Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.05.2022, Az.: 9 LB 263/21
Anschluss; Festsetzungsverjährung; Genehmigung; Grundstücksanschluss; Herstellung, tatsächliche; Inanspruchnahmemöglichkeit; Kalkulationssicherheit; Kanalbaubeitrag; Kleinkläranlage
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.05.2022
- Aktenzeichen
- 9 LB 263/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 59554
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 26.08.2019 - AZ: 3 A 174/17
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs 1 KAG ND
- § 6a Abs 1 KAG ND
- § 96 Abs 6 S 3 WasG ND
Fundstelle
- Gemeindehaushalt 2023, 70
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. § 6a Abs. 1 NKAG schiebt die Entstehung der Beitragspflicht für die Fälle der Errichtung einer Kleinkläranlage bis zu dem Zeitpunkt hinaus, zu dem die in § 96 Abs. 6 Satz 3 NWG geregelte Schutzfrist von 15 Jahren abgelaufen oder der Anschluss tatsächlich hergestellt ist.
2. Wird der Anschluss tatsächlich hergestellt (§ 6a Abs. 1 Alternative 2 NKAG), wird die auf Dauer gesicherte Möglichkeit zur Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung verwirklicht. Auf die Erteilung einer förmlichen Genehmigung des Grundstücksanschlusses kommt es dann nicht mehr an.
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das auf die mündliche Verhandlung vom 26. August 2019 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg – 3. Kammer, Einzelrichter – geändert.
Der Bescheid des Beklagten vom 16. März 2017 in der Fassung der Änderung vom 26. August 2019 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Beschlusses vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung eines Kanalbaubeitrags für den Anschluss an die öffentliche Abwasseranlage (Schmutzwasser) i. H. v. noch 9.401,07 EUR.
Sie ist Eigentümerin eines 5.412 m² großen, an die Straße D. angrenzenden Grundstücks (Flurstück E.), das nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt. Das Grundstück ist auf der der Straße zugewandten Seite mit zwei Gebäuden bebaut, Hausnummern 13 und 15. Außerdem sind Nebengebäude mit größerem Abstand zur Straße vorhanden. Der weitere, hintere Bereich des Grundstücks ist unbebaut. Auf eine Bauvoranfrage für diesen unbebauten Bereich des Grundstücks erklärte die Abteilung Bauen des Beklagten mit Schreiben vom 23. Januar 2018, dass es sich um einen „Außenbereich im Innenbereich“ handele. Das Grundstück Flurstück E. ist im Jahr 2007 aus einer Teilung des vormals größeren Buchgrundstücks Flurstück F. (6.324 m²) hervorgegangen.
Mit Bescheid vom 11. November 1998 erteilte der Beklagte dem früheren Eigentümer des Grundstücks Flurstück F. im Zusammenhang mit dem Umbau „D. 15“ (Umbau in ein Mehrfamilienhaus mit Wohnungen) eine Genehmigung zur Herstellung der Grundstücksentwässerungsanlage im Hinblick auf den späteren Kanalisationsanschluss (Entwässerung in eine Sickergrube). In der Anlage zum Bescheid wurde darauf hingewiesen, dass der Adressat verpflichtet sei, das auf dem Grundstück anfallende Schmutzwasser in den Kanal einzuleiten, sobald die öffentliche Abwasserleitung bis an das Grundstück herangeführt sei. Die Grundstücksentwässerungsanlage (ausgenommen Klärgrube und Sickerschacht bzw. Verrieselung) wurde mit Abnahmeschein vom 2. Juni 1999 an diesem Tag abgenommen.
Mit Rundschreiben vom 28. Januar 2005 teilte der Beklagte dem früheren Eigentümer des Grundstücks D. Nr. 13 und 15 mit, dass in Kürze in seiner Straße die Schmutzwasserkanalisation verlegt würde. Alle Eigentümer eines bebauten Grundstücks seien verpflichtet, dieses an die Abwasseranlage anzuschließen, sobald der Schmutzwassersammler betriebsfertig hergestellt und der Anschlusskanal bis an das Grundstück herangeführt sei. Der Anschlusskanal für sein Grundstück werde gleich mit dem Schmutzwassersammler verlegt. Sobald der Anschluss an den Schmutzwassersammler hergestellt werden könne, werde ihm dies mitgeteilt. Er habe dann zwei Monate Zeit, den Entwässerungsantrag einzureichen. Nach Erhalt eines besonderen Genehmigungsbescheides habe er ebenfalls zwei Monate Zeit, den Anschluss herzustellen. Mit den Arbeiten für die auf dem Grundstück zu erstellende Grundstücksentwässerungsanlage dürfe erst begonnen werden, wenn die von ihm hierfür zu beantragende Genehmigung erteilt worden sei. Der Kanalbaubeitrag werde in einem besonderen Bescheid festgesetzt, wenn der Schmutzwassersammler betriebsfertig hergestellt sei.
Am 24. Juni 2005 wurde der Grundstücksanschluss für das Haus Nr. 15 ausweislich eines Kostenerstattungsbescheides vom 27. März 2006 für die Herstellung eines zusätzlichen Grundstücksanschlusses für das Grundstück D. 15 (Flurstück F., Flur G., Gemarkung H.) betriebsfertig hergestellt.
In einem Abnahmeschein vom 1. Juli 2008 für das Grundstück D. 15 heißt es:
„Der auf dem nachstehend aufgeführten Grundstück hergestellte und mit dem o.a. Bescheid genehmigte Anschluss an die öffentliche Schmutzwasserkanalisation ist abgenommen worden (§ 6 der Abwassersatzung des Landkreises Harburg in der zurzeit gültigen Fassung).“
Als Einleitungsdatum wird in dem Abnahmeschein der 27. Juni 2008 angegeben. Durchschriften dieses Abnahmescheins sind an die Samtgemeinde/Gemeinde A-Stadt zur Kenntnis und Beachtung bei der Fäkalschlammabfuhr und an die für die Erhebung von Gebühren zuständige Abteilung des Beklagten übersandt worden.
