Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 31.05.2022, Az.: 1 LA 129/21
Altenteiler; Nebenerwerbsbetrieb; Nebenerwerbslandwirt; Privilegierung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 31.05.2022
- Aktenzeichen
- 1 LA 129/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 59568
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 22.07.2021 - AZ: 2 A 1/20
Rechtsgrundlagen
- § 35 Abs 1 Nr 1 BauGB
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein Altenteilerwohnhaus für einen landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb ist jedenfalls dann nicht privilegiert, wenn der Betriebsgewinn pro Arbeitsstunde unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns liegt.
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 2. Kammer (Einzelrichter) - vom 22. Juli 2021 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt einen bauplanungsrechtlichen Bauvorbescheid zur Errichtung eines Altenteilerwohnhauses für einen landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb.
Der Kläger ist Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes mit 25 ha land- und ca. 11 ha forstwirtschaftlicher Nutzfläche, die überwiegend in seinem Eigentum stehen, sowie einem Tierbestand von 48 Mastbullen. Eine im Zuge des Vorbescheidsverfahrens eingeholte Stellungnahme der Landwirtschaftskammer gibt den durchschnittlichen Jahresgewinn der letzten drei Jahre mit 11.500 EUR und den - wohl anhand von Vergleichswerten überschlagenen - jährlichen Arbeitszeitbedarf mit 750 Stunden an. Der Kläger betreibt den Hof im Nebenerwerb neben einer Angestelltentätigkeit, sein als Betriebsnachfolger vorgesehener Sohn, hauptberuflich Wirtschaftsinformatiker, hat nach seinen Angaben seit Jahren im Betrieb mitgearbeitet. Die Hofstelle liegt auf der Südseite der Straße E..
Eine Bauvoranfrage des Klägers vom 14. Februar 2019 zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der Errichtung eines Altenteilerwohnhauses für den Betrieb auf der Nordseite der E., ca. 27 m von der Straße zurückgesetzt, beschied der Beklagte negativ; den Widerspruch des Klägers wies er zurück.
Die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Vorhaben „diene“ nicht dem landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers. Das Bundesverwaltungsgericht habe in seinem Urteil vom 24. Oktober 1980 (- 4 C 35.78 -, ZfBR 1981, 38 = juris Rn. 10) ausgeführt, dass bei einem Altenteilerwohnhaus für einen Nebenerwerbsbetrieb das Merkmal des Dienens nur dann zu bejahen sei, wenn dieser einen solchen Umfang habe, dass er fast einem Vollerwerbsbetrieb entspreche. Das sei hier angesichts des Vieh- und Flächenbestandes, des berechneten Arbeitszeitbedarfs und des durchschnittlichen Gewinns nicht der Fall. Darüber hinaus stehe auch der von der Hofstelle abgesetzte Standort des Bauvorhabens einer Privilegierung entgegen. Als sonstiges Vorhaben i.S.d. § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtige das Vorhaben die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 5 und 7 BauGB.
II.
Der dagegen gerichtete, auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nrn. 1-4 VwGO gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind dann dargelegt, wenn es dem Rechtsmittelführer gelingt, wenigstens einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit plausiblen Gegenargumenten derart in Frage zu stellen, dass sich dadurch etwas am Entscheidungsergebnis ändern würde. Überwiegende Erfolgsaussichten sind nicht erforderlich, es genügt, wenn sich diese als offen erweisen. Ist das Urteil je selbständig tragend auf mehrere Erwägungen gestützt, so muss jede von diesen mit einem durchgreifenden Zulassungsgrund angegriffen werden. Das ist dem Kläger nicht gelungen.
