Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.08.2010, Az.: 11 LB 405/08
Aufhebung einer im Jahr 2000 vom Bundesamt ausgesprochenen Asylanerkennung und Flüchtlingsanerkennung eines damals minderjährigen türkischen Staatsangehörigen mit kurdischer Volkszugehörigkeit bei späterer Verurteilung zu einer Jugendstrafe von mehr als drei Jahren
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.08.2010
- Aktenzeichen
- 11 LB 405/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 22739
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0811.11LB405.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 08.07.2008 - AZ: 13 A 254/08
Rechtsgrundlagen
- § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG
- § 73 Abs. 4 AsylVfG
- § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG
Fundstellen
- AUAS 2010, 236-240
- DVBl 2010, 1322
Amtlicher Leitsatz
Zur Aufhebung einer im Jahr 2000 vom Bundesamt ausgesprochenen Asyl- und Flüchtlingsanerkennung eines damals minderjährigen türkischen Staatsangehörigen mit kurdischer Volkszugehörigkeit, der nachfolgend zu einer Jugendstrafe von mehr als drei Jahren verurteilt worden ist
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Asyl- und Flüchtlingsanerkennung.
Er ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Nach seinem Nüfus ist er am 4. November 1986 in der Türkei geboren worden. Nach eigenen Angaben und nach ärztlicher Überprüfung ist er tatsächlich aber älter. Sein Geburtsdatum wurde deshalb standesamtlich mit Wirkung für den deutschen Rechtsraum auf den 4. November 1982 festgesetzt.
Mit Schreiben vom 24. Januar 2000, beim Bundesamt eingegangen am 31. Januar 2000, äußerte der Kläger bzw. sein Vormund für ihn ein Asylbegehren; zum Vormund des Klägers war sein Onkel bestellt worden, der auf der Grundlage eines Urteils des 2. Senats des erkennenden Gerichts vom 13. Oktober 1999 (- 2 L 5570/94 -) als Flüchtling (§ 51 Abs. 1 AuslG) anerkannt worden war.
Am 3. März 2000 fand die Anhörung des Klägers statt, der dabei von seinem Vormund begleitet wurde. Der Kläger legte im Rahmen der Anhörung weitere Unterlagen vor, u.a. eine ärztliche Bescheinigung vom 2. Februar 2000. Danach befinden sich am Hals des Klägers zahlreiche parallele hellere Narben, im Einzelnen ca. 15 cm lang, praktisch bandförmig um den Hals herum. Weitere Narben verlaufen im Bereich beider Arme, im Bereich der Brust sowie der Oberschenkel. Die Verletzungen lägen ca. eineinhalb Jahre zurück. Außerdem reichte der Kläger Unterlagen ein, wonach sein Vormund (und Onkel) in der Türkei seit 1993 (u.a.) wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt sowie Beschädigung von staatlichem Eigentum strafrechtlich mit Haftbefehl gesucht werde; zusätzlich sei gegen diesen Onkel in der Türkei ein weiteres Strafverfahren wegen exilpolitischer Aktivitäten anhängig.
Im Rahmen der in kurdisch-kurmanci erfolgten Anhörung gab der Kläger auf Nachfrage zu seinem Geburtsjahr an, dass er mutmaßlich älter als im Nufüs angegeben sei. Er wisse aber nicht genau, wann er geboren sei. Seine Eltern lebten noch in der Türkei, und zwar in der "B.straße 63" (wohl in Adana). Er sei zwei Jahre lang unregelmäßig zur Schule gegangen. Danach habe er seinem Vater beim Obstverkauf geholfen. Er spreche nur sehr schlecht türkisch. Er sei "im Dorf geboren". Nach einigen Jahren seien seine Eltern nach Adana gezogen und hätten dort gelebt. Er sei der Älteste von insgesamt sechs Geschwistern. Seine Geschwister lebten noch zu Hause bei den Eltern. Zu seinem Verfolgungsgrund befragt gab der Kläger an, dass er 1998 zusammen mit zwei Freunden "Wände mit Parolen beschmiert habe" und dabei von der Polizei entdeckt worden sei, während seinen Freunden die Flucht gelungen sei. Er sei auf eine Polizeiwache gebracht, dort drei Tage lang festgehalten und nach dem Wohnort seines Vaters und seines Onkels befragt worden. Man habe von ihm wissen wollen, wer die Hintermänner seien und warum sie das machten. Währenddessen sei er geschlagen, mit kaltem Wasser übergossen und mit Strom misshandelt worden. Derjenige, der ihn befragt und geschlagen habe, habe zu ihm gesagt, er müsse darunter leiden, anstelle seines Onkels. Er (der Kläger) habe durch die Folterung geblutet, sei danach in Ohnmacht gefallen und mit kaltem Wasser übergossen worden. Ein weiterer Polizist sei gekommen und habe darauf hingewiesen, dass die Lage des Klägers schwierig sei und sie ihn los werden müssten. Er sei dann in ein Auto gebracht und auf einem Weg einfach hinausgeworfen worden. Er habe um Hilfe geschrien, ein Mann habe ihn gehört und veranlasst, dass er in ein staatliches Krankenhaus gebracht werde. Er habe dort zunächst angegeben, dass er von der Polizei misshandelt worden sei. Man habe ihm aber geraten, entsprechende Äußerungen nicht mehr zu machen. Daraufhin habe er nichts mehr gesagt, sondern zu Hause angerufen und seinen kleinen Bruder über den Aufenthalt im Krankenhaus informiert. Seine Eltern hätten dann die Behandlung bezahlt und seien mit ihm nach Hause gefahren. Anschließend sei er zu seinem Onkel gegangen. Nach ca. einer Woche sei sein Vater gekommen und habe angegeben, sehr viel Angst um ihn gehabt zu haben. Er, der Kläger, habe mit seinen Freunden gesprochen und mitgeteilt, dass er "diese Sache" nicht mehr weitermachen könne, zumindest bis er wieder gesund sei. Sein Vater sei nicht zu Hause gewesen bzw. nur sehr selten, und wenn, dann nur heimlich. Sein Vater sei stattdessen ebenfalls bei seinem Onkel gewesen. Bis 1999 hätten sie versteckt gelebt. Sein Vater habe dann zu ihm gesagt, das gehe nicht so weiter. Er, der Vater, habe dann einen Schlepper angesprochen und diesem 6.000,-- DM bezahlt. Er, der Kläger, sei nach Istanbul gefahren und habe sich dort mit dem Schlepper getroffen. Diesem habe er den Nüfus gegeben, aber noch zwei Wochen in einem Hotel warten müssen. Danach sei der Schlepper mit einer dreiköpfigen Familie gekommen, als dessen weiteres Mitglied sich der Kläger ausgeben habe. Sie seien in der Türkei gegen 2.00 Uhr losgeflogen und nach zwei bis drei Stunden im Bundesgebiet angekommen. Am Flughafen hätten sie sich am Auto getrennt. Er sei dann zu seinem Onkel gefahren worden. Das Flugzeug sei am 15. Dezember (1999) in Frankfurt angekommen. Flugunterlagen gäbe es nicht mehr. Unter welchem Namen er gereist sei, wisse er ebenfalls nicht.
