Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 31.05.2022, Az.: 13 PS 135/22

ehrenamtlicher Richter; Entschädigung; Festsetzung; Übernachtungskosten; Zumutbarkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
31.05.2022
Aktenzeichen
13 PS 135/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59569
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 15 Abs. 2 Satz 3 JVEG ist der Grundsatz zu entnehmen, dass ehrenamtliche Richterinnen und Richter pro Tag nicht mehr als zehn Stunden in Anspruch genommen werden sollen. Geschieht dies ausnahmsweise doch, so überschreitet dies regelmäßig die Grenze der Zumutbarkeit mit der Folge, dass ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern die Kosten einer Übernachtung zu erstatten sind.

Tenor:

Die Entschädigung für die Teilnahme der ehrenamtlichen Richterin B. an der Sitzung des 12. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts am 24. Juni 2021 wird auf 399,00 EUR festgesetzt.

Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I. Die Festsetzung der Entschädigung der ehrenamtlichen Richterin durch den Senat beruht auf § 4 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen und Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz - JVEG -). Danach erfolgt die Festsetzung durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse, hier der Bezirksrevisor bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht, die gerichtliche Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält. Die Zuständigkeit des Senats ergibt sich aus § 4 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 JVEG in Verbindung mit der Geschäftsverteilung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts. Die vorherige Anweisung durch den Kostenbeamten vom 8. Juli 2021 wird durch diese Entscheidung gegenstandslos (vgl. Jahnke/Pflüger, JVEG, 28. Aufl. 2021, § 4 Rn. 1).

Auf den danach statthaften und auch sonst zulässigen Antrag des Bezirksrevisors bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht vom 18. März 2022 ist für die Teilnahme der ehrenamtlichen Richterin B. an der Sitzung des 12. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts am 24. Juni 2021 eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 399,00 EUR festzusetzen, die sich aus Übernachtungskosten in Höhe von 70,00 EUR (1.), Tagegeld in Höhe von 28,00 EUR (2.), Entschädigung für Zeitversäumnis in Höhe von 91,00 EUR (3.) und Fahrtkostenersatz in Höhe von 210,00 EUR (4.) zusammensetzt.

1. Die von der ehrenamtlichen Richterin geltend gemachten Übernachtungskosten sind im vorliegenden Fall in Höhe von 70,00 EUR erstattungsfähig.

a. Die Erstattung von Übernachtungskosten richtet sich nach § 6 Abs. 2 JVEG. Nach dieser Vorschrift wird ein Übernachtungsgeld nach den Bestimmungen des Bundesreisekostengesetzes gewährt, wenn eine auswärtige Übernachtung notwendig ist. Der Begriff der Notwendigkeit wird durch das JVEG nicht definiert und bedarf daher der Auslegung. Die Notwendigkeit der Übernachtung ist nach objektiven Kriterien zu ermitteln. Dabei sind auch der haushaltsrechtliche Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, der im gesamten Kostenrecht und damit auch für die Entschädigung von Zeugen, Sachverständigen, Dritten, ehrenamtlichen Richtern und Beteiligten gilt, und das daraus resultierende Gebot der Kostendämpfung und Kostenminimierung zu beachten. Von einer objektiven Notwendigkeit ist dann auszugehen, wenn dem Beteiligten die An- bzw. Rückreise zu dem gerichtlich angeordneten Termin nicht am selben Tag mehr möglich im Sinne von zumutbar ist (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 1.7.2020 - 4 StE 1/17-, Rn. 16 veröffentlicht unter www.rechtsprechung.niedersachsen.de; OLG Braunschweig, Beschl. v. 26.5.2015 - 3 U 31/14 -, juris Rn. 4; Thüringer LSG, Beschl. v. 11.1. 2016 - L 6 JVEG 1340/15 -, juris Rn. 16; Bayerisches LSG, Beschl. v. 4.11.2014 - L15 SF 198/14 -, juris Rn. 99 ff.; Jahnke/Pflüger, a.a.O., § 6, Rn. 4; Bleutge, in: BeckOK KostR, 37. Ed., Stand 1.4.2022, JVEG § 6 Rn. 6; Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, JVEG § 6 Rn. 7; Toussaint, Kostenrecht, 52. Aufl. 2022, § 7 JVEG, Rd-Nr. 8.). Bei der Bestimmung des Zumutbaren sind Nr. 2.1.4 der Verwaltungsvorschriften zur Niedersächsischen Reisekostenverordnung (VV-NRKVO) und Nr. 3.2.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesreisekostengesetz (BRKGVwV) zu berücksichtigten, wonach grundsätzlich Dienstreisen nicht vor 6.00 Uhr anzutreten und nicht nach 24.00 Uhr zu beenden sein sollen.