Es liegt außerdem ein Abnahmeantrag/-bericht der Grundstücksentwässerungsanlage für die Hausnummer D. 15 über die Abnahme der Grundstücksentwässerungsanlage vor.
Seit dem 1. Juli 2008 erhebt der Beklagte für das Grundstück Kanalbenutzungsgebühren.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 1. Juli 2008 teilte der Beklagte dem früheren Eigentümer des Grundstücks D. 15 mit, dass für das Grundstück „Kalkulationssicherheit“ bis zum 31. Oktober 2015 bestehe. An dieses Grundstück sei der Schmutzwasserkanal bereits herangeführt worden und aus den vorliegenden Unterlagen gehe hervor, dass der Anschluss an den öffentlichen Schmutzwasserkanal bereits vorzeitig hergestellt sei bzw. eingeleitet werde. Mit Arbeiten an der Entwässerungsanlage dürfe erst nach Erhalt einer besonderen Genehmigung begonnen werden. Gleichzeitig forderte er den früheren Eigentümer auf, einen Antrag auf Genehmigung des Anschlusses bis spätestens zum 8. September 2008 zu stellen und Unterlagen hierfür vorzulegen (§ 6 Abs. 2 der Abwassersatzung). Unter Bezugnahme auf den Bescheid vom 11. November 1998 genüge ein Lageplan über die Leitungsführung vom Haus bis zur Anschlussgrenze an der Grundstücksgrenze sowie das doppelt ausgefüllte Antragsformular.
Der frühere Eigentümer stellte unter dem 2. Juli 2008 einen Antrag auf Genehmigung zur Herstellung eines Anschlusses an die Schmutzwasserkanalisation für das Grundstück D. 15, Flurstück F., ohne weitere Unterlagen vorzulegen.
Der Beklagte forderte ihn mit weiteren Schreiben vom 23. September 2008, 11. Februar 2013, 17. Mai 2013, mit bestandskräftigem Bescheid vom 18. Oktober 2013 unter Zwangsgeldandrohung, mit bestandskräftigem Bescheid vom 21. Januar 2014 über eine Zwangsgeldfestsetzung von 500 EUR und weiteren Schreiben vom 26. Januar 2015 und 8. Juli 2015 – und möglicherweise bereits vor dem tatsächlichen Anschluss mit Schreiben vom 8. April 2008 – auf, die Unterlagen für den Genehmigungsantrag vorzulegen.
In einem auf das Grundstück A-Straße und 15 bezogenen Schreiben vom 9. April 2009 wurde der frühere Grundstückseigentümer darauf hingewiesen, dass für dieses Grundstück Anträge auf Anschluss an die öffentliche Abwasseranlage vorlägen, obwohl bis zum 31. Oktober 2015 Kalkulationssicherheit bestehe. Es wurde um Mitteilung gebeten, ob ein vorzeitiger Anschluss geplant sei oder der Anschluss bis zum 31. Oktober 2015 zurückgestellt werden solle. Er antwortete daraufhin mit Schreiben vom 17. Juni 2009, dass der Anschluss an die Abwasseranlage für 2012 vorgesehen sei.
Mit Bescheid vom 23. November 2015 wurde der Anschluss des Grundstücks D. 15 (Flurstück F.) an die öffentliche Schmutzwasserkanalisation förmlich genehmigt, nachdem der frühere Eigentümer mit Schriftsatz vom 21. Juli 2015 die geforderten Unterlagen vorgelegt hatte. In dem Abnahmeschein zum Genehmigungsbescheid vom 23. November 2015 wurde als Tag der Abnahme und als Einleitungsdatum der 27. Juni 2008 angegeben und mitgeteilt, dass der Anschluss unter Auflagen in Betrieb genommen werden dürfe. Bezogen auf das Grundstück A-Straße (ebenfalls angegebenes Flurstück F.) wurde der Anschluss an die öffentliche Schmutzwasserkanalisation erst mit Bescheid vom 28. Oktober 2016 genehmigt und als Tag der Abnahme und Einleitungsdatum der 19. Dezember 2014 angegeben.
Mit Bescheid vom 16. März 2017 setzte der Beklagte einen Kanalbaubeitrag von 15.329,49 EUR für das Grundstück A-Straße und 15 der Klägerin (nunmehr für das bezeichnete Flurstück E.) fest.