Auf Nachfrage gab der Kläger weiter an: Soweit er das trotz teilweiser verbundener Augen habe erkennen können, stammten seine Verletzungen dadurch, dass er mit einer Art Rasiermesser geschnitten worden sei, und zwar angefangen am Hals bis unten hin am Körper. Außerdem habe er Stromschläge bekommen und sei schon im Jahr 1990 am "Newroz"-Tag einmal geschlagen worden. Auf weitere Nachfrage gab er an, dass er geglaubt habe, nicht mehr lebend aus der Polizeiwache herauszukommen. Um ihn hätten sehr viele Leute gestanden, er sei immer wieder befragt worden. Als er Stromschläge bekommen habe, habe er am ganzen Körper gezittert. Danach habe er zwei Stunden lang kein Wasser trinken dürfen. Auf Nachfrage nach fortwirkenden gesundheitlichen Problemen gab der Kläger an, dass es ihm in der Türkei sehr schlecht gegangen sei. Er habe sehr viel abgenommen, könne schwer einschlafen und nehme Schlaftabletten. Er sei ungefähr Anfang August (1998) auf der Polizeiwache gewesen. Zu Einzelheiten seiner politischen Aktivitäten befragt gab der Kläger an, dass er nicht besonders gut schreiben könne. Deshalb habe er meistens Bilder von Öcalan an die Wände geklebt. Aufträge hätte er von "den Parteien erhalten, die um sie herum gewesen seien". Organisator sei ein Herr C. gewesen. Er befinde sich jetzt im Gefängnis. Angefangen habe er, der Kläger, 1997 mit entsprechenden Aktivitäten. Dazu sei er durch die Kontakte in seiner Familie zu den "verschiedenen Organisationen und Parteien" gekommen. Auf Nachfrage, ob sein Nüfus noch vor der Ausreise aus der Türkei beantragt worden sei, gab der Kläger an, dass sein Vater ihm den Nüfus aus der Türkei geschickt habe. Der Onkel des Klägers wies ergänzend darauf hin, dass die deutschen Ausländerbehörden wegen Zweifeln an dem angegebenen Alters des Klägers die Vorlage eines solchen Nüfus verlangt hätten. Er, der Vormund und Onkel des Klägers, habe sich daraufhin mit der Familie in Verbindung gesetzt. Diese habe den Nüfus besorgt und im Januar (2000) geschickt. Ergänzend gab der Kläger an, dass er auch Zettel verteilt habe, wenn sie sich zu Versammlungen getroffen hätten. Der Onkel wies weiterhin darauf hin, dass die ganze Familie gesucht werde; es sei so, dass sein Bruder mit Sicherheit gefoltert werde, wenn er gefasst werde. Auf Nachfrage, ob es auch nach dem Jahr 1998 für den Kläger und seine Familie noch Vorfälle gegeben habe, antwortete der Kläger, dass danach nicht viel passiert sei, aber seine Verwandten seien noch gesucht worden. Er selbst sei die ganze Zeit nach dem Vorfall bei seinem Onkel gewesen. Bei einer Rückkehr in die Türkei habe er Angst vor dem Tod.
Mit Bescheid vom 13. April 2000 erkannte das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Kläger als Asylberechtigten an und stellte zugleich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei fest. Zur Begründung wurde der Sachverhalt dahingehend zusammengefasst, dass der Kläger nach seinen Angaben in einer PKK-nahen Jugendgruppe aktiv gewesen sei und u.a. auch Bilder von Öcalan an die Wand geklebt habe. Deshalb sei er nach seinen Angaben massiver Folter ausgesetzt gewesen. Darüber hinaus seien sowohl sein Onkel und derzeitiger Vormund als auch sein Vater von türkischen Sicherheitskräften aufgrund ihrer politischen Aktivitäten verfolgt worden. "Aufgrund des vom Kläger geschilderten Sachverhalts und der hier vorliegenden Erkenntnisse" sei "davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit asylrechtlich relevanten Maßnahmen ausgesetzt sein" würde. Der Bundesbeauftragte erhob gegen diesen Bescheid keine Klage.
Mit Schreiben vom 10. Februar 2005 bat die Ausländerbehörde das beklagte Bundesamt um Prüfung, ob Widerrufsgründe im Sinne des § 73 AsylVfG vorliegen. Anlass für die Anfrage war, dass der Kläger durch Urteil des Landgerichts Aurich vom 10. August 2004 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden war, die er im Zeitpunkt der Anfrage in der Jugendanstalt Hameln verbüßte. Im strafgerichtlichen Urteil wird u.a. auf eine gefährliche Gewaltbereitschaft des Klägers verwiesen. Hieran sei im Jugendvollzug zu arbeiten, um ihn in Zukunft von schwerwiegenderen Gewalttätigkeiten abzuhalten. Die damals zuständige Ausländerbehörde teilte auf Nachfrage des beklagten Bundesamtes ergänzend mit, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen vorgesehen seien, wenn die Anerkennungen wirksam aufgehoben worden seien. Nach einem internen Vermerk vom 3. März 2005 leitete das beklagte Bundesamt im Hinblick auf die allgemeinen Reformpakete in der Türkei und in der Annahme, dass deshalb Verfolgungsmaßnahmen gegen den bei der Ausreise knapp 18-jährigen Kläger wegen seiner - wenn überhaupt - marginalen Aktivitäten heute mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könnten, ein Widerrufsverfahren ein und hörte den Kläger dazu mit Schreiben vom 10. August 2005 an. Er verwies darauf, dass er bei einer Rückkehr in die Türkei den Militärdienst ableisten müsse und deshalb am Flughafen verhaftet würde. In diesem Zusammenhang würde auch sein Vorleben aus der Türkei bekannt werden und zusätzlich herauskommen, dass er, sein Vater und andere Verwandte die PKK unterstützt hätten. Er habe als Kind Flugblätter und andere Schriftstücke verteilt und sei deshalb gefoltert worden. Dadurch habe er nicht nur Narben am Körper, sondern auch in seinem "Kopf" zurückbehalten. Er beabsichtige, im Bundesgebiet zu verbleiben und hier straffrei ein normales (Arbeits-)Leben zu führen. In einer ergänzenden anwaltlichen Stellungnahme vom 1. Dezember 2005 wurde gerügt, dass das beklagte Bundesamt in seinem Anhörungsschreiben zu dem beabsichtigten Widerruf nicht hinreichend die individuellen Gründe berücksichtigt habe, die vom Kläger bereits im Rahmen des Asylanerkennungsverfahrens vorgebracht worden seien. Zudem könne von einer grundlegenden und nachhaltigen Verbesserung der allgemeinen Verhältnisse in der Türkei nicht gesprochen werden. Schließlich sei im Hinblick auf die vom Kläger erlittene Folter auch nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG vom Widerruf abzusehen. Dieser Gesichtspunkt wurde mit einer weiteren anwaltlichen Stellungnahme vom 3. Mai 2006 vertieft.
