Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.05.2022, Az.: 13 ME 127/22

Abschiebebedingungen; Abschiebungsanordnung; Abschiebungsverbot, zielstaatsbezogenes; Ausländerbehörde; Aussetzung der Abschiebung; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; Fiktionswirkung; Gesamtzuständigkeit; Ob; Reiseunfähigkeit; Verfahrensduldung; Vollstreckungshindernis, inlandsbezogenes; Wie

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.05.2022
Aktenzeichen
13 ME 127/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59559
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 06.04.2022 - AZ: 13 B 1264/22

Tenor:

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 13. Kammer - vom 6. April 2022 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

II. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 13. Kammer - vom 12. April 2022 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

I. 13 ME 127/22

1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 13. Kammer - vom 6. April 2022 bleibt ohne Erfolg. Die von dem Antragsteller mit der Beschwerde geltend gemachten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, gebieten eine Änderung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung im Ergebnis nicht.

a. Der Hauptantrag (Antragsschriftsatz v. 24.3.2022, S. 2, und Beschwerdebegründung v. 6.5.2022, S. 1), die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (VG Hannover, 13 A 1263/22) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 23. Februar 2022 (Blatt 3 ff. der Gerichtsakte) über die Ablehnung der Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Fiktionsbescheinigung, einer Duldung oder einer Aufenthaltsgestattung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzuordnen, ist bereits unzulässig. Ersichtlich hat keiner dieser Anträge eine der Fiktionswirkungen des § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG ausgelöst, so dass die Ablehnung der Anträge eine solche Fiktionswirkung nicht zum Erlöschen gebracht hat und folglich eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO dem Antragsteller keinen rechtlichen Vorteil zu vermitteln vermag (vgl. zur Anwendung und Abgrenzung der §§ 80 Abs. 5 und 123 VwGO in aufenthaltsrechtlichen Eilverfahren: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 20.9.2018 - 11 S 1973/18 -, juris Rn. 13 m.w.N.).

b. Der Hilfsantrag (Antragsschriftsatz v. 24.3.2022, S. 2, und Beschwerdebegründung v. 6.5.2022, S. 1), den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Aussetzung der Abschiebung zu verpflichten, ist unbegründet. Der Antragsteller hat einen gegen den Antragsgegner gerichteten (Anordnungs-)Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht glaubhaft gemacht.

Der Antragsteller behauptet eine rechtliche Unmöglichkeit seiner Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, die sich aus dem Bestehen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG und dessen beabsichtigter Durchsetzung im Bundesgebiet (sog. Verfahrensduldung; vgl. hierzu im Allgemeinen: Senatsbeschl. v. 22.8.2017 - 13 ME 213/17 -, juris Rn. 3, und zur Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG: Senatsbeschl. v. 10.3.2022 - 13 ME 53/22 -, V.n.b. Umdruck S. 7) oder aus einer krankheitsbedingten Reiseunfähigkeit unter Berücksichtigung der Schutzwirkungen des Art. 2 Abs. 2 GG (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen: Senatsbeschl. v. 7.9.2017 - 13 ME 157/17 -, juris Rn. 4; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 29.3.2011 - 8 LB 121/08 -, juris Rn. 47 jeweils m.w.N.) ergeben soll.

Ein daran anknüpfender (Anordnungs-)Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung scheitert hier schon daran, dass dem Antragsgegner als zuständiger Ausländerbehörde in der vorliegenden Konstellation bezogen auf das "Ob" einer Abschiebung keine eigene Prüfungs- und Entscheidungskompetenz hinsichtlich inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse und zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote zusteht.

Die Abschiebung des Antragstellers kann derzeit - allenfalls - nach Bulgarien auf der Grundlage der in Ziffer 3. des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 15. Juni 2021 enthaltenen Abschiebungsanordnung erfolgen. In Ziffer 2. dieses Bescheids ist festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Einen hiergegen gerichteten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht Hannover mit Beschluss vom 21. März 2022 (2 B 887/22) unanfechtbar abgelehnt. Trotz des Antrags des Antragstellers auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens vom 10. März 2022 (Blatt 7 der Gerichtsakte) hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Antragsgegner unter dem 22. März 2022 mitgeteilt, dass die Abschiebungsanordnung weiterhin vollziehbar ist (vgl. Schriftsatz des Antragsgegners v. 30.3.2022, S. 2 = Blatt 17R der Gerichtsakte). Dass der Antragsgegner allenfalls eine darauf gestützte Abschiebung erwägt, hat er mit der erstinstanzlichen Antragserwiderung vom 30. März 2022 (Blatt 17 der Gerichtsakte) hinreichend deutlich gemacht.