Ohne Erfolg stellt der Kläger die selbständig tragende Erwägung des Verwaltungsgerichts in Frage, das geplante Altenteilerwohnhaus könne dem Betrieb schon deshalb nicht i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB dienen, weil der Betrieb dafür nicht den erforderlichen Umfang aufweise. Tragend für die vom Verwaltungsgericht seiner Würdigung zugrunde gelegte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 24.10.1980 - 4 C 35.78 - ZfBR 1981, 38 = juris Rn. 10 ff.) war der Gedanke, dass ein vernünftiger Nebenerwerbslandwirt unter Berücksichtigung des Gebots größtmöglicher Schonung des Außenbereichs ein Altenteilerwohnhaus in aller Regel bereits deshalb nicht errichten werde, weil dies wirtschaftlich nicht sinnvoll ist (vgl. die dortige juris Rn. 11, ferner Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand d. Bearb.: Oktober 2019, § 35 Rn. 43; Dürr, in: Brügelmann, BauGB, Stand d. Bearb.: Juli 2020, § 35 Rn. 56). Dem ist zuzustimmen.
Dass diese Erwägung auch im vorliegenden Fall greift und eine Privilegierung des Vorhabens des Klägers ausschließt, wird durch dessen Zulassungsvorbringen eher bestätigt denn widerlegt. Dass der Betrieb in seiner heutigen Form lediglich einen Jahresgewinn von 11.500 EUR erwirtschaftet, stellt der Kläger im Zulassungsverfahren nicht in Frage. Wenn dies, wie er vorträgt, nicht mit dem von der Landwirtschaftskammer veranschlagten Arbeitszeitbedarf von 750 Stunden, sondern, wie er selbst vorträgt, nur mit einem Arbeitsaufwand von 1.224 Stunden zzgl. weiterer Stunden für Ungeplantes, insgesamt (4 Stunden täglich x 365 Tage =) 1.460 Stunden jährlich möglich ist, so ergibt sich - darauf weist der Beklagte zu Recht hin - ein Stundenlohn, der mit knapp 7,90 EUR deutlich unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegt. Unabhängig davon, dass damit bereits die Nachhaltigkeit des Betriebes überhaupt in Frage gestellt ist, würde ein vernünftiger Landwirt einen derart geringen Arbeitsertrag nicht noch durch die Zinslasten für den Bau eines zweiten Wohnhauses schmälern.
Inwieweit der vom Kläger zur Begründung seines Zulassungsantrags angeführte Strukturwandel in der Landwirtschaft an diesem Befund etwas ändern soll, ist nicht ersichtlich. Die Tatsache, dass es mittlerweile mehr Nebenerwerbsbetriebe gibt als zur Zeit der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, macht die Belastung solcher Betriebe durch ein Altenteilerwohnhaus nicht wirtschaftlicher.
Aus dem Senatsurteil vom 30. März 1990 (- 1 A 114/87 -, BRS 50 Nr. 89, in juris nur Ls.) vermag der Kläger keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils herzuleiten. In dieser Entscheidung hatte der Senat - ebenso wie das Verwaltungsgericht - nicht allein die bewirtschaftete Fläche beurteilt, sondern in einer Gesamtschau des Betriebes festgestellt, dass dieser ein Altenteilerwohnhaus „tragen“ könne. Insbesondere hatte er darauf abgestellt, dass der in Rede stehende Betrieb - trotz einer geringeren Flächenausstattung als im vorliegenden Fall - im Jahr 1986 einen Gewinn von 19.000 DM erzielte, der nach dem damals bereits vorliegenden, vom Senat als realistisch eingeschätzten Erweiterungskonzept des Betriebsnachfolgers auf 25.000 DM gesteigert werden konnte. Nach heutiger Kaufkraft wären dies etwa 23.250 EUR (Umrechnung nach dem im Internet verfügbaren Rechner der Bundesbank - https://bit.ly/3M6muue -), mithin rund das Doppelte des vom Kläger Erwirtschafteten.
Soweit der Kläger ein Erweiterungspotential seines Betriebes andeutet, ist darauf hinzuweisen, dass Gegenstand der bauplanungsrechtlichen Betrachtung des Beklagten der Betrieb in seiner gegenwärtigen Form ist. Allenfalls konkrete Erweiterungspläne, die in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Errichtung des Altenteilerhauses verwirklicht werden sollen, könnten in die Betrachtung mit einbezogen werden; solche Planungen hat der Antragsteller aber - auch im Zulassungsverfahren - nicht vorgetragen.