Hiergegen hat die Klägerin mit am 13. April 2017 beim Verwaltungsgericht Lüneburg eingegangenen Schreiben Klage erhoben und sich darauf berufen, dass die Festsetzung des Kanalbaubeitrags verjährt sei. Die Beitragspflicht sei gemäß § 3 Abs. 1 und § 7 Abs. 1 der Abwasserabgabensatzung des Beklagten (AAS) bereits im letzten Jahrzehnt entstanden, weil der Schmutzwasserkanal vor dem Grundstück einschließlich Anschlusskanal für das Grundstück schon im letzten Jahrzehnt hergestellt worden seien. Soweit sich der Beklagte auf § 6 Abs. 5 seiner Satzung über den Anschluss der Grundstücke an die öffentliche Abwasseranlage der Schmutzwasserbeseitigung (Abwassersatzung) berufe und den Beginn des Laufs der Festsetzungsfrist an die Erteilung einer Genehmigung des Anschlusses des Grundstücks an den Anschlusskanal knüpfe, komme es nicht auf die Genehmigung, sondern auf den tatsächlichen Anschluss des Grundstücks an den Kanal an. Diese Voraussetzung sei gegeben, wenn wie hier der Anschluss mit Billigung des Trägers der Abwasserbeseitigungseinrichtung hergestellt und abgenommen worden sei. Der Betrieb Abwasserbeseitigung des Beklagten habe bestätigt, dass der Anschluss am 27. Juni 2008 abgenommen worden sei und seitdem Abwasser eingeleitet werde. Im Übrigen nehme der Beklagte seit 2008 Abwassergebühren ein.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 26. August 2019 sind die Beteiligten übereingekommen, dass lediglich die zur Straße zugewandte Fläche von 3.319 m² als beitragspflichtig anzusehen sei. Der Beklagte hat dementsprechend den Beitrag im streitgegenständlichen Bescheid auf 9.401,07 EUR reduziert. Hinsichtlich des darüberhinausgehenden Beitrags haben die Beteiligten das Verfahren in der mündlichen Verhandlung für erledigt erklärt.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beitragsbescheid vom 16. März 2017 in der Fassung der Änderung vom 26. August 2019 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat vorgetragen, das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht setze eine Genehmigung gemäß § 6 Abs. 4 Abwassersatzung und die Abnahme des Anschlusses nach § 6 Abs. 6 Abwassersatzung voraus. Der Anschluss des Gebäudes Nr. 15 habe erst am 23. November 2015 genehmigt werden können, nachdem wiederholt an den Lageplan erinnert worden sei. Der Anschluss für das Haus Nr. 13 sei am 28. Oktober 2016 genehmigt worden. Erst mit der Genehmigung sei der tatsächliche Anschluss an den Kanal nicht nur materiell, sondern auch formell legal. Die tatsächliche Abnahme ersetze nicht die formelle Genehmigung zum Anschluss des Gebäudes an die öffentliche Abwasseranlage. Der Anschluss müsse im Beitragsrecht dauerhaft gesichert sein. Da ein Anschluss unterbunden werden könne, wenn er nicht korrekt sei, sei die Genehmigung erforderlich. Anderenfalls würde ein Schwarzanschluss innerhalb der Kalkulationsfrist, von der die Gemeinde keine Kenntnis habe, die sachliche Beitragspflicht auslösen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage in dem aufrecht erhaltenen Umfang mit dem angefochtenen, auf die mündliche Verhandlung vom 26. August 2019 ergangenen Urteil abgewiesen mit der Begründung, der jetzt nur noch streitgegenständliche, genehmigt bebaute Teil des Grundstücks im unbeplanten Innenbereich unterliege der Beitragspflicht. Der Beitrag sei nicht infolge der vierjährigen Festsetzungsverjährung verjährt. Die Beitragspflicht sei gemäß § 6a Abs. 1 Alt. 1 NKAG noch nicht mit der Herstellung des Anschlusskanals 2005 entstanden (Kalkulationssicherheit). Sie sei auch nicht schon durch die Abnahme und tatsächliche Nutzung des Grundstücksanschlusses im Jahre 2008 entstanden. Beiträge würden für dauerhaft gesicherte Vorteile erhoben. Der tatsächliche Anschluss löse nur dann beitragsrechtliche Folgen aus, wenn er ordnungsgemäß erfolge. Ohne eine Genehmigung habe der Betroffene kein Recht, den Anschlusskanal durch den hergestellten Grundstücksanschluss zu nutzen. Dass der Beklagte die Herstellung des Grundstücksanschlusses geduldet habe, ohne auf eine vorherige Genehmigung zu beharren, sei ein Entgegenkommen gewesen, zu dem er nicht verpflichtet gewesen sei.
Mit Beschluss vom 9. November 2021 (9 LA 415/19) hat der Senat auf den Antrag der Klägerin wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) die Berufung zugelassen.
Die Klägerin wiederholt zur Begründung der Berufung ihr bisheriges Vorbringen und bezieht sich auf die Ausführungen in dem Senatsbeschluss vom 9. November 2021. Sie ist der Ansicht, dass ihre Beitragspflicht gemäß § 6a Abs. 1 Alternative 2 NKAG bereits im Sommer 2008 mit der Herstellung des Anschlusses der Grundstücksentwässerungsanlage an den Schmutzwasserkanal eingetreten sei und der Beitragsanspruch des Beklagten daher bereits mit Ablauf des Jahres 2012 infolge der vierjährigen Festsetzungsverjährung abgelaufen sei.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 16. März 2017 in der Fassung der Änderung vom 26. August 2019 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und trägt vor, der tatsächliche Anschluss löse nur dann beitragsrechtliche Folgen aus, wenn er ordnungsgemäß erfolgt sei. Dies setze zwingend eine Genehmigung und eine Abnahme des Anschlusses voraus. Denn nur mit einer Genehmigung und einer Abnahme der auf dem Grundstück hergestellten Entwässerungsanlagen habe die Klägerin das Recht, in den Kanal einzuleiten, und sei der dauerhafte Vorteil durch einen tatsächlichen Anschluss gesichert. Der interne Abnahmeschein vom 1. Juli 2008 sei ein standardisierter Vordruck und nicht an den Voreigentümer übersandt worden, weil noch keine Genehmigung für den Anschluss erteilt worden sei. Zwar stelle § 6a NKAG auf den tatsächlichen Anschluss ab. Das bedeute aber nicht, dass nicht noch weitere Anforderungen erfüllt sein