Mit Bescheid vom 15. Juni 2006 (nach Angaben des Klägers zugestellt am 22. Juni 2006) widerrief das beklagte Bundesamt die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter (Ziffer 1) sowie die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen (Ziffer 2), und stellte ergänzend fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 (Ziffer 3) sowie des§ 60 Abs. 2 -5, 7 AufenthG bezüglich der Türkei (Ziffer 4) nicht vorliegen. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass seit dem Erlass des Anerkennungsbescheides vom 13. April 2000 eine grundlegende Änderung der Sach- und Rechtslage in der Türkei eingetreten sei und seitdem auch hinsichtlich der behaupteten Verfolgungsgefahr von echten oder vermeintlichen Anhängern der PKK grundlegend neue Erkenntnisse gewonnen worden seien. So sei das Notstandsrecht in sämtlichen Provinzen der Türkei aufgehoben worden. In den letzten Jahren habe es außerdem eine umfangreiche Reformgesetzgebung gegeben, welche die Foltergefahr erheblich verringert habe. Vor dem Hintergrund der Bemühungen der Türkei um einen EU Beitritt sei ferner davon auszugehen, dass die vom Kläger behaupteten Sachverhalte aus dem Jahr 1998 inzwischen verjährt, auch faktisch vergessen und bedeutungslos geworden seien, zumal bereits damals offensichtlich kein Strafverfahren gegen den Kläger eingeleitet worden sei. Der Kläger habe in seiner Anhörung vom März 2000 selbst eingeräumt, dass ihm im Zeitraum zwischen der im Jahr 1998 erfolgten Festnahme und der erst im Dezember 1999 auf dem Luftweg erfolgten Ausreise nichts weiter passiert sei. Nach alledem sei es unwahrscheinlich, dass der in der Türkei wegen seiner Taten nicht registrierte Kläger heute noch Probleme im Falle der Rückkehr haben werde. Die stattdessen geäußerte Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes sei asylrechtlich irrelevant. Für ein geändertes Rechtssystem und eine deutliche Reduzierung einer etwaigen Foltergefahr für Kurden aus der Türkei sprächen zudem das neue türkischeStrafgesetzbuch und die neue türkische Strafprozessordnung, die beide jeweils ab dem 1. Juni 2005 in Kraft getreten seien. Die geänderte Lage in der Türkei finde auch darin ihren Ausdruck, dass in der obergerichtlichen (deutschen) Rechtsprechung die Voraussetzungen, unter denen für türkische Staatsangehörige eine sog. Sippenhaftgefahr anerkannt werde, enger als zuvor gefasst würden. Infolge der gesetzlichen Reformen, die trotz Kritik an den noch bestehenden Defiziten von allen Menschenrechtsorganisationen anerkannt würden, könne davon ausgegangen werden, dass zurückkehrende Asylbewerber, auch solche, die zuvor dort gefoltert und misshandelt worden seien, bei einer Rückkehr in die Türkei nicht (erneut) gefoltert würden. Zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe gemäߧ 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG seien nicht ersichtlich. Die - getrennt geprüften - Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG lägen ebenso wenig wie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 5, 7 AufenthG vor. Insbesondere sei eine konkrete Gefahr für den Kläger, bei einer Rückkehr gefoltert oder anderweitig menschenrechtswidrig behandelt zu werden, nicht ersichtlich. Zwar werde jeder Einreisende kontrolliert. Türkische Staatsangehörige, die im Besitz eines gültigen, zur Einreise berechtigenden Reisedokuments seien, könnten normalerweise die Grenzkontrolle ungehindert passieren. Anders sei es für Personen ohne gültiges Reisedokument oder mit einem Pass, aus dem ersichtlich sei, dass sie sich rechtswidrig im Bundesgebiet aufgehalten hätten. Dieser Personenkreis müsse damit rechnen, auf der Polizeiwache festgehalten zu werden. Schwierigkeiten könnten dann eintreten, wenn die Befragung, die Durchsuchung des Gepäcks oder Recherchen bei den Heimatbehörden bei den Grenzbehörden den Verdacht begründeten, der Rückkehrer sei Mitglied oder Unterstützer der PKK/KONGRA-GEL oder anderer illegaler Organisationen. Dann würde der Betroffene der Abteilung für Terrorbekämpfung des zuständigen Polizeipräsidiums bzw. der zuständigen Staatsanwaltschaft überstellt. In der Vergangenheit sei es dabei zu strafrechtlichen Verfolgungen und Misshandlungen gekommen. Gleiches gelte für nahe Angehörige (Ehegatten, Eltern, Kinder ab 13 Jahren oder Geschwister) von Aktivisten staatsfeindlicher Organisationen, die von türkischen Sicherheitsbehörden mit Haftbefehl gesucht würden. Die Wahrscheinlichkeit derartiger Übergriffe habe jedoch inzwischen im Zuge des Reformprozesses ebenso deutlich abgenommen wie die Wahrscheinlichkeit, dass die Beeinträchtigungen der Angehörigen durch solche Maßnahmen die Schwelle des asylrechtlich Unzumutbaren überschritten. Zudem fehle es an Referenzfällen aus jüngerer Zeit. Zu dem demnach allenfalls gefährdeten Personenkreis gehöre der Kläger aus den zuvor genannten Gründen offensichtlich nicht. Belege für eine behauptete posttraumatische Belastungsstörung habe er nicht vorgelegt. Schon deshalb komme die Feststellung eines hierauf begründeten Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht in Betracht. Im Übrigen werde vorsorglich darauf hingewiesen, dass solche Erkrankungen in der Türkei behandelbar seien.
Der Kläger hat am 6. Juli 2006 den Verwaltungsrechtsweg (mit einem Anfechtungsbegehren) beschritten. Zur Begründung ist vorgetragen worden, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf der (Asyl- und) Flüchtlingseigenschaft nicht vorlägen. Die von der Beklagten behauptete Verbesserung der politischen Verhältnisse in der Türkei gäbe es nicht. Der Kläger sei im Erstverfahren wegen der von ihm vorgetragenen Unterstützungshandlungen zugunsten der PKK als landesweit von einer Verfolgung bedroht angesehen und deshalb anerkannt worden. Für diesen Personenkreis verbiete sich ein Widerruf, da sich die maßgebliche Sachlage nicht in dem erforderlichen Umfang geändert, d.h. verbessert habe. Es sei vielmehr unverändert nicht auszuschließen, dass Personen, die in den Verdacht der PKK-Unterstützung geraten seien, in der Türkei misshandelt würden. Dies gelte unabhängig davon, ob nach den maßgeblichen türkischen Bestimmungen eine Strafverfolgung heute noch zulässig sei. Eine erneute Verfolgung des Klägers bei einer Rückkehr in die Türkei sei jedenfalls nicht - wie erforderlich - mit hinreichender Sicherheit auszuschließen. Im Übrigen sei der Kläger traumatisiert und könne sich somit auf zwingende, auf frühere Verfolgung beruhende Gründe berufen, die einem Widerruf selbst bei einem Wegfall der Verfolgungsgefahr entgegenstünden.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger auf Nachfrage ergänzend angegeben, sein Vater und seine Familie seien "in der PKK gewesen". Er selbst sei in einer "Jugendclique" gewesen, die von der PKK Aufgaben bekommen und auch immer wahrgenommen habe. Er sei einmal von der Polizei festgenommen worden, als er Plakate von Öcalan dabei gehabt habe. Man habe ihn deshalb verhaftet und nach Namen gefragt. Die tatsächlichen Namen seien ihm jedoch nicht bekannt gewesen, lediglich die Codenamen. Die in der Polizeihaft erlittene Misshandlung sei ihm noch immer gegenwärtig. Er sei aber bemüht, diese Gedanken zu verdrängen, und wolle hierüber auch nicht mit anderen, auch nicht mit Ärzten, sprechen. Deshalb habe er sich bislang nicht behandeln lassen. Im Übrigen befürchte er, wegen seiner Betätigung für die PKK beim Militär ausgegrenzt und misshandelt zu werden. Schließlich wolle er nicht gegen sein eigenes Volk "kämpfen".
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 15. Juni 2006 aufzuheben.
Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf die Begründung des angefochtenen Bescheides beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage zunächst durch Gerichtsbescheid vom 19. Mai 2008, zugestellt am 21. Mai 2008, und auf den vom Kläger am 4. Juni 2008 gestellten Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 8. Juli 2008 auch durch Urteil abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass Rechtsgrundlage des angefochtenen Verwaltungsaktes§ 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sei. Da § 51 Abs. 1 AuslG nunmehr durch die Regelung des § 60 (Abs. 1) AufenthG ersetzt worden sei, sei § 73 Abs. 1 AsylVfG entsprechend auf den Widerruf der Altanerkennung nach § 51 Abs. 1 AuslG anzuwenden. Im Übrigen wurde zur Begründung des Urteils auf die Gründe des angefochtenen Bescheides Bezug genommen und im Hinblick auf den Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung ergänzend ausgeführt, dass - die Richtigkeit der Fluchtgeschichte des Klägers unterstellt - allein der Umstand, dass er 1998 von der Polizei einmal beim "Wände Beschmieren" ertappt und deswegen festgenommen worden sei, heute nicht mehr zu einer Verfolgungsgefahr führen könne. Das gelte insbesondere unter Berücksichtigung des zeitlichen Abstands seit den damaligen Geschehnissen. Eine Sippenhaftgefahr sei nur bei Verwandten von hochrangigen PKK-Funktionären anzunehmen. Zu diesem Personenkreis zähle der Kläger nicht. Ein Gutachten zu der Frage, ob beim Kläger eine nunmehr behauptete posttraumatische Belastungsstörung vorliege, sei nicht einzuholen. Dies liefe auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinaus. Im Übrigen sei der Kläger mit diesem Vorbringen auch präkludiert. Schließlich stehe dem Widerruf auch nicht entgegen, dass der Kläger bei einer Rückkehr in der Türkei möglicherweise seinen Wehrdienst abzuleisten habe. Die Ableistung des Wehrdienstes entspreche seiner allgemeinen staatsbürgerlichen Pflicht. Er müsse während des Wehrdienstes auch nicht - etwa aufgrund seiner Vorverfolgung - mit einer erniedrigenden Behandlung rechnen.
