Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.07.2010, Az.: 11 ME 71/10
Aufenthaltsrecht eines drittstaatsangehörigen Ehegatten eines deutschen Staatsangehörigen nach gemeinsamen Arbeitsaufenthalt in Spanien, gemeinsamer Rückkehr ins Bundesgebiet und anschließender Trennung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 09.07.2010
- Aktenzeichen
- 11 ME 71/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 21200
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0709.11ME71.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 31 Abs. 1 AufenthG
- § 31 Abs. 2 AufenthG
- § 51 Abs. 1 Nr. 6, 7 AufenthG
- § 146 Abs. 4 S. 3 VwGO
Fundstelle
- ZAR 2010, 328
Amtlicher Leitsatz
Zu den Fragen eines national oder gemeinschaftsrechtlich begründeten, eigenständigen Aufenthaltsrechts des drittstaatsangehörigen Ehegatten eines deutschen Staatsangehörigen nach vorübergehendem gemeinsamen (Arbeits-)Aufenthalt in Spanien, gemeinsamer Rückkehr ins Bundesgebiet und anschließender Trennung
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.
Die 1960 geborene Antragstellerin, kolumbianische Staatsangehörige, heiratete im September 2001 einen 1977 in El Salvador geborenen deutschen Staatsangehörigen. Im August 2003 reiste sie mit einem Visum ins Bundesgebiet ein und erhielt nachfolgend wiederholt verlängerte, zuletzt bis zum 26. August 2006 befristete Aufenthaltserlaubnisse zum Führen der ehelichen Lebensgemeinschaft (im Bundesgebiet). In der Zeit vom 24. Juli 2005 bis zum 31. August 2006 hielten sich die Eheleute allerdings - nach Angaben der Antragstellerin zum Zwecke der Arbeit - in Spanien auf. Nach Rückkehr in das Bundesgebiet erhielt die Antragstellerin antragsgemäß erneut Aufenthaltserlaubnisse nach§ 28 AufenthG, und zwar zuletzt mit Wirkung bis zum Oktober 2009. Bereits zuvor, nämlich im Mai/Juni 2008, trennten sich die Eheleute. Den Antrag auf weitere Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis lehnte die Antragsgegnerin mit dem hier streitigen Bescheid vom 2. November 2009 ab und drohte der Antragstellerin zugleich die Abschiebung an.
Den Antrag,
die aufschiebende Wirkung ihrer am 3. Dezember 2009 erhobenen Klage gegen diesen Bescheid der Antragsgegnerin anzuordnen,
lehnte das Verwaltungsgericht ab. Der Antragstellerin stehe nach dem allein als Rechtsgrundlage in Betracht kommenden § 31 AufenthG kein eigenständiges (eheunabhängiges) Aufenthaltsrecht zu. § 31 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG verlange dafür einen zweijährigen ununterbrochenen rechtmäßigen Bestand der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet. Hieran mangele es. Durch die Ausreise der Antragstellerin nach Spanien sei ihr vorhergehender deutscher Aufenthaltstitel gemäß § 51 Abs. 1 Nrn. 6 und 7 AufenthG erloschen. Nach Rückkehr ins Bundesgebiet habe die eheliche Lebensgemeinschaft keine zwei Jahre mehr Bestand gehabt. Die von der Antragstellerin sinngemäß begehrte Gleichstellung ihrer Aufenthaltszeit in Spanien mit einem Aufenthalt im Bundesgebiet i.S.d.§ 31 AufenthG, zumindest aber die Addition der beiden Zeiten der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet vor und nach dem Spanienaufenthalt seien mit dem Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Norm unvereinbar. Ein - wie hier - längerer Auslandsaufenthalt beende den Integrationsprozess. Diese Auslegung führe auch zu keiner mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbaren Benachteiligung von ausländischen Ehegatten deutscher Staatsangehöriger im Verhältnis zu ausländischen Ehegatten von nicht deutschen Unionsbürgern. Der Antragstellerin könne auch nach § 31 Abs. 2 AufenthG keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Ihr sei es zuzumuten, in ihr Heimatland zurückzukehren.
Aus den nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO vom Oberverwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren allein zu prüfenden Gründen, auf die die Antragstellerin ihre Beschwerde stützt, ist der angegriffene Beschluss nicht zu ändern und die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. November 2009 ganz oder teilweise anzuordnen.