müssten. Er, der Beklagte, habe von seinem Organisationsermessen dergestalt Gebrauch gemacht, dass er einen Anschluss an seinen Schmutzwasserkanal mit einem Genehmigungsvorbehalt versehen habe. Dementsprechend habe er gemäß § 7 Abs. 2 AAS die Beitragspflicht bei tatsächlichem Anschluss frühestens mit Genehmigung entstehen lassen. Der Fall des § 7 Abs. 2 AAS sei hier anwendbar, da für das Grundstück Kalkulationssicherheit bestanden habe und nur diese durch einen Anschluss vorzeitig beendet werden könne. Es könne nicht zu dem Ergebnis führen, dass das Abstellen auf die Genehmigung in den Fällen, in denen der tatsächliche Anschluss vor Genehmigung der Kommune bekannt sei, für das Entstehen der Beitragspflicht nicht mehr relevant sei. Die Satzungsnorm schütze die Kommune nicht nur vor der Beitragspflicht illegaler Anschlüsse, sondern auch den Abgabepflichtigen, weil er nur dann beitragspflichtig werde, wenn ihm auch sein tatsächlicher Anschluss im Wege seiner Anschlussgenehmigung konkret erlaubt werde. Anderenfalls wäre ihm, dem Beklagten, jegliche Steuerungs- und konkrete Gestaltungsmöglichkeit über die Nutzung und den Betrieb seiner Einrichtung erheblich erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Er könne als Einrichtungsbetreiber zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes seiner Einrichtung umfangreiche Einleitungsbedingungen festlegen. Im Übrigen sei das Gebäude A-Straße erst am 19. Dezember 2014 an den Kanal angeschlossen worden. Die Beitragspflicht für das gesamte Grundstück könne erst mit dem freiwilligen tatsächlichen Anschluss des letzten Gebäudes, welches Kalkulationssicherheit gehabt habe, vorzeitig vor Ablauf der Kalkulationssicherheitsfrist entstehen. Auch insoweit sei der Anspruch nicht verjährt.
Die Beteiligten wurden mit Schreiben der Berichterstatterin vom 17. Februar 2022 zur beabsichtigten Stattgabe der Berufung durch den Senat im Wege eines Beschlusses nach § 130a Satz 1 VwGO angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat trifft diese Entscheidung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss (§ 130a Satz 1 VwGO), weil er die Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Die Berufung der Klägerin hat Erfolg. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist zu ändern und der angefochtene Bescheid aufzuheben.
Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 16. März 2017 in der Fassung der Änderung vom 26. August 2019, mit dem der Beklagte für das Grundstück der Klägerin H., A-Straße und 15 (Flurstück E., Flur G., Gemarkung H.) einen Kanalbaubeitrag i. H. v. noch 9.401,07 EUR festgesetzt hat, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Verwaltungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Festsetzung des Kanalbaubeitrags nicht verjährt sei. Vielmehr ist die Beitragspflicht der Klägerin spätestens am 27. Juni 2008 mit der tatsächlichen Herstellung des Grundstücksanschlusses entstanden mit der Folge, dass die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist am 27. Juni 2008 zu laufen begonnen hat und die Festsetzung des Beitrags erst mit Bescheid vom 16. März 2017 deshalb verjährt ist.
Nach dem für die Erhebung von Kanalbaubeiträgen maßgeblichen § 6a Abs. 1 NKAG entsteht die Beitragspflicht für eine öffentliche Abwasseranlage in den Fällen des § 96 Abs. 6 Satz 3 des Niedersächsischen Wassergesetzes (NWG), wenn der Nutzungsberechtigte zum Anschluss des Grundstücks an die Abwasseranlage und zu deren Benutzung verpflichtet werden kann oder der Anschluss hergestellt ist. § 96 Abs. 6 Satz 3 NWG bestimmt, dass – wenn der Nutzungsberechtigte eines Grundstücks während der Geltungsdauer einer Satzung nach Absatz 4 eine Anlage satzungsgemäß errichtet oder wesentlich geändert hat – die Gemeinde ihn auf die Dauer von 15 Jahren, beginnend mit der Errichtung oder wesentlichen Änderung der Anlage, nicht zum Anschluss an eine öffentliche Abwasseranlage und zu deren Benutzung verpflichten kann, es sei denn, seine Befugnis nach § 10 Abs. 1 WHG zur gesonderten Einleitung des Abwassers ist erloschen.
Das im vorliegenden Fall für die Entstehung der Beitragspflicht maßgebliche Tatbestandsmerkmal der Herstellung des Anschlusses in § 6a Abs. 1 Alternative 2 NKAG erfordert allein, dass das Grundstück tatsächlich angeschlossen wird (vgl. auch Blomenkamp in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: März 2022, § 8 Rn. 1056a).
Wie der Senat in seinem Beschluss vom 9. November 2021 (9 LA 415/19) ausgeführt hat, setzt nach seiner Rechtsprechung die Erhebung eines Beitrags nach § 6 Abs. 1 NKAG allerdings auch im Kanalbaubeitragsrecht voraus, dass der Grundstückseigentümer die auf Dauer gesicherte Möglichkeit zur Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung hat und ihm dadurch dauerhaft besondere wirtschaftliche Vorteile erwachsen (Beschlüsse vom 21.9.2006 – 9 LA 2/06 – juris Rn. 6 und vom 4.6.2003 – 9 ME 60/03 – juris Rn. 1; vgl. auch Senatsbeschluss vom 13.7.1995 – 9 M 1462/95 – juris Rn. 19). Es muss ihm tatsächlich und rechtlich möglich sein, seine private Grundstücksentwässerungsanlage zum betriebsfertig hergestellten Kanal hin zu verlegen und eine Verbindung zwischen der privaten Anlage und dem Anschlusskanal herzustellen. Besteht diese Möglichkeit für die Entwässerung eines Grundstücks oder bestimmter Teilflächen davon aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise nicht, so fehlt es hinsichtlich dieser (folglich nicht bevorteilten) Grundstücksflächen an der – für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht erforderlichen – betriebsfertigen Herstellung im Rechtssinn (Beschluss vom 4.6.2003, a. a. O., Rn. 2; vgl. Senatsbeschluss vom 21.9.2006, a. a. O., Rn. 6; Blomenkamp, a. a. O., § 8 Rn. 1050 und Unkel, daselbst, § 8 Rn. 542).