Der Senat hat auf den Antrag des Klägers mit Beschluss vom 27. Oktober 2008 die Berufung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 6 VwGO zugelassen. Dem Urteil lasse sich nicht mit Sicherheit entnehmen, welcher Wahrscheinlichkeitsmaßstab (für eine erneute Verfolgung des Klägers bei einer Rückkehr in die Türkei) zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufsbescheides angewandt worden sei.
Nach Zustellung dieses Beschlusses an den Kläger am 31. Oktober 2008 hat er die Berufung am 1. Dezember 2008 begründet und sich zur Begründung unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens nochmals darauf berufen, dass eine erneute Verfolgung durch die türkischen Sicherheitsbehörden nicht mit der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne. Es sei naheliegend, dass auch gegen ihn ein Verfahren gemäß Art. 269 tStGB eingeleitet worden sei, er zumindest aber als Person gelte und registriert sei, die wegen Aktivitäten zu Gunsten der PKK auffällig geworden sei. Die politischen Verhältnisse in der Türkei seien nicht so, dass der so bestimmte Personenkreis, nämlich solche, die im Verdacht stünden, der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen nahe zu stehen, nicht oder kaum noch verfolgt würden. Wegen des Vorbringens des Klägers in der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll der Sitzung Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
unter Änderung des angefochtenen Urteils den Bescheid der Beklagten vom 15. Juni 2006 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat auf Nachfrage des Berichterstatters des Senats mitgeteilt, dass die Anerkennungsentscheidung "im Wesentlichen" wegen der politischen Aktivitäten des Klägers in einer Jugendgruppe der PKK und der Annahme erfolgt sei, dem Kläger drohten deswegen (damals) Verhaftung und Folter. Heute drohe dem Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei jedoch mit hinreichender Sicherheit keine erneute Verfolgung mehr. Im Übrigen sei zweifelhaft, ob der Kläger sein Heimatland im Dezember 1999 überhaupt vorverfolgt verlassen habe und zu Recht anerkannt worden sei.
Unabhängig von den vorherigen, verfolgsbezogenen Ausführungen lägen die Widerrufsvoraussetzungen aber auch deshalb vor, weil der Kläger den Ausschlusstatbestand des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt habe. Denn er sei im Jahr 2004 zu einer "Jugendfreiheitsstrafe" von mehr als drei Jahren verurteilt worden und nach dem Urteil sehr gewaltbereit. Da § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG nunmehr im Lichte des Art. 14 Abs. 4 b) der Richtlinie 2004/83/EG "gemeinschaftskonform" auszulegen sei, könne auch eine solche Jugendstrafe, verbunden mit einer hier zu bejahenden Wiederholungsgefahr, zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft führen. Ihr schriftsätzliches Vorbringen, der Kläger könne durch seine Aktivitäten zu Gunsten der PKK in der Türkei vor seiner Ausreise zusätzlich den ebenfalls gemeinschaftskonform zu verstehenden weiteren Ausschlusstatbestand des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG, § 3 Abs. 2 AsylVfG erfüllt haben, hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufrecht erhalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts hat Erfolg.
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht begründet worden.
Streitgegenstand der Berufung ist (nur) der Widerruf der Asylberechtigung des Klägers und seiner Flüchtlingsanerkennung.
Hinsichtlich der Asylanerkennung bedarf dies keiner weiteren Ausführungen.
Hinsichtlich der Flüchtlingsanerkennung hat das beklagte Bundesamt im angefochtenen Bescheid zwischen dem Widerruf der Feststellungen bezogen auf § 51 Abs. 1 AuslG und der (erstmaligen) Feststellung des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG differenziert. Diese Differenzierung ist aber mit dem Verwaltungsgericht unzutreffend. Die vormalige Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG gilt nach § 102 Abs. 1 AufenthG als eine Flüchtlingsanerkennung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 AsylVfG fort. Demnach bezieht sich der Widerruf unmittelbar auf das "Nichtmehrvorliegen" der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG. Hiervon geht im Ergebnis auch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aus (vgl. etwa Urt. v. 25.11.2008 - 10 C 53/07 -, NVwZ 2009, 328 f.).
Streitgegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist hingegen nicht, und zwar auch nicht hilfsweise, ob das beklagte Bundesamt das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 - 5, 7 AufenthG zu Recht verneint hat. Zwar entspricht es der typischen Interessenlage des betroffenen Ausländers, in einem solchen Fall nicht nur eine Anfechtungsklage gegen den Widerrufsteil des Bescheides, sondern bezogen auf die Gewährung subsidiären Schutzes nach europäischem und nationalem Recht, d.h. hinsichtlich der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 - 5, 7 AufenthG hilfsweise auch eine Verpflichtungsklage zu erheben. Dies hat der Kläger jedoch weder ausdrücklich noch sinngemäß getan und auch nach der Erörterung dieser Frage in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht geltend gemacht, dass er sich zumindest hilfsweise auf das mit der Verpflichtungsklage zu verfolgende Vorliegen von entsprechenden Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 - 5, 7 AufenthG berufen will. Hiervon ist zutreffend auch das Verwaltungsgericht nicht ausgegangen. Denn es hat in seinem Gerichtsbescheid ausgeführt, dass Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sei. Dies trifft aber ersichtlich lediglich auf den Widerrufsteil und nicht auf die ergänzenden Feststellungen zu Ziffer 4 des angefochtenen Bescheides hinsichtlich des Nichtvorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 - 5, 7 AufenthG zu. Ist damit schon in erster Instanz kein entsprechendes Hilfsbegehren Gegenstand des Klageverfahrens gewesen, so stellt sich auch nicht die Frage, ob der Senat die Berufung auch hinsichtlich eines solchen Hilfsbegehrens zugelassen hat oder - was möglich ist und vorliegend mangels Darlegung von Zulassungsgründen insoweit auch geboten gewesen wäre (vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 29.6.2009 - 10 B 60/08 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 35) - ein solches Hilfsbegehren jedenfalls mangels Zulassung der Berufung bezogen auf Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 5 und 7 AufenthG bereits rechtskräftig abgelehnt geworden ist.
Ist somit Streitgegenstand des Berufungsverfahrens der Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung des Klägers, so ist die so verstandene Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts auch begründet.
Denn die vorgenannten Anerkennungen des Klägers sind weder rechtmäßig zurückgenommen (1.) noch widerrufen (2.) worden.