In dieser Fallgestaltung, in der eine Abschiebung allein auf der Grundlage einer vollziehbaren Abschiebungsanordnung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nach § 34a AsylG erfolgen soll, obliegt es allein dem Bundesamt zu prüfen, ob i.S.d. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG (weiterhin) "feststeht", dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Es hat damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 17.9.2014 - 2 BvR 732/14 -, juris Rn. 11 m.w.N. insbes. aus der obergerichtlichen Rechtsprechung; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 4.2.2022 - 10 ME 8/22 -, juris Rn. 18; Senatsbeschl. v. 20.6.2017 - 13 PA 104/17 -, juris Rn. 12 ff.; v. 20.2.2017 - 13 ME 251/16 -, V.n.b., S. 3 des Beschlussabdrucks, und - grundlegend - v. 2.5.2012 - 13 MC 22/12 -, InfAuslR 2012, 298, juris Rn. 27; siehe aber auch BVerwG, Beschl. v. 27.3.2017 - 1 B 23.17 -, juris Rn. 1). Insoweit besteht eine von der gewöhnlichen Rollenverteilung zwischen Bundesamt und Ausländerbehörde abweichende "Gesamtzuständigkeit" des Bundesamts, die eine Entscheidung aus "einer Hand" sichern soll (vgl. Hamburgisches OVG, Beschl. v. 3.12.2010 - 4 Bs 223/10 -, juris Rn. 13, 16). Das gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen. Gegebenenfalls hat das Bundesamt die Abschiebungsanordnung aufzuheben oder die Ausländerbehörde anzuweisen, von deren Vollziehung abzusehen (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 12; Bayerischer VGH, Beschl. v. 12.3.2014 - 10 CE 14.427 -, juris Rn. 4). Solange die Abschiebungsanordnung nicht aufgehoben worden ist, kommt der Ausländerbehörde, die die Abschiebungsanordnung des Bundesamts nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG durchführt, grundsätzlich keine eigene Entscheidungskompetenz bezüglich der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung wegen eines nachträglich geltend gemachten (inlands- oder zielstaatsbezogenen) Abschiebungshindernisses zu. Sie kann deshalb auch nicht - wie der Antragsteller es jedoch hier begehrt - im Wege einer gegen sie gerichteten einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Anspruch genommen werden. Anderes gilt unter Berücksichtigung des Gebots der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) nur in (zeitlich) extrem zugespitzten Ausnahmefällen, in denen auf dem dargelegten vorrangigen Rechtsschutzweg eine vorläufige Aussetzung der Abschiebung für den Betroffenen nicht mehr erreichbar ist, etwa weil die begehrte Mitteilung des Bundesamts an die Ausländerbehörde offensichtlich zu spät käme (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 21.4.2015 - 10 CE 15.810, 10 C 15.813 -, juris Rn. 5 f.). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor. Der Antragsteller hat vielmehr den asylrechtlichen Weg bereits - erfolglos - beschritten und wäre mit Blick auf etwaige nachträgliche Änderungen auf das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO gegenüber dem Bundesamt zu verweisen. Im Verhältnis zum Antragsgegner als zuständiger Ausländerbehörde ist der Antragsteller mit der Geltendmachung auf eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung hinauslaufender inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse und zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote hingegen ausgeschlossen.

Auch ist ein (isoliert) die Abschiebebedingungen (das "Wie" der Abschiebung) betreffender (Anordnungs-)Anspruch des Antragstellers hier nicht zu prüfen. Zwar liegt die Gestaltung des Abschiebevorgangs auch bei einer Abschiebung aufgrund einer Abschiebungsanordnung des Bundesamts - grundsätzlich - in der Zuständigkeit und im Ermessen der Ausländerbehörde. Ob darauf bezogene Ansprüche des Antragstellers bestehen, kann jedoch dahinstehen, weil diese nicht von dessen Begehren erfasst sind. Denn er akzeptiert bereits das "Ob" der Abschiebung nicht und verfolgt hinsichtlich des "Wie" der Abschiebung keine konkreten Änderungen an deren Modalitäten.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

3. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nrn. 1 und 2, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1 GKG und Nrn. 8.1 und 1.5 Satz 1 Halbsatz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Hauptantrag) sowie Nrn. 8.3 und 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Hilfsantrag).

II. 13 PA 133/22

1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 13. Kammer - vom 12. April 2022 bleibt ohne Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt. Denn dem erstinstanzlichen Rechtsschutzbegehren kommt auch nach der im Prozesskostenhilfeverfahren nur vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.2.2007 - 1 BvR 474/05 -, NVwZ-RR 2007, 361, 362 - juris Rn. 11) unter Berücksichtigung des Zwecks der Prozesskostenhilfebewilligung die gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht nicht zu (vgl. zu im Hauptsacheverfahren einerseits und im Prozesskostenhilfeverfahren andererseits anzulegenden unterschiedlichen Maßstäben: BVerfG, Beschl. v. 8.7.2016 - 2 BvR 2231/13 -, juris Rn. 10 ff. m.w.N.). Zur weiteren Begründung verweist der Senat auf die Ausführungen in diesem Beschluss zu I.1.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO. Ein Streitwert ist nicht festzusetzen. Für die Höhe der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens gilt der streitwertunabhängige Kostentatbestand in Nr. 5502 der Anlage 1 (Kostenverzeichnis) zum Gerichtskostengesetz (vgl. zur Entstehung von Gerichtskosten bei Zurückweisung einer PKH-Beschwerde: Senatsbeschl. v. 28.3.2019 - 13 PA 65/19 -, juris Rn. 3).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).