Diese Grundsätze gelten – wie der Senat in seinem Beschluss vom 9. November 2021 (9 LA 415/19) weiter festgestellt hat – allgemein für die Entstehung der Kanalbaubeitragspflicht nach § 6 NKAG.
§ 6a Abs. 1 NKAG regelt hiervon jedoch abweichend das Entstehen der Kanalbaubeitragspflicht in den Fällen des § 96 Abs. 6 Satz 3 NWG, in denen der Nutzungsberechtigte eines Grundstücks während der Geltungsdauer einer Satzung nach § 96 Abs. 4 NWG eine Anlage satzungsgemäß errichtet oder wesentlich geändert hat und die Gemeinde ihn grundsätzlich auf die Dauer von 15 Jahren, beginnend mit der Errichtung oder wesentlichen Änderung der Anlage, nicht zum Anschluss an eine öffentliche Abwasseranlage und zu deren Benutzung verpflichten darf.
In diesen Sonderfällen der Errichtung einer Kleinkläranlage entsteht die Beitragspflicht erst, wenn der Nutzungsberechtigte zum Anschluss des Grundstücks an die Abwasseranlage und zu deren Benutzung verpflichtet werden kann (§ 6a Abs. 1 Alternative 1 NKAG) oder der Anschluss hergestellt ist (§ 6a Abs. 1 Alternative 2 NKAG). § 6a Abs. 1 NKAG schiebt also die Entstehung der Beitragspflicht für die Fälle des § 96 Abs. 6 Satz 3 NWG bis zu dem Zeitpunkt hinaus, zu dem die Schutzfrist von 15 Jahren abgelaufen oder der Anschluss tatsächlich hergestellt ist. Damit wird für diese Fälle das oben dargelegte grundlegende, in § 6 Abs. 1 NKAG geregelte Prinzip des Beitragsrechts aufgegeben, wonach der die Beitragspflicht auslösende Vorteil bereits mit der Möglichkeit des Anschlusses und deshalb die Beitragspflicht mit der Betriebsfertigkeit der Anlage vor dem jeweiligen Grundstück entsteht (Freese in Rosenzweig/Freese/von Waldthausen, NKAG, Stand: Februar 2022, § 6a Rn. 5). Wird der Anschluss tatsächlich hergestellt (§ 6a Abs. 1 Alternative 2 NKAG), wird die auf Dauer gesicherte Möglichkeit zur Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung verwirklicht (vgl. auch Unkel, a. a. O., § 8 Rn. 555).
Für die Annahme, dass die zweite Alternative des § 6a Abs. 1 NKAG für das Entstehen der Beitragspflicht allein den tatsächlichen Anschluss des Grundstücks voraussetzt und – entgegen der Ansicht des Beklagten und des Verwaltungsgerichts – nicht von weiteren Voraussetzungen wie der Erteilung einer förmlichen Genehmigung des Grundstücksanschlusses abhängig ist, sprechen auch Sinn und Zweck dieser Vorschrift.
Wie die Klägerin zu Recht anführt, verfolgt der Gesetzgeber mit § 6a Abs. 1 Alternative 1 NKAG i. V. m. § 96 Abs. 6 Satz 3 NWG die Absicht, diejenigen, die zuvor auf ihre Kosten Kleinkläranlagen errichtet hatten und nutzten, davor zu schützen, vor Ablauf von 15 Jahren nach Errichtung der Kleinkläranlagen gegen ihren Willen zusätzlich noch zu Kanalbaubeiträgen herangezogen zu werden (vgl. Nds. Landtag, Drs. 13/3030, S. 4; sog. Kalkulationssicherheit). § 6a Abs. 1 NKAG bestimmt demnach für den Sonderfall, dass ein Nutzungsberechtigter während der Geltungsdauer einer Satzung nach § 96 Abs. 4 NWG eine Kleinkläranlage satzungsgemäß errichtet oder wesentlich geändert hat und er deswegen auf die Dauer von 15 Jahren nicht zum Anschluss an eine öffentliche Anlage verpflichtet werden kann, dass auch seine Beitragspflicht erst dann entsteht, wenn die Schutzfrist abgelaufen ist (§ 6a Abs. 1 Alternative 1 NKAG) oder der Anschluss vor Ablauf der Schutzfrist hergestellt ist (§ 6a Abs. 1 Alternative 2 NKAG; Nds. Landtag, Drs. 13/3030, S. 5). § 6a Abs. 1 Alternative 2 NKAG regelt also den Sonderfall, dass der Nutzungsberechtigte den Anschluss aus freien Stücken vor Ablauf der Schutzfrist von 15 Jahren herbeiführen möchte. Denn der Gedanke des Vertrauensschutzes trägt nicht mehr, wenn der Nutzungsberechtigte den Anschluss seines Grundstücks an die zentrale Abwasserbeseitigungsanlage herstellt und damit ihre tatsächliche Nutzung vorbereitet (Nds. Landtag, Drs. 13/3030, S. 6; vgl. Blomenkamp, a. a. O., § 8 Rn. 1056a).