Die Berücksichtigung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit stellt jedoch kein alleiniges und auch kein abschließendes Kriterium bei der Auslegung des Begriffs der Zumutbarkeit dar. Das Land Niedersachsen ist ein großes Flächenland, in dem ehrenamtliche Richterinnen und Richter teilweise lange Anfahrtszeiten hinnehmen müssen, um an den Sitz des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in Lüneburg zu gelangen. Dennoch soll es in ganzer Breite durch die Herkunft der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter auch beim Oberverwaltungsgericht repräsentiert werden. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung auf eine hinreichende Anzahl ehrenamtlicher Richterinnen und Richter angewiesen ist, die sich regelmäßig auf freiwilliger Basis zur Übernahme dieses Ehrenamtes bereit erklären. Von ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern kann zudem nicht in gleicher Weise wie von Berufsrichterinnen und Berufsrichtern verlangt werden, sich in zeitlicher Hinsicht mit voller Hingabe ihrem „Beruf“ zu widmen, schon weil es sich für sie nicht um ihren Beruf handelt. Vor diesem Hintergrund können die genannten Uhrzeiten nur als Richtschnur für den zumutbaren Beginn oder das zumutbare Ende der Inanspruchnahme ehrenamtlicher Richterinnen und Richter angesehen werden, nicht aber als Regelung der zumutbaren Dauer der Inanspruchnahme an einem Werktag. Regelmäßig wird von ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern nicht verlangt werden können, den genannten Zeitraum auszuschöpfen, sich also um 6.00 Uhr auf die Reise zu begeben und erst um 24.00 Uhr desselben Tages wieder zu Hause einzutreffen. Dies ergibt sich insbesondere aus der Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 3 JVEG, wonach eine Entschädigung für nicht mehr als zehn Stunden je Tag gewährt wird. Dieser Regelung ist der Grundsatz zu entnehmen, dass ehrenamtliche Richterinnen und Richter pro Tag nicht mehr als zehn Stunden in Anspruch genommen werden sollen (vgl. zum Zusammenhang von Höchstdauer und Entschädigung: Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über die Entschädigung der ehrenamtlichen Richter bei den Gerichten, BT-Drs. 2/3099, S. 11; vgl. zur Notwendigkeit der Übernachtungskosten einer Partei: OLG Dresden, Beschl. v. 1.4.1998 - 15 W 374/98 -, juris Rn. 16). Geschieht dies ausnahmsweise doch, so überschreitet dies regelmäßig die Grenze der Zumutbarkeit mit der Folge, dass ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern die Kosten einer Übernachtung zu erstatten sind (vgl. dahingehend auch Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 21.3.2011 - 2 OA 368/10 -, V.n.b., Umdruck S. 4 f.).

Unter Anwendung dieser Grundsätze sind im vorliegenden Fall der ehrenamtlichen Richterin die Kosten einer Übernachtung zu erstatten.

Die ehrenamtliche Richterin war ausweislich der Ladung vom 21. Mai 2021 für Donnerstag, den 24. Juni 2021, um 9.45 Uhr zur Sitzung des 12. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts geladen. Um 14.15 Uhr des Sitzungstages wurde sie entlassen. Daraus ergibt sich eine reine Sitzungs- bzw. Beratungszeit von viereinhalb Stunden.