Ob ernstliche Zweifel an der zweiten tragenden Erwägung des Verwaltungsgerichts, die räumliche Absetzung des Gebäudes von der Hofstelle schließe eine Privilegierung aus, bestehen, kann angesichts dessen dahinstehen.
2.
Vor dem Hintergrund des Vorgenannten greifen auch die übrigen geltend gemachten Zulassungsgründe nicht durch. Die vom Kläger als tatsächlich schwierig bezeichneten Fragen im Zusammenhang mit der Lage des Vorhabens und dem Betriebsübergang würden sich im Berufungsverfahren nicht stellen. Auch Fragen des Betriebsumfangs sind hinreichend geklärt; die insoweit letztlich entscheidenden Angaben der Landwirtschaftskammer zum Jahresgewinn hat der Kläger weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren in Frage gestellt, obwohl dazu im Falle einer besseren Ertragslage Anlass bestanden hätte. Der vom Kläger geltend gemachte höhere Arbeitsaufwand seines Betriebes führt - wie dargelegt - nicht zu einer günstigeren Bewertung seines Vorhabens. Besondere rechtliche Schwierigkeiten weist die Rechtssache ebenfalls nicht auf. Die Kernfrage des Falls ist durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Oktober 1980, das insoweit im Übrigen auch nur die allgemeine Rechtsprechung zur Bedeutung des Tatbestandsmerkmals des „Dienens“ auf die Fallkonstellation des Altenteilerwohnhauses für Nebenerwerbsbetriebe anwendet, geklärt. Wie dargelegt, berührt der Strukturwandel in der Landwirtschaft diese Subsumtion nicht.
Eine grundsätzliche Bedeutung der Frage, ob für einen Nebenerwerbsbetrieb die Errichtung eines Altenteilerwohnhauses nur gem. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ausnahmsweise privilegiert ist, wenn dieser in seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und seinem Umfang an einen Vollerwerbsbetrieb fast heranreicht, vermag der Senat ebenfalls nicht zu erkennen. Als Faustformel hat dieser Satz aus den vorgenannten Gründen weiter seine Berechtigung; ob eine Abweichung (etwa bei kleinen, aber besonders gewinnträchtigen Betrieben) gerechtfertigt ist, ist einzelfallbezogen nach den Anforderungen an das Merkmal des „Dienens“ zu beurteilen, die das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung formuliert. Gelegenheit, fallübergreifende Grundsätze zu formulieren, bietet der vorliegende Fall in dieser Hinsicht nicht.
Eine Zulassung wegen Abweichung von der Senatsentscheidung vom 30. März 1990 (- 1 A 114/87 -, BRS 50 Nr. 89) kommt ebenfalls nicht in Betracht. Dem vom Kläger dieser Entscheidung entnommenen Rechtssatz
„Ein landwirtschaftlicher Nebenerwerbsbetrieb kann mit einem Umfang bewirtschafteter Flächen von 9,5 ha eine Privilegierung eines dem Betrieb dienenden Altenteilerhauses beanspruchen“
hat das Verwaltungsgericht so nicht widersprochen; es hat keine Mindestflächenausstattung benannt, bei der ein Betrieb ein Altenteilerwohnhaus „tragen“ könnte. Vielmehr hat es aus einer Gesamtschau des klägerischen Betriebes abgeleitet, dass dies nicht der Fall sei. Vor dem Hintergrund, dass gerade der für die Wirtschaftlichkeit des Baus eines Altenteilerwohnhauses bedeutsame Betriebsgewinn im vorliegenden Fall deutlich niedriger liegt als im seinerzeit vom Senat entschiedenen Fall, ist, wie bereits dargelegt, auch in der Sache ein Widerspruch zwischen beiden Entscheidungen nicht zu erkennen.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).