1.
a)
Die Voraussetzungen für die vom Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung sinngemäß angesprochene Rücknahme der Anerkennungen nach § 73 Abs. 2 AsylVfG (vgl. zur grundsätzlichen Berücksichtigungsfähigkeit dieser Bestimmung auch bei einem - wie hier - auf § 73 Abs. 1 AsylVfG gestützten Widerruf: BVerwG, Urt. v. 24.11.1998 - 9 C 53/97 -, BVerwGE 108, 30 ff.) sind nicht gegeben. Die Anerkennungen des Klägers beruhen weder auf "unrichtigen Angaben" noch darauf, dass er im Erstverfahren "wesentliche Tatsachen" verschwiegen hätte. Ob der Kläger auf der Grundlage seiner Angaben zu Recht als Asylberechtigter und als Flüchtling anerkannt worden ist oder dies bei zutreffender Würdigung der Sach- und Rechtlage nicht erfolgt wäre, ist insoweit unerheblich. Allenfalls wäre insoweit an eine Rücknahme nach § 48 VwVfG zu denken.
b)
Wie sich aus § 73 Abs. 4 AsylVfG ergibt und auch in der Rechtsprechung anerkannt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.9.2000 - 9 C 12/00 -, BVerwGE 112, 80 ff.), kommt zwar - soweit die Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling bereits ursprünglich rechtswidrig war - über die speziellen Regelungen des § 73 Abs. 1 und 2 AsylVfG hinaus auch eine Rücknahme der Anerkennungen nach § 48 VwVfG grundsätzlich in Betracht. Dabei handelt es sich jedoch um eine Ermessensvorschrift, d.h. ein entsprechendes Ermessen muss ausgeübt worden sein. Hieran mangelt es vorliegend. Zudem dürfte einem auf § 48 VwVfG gestützten Widerruf vorliegend auch Vertrauensschutz entgegenstehen.
Der angefochtene Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 15. Juni 2006 kann damit auch im Wege der Umdeutung nach§ 47 VwVfG nicht rechtmäßig auf § 48 VwVfG als Rechtsgrundlage gestützt werden.
2.
Die Anerkennungen des Klägers konnten ferner nicht rechtmäßig nach § 73 Abs. 1 AsylVfG widerrufen werden, da weder die dafür erforderlichen Voraussetzungen des§ 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder des § 3 Abs. 2 AsylVfG gegeben sind (a) noch sich die ursprüngliche Verfolgungslage für den Kläger erheblich und nicht nur vorübergehend geändert hat (b) und einem Widerruf zudem § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG entgegenstehen würde (c).
2.
a)
aa)
Ein Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG kann grundsätzlich auch darauf gestützt werden, dass der Asylberechtigte oder Flüchtling nachträglich einen Ausschlussgrund nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG verwirklicht hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.11.2005 - 1 C 21/04 -, BVerwGE 124, 276 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 51 Abs. 3 (Satz 1) AuslG, der Vorgängervorschrift des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG, setzt dieser Ausschlusstatbestand, soweit er nach seiner hier allein in Betracht kommenden zweiten Alternative die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren voraussetzt, jedoch eine Bestrafung nach Erwachsenenstrafrecht voraus; eine Verurteilung zu einer Jugendstrafe ist unzureichend (vgl. Urt. v. 16.11.2000 - 9 C 4/00 -, BVerwGE 112, 180 ff.). In Kenntnis dieser Rechtsprechung hat der Gesetzgeber beim Erlass des Aufenthaltsgesetzes die vormals in § 51 Abs. 3 AuslG enthaltene Regelung in § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG übernommen, so dass davon auszugehen ist, dass er die Vorschrift damals im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verstanden hat. Es besteht auch kein Anlass, den unverändert übernommenen Begriff der "Freiheitsstrafe" nach Ablauf der Frist zur Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG weitergehend zu verstehen und nunmehr - jedenfalls hinsichtlich der Flüchtlingsanerkennung - auch eine Verurteilung zu einer Jugendstrafe als davon mitumfasst anzusehen, wie dies die Beklagte geltend macht. Der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG kommt als gemeinschaftsrechtlicher Richtlinie nach Art. 288 Abs. 3 AEUV keine unmittelbare Wirkung zu Lasten von Privatpersonen zu, sie bedarf dazu vielmehr der Umsetzung in nationales Recht. Der insoweit allenfalls in Betracht kommende § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG ist jedoch durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 215) unberührt geblieben. Auch das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner neueren Rechtsprechung (vgl. Beschl. v. 12.10.2009 - 10 B 17/09 -, [...]) deshalb davon aus, dass die zur Auslegung der wortgleichen Vorgängerregelung in § 51 Abs. 3 (Satz 1) Alt. 2 AuslG entwickelten Grundsätze allgemein fort gelten und keiner gemeinschaftsrechtlichen Modifikation bedürfen. Dass hinsichtlich der Auslegung des Begriffs "Freiheitsstrafe" etwas anderes gelten soll, ist nicht zu erkennen. Hierzu zwingt auch Gemeinschaftsrecht nicht. Denn nach Art. 14 Abs. 4 b) der Qualifikationsrichtlinie können die Mitgliedstaaten zwar einem Flüchtling die ihm ... zuerkannte Rechtsstellung aberkennen, diese beenden oder ihre Verlängerung ablehnen, wenn er eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats darstellt, weil er wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt wurde, und nach Art. 14 Abs. 5 können die Mitgliedstaaten in den in Absatz 4 genannten Fällen auch entscheiden, einem Flüchtling eine Rechtsstellung nicht zuzuerkennen, solange noch keine Entscheidung darüber gefasst worden ist. Wie ein Vergleich mit den Regelungen in den vorhergehenden Absätzen des Artikel 14 ergibt, handelt es sich aber um eine fakultative Aberkennungsmöglichkeit, d.h. der Mitgliedstaat kann aus einem in Art. 14 Abs. 4 genannten Grund eine zuvor erfolgte Anerkennung aufheben, muss dies aber nicht tun. Damit steht dem Mitgliedstaat grundsätzlich auch die Möglichkeit offen, bei dem Personenkreis, dessen Bestrafung zum Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung führen kann, in der Weise zu differenzieren, wie dies in § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG geschehen ist; d.h. nur Personen von der Anerkennung auszunehmen, die nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt worden sind.
Dass der Kläger zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden ist, erfüllt somit den Ausschlussgrund des§ 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG nicht und rechtfertigt damit auch nicht den Widerruf seiner Asyl- und Flüchtlingsanerkennung.
Nach dem aktuellen Bundeszentralregisterauszug ist der Kläger zwar nach dem Verbüßen der Jugendstrafe auch bereits zweimal nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt worden. Die dabei ausgesprochenen (Freiheits-)Strafen von maximal vier Monaten erreichen jedoch die Schwelle des§ 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG ersichtlich nicht.