Der Vortrag des Beklagten, nur mit einer Genehmigung und einer Abnahme der auf dem Grundstück hergestellten Entwässerungsanlagen habe die Klägerin das Recht, in den Kanal einzuleiten, und sei der dauerhafte Vorteil durch einen tatsächlichen Anschluss gesichert, geht deshalb ins Leere. Zwar ist derjenige, der eine Kleinkläranlage errichtet hat, wegen § 6a Abs. 1 Alternative 2 NKAG zunächst nicht zum Anschluss seines Grundstücks verpflichtet, sein Anschlussrecht bleibt davon jedoch unberührt (vgl. Blomenkamp, a. a. O., § 8 Rn. 1056a). Der die Beitragspflicht auslösende dauerhaft gesicherte Vorteil ist bereits gegeben, sobald – wie es § 6 Abs. 1 Satz 1 NKAG ausdrücklich vorsieht – die Möglichkeit des Anschlusses an die betriebsfertige Einrichtung besteht. Ist der Anschluss tatsächlich hergestellt, hat sich dieser Vorteil durch die Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung realisiert und löst dies die Beitragspflicht aus – unabhängig davon, ob der Anschluss genehmigt oder abgenommen worden ist.
Dem steht – anders als der Beklagte und das Verwaltungsgericht meinen – nicht das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Mai 1992 (– 2 A 2024/89 – juris) entgegen. Nach dieser Entscheidung kann bei nicht vorhandener Anschlussmöglichkeit mangels eines vor dem Grundstück verlaufenden Kanals die Beitragspflicht nach dem tatsächlichen Anschluss des Grundstücks an einen weiter entfernt liegenden Kanal entstehen. Weitere Voraussetzung ist in diesem Fall – so das Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen weiter –, dass der Anschluss und dessen Benutzung auf Dauer rechtlich gesichert ist. Dies kann, sofern die gemeindliche Entwässerungssatzung entsprechende Regelungen enthält, eine Genehmigung des Anschlusses und eine Abnahme der Anschlussleitung erforderlich machen (Leitsatz 4).
Diese Entscheidung ist jedoch nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. In jenem Fall war – anders als hier – vor dem Grundstück kein betriebsfertiger Kanal vorhanden, sondern der dortige Kläger hatte sein Grundstück nach vorheriger Genehmigung durch den Beklagten durch eine private Anschlussleitung über mehrere benachbarte Grundstücke hinweg an die Kanalisation in einer Nachbarstraße angeschlossen. In diesem besonderen Fall, in dem die Möglichkeit der Inanspruchnahme an sich – aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen – nicht bestanden hätte, wird das Vorhandensein eines wirtschaftlichen Vorteils mit dem Anschluss des Grundstücks an die öffentliche Kanalisation lediglich vermutet (vgl. OVG NRW, Urteil vom 18.5.1992 – 2 A 2024/89 – juris Rn.41 - 43). Ein derartiger, nicht an einen betriebsfertigen Kanal vor dem Grundstück hergestellter Anschluss muss nach dieser Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen nicht nur real existieren, sondern rechtlich gesichert und mit Wissen und im Einverständnis der Gemeinde hergestellt sein (vgl. OVG NRW, Urteil vom 18.5.1992, a. a. O., Rn. 45).
Vorliegend war demgegenüber vor dem Grundstück der Klägerin ein betriebsfertiger Kanal vorhanden. Deshalb wird das Vorhandensein eines wirtschaftlichen Vorteils mit dem Anschluss hier nicht lediglich vermutet, sondern der bereits mit der Anschlussmöglichkeit gegebene wirtschaftliche Vorteil hat sich – wie oben ausgeführt – mit dem Anschluss verwirklicht. § 6a Abs. 1 NKAG geht mithin davon aus, dass auch dann, wenn die tatsächliche und rechtliche Inanspruchnahmemöglichkeit des Kanals vor dem Grundstück des Eigentümers gegeben ist, dies jedoch aufgrund des gesetzlich geregelten Bestandsschutzes für errichtete Kleinkläranlagen gemäß § 96 Abs. 6 Satz 3 NWG ausnahmsweise noch nicht zum Entstehen der Beitragspflicht führt. Erst die tatsächliche Herstellung des Anschlusses oder der Ablauf der 15-jährigen Schutzfrist beseitigen den Bestandsschutz für die Kleinkläranlage auf dem betreffenden Grundstück bzw. den Vertrauensschutz für ihre weitere Nutzung.
Die satzungsrechtlichen Vorschriften des § 3 Abs. 2 und § 7 Abs. 2 AAS, auf die sich der Beklagte beruft, wären im Übrigen vorliegend nicht einschlägig. Denn wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, wäre hier § 3 Abs. 1 b) AAS maßgebend, so dass § 7 Abs. 2 AAS nicht zur Anwendung käme. Nach § 3 Abs. 1 b) AAS unterliegen Grundstücke der Beitragspflicht, die an die öffentliche Abwasseranlage angeschlossen werden können und für die eine bauliche oder gewerbliche Nutzung nicht festgesetzt ist, wenn sie nach der Verkehrsauffassung Bauland sind und nach der geordneten baulichen Entwicklung in der Gemeinde zur Bebauung oder gewerblichen Nutzung anstehen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das Grundstück der Klägerin gehört zum unbeplanten Innenbereich. Da das Grundstück schon im Zeitpunkt der betriebsfertigen Herstellung des Kanals bebaut war, hatte sich das Tatbestandsmerkmal in § 3 Abs. 1 b) AAS „wenn sie nach der Verkehrsauffassung Bauland sind“ bereits realisiert.