Der Antragstellerin kann zunächst nicht in der Annahme gefolgt werden, dass die Rückkehrverpflichtung für sie eine besondere Härte i.S.d. § 31 Abs. 2 AufenthG darstellen würde und ihr daher unabhängig von der anrechnungsfähigen Dauer der ehelichen Lebensgemeinschaft ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zustehe. Eine besondere Härte in Gestalt einer erheblichen Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung (§ 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG) kann sich nur aus solchen Beeinträchtigungen ergeben, die mit der Ehe oder ihrer Auflösung in Zusammenhang stehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.6.2009 - 1 C 11/08 -, BVerwGE 134, 124 ff.). Ob hierzu auch Nachteile gehören, die aus der von der Antragstellerin vorgetragenen ehebedingten Aufgabe ihres vormals in ihrem Heimatland betriebenen Restaurants gehören, erscheint fraglich, kann hier aber offen bleiben. Denn jedenfalls handelt es hierbei nicht um einen Nachteil oder eine Beeinträchtigung, der/die die Antragstellerin - wie erforderlich (Hailbronner (Hrsg.), Ausländerrecht, Kommentar, § 31 AufenthG, Rn. 18 ff., m.w.N.) - ungleich härter treffen würde als andere Ausländer in vergleichbarer Situation. Die Aufgabe der bisherigen beruflichen Betätigung im Heimatland, um im Bundesgebiet eine eheliche Lebensgemeinschaft zu führen, dürfte vielmehr den Regelfall darstellen. Dass der im Bundesgebiet von Leistungen nach dem SGB II lebenden Antragstellerin bei einer Rückkehr nach Kolumbien die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit unmöglich wäre, trägt sie selbst nicht vor und ist angesichts ihrer Biographie auch nicht zu erkennen.
Im Übrigen macht die Antragstellerin geltend, dass der angegriffene Beschluss "europäisches Augenmaß" vermissen lasse. Der Entschluss des Ehemannes, eines EU-Bürgers, zur Arbeitsaufnahme in ein anderes EU-Land zu gehen, könne einer Nicht-EU Bürgerin nicht zum Nachteil gereichen.
Dieses Vorbringen genügt schon nicht dem Darlegungsgebot des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Denn daraus wird nicht deutlich, welche Ausführungen des Verwaltungsgerichts im Einzelnen fehlerhaft sein sollen und ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen der Antragstellerin bei der wohl sinngemäß geltend gemachten Berufung auf Gemeinschaftsrecht der vorrangig streitige Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach dem ggf. gemeinschaftskonform zu verstehendenAufenthaltsgesetz oder aus einer anderen - vom Verwaltungsgericht ausdrücklich ausgeschlossenen - (gemeinschaftsrechtlichen oder nationalen) Rechtsgrundlage zustehen soll.
Im Übrigen ist dem Verwaltungsgericht auch in der Annahme zu folgen, dass die mehr als einjährige Zeit des Aufenthalts in Spaniens einem Aufenthalt im Bundesgebiet i.S.d. § 31 Abs. 1 AufenthG nicht gleichgestellt werden kann. Dies widerspricht schon dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung. Die Systematik desAufenthaltsgesetzes, etwa die ausdrückliche Regelung in § 9b Satz 1 über die nur ausnahmsweise zulässige Anrechnung von Aufenthaltszeiten außerhalb des Bundesgebiets, unterstreicht dieses Verständnis. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, wäre anderenfalls auch nicht sichergestellt, dass der in dem hier umstrittenen Merkmal der mindestens zweijährigen Dauer der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet zum Ausdruck kommende Integrationsprozess des Ehegatten für die Gewährung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet hinreichend fortgeschritten ist.