bb)
Zur nationalen Umsetzung gemeinschaftsrechtlich zwingender Vorgaben erkennt das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Vorlagebeschl. v. 25. 11.2008 - 10 C 46/07 -, NVwZ 2009, 592 ff.) darüber hinaus auch eine bloße Änderung der Rechtslage, also eine nachträgliche Verschärfung der Anerkennungsvoraussetzungen, als hinreichenden Grund für den Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG hinsichtlich einer ursprünglich rechtmäßigen Anerkennung jedenfalls als Flüchtling an, nämlich konkret bezogen auf die Verwirklichung eines Ausschlussgrundes nach dem der Umsetzung des Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/83/EG dienenden § 3 Abs. 2 AsylVfG (auch) bereits vor der Anerkennung des betroffenen Ausländers. Ob dieser Rechtsprechung zu folgen ist, kann hier offen bleiben. Denn der Kläger hat vor seiner Anerkennung keinen Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 AsylVfG verwirklicht, wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung unter Aufgabe ihres vorhergehenden gegenteiligen, auf nur auszugsweiser Kenntnis des Sachverhaltes beruhenden schriftsätzlichen Vorbringens zutreffend selbst erkannt hat. Denn der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung erstreckt sich nach § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG zwar auch auf diejenigen Ausländer, die die in Satz 1 benannten Taten nicht selbst begehen, sondern dazu anstiften oder "sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben". Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. denVorlagebeschluss v. 14.10.2008 - 10 C 48/07 -, BVerwGE 132, 79 ff.) "muss der betroffene Ausländer die schwere nichtpolitische Straftat" (i.S.d. Art. 12 Abs. 2 b der Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG) "damit nicht selbst begangen haben, er muss für sie aber persönlich verantwortlich sein. Hiervon ist im Allgemeinen auszugehen, wenn eine Person die Straftat persönlich begangen hat oder in dem Bewusstsein, dass ihre Handlung oder Unterlassung die Ausübung des Verbrechens erleichtern würde, wesentlich zu ihrer Durchführung beigetragen hat (vgl. Abs. 18 der UNHCR-Richtlinien). Erfasst werden damit nicht nur aktive Terroristen und Teilnehmer im strafrechtlichen Sinne, sondern auch Personen, die im Vorfeld Unterstützungshandlungen zugunsten terroristischer Aktivitäten vornehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 a.a.O. zu den Grenzen des Asylgrundrechts)". Diese Grundsätze für die Auslegung des Art. 12 Abs. 2 b, 3 der Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AsylVfG gelten sinngemäß auch für das Verständnis der anderen in Art. 12 Abs. 2 (a und c) der Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 3 AsylVfG bezeichneten Handlungen und schließen es aus, die vom Kläger begangenen Taten noch als Unterstützung i.S.d. Art. 12 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie bzw. des § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG anzusehen. Denn dass von ihm und anderen Kindern oder Jugendlichen Parolen zu Gunsten der PKK oder Bilder von Öcalan an Wände "geschmiert" worden sind, erleichterte weder die Begehung von Verbrechen durch die PKK noch lag darin ein wesentlicher Durchführungsbeitrag. Andernfalls würde der Ausschlusstatbestand ins Uferlose ausgeweitet und weite Teile der kurdischen Bevölkerung in der Türkei treffen, die beispielsweise in den früheren Notstandsprovinzen auf Druck der PKK deren Mitgliedern Lebensmittel gegeben oder sich auf Demonstrationen für Öcalan eingesetzt haben. Ein solches extensives Verständnis der Ausschlussklausel ist jedoch nicht gewollt (vgl. GK-AsylVfG, § 2, Rn. 60, wonach die Leistung von Hilfsdiensten wie etwa das Verteilen von Flugblättern grundsätzlich nicht ausreichend ist).
cc)
Die vorgenannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur begrenzten Zulässigkeit des Widerrufs wegen der nachträglichen Verschärfung der Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling ist schließlich nicht in dem Sinne erweiterungsfähig, dass auch eine bedingt durch die Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG erfolgte - geringfügige - Änderung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bzw. des Beweismaßes für die Anerkennung eines vorverfolgten Ausländers als Flüchtling (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 -) den Widerruf einer vormals nach Maßgabe des nationalen Rechts, d.h. hier nach § 51 Abs. 1 AuslG, erfolgten Flüchtlingsanerkennung rechtfertigen kann. Denn die Qualifikationsrichtlinie beansprucht nach ihrem Art. 14 Abs. 1 grundsätzlich keine Rückwirkung auf Altanträge und enthält auch keine allgemeine Verpflichtung, Altanerkennungen von Flüchtlingen nach nationalem Recht über die in Art. 14 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie aufgeführten, hier aber nicht gegebenen Voraussetzungen hinaus, allgemein bei Abweichungen vom nunmehr geltenden Gemeinschaftsrecht aufzuheben; insoweit gelten nach Art. 3 der Qualifikationsrichtlinie günstigeres nationales Recht und darauf beruhende Altanerkennungen fort. Es kann deshalb offen bleiben, ob der Kläger im Jahr 2000 auch nach Maßgabe der aus Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie folgenden Beweiserleichterung als Flüchtling anzuerkennen gewesen wäre.
b)
Kommt somit nur § 73 Abs. 1 AsylVfG unmittelbar als Rechtsgrundlage für den Widerruf in Betracht, so darf der betroffene Ausländer nach Satz 1 dieser Bestimmung heute nicht mehr die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter oder als Flüchtling erfüllen. Diese Voraussetzungen müssen nachträglich, d.h. nach dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Anerkennungsbescheides maßgeblichen Zeitpunkt weggefallen sein. Zudem muss die Veränderung der Umstände, aufgrund derer der Betroffene ursprünglich als Asylberechtigter oder als Flüchtling anerkannt worden ist, erheblich und nicht nur vorübergehend sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.11.2005 - 1 C 21/04 -, BVerwGE 124, 276 ff.). Jedenfalls an der letztgenannten Voraussetzung mangelt es hier.
Der Gesetzgeber hatte bei Schaffung der Vorläufervorschrift des § 73 Abs. 1 AsylVfG insbesondere den in der Praxis häufigsten Widerrufsgrund vor Augen, dass "in dem Verfolgungsland ein Wechsel des politischen Systems eingetreten ist, so dass eine weitere Verfolgung nicht mehr zu befürchten ist" (vgl. Gesetzentwurf zum AsylVfG, BT-Drs. 9/80 v. 5.7.1981, S. 18 zu § 11). Der spätere Wegfall der Verfolgungsgefahr durch einen Wechsel oder eine Änderung der politischen Verhältnisse im Heimatstaat stellt demnach zwar den Hauptanwendungsfall des § 73 Abs. 1 AsylVfG dar, die Anwendung dieser Bestimmung ist aber nicht hierauf beschränkt, vielmehr soll hiervon der nachträgliche Wegfall aller Voraussetzungen für die Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung erfasst werden. Dementsprechend geht auch die Rechtsprechung davon aus, dass "vor allem" bzw. insbesondere die Widerrufsvoraussetzungen vorliegen, wenn die Gefahr politischer Verfolgung im Heimatstaat nicht mehr besteht, die Widerrufsvoraussetzungen aber nicht auf diesen praktisch häufigsten Anwendungsfall beschränkt sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.11.2005, a. a. .O.). Der Wegfall der Verfolgungsgefahr kann seinen Grund also nicht nur in einer Änderung der allgemeinen politischen und rechtlichen Verhältnissen des Heimatlandes, sondern - bei gleichbleibenden allgemeinen politischen Verhältnissen im Herkunftsland - auch in der Person des Begünstigten haben (vgl. etwa Marx, AsylVfG, Kommentar, 7. Aufl., Ziff. 3.5.2.3.3.8, m w. N.). Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn zwar eine Gruppenverfolgung zu Lasten einer bestimmten religiösen Minderheit andauert, der als Asylberechtigter bzw. als Flüchtling Anerkannte die insoweit maßgebliche religiöse Grundüberzeugung aber nach seiner Anerkennung aufgegeben hat. Ist somit der Begriff der "Umstände" i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG, die nachträglich weggefallen sein müssen, weit zu verstehen, so kann sich ein Wegfall der Verfolgungsgefahr schließlich auch durch das Verhalten Dritter oder schlicht durch Zeitablauf ergeben. Zu denken ist hier etwa an die Fälle, in denen der betroffene Ausländer wegen der Gefahr sippenhaftähnlicher Verfolgungsmaßnahmen anerkannt worden ist, eine solche Gefahr aber nachträglich deshalb weggefallen ist, weil aufgrund einer Verhaltensänderung des unmittelbar betroffenen "Sippenhaftvermittlers" auch kein Interesse mehr an den nahen Angehörigen besteht. Durch bloßen Zeitablauf könnte sich eine Verfolgungsgefahr z.B. dann erledigen, wenn dem Betroffenen eine asylrelevante Strafverfolgung drohte, insoweit durch Zeitablauf Verjährung eingetreten ist und auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass unabhängig von der Rechtslage weiterhin asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten sind, oder in den Fällen, in denen eine Verfolgungsgefahr lediglich auf Angehörige einer bestimmten Altersgruppe begrenzt ist, aus der der betroffene Ausländer durch Zeitablauf herausgefallen ist.