Hieraus folgt, dass § 7 Abs. 1 AAS und nicht – wie der Beklagte meint – § 7 Abs. 2 AAS zur Anwendung käme. Nach § 7 Abs. 1 AAS entsteht die Beitragspflicht mit der betriebsfertigen Herstellung des Schmutzwasserkanals vor dem Grundstück einschließlich der Herstellung des Anschlusskanals für das Grundstück. § 7 Abs. 1 AAS macht demnach das Entstehen der Beitragspflicht in Übereinstimmung mit § 6 Abs. 1 NKAG nicht von einer Genehmigung abhängig.
Ohne Erfolg trägt der Beklagte vor, § 7 Abs. 2 AAS sei für Fälle wie den vorliegenden anwendbar, da für das Grundstück Kalkulationssicherheit bestanden habe und diese nur durch einen Anschluss vorzeitig beendet werden könne. § 7 Abs. 2 AAS umfasst nicht zwangsläufig den Fall des § 6a Abs. 1 Alternative 2 NKAG, sondern nur dann, wenn die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 AAS vorliegen. Nach dieser Vorschrift entsteht die Beitragspflicht im Falle des § 3 Abs. 2 AAS mit dem Anschluss, frühestens mit dessen Genehmigung. § 3 Abs. 2 AAS setzt wiederum voraus, dass die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AAS nicht erfüllt sind. Dies betrifft etwa den Fall der Bebauung eines Grundstücks im Außenbereich. Ein solcher Fall ist hier aber – wie dargelegt – nicht gegeben. Vielmehr ist § 3 Abs. 1 b) AAS einschlägig (siehe oben).
Findet § 7 Abs. 2 AAS hier keine Anwendung, verfängt auch nicht der Vortrag des Beklagten, er habe in § 7 Abs. 2 AAS von seinem Organisationsermessen Gebrauch gemacht, indem er das Entstehen der persönlichen Beitragspflicht an die Genehmigung des Anschlusses geknüpft hat.
Der Beklagte wendet weiter ein, es könne nicht zu dem Ergebnis führen, dass das Abstellen auf die Genehmigung in den Fällen, in denen der tatsächliche Anschluss vor Genehmigung der Kommune bekannt sei, für das Entstehen der Beitragspflicht nicht mehr relevant sei. Die Satzungsnormen schützten die Kommune nicht nur vor der Beitragspflicht illegaler Anschlüsse, sondern auch den Abgabepflichtigen, weil er nur dann beitragspflichtig werde, wenn ihm auch sein tatsächlicher Anschluss im Wege seiner Anschlussgenehmigung konkret erlaubt werde. Anderenfalls wäre ihm, dem Beklagten, jegliche Steuerungs- und konkrete Gestaltungsmöglichkeit über die Nutzung und den Betrieb seiner Einrichtung erheblich erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht.
Mit diesem Vortrag vermag der Beklagte jedoch nicht durchzudringen. Hat – wie im vorliegenden Fall – die abwasserbeseitigungspflichtige Kommune durch die Abnahme Kenntnis von dem tatsächlichen Anschluss, war ihr bis zum Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist auch nicht die Überprüfung erschwert, ob dadurch die sachliche Beitragspflicht entstanden und wer als persönlicher Beitragspflichtiger heranzuziehen ist. Soweit es die konkrete Ausgestaltung des Anschlussverhältnisses entsprechend den Vorgaben der Abwassersatzung einschließlich der Art und Weise der Errichtung der Grundstücksentwässerungsanlagen betrifft, berührt dies nicht das Beitragsschuldverhältnis. Im Übrigen hätte es dem Beklagten oblegen, den Grundstückseigentümer zeitnah zu einem Entwässerungsantrag zu bewegen und eine Genehmigung herbeizuführen und damit die satzungsrechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Entwässerungsgenehmigung durchzusetzen. Dass dies seine Steuerungs- und konkrete Gestaltungsmöglichkeit erheblich erschweren würde, ist nicht ersichtlich.
Vorliegend hat der Beklagte den früheren Eigentümer des Grundstücks nicht zeitnah, sondern erst sieben Jahre nach der Herstellung des Anschlusses zur Stellung eines ordnungsgemäßen Antrags veranlasst, obgleich ihm die tatsächliche Herstellung des Anschlusses auf dem Grundstück der Klägerin bekannt gewesen ist (siehe Bescheid vom 1.7.2008). Der Beklagte ist in der Zeit zwischen seiner Aufforderung an den früheren Grundstückseigentümer mit Schreiben vom 1. Juli 2008 bis zur Aufforderung mit Schreiben vom 11. Februar 2013, mithin viereinhalb Jahre, lang untätig geblieben. Erst ein Jahr später hat der Beklagte nach weiteren erfolglosen Aufforderungen mit Bescheid vom 21. Januar 2014 gegen den Grundstückseigentümer ein Zwangsgeld festgesetzt. Weitere Zwangsgeldfestsetzungen erfolgten nicht. Bis der frühere Eigentümer offenbar mit Schreiben vom 21. Juli 2015 einen ordnungsgemäßen Antrag gestellt hat, sind weitere anderthalb Jahre verstrichen.
Damit hat der Beklagte sieben Jahre lang die Einleitung des Abwassers ohne Entwässerungsgenehmigung geduldet und in Kauf genommen, dass Einleitungsbedingungen nicht erfüllt sein könnten.
Dieser Einschätzung steht nicht entgegen, dass es sich nach dem Vortrag des Beklagten bei dem Abnahmeschein vom 1. Juli 2008 nur um einen internen standardisierten Vordruck handelt. Denn auch aus diesem Vordruck ergibt sich, dass dem Beklagten die Einleitung des Abwassers in den öffentlichen Abwasserkanal am 27. Juni 2008 bekannt gewesen ist. Im Übrigen sind Durchschriften des Abnahmescheins vom 1. Juli 2008 an die Samtgemeinde/Gemeinde A-Stadt und die für die Gebühren zuständige Abteilung im Hause weitergeleitet worden. Demnach waren tatsächliche und rechtliche Wirkungen an diesen Vordruck geknüpft, auch wenn er nicht an den Voreigentümer übersandt worden ist.
