Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.07.2010, Az.: 10 LA 38/09
Erkundigung über die Beihilfefähigkeit einer beantragten Fläche als Obliegenheiten eines Antragstellers auf Agrarförderung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 27.07.2010
- Aktenzeichen
- 10 LA 38/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 22507
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0727.10LA38.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Lüneburg - 24.02.2009 - AZ: 4 A 310/06
- nachfolgend
- OVG Niedersachsen - 17.01.2012 - AZ: 10 LB 109/10
- OVG Niedersachsen - 17.01.2012 - AZ: 10 LB 8/12
- BVerwG - 20.12.2012 - AZ: BVerwG 3 B 20.12
Rechtsgrundlagen
- VO 1251/1999/EG
- Art. 44 Abs. 1 2. Alt. VO 2419/2001/EG
Fundstelle
- AUR 2010, 308-309
Amtlicher Leitsatz
Ein Antragsteller handelt nur dann im Sinne des Art. 44 Abs. 1 Alt. 2 Verordnung 2419/2001 ohne Schuld, wenn er seinen Irrtum nicht verhindern konnte. Es gehört zu den Obliegenheiten eines Antragstellers auf Agrarförderung, sich über die Beihilfefähigkeit einer beantragten Flächen zu erkundigen.
Gründe
Der auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat Erfolg, weil ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen.
Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn gegen die Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts gewichtige Gründe sprechen. Das ist regelmäßig der Fall, wenn ein die Entscheidung tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Kammerbeschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163).
1.
Der Kläger begehrt für das Jahr 2003 eine weitere Flächenzahlung nach der Verordnung (EG) Nr. 1251/1999. Das Amt für Agrarstruktur Verden gewährte dem Kläger mit dem angefochtenen Bescheid vom 15. Dezember 2003 lediglich eine Flächenzahlung in Höhe von 962,35 EUR. Dabei wurde für die Kulturgruppe Getreide keine Flächenzahlung geleistet, weil nach Ansicht der Beklagten eine Abweichung von über 20% zwischen der beantragten und der anerkannten Fläche vorliege.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine weitere Flächenzahlung in Höhe von 4.806,95 EUR zu gewähren. Es hat tragend darauf abgestellt, dass die beanstandete Fläche (Flurstück Nr. B. der Flur C. der Gemarkung D. in der Gemeinde E.) zwar nicht beihilfefähig sei, der ausgesprochene Ausschluss von der Förderung (für die Antragsflächen der Kulturgruppe Getreide im Übrigen) nach Art. 44 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 aber nicht anzuwenden sei. Den Kläger treffe keine Schuld, weil er nicht habe wissen müssen, dass der beschriebene Flächentausch in 1996 genehmigt worden sei. Zum Flächentausch habe er in dem Antrag Agrarförderung 2003 keine Angaben machen müssen. Die Erklärungen in dem Antrag in Bezug auf Dauergrünland hätten sich auf den Stichtag 31. Dezember 1991 bezogen.