Ist eine solche grundlegende Änderung der verfolgungsrelevanten Umstände zu bejahen, so ist es für den Widerruf unerheblich, ob die Anerkennung ursprünglich rechtmäßig oder rechtswidrig war. Nach § 73 Abs. 1 AsylVfG können auch rechtswidrige Anerkennungen widerrufen werden (vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 20.6.1996 - 9 B 644/95 -, [...], und v. 27.6.1997 - 9 B 280/97 -, NVwZ-RR 1997, 741 f.). Allerdings ist ein solcher Widerruf einer - rechtmäßigen oder rechtswidrigen - Anerkennung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG stets nur zulässig, wenn sich die maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich geändert haben; eine bloße Änderung der Erkenntnislage oder deren abweichende Würdigung genügt hingegen nicht (BVerwG, Urt. v. 19.9.2000 - 9 C 12/00 -, BVerwGE 112, 80 ff.). Abzustellen ist also insoweit auf die objektiven Verhältnisse im maßgeblichen Zeitpunkt für die Anerkennung, nicht aber auf die Richtigkeit deren rechtlicher Würdigung durch das beklagte Bundesamt oder - bei verwaltungsgerichtlicher Verpflichtung - durch das Verwaltungsgericht. Die einzelfallbezogenen Gründe für die Anerkennung des betroffenen Ausländers sind gleichwohl nicht bedeutungslos, sondern vielmehr insoweit maßgeblich, als hierauf tragend die Anerkennung gestützt worden ist. Sind diese Anerkennungsgründe - wie vorliegend und üblicherweise bei einer Anerkennung durch das beklagte Bundesamt - im Anerkennungsbescheid nicht ausdrücklich benannt, so sind sie aus dem Zusammenhang, insbesondere aus den im Rahmen der Anhörung gemachten und - wie durch die Anerkennung ersichtlich - mutmaßlich als glaubhaft angesehenen Angaben des anerkannten Ausländers zu erschließen (vgl. VG München, Urt. v. 15.4.2010 - M 24 K 09.50122 u. 50459 - , [...], m.w.N.).
Wie der Senat wiederholt entschieden hat (vgl. etwa Beschl. v. 12.4.2010 - 11 LA 54/10 -, [...]), ist bei der nach den vorherigen Kriterien gebotenen Prüfung, ob die Anerkennungsvoraussetzungen nachträglich im Sinne des § 73 Abs. 1 AsylVfG weggefallen sind, die allgemeine Situation in dem Heimatstaat des Berechtigten zwar zu berücksichtigen, hierauf aufbauend aber letztlich entscheidend auf die individuelle Situation des als Asylberechtigten bzw. Flüchtling anerkannten Ausländers abzustellen, dem dieser Status wieder entzogen werden soll. In Abhängigkeit von den Umständen, die zur Zuerkennung des jeweiligen Schutzstatus geführt haben, sind also auch die Anforderungen an die Verbesserung der Lage im Heimatstaat und an eine Gefährdung im Falle der Rückkehr individuell zu bewerten. Entscheidend für einen Widerruf ist demnach die Feststellung, dass sich diese Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben und deshalb jedenfalls der konkret betroffene vorverfolgte Asylberechtigte vor erneuter Verfolgung hinreichend sicher bzw. die Vermutung einer Wiederholung der Verfolgung eines vorverfolgt ausgereisten Flüchtlings widerlegt ist. Hingegen ist für den Widerruf nicht die Feststellung erforderlich, dass es im Heimatland des betroffenen Ausländers ausnahmslos oder zumindest bei allen Angehörigen der Gruppe, der auch der betroffene Ausländer angehört, zu keinen asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Übergriffen mehr kommt.
Gemessen an diesen Kriterien kann hier nicht festgestellt werden, dass sich die Verhältnisse seit der Anerkennung des Klägers in der für einen Widerruf seiner Anerkennungen rechtfertigenden Weise, d.h. erheblich und nicht nur vorübergehend verbessert haben.
Auszugehen ist dabei von der Annahme, dass der Kläger wegen einer individuellen, auf eigenen politischen Aktivitäten beruhenden Verfolgung anerkannt worden ist. Hiervon geht auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts auch die Beklagte aus. Danach erfolgte die Anerkennung "im Wesentlichen wegen der politischen Aktivitäten des Klägers in einer Jugendgruppe der PKK" und beruhte "darauf, dass dem Kläger deswegen Verhaftung und Folter drohte". Der Kläger hatte sich damals zwar auch auf Aktivitäten von nahen Verwandten zugunsten der PKK berufen und hat dieses Vorbringen in der mündlichen Verhandlung des Senats noch einmal vertieft. Die entsprechenden Ausführungen des Klägers zu den Aktivitäten seines Vaters und neuerdings auch eines Bruders waren und sind jedoch nicht hinreichend konkret. Sie ließen insbesondere keine konkrete Strafverfolgungsgefahr dieser Verwandten wegen ihnen vorgeworfener PKK-Aktivitäten oder Unterstützung erkennen. Die Anerkennung des Klägers ist somit nicht, und zwar auch nicht ergänzend, auf eine Verfolgungsgefahr wegen sippenhaftähnlicher Maßnahmen gestützt worden. Soweit der Kläger selbst als individuell gefährdet angesehen worden ist, kann weiterhin nicht davon ausgegangen worden sein, dass ihm eine Strafverfolgung drohte. Denn weder hat er sich bei seiner Anhörung selbst auf eine drohende Strafverfolgung berufen noch kam dies angesichts seines Alters im August 1998, als er sich zuletzt politisch bzw. strafrechtlich relevant in der Türkei betätigt hat, in Betracht. In diesem Zeitpunkt war er nämlich bei einem Geburtsdatum vom 4. November 1986, mit dem er im türkischen Register verzeichnet ist, erst elf Jahre alt und damit allenfalls eingeschränkt strafmündig sowie nach dem damaligen türkischen Strafgesetzbuch nur mit der Einweisung in ein Kinderbetreuungs- oder Erziehungsheim bedroht (vgl. die in der mündlichen Verhandlung angesprochenen Erkenntnisse des Bundesamtes v. April 2003 zur Türkei, Ziffer 7, Seite 14 zum damals noch geltenden, alten türkischen StGB, und v. November 2004, Ziffer 1.1., S. 5, wonach gemäß dem aktuellen türkischen Strafrecht seit dem 1. April 2005 Strafmündigkeit generell erst ab dem 12. Lebensjahr besteht). Dass gegenüber dem Kläger als 11-jährigem in der Türkei damals (dennoch) allgemeine Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet worden wären, ist jedoch weder von ihm vorgetragen worden noch aus der Erkenntnislage für den Senat feststellbar. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass damals im Raum gestanden hat, das mutmaßlich falsche Geburtsjahr des Klägers in der Türkei von Amts wegen zu ändern, soweit dies überhaupt möglich wäre, und im Anschluss hieran Strafverfolgungsmaßnahmen gegen ihn einzuleiten. Die vom beklagten Bundesamt damals bejahte Gefahr einer Verfolgung kann sich also nur auf eine Wiederholung der rechtswidrigen Übergriffe seitens der staatlichen Sicherheitsorgane zu Lasten des Klägers bezogen haben. Außerdem ist der Kläger zwar im August 1998 schwerwiegend misshandelt worden, hat danach aber seine politischen Aktivitäten in der Jugendgruppe eingestellt und ist bis zu der vom Bundesamt damals als glaubhaft angesehenen Ausreise im Dezember 1999 auf dem Luftweg in der Türkei unbehelligt geblieben. Dies soll aber seinen Angaben zufolge daran gelegen haben, dass er sich schon während dieser Zeit meistens bei Verwandten und Freunden "versteckt" habe. Seine Anerkennung beruht also auf der Annahme, dass auch ein lediglich im eingeschränkt strafmündigen Alter wegen Aktivitäten in einer die PKK unterstützenden Jugendgruppe den Sicherheitsbehörden auffällig gewordener kurdischer Volkszugehöriger, der deshalb anlassbezogen festgenommen und misshandelt worden ist, auch mit einem zeitlichen Abstand von über einem Jahr nach Beendigung der Misshandlung noch (unmittelbar) von erneuter Verfolgung bedroht ist. Ob diese Annahme tatsächlich zutraf und die Anerkennung rechtfertigte, ist nach den vorstehenden Ausführungen im vorliegenden Zusammenhang unerheblich. Entscheidend ist für die Rechtmäßigkeit des Widerrufs allein, ob sich insoweit zwischenzeitlich eine erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung ergeben hat. Diese Frage ist zu verneinen.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass in der Türkei unverändert, wenn nicht gar im höheren Umfang als im Jahr 2000 strafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen einschließlich Inhaftierungen auch gegenüber zum Teil erst 13-jährigen, also minderjährigen kurdischen Volkszugehörigen stattfinden, die durch Aktivitäten zugunsten der PKK bzw. durch Maßnahmen bei Demonstrationen, die - wie Steinwürfe - als solche PKK-Unterstützung gewertet werden, aufgefallen sind (vgl. etwa Briefing Notes des beklagten Bundesamtes v. 26.4.2010; SZ v. 28.4.2010 sowie ergänzend NZZ v. 11.6.2010). Trotz massiver Kritik in der Öffentlichkeit und angekündigter Reformbestrebungen ist diese Praxis - soweit bekannt - bislang nicht umfassend eingestellt worden, wenn es auch nach den in der mündlichen Verhandlung zusammengefasst wiedergegebenen neuesten Erkenntnissen des Senats (vgl. FAZ v. 24.7.2010, wonach eine vom türkischen Parlament beschlossene Änderung des Antiterrorgesetzes dazu führen soll, dass "gewaltsam protestierende minderjährige Kurden nicht mehr so hart bestraft werden wie bisher", sowie zur darauf beruhenden Freilassung der im o. a. SZ-Bericht v. 28.4.2010 benannten Kurdin jetzt ANF v. 27.7.2010, zit. nach dem ISKU-Pressespiegel) zu ersten Freilassungen gekommen ist.