Der Beklagte trägt weiter vor, dass demnach selbst ein Schwarzanschluss innerhalb der Kalkulationsfrist, von dem die Gemeinde keine Kenntnis habe, die sachliche Beitragspflicht und den Beginn der Festsetzungsverjährung auslöse. Abgesehen davon, dass der Fall eines „Schwarzanschlusses“ ohne jede Kenntnis der Gemeinde eher konstruiert erscheint, kann offen bleiben, ob auch in diesem Fall die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 Alternative 2 NKAG vorliegen, denn ein solcher „Schwarzanschluss“ liegt hier ersichtlich nicht vor.
Schließlich dringt der Beklagte nicht mit seinem Einwand durch, das Gebäude A-Straße sei erst am 19. Dezember 2014 an den Kanal angeschlossen worden und die Beitragspflicht für das gesamte Grundstück könne erst mit dem freiwilligen tatsächlichen Anschluss des letzten Gebäudes, welches Kalkulationssicherheit gehabt habe, vorzeitig vor Ablauf der Kalkulationssicherheitsfrist entstehen.
Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 9. November 2021 ausgeführt hat, ist es unbeachtlich, dass für das auf demselben Grundstück befindliche Haus Nr. 13 erst am 19. Dezember 2014 der Grundstücksanschluss hergestellt und das Abwasser in den öffentlichen Abwasserkanal eingeleitet worden ist. Denn für die betriebsfertige Herstellung des öffentlichen Kanals reicht es in aller Regel aus, dass der Grundstücksanschluss an irgendeiner Stelle auf das Grundstück gelegt oder an das Grundstück herangeführt wird. Durch die Herstellung des Anschlusses an irgendeiner Stelle wird im Regelfall die gesamte Grundstücksfläche bevorteilt, weil es der Eigentümer fast immer in der Hand hat, nach der ihm obliegenden Herstellung der privaten Grund-
stücksentwässerungsanlage alle bebaubaren Teile seines großen Grundstücks über den Anschluss zu entwässern (Senatsbeschluss vom 4.6.2003 – 9 ME 60/03 – juris Rn. 2). Dies gilt, soweit das Grundstück an irgendeiner Stelle tatsächlich an den öffentlichen Abwasserkanal angeschlossen wird. Nur wenn die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit für die Entwässerung eines Grundstücks oder bestimmter Teilflächen davon aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise nicht besteht, fehlt es hinsichtlich dieser (folglich nicht bevorteilten) Grundstücksflächen an der – für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht erforderlichen – betriebsfertigen Herstellung im Rechtssinn (Senatsbeschluss vom 4.6.2003, a. a. O., Rn. 2). Solche besonderen Umstände sind hier nicht ersichtlich. Der Grundstückseigentümer hatte rechtlich und tatsächlich die Möglichkeit, alle bebaubaren Teile seines Grundstücks über den Anschluss zu entwässern.
Maßgeblich für das Entstehen der Beitragspflicht ist daher der Zeitpunkt der tatsächlichen Herstellung des Anschlusses für das Haus Nr. 15. Der Schmutzwassersammler und der Grundstücksanschluss wurden zwar bereits am 24. Juni 2005 für die Herstellung eines zusätzlichen Grundstücksanschlusses für das Haus Nr. 15 (Flurstück F.) betriebsfertig hergestellt. Die Beitragspflicht war zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht entstanden, weil für das Grundstück wegen der Nutzung einer Kleinkläranlage Kalkulationssicherheit gemäß § 96 Abs. 6 Satz 3 NWG bestand. Dem früheren Eigentümer war mit bestandskräftigem Bescheid vom 1. Juli 2008 für das Grundstück „Kalkulationssicherheit“ bis zum 31. Oktober 2015 zugesichert worden. Am 27. Juni 2008 war jedoch bereits der Anschluss an die Schmutzwasserkanalisation hergestellt, das Abwasser von dem Grundstück tatsächlich in die öffentliche Abwasseranlage eingeleitet und der Grundstücksanschluss abgenommen worden. Zu diesem Zeitpunkt hat der frühere Eigentümer aus freien Stücken vor Ablauf der Schutzfrist am 31. Oktober 2015 den tatsächlichen Anschluss des Grundstücks herbeigeführt. Der Vertrauensschutz wegen der Nutzung seiner Kleinkläranlage ist damit ab diesem Zeitpunkt entfallen und die Beitragspflicht entstanden.
Schließlich ist nicht ersichtlich und auch im Berufungsverfahren nicht vorgetragen worden, dass dieser Grundstücksanschluss für das Haus Nr. 15 am 27. Juni 2008 – etwa wegen einer zu erwartenden Verlegung des Anschlusses an eine andere Stelle – nur provisorisch hergestellt worden wäre und das Grundstück erst nach diesem Zeitpunkt endgültig angeschlossen werden sollte.
Daher ist die Festsetzung des Beitrags mit Bescheid vom 16. März 2017 infolge der vierjährigen Festsetzungsverjährung gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4b, Abs. 3 NKAG i. V. m. §§ 169 ff. AO verjährt. Der Bescheid des Beklagten vom 16. März 2017 ist deshalb in dem noch streitigen Umfang aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
Beschluss
Der Streitwert wird gemäß §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG auf 9.401,07 EUR festgesetzt.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).