Die Beklagte hat in hinreichender Weise ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Bezug auf dessen Annahme dargelegt, der Anspruch auf Flächenzahlung könne nicht gekürzt werden, weil den Kläger keine Schuld treffe (Art. 44 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 2419/2001). Nach dieser Bestimmung sind die in Titel IV der genannten Verordnung vorgesehenen Kürzungen und Ausschlüsse nicht anzuwenden, wenn der Betriebsinhaber sachlich richtige Angaben vorgelegt hat oder auf andere Weise belegen kann, dass ihn (hinsichtlich der Unregelmäßigkeit im Antrag) keine Schuld trifft. Das Verwaltungsgericht hat bereits angenommen, dass der Kläger nicht sachlich richtige Angaben gemacht hat. Es unterliegt ernstlichen Zweifeln, insofern nicht auch anzunehmen, dass den Kläger ein Schuldvorwurf trifft. Allein die fehlende Kenntnis des Klägers lässt den Schuldvorwurf nicht entfallen. Nach der Rechtsprechung des 8. Senats des erkennenden Gerichts handelt ein Antragsteller nur dann im Sinne des Art. 44 Abs. 1 Alt. 2 der genannten Verordnung schuldlos, wenn er seinen Irrtum nicht verhindern konnte (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 20. Juni 2008 - 8 LA 11/08 -, RdL 2008, 249). Auch wenn der Kläger bei Antragstellung keine Kenntnis davon gehabt hat, dass die o.a. Fläche nicht beihilfefähig ist, hätte er sich erkundigen müssen, ehe er für diese Fläche eine Flächenzahlung beantragte (vgl. im Fall der Sonderprämie für Rindfleischerzeuger: BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2005 - 3 C 26.04 -, Buchholz 451.90 Sonstiges Europäisches Recht Nr. 199 = RdL 2005, 188). Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass es zu den Obliegenheiten eines Antragstellers gehört, sich über die Beihilfefähigkeit einer beantragten Fläche zu erkundigen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - der Kläger Agrarförderung für eine gepachtete landwirtschaftliche Nutzfläche begehrt, die zwar vormals als Ackerland, zuletzt aber über mehrere Jahre als Grünland bewirtschaftet worden ist.
2.
Des Weiteren wendet sich der Kläger gegen die Forderung von Flächenzahlungen für die Jahre 2001 und 2002. Das Verwaltungsgericht hat der Klage auch insoweit stattgegeben. Zwar habe der Kläger die Flächenzahlungen in 2001 und 2002 zu Unrecht erhalten. Der Rückforderung stehe aber die Regelung in Art. 49 Abs. 4 Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 entgegen, nach der die Verpflichtung zur Rückzahlung nicht gelte, wenn die Zahlung auf einen Irrtum der zuständigen Behörde selbst oder einer anderen Behörde zurückzuführen sei, der vom Betriebsinhaber billigerweise nicht habe erkannt werden können. So liege es hier. Dem Kläger habe zwar die Flächenzahlung nicht zugestanden. Er habe dies aber nicht erkennen können, da er von dem in 1996 genehmigten Flächentausch nichts gewusst habe und hiervon auch nichts hätte wissen müssen. Mit einer Sanktion - die rechtswidrig sei - habe der Kläger ohnehin nicht rechnen müssen. Dies gelte auch für die Flächenzahlung für das Jahr 2001, weil Art. 49 Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 über Art. 2 Abs. 2 Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 anwendbar sei.
Die Beklagte hat in hinreichender Weise ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Bezug auf dessen Annahme dargelegt, die Flächenzahlungen für die Jahre 2001 und 2002 seien auf einen Irrtum der zuständigen Behörde zurückzuführen, der vom Kläger billigerweise nicht habe erkannt werden können. Die Beklagte hat ausgeführt, ein Irrtum der Behörde liege hier aber nicht vor, weil der Kläger unrichtige Angaben im Antrag gemacht habe. Insoweit kann sie sich auf die Rechtsprechung des OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 27. Februar 2008 - 8 A 11153/07 -, RdL 2008, 530) und des VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 19. März 2009 - 10 S 1578/08 -, AUR 2010, 25 [VGH Baden-Württemberg 19.03.2009 - 10 S 1578/08]) berufen, nach der die Rückforderung nach Art. 49 Abs. 4 Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 nur dann ausgeschlossen ist, wenn die Überzahlung auf einen Irrtum beruht, der der Sphäre der Bewilligungsbehörde zuzurechnen ist (a. A. Hess. VGH, Urteil vom 19. Mai 2009 - 10 A 100/08 -, AUR 2009, 342). Beruht eine zu Unrecht gewährte Beihilfe aber auf sachlich unrichtige Angaben des Antragstellers, so ist der hierauf beruhende Irrtum der Sphäre des Antragsstellers zuzurechnen.
Das Zulassungsverfahren wird unter dem Aktenzeichen 10 LB 109/10 als Berufungsverfahren fortgeführt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO).
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht, Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg, oder Postfach 2371, 21313 Lüneburg, einzureichen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig (§ 124a Abs. 3 Sätze 4 und 5, Abs. 6 VwGO).