Eine von der Antragstellerin ggf. sinngemäß vermisste gemeinschaftskonforme Auslegung des § 31 Abs. 1 AufenthG ist nicht möglich und auch nicht angezeigt. Zwar kommt - anders als bei einem reinen Inlandssachverhalt (vgl. dazu etwa VGH München, Beschl. v. 3.3.2010 - 10 ZB 09. 2023-, [...]) - unter den hier in erster Instanz vorgetragenen, im Einzelnen aber bislang noch nicht näher geprüften Voraussetzungen - d.h. wenn der Ehemann der Antragstellerin als deutscher Unionsbürger in Spanien von seiner Freizügigkeit als Arbeitnehmer Gebrauch gemacht hat und mit seiner drittstaatsangehörigen Ehefrau nach Deutschland zurückgekehrt ist - nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu den sog. "Rückkehrfällen" in der Tat ein von der Ausübung des Freizügigkeitsrechts als Unionsbürgers (Art. 21 AEUV) abgeleitetes, gemeinschaftsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht der Antragstellerin grundsätzlich in Betracht (vgl. die Nachweise bei: GK-AufenthG, FreizügG/EU, § 1, Rn. 25, Hailbronner, JZ 2010, 398 f.; Huber (Hrsg.), Aufenthaltsgesetz, Kommentar, FreizügG/EU, § 1, Rn. 15, sowie OVG Münster, Beschl. v. 14.6.2010 - 18 B 432/10 -, [...]). Die Entstehung eines solchen gegenüber dem nationalen Recht günstigeren gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsanspruchs richtet sich aber nicht nach dem hier vorrangig streitigen § 31 AufenthG, sondern entweder in entsprechender Anwendung des Freizügigkeitsgesetzes/EU (vgl. Hailbronner, a.a.O., sowie ders. (Hrsg.), Ausländerrecht, Kommentar, FreizügG/EU, § 1, Rn. 14 -17; Huber, a.a.O.; weitere Nachweise bei Cremer, NVwZ 2010, 494 f; Fn. 20) oder unmittelbar nach Gemeinschaftsrecht (so ausdrücklich GK- AufenthG, a.a.O., und zu Fällen der Eheschließung in Dänemark wohl auch OVG Münster, Beschl. v. 14.6.2010 - 18 B 432/10 -, a.a.O., und VGH Mannheim, Beschl. v. 25.1.2010 - 11 S 2181/09 -, NVwZ 2010, 529 f.; unklar Kurzidem, in Kluth/Hund/Maaßen (Hrsg.), Zuwanderungsrecht, S. 560). Dies gilt auch deshalb, weil die Beendigung eines insoweit gemeinschaftsrechtlich begründeten Aufenthaltsrechts nach§ 5 Abs. 5, 6 FreizügG/EU grundsätzlich anderen Voraussetzungen als die Aufhebung eines nationalen Aufenthaltstitels nach§ 51 AufenthG unterliegt. Daher ist insoweit kein Raum für eine Anwendung und gemeinschaftskonforme Auslegung des § 31 Abs. 1 AufenthG. Ob bei einer Scheidung oder Aufhebung der Ehe nach § 3 Abs. 5 Satz 2 Freizügig/EU für den Fortbestand eines eigenständigen Aufenthaltsrechts des drittstaatsangehörigen Ehegatten wieder (uneingeschränkt) nationales Recht anwendbar wäre (vgl. zweifelnd Hailbronner (Hrsg.), a.a.O., FreizügG/EU, § 3, Rn. 49, 37 f.), kann hier offen bleiben.
Auf ein solches gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht hat sich die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren schon nicht hinreichend konkret berufen. Zudem hat sie im Beschwerdeverfahren überhaupt nicht zu den für die Begründung und den Fortbestand eines solchen Rechts im Einzelnen ggf. notwendigen Voraussetzungen vorgetragen, etwa zu der Dauer sowie dem Zweck des Auslandsaufenthalts in Spanien, der Sicherung ihres Lebensunterhalts und dem Fortbestand ihrer Ehe bzw. der ehelichen Lebensgemeinschaft. Im Übrigen wäre ein solches gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht auch ungeeignet, der Antragstellerin den hier vorrangig geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG zu vermitteln (vgl. OVG Münster, a.a.O.). Dass ihr deshalb zumindest vorläufiger Rechtsschutz gegen die Abschiebungsandrohung zu gewähren sei, hat sie im Beschwerdeverfahren nicht ansatzweise vorgetragen.
Den Fragen nach einem gemeinschaftsrechtlich abgeleiteten Aufenthaltsrecht der Antragstellerin ist daher im Hauptsacheverfahren und ggf. einem Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO hinsichtlich der Abschiebungsandrohung näher nachzugehen.