwerdeverfahren gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für die erste Instanz gehalten zu prüfen, ob die Antragsteller voraussichtlich mit ihrem Begehren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Ergebnis durchdringen. Dieses Erfordernis gebietet es in einem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 123 Abs. 1 VwGO, neben der Frage der Vorliegens eines Anordnungsgrundes auch und insbesondere die (eigentlich den Kern des Problems betreffende) Frage des Vorliegens eines Anordnungsanspruchs anzusprechen und - nach dem im Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingeschränkten Prüfungsmaßstab - durchzuprüfen. Der Einwand der Antragsteller, allein aus dem Umstand, dass der Senat anders als das Verwaltungsgericht einen Anordnungsgrund bejaht habe, hätte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zwingend zur Folge haben müssen, ist daher nicht berechtigt.

13

Letztlich rügen die Antragsteller die rechtliche Würdigung durch den Senat und stellen dieser Würdigung ihre abweichende Auffassung gegenüber. Damit wird aber weder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG noch eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG in dem dargestellten Sinn aufgezeigt.