Hinzuzurechnen sind die nach § 15 Abs. 2 Satz 2 JVEG vollständig anrechenbaren notwendigen Reise- und Wartezeiten. Es sind diejenigen Zeiten einzubeziehen, die sich aus der Benutzung des von der ehrenamtlichen Richterin zulässigerweise gewählten Verkehrsmittels ergeben. Dabei geht der Senat mit dem Bezirksrevisor von einer notwendigen Anreisezeit vom Wohnort der ehrenamtlichen Richterin mit dem PKW einschließlich eines allgemeinen Sicherheitszuschlags für Verkehrsbehinderungen sowie einer kurzen Erholungspause von dreieinhalb Stunden aus. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen des Bezirksrevisors in seinem Schriftsatz vom 18. März 2022 verwiesen, die sich der Senat aufgrund eigener Prüfung zu eigen macht. Die ehrenamtliche Richterin ist dieser Berechnung zwar mit ihrem Schriftsatz vom 12. Mai 2022 entgegengetreten, hat aber keine substantiierten Angaben zur Gesamtfahrzeit gemacht. Danach reichte eine Abfahrt um 6.15 Uhr zur rechtzeitigen Erreichung des Termins aus. Für die Rückfahrt geht der Senat von einer Gesamtfahrzeit einschließlich einer kurzen Erholungspause von drei Stunden aus. Bei der Anreise am Tag zuvor oder der Rückkehr bedarf es keiner Berücksichtigung eines Sicherheitszuschlags, da diese nicht termingebunden ist. Die sich daraus ergebende Gesamtfahrzeit von sechseinhalb Stunden ergibt zusammen mit der Sitzungszeit von viereinhalb Stunden eine notwendige Abwesenheitszeit von elf Stunden und übertrifft damit die von § 15 Abs. 2 Satz 3 JVEG zugrunde gelegte maximale Dauer der Heranziehung, so dass die Kosten einer Übernachtung dem Grunde nach zu erstatten sind. Dabei ist es unerheblich, ob die ehrenamtliche Richterin diese Möglichkeit nutzt, um am Vortag des Sitzungstages anzureisen oder aber, um am Tag nach dem Sitzungstag abzureisen.

b. Die Erstattung der Übernachtungskosten ist der Höhe nach jedoch auf 70,00 EUR begrenzt. Nach § 6 Abs. 2 JVEG wird bei notwendigen auswärtigen Übernachtungen ein Übernachtungsgeld nach den Bestimmungen des Bundesreisekostengesetzes (BRKG) gewährt. Nach § 7 Abs. 1 BRKG erhalten Dienstreisende für eine notwendige Übernachtung pauschal 20,00 EUR. Höhere Übernachtungskosten werden erstattet, soweit sie notwendig sind. Nach Nr. 7.1.3 BRKGVwV sind Übernachtungskosten als notwendig anzusehen, wenn ein Betrag 70,00 EUR nicht überschritten wird. Übersteigen die Übernachtungskosten diesen Betrag, ist deren Notwendigkeit im Einzelfall zu begründen. Das ist vorliegend durch die ehrenamtliche Richterin nicht geschehen.

2. Hinzuzurechnen ist ein Tagegeld nach § 6 Abs. 1 JVEG in Verbindung mit § 9 Abs. 4a Satz 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von zweimal 14,00 EUR = 28,00 EUR.

3. Die Entschädigung für Zeitversäumnis nach § 16 JVEG in Verbindung mit § 15 Abs. 2 JVG (vgl. zu dessen Anwendung: Toussaint, a.a.O., § 16 JVEG, Rn. 3) beträgt 70,00 (= 10 Stunden x 7,00 EUR/Stunde) EUR für den Sitzungstag und 21,00 (3 Stunden x 7,00 EUR/Stunde) EUR für den vorherigen Tag der Anreise oder den nachfolgenden Tag der Abreise, insgesamt also 91,00 EUR.

4. Der Fahrtkostenersatz nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 JVEG (0,42 EUR je gefahrenen Kilometer) beträgt bei 500 gefahrenen Kilometern zwischen dem Heimatort der ehrenamtlichen Richterin und dem Gerichtort einschließlich der Rückfahrt 210,00 EUR. Die Entrichtung von Parkentgelten war nicht erforderlich, da in der Nähe des Gerichts hinreichender Parkraum kostenfrei zur Verfügung stand.

Damit beträgt der Gesamtbetrag der festzusetzenden Entschädigung 399,00 EUR.

II. Nach § 4 Abs. 8 JVEG ist das Verfahren gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).