Damit ist noch nicht belegt, dass auch dem mittlerweile volljährigen Kläger wegen seiner früheren vergleichbaren Aktivitäten noch eine - zudem asyl- oder flüchtlingsrelevante - Verfolgung droht. Aber es wird doch deutlich, dass sich in der Türkei die allgemeine Bewertung selbst bei untergeordneten Unterstützungshandlungen zu Gunsten der PKK nicht grundlegend geändert hat, sondern solche Handlungen weiterhin selbst bei Minderjährigen als (straf-)verfolgungswürdig angesehen werden.
Zudem kommt es im Polizeigewahrsam bzw. durch Polizeikräfte weiterhin zu Misshandlungen, ohne dass hiergegen bislang effektiv in hinreichendem Umfang seitens des türkischen Staats eingeschritten würde (vgl. neben den Jahresberichten 2009 von IHD und TIHV auch Ziffer III. 2 ("Folter") des aktuellen Lageberichts des Auswärtigen Amtes v. 11.4.2010). Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass der von der türkischen Regierung eingeleitete Prozess der "demokratischen" bzw. "kurdischen Initiative" mit dem Ziel, den kurdischen Volkszugehörigen mehr Freiheiten einzuräumen, schon innerhalb des Staatsapparats nicht einhellig unterstützt wird (S. 12 des aktuellen Lageberichts des Auswärtigen Amtes v. 11.4.2010), durch die Reaktion in der Opposition und in der kurdischen Bevölkerung auf die Rückkehr u.a. von ehemaligen Kämpfern der PKK aus dem Irak in die Türkei im Oktober 2009 einen Rückschlag erlitten hat und durch die seit dem Juni 2010 von der PKK wiederaufgenommenen bewaffneten Übergriffe zusätzlich gefährdet ist (vgl. SZ v. 21.6.2010 und lediglich ergänzend ANF v. 1.8.2010, zit. nach dem ISKU-Pressespiegel, wonach allein im Juli 2010 in Folge der bewaffneten Auseinandersetzungen 174 Soldaten, 9 Polizisten und 38 "Guerillas" gestorben sein sollen). In der Presse (vgl. FAZ v. 23.6.2010) ist die Entwicklung dahin zusammengefasst worden, dass sich die kurdische Initiative von einem Rückschlag im Oktober 2009 nicht erholt habe, es einstweilen keine weiteren (kurdischen) Rückkehrer geben werde und die Türkei "noch lange nicht das Land ist, in das Kurden ... sorglos zurückkehren könnten".
Auch wenn es im Fall des Klägers altersbedingt zu keiner Strafverfolgung gekommen ist, kann danach für den wegen vermeintlicher PKK-Unterstützung im (offiziellen) Alter von 11 Jahren in Polizeihaft schwer misshandelten Kläger eine erhebliche und nicht nur vorübergehende Verbesserung seiner Lage bei einer Rückkehr in die Türkei bislang nicht festgestellt werden.
Haben sich also insoweit die maßgeblichen Umstände nicht grundlegend geändert, so kann ein Wegfall der Verfolgungsgefahr für den Kläger auch nicht allein unter dem Gesichtspunkt bejaht werden, dass seit seinen letzten relevanten Aktivitäten nunmehr nicht lediglich - wie vor seiner Ausreise - gut ein Jahr, sondern über ein Jahrzehnt verstrichen und er auch im Bundesgebiet nicht exilpolitisch tätig geworden ist. Die Wahrscheinlichkeit einer erneuten asyl- bzw. flüchtlingsrelevanten Festnahme und/oder Misshandlung des Klägers ist dadurch zwar (weiter) vermindert. Allerdings liegt darin nur eine graduelle, nicht aber die für den Widerruf erforderliche erhebliche Änderung der Verhältnisse. Denn auch im Ausreisezeitpunkt war der Kläger nicht aktuell, sondern allenfalls in Abhängigkeit von Aktivitäten anderer Familienangehöriger oder anderer Angehöriger der Jugendgruppe, der er zuvor angehörte, gefährdet, Opfer rechtswidriger polizeilicher Übergriffe zu werden. Eine solche, schwer quantifizierbare Gefahr kann in Abhängigkeit von den Aktivitäten der genannten oder sonstigen dem Kläger aus Sicht der Sicherheitskräfte nahestehenden Dritten aber auch heute noch nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
Soweit von dem beklagten Bundesamt zur Rechtfertigung des Widerrufsbescheides schließlich noch auf die Ausführungen in dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes (vgl. S. 28) verwiesen wird, wonach in jüngerer Zeit selbst bei exponierten Regimegegnern keine Misshandlungen bei der Rückkehrkontrolle am Flughafen in der Türkei festgestellt worden seien, steht diese Erkenntnis der vorherigen Bewertung ebenfalls nicht entgegen. Denn bei der Kontrolle an den Grenzstellen liegt das Hauptaugenmerk darauf, ob es sich bei dem Rückkehrer um jemanden handelt, der sich, insbesondere aktuell, strafrechtlich relevant verhalten hat. Das ist jedoch aus den dargelegten Gründen beim Kläger nicht der Fall und stellte auch nicht den Grund für seine ursprüngliche Anerkennung dar. Außerdem hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 18. Juli 2006 (-11 LB 75/06 -, [...], dort Rn. 60 f.) darauf hingewiesen, dass - soweit bekannt - unter den (bislang) in die Türkei Zurückgekehrten oder Abgeschobenen keine im Bundesgebiet anerkannten Asylberechtigten oder Flüchtlinge gewesen sind und daher für diesen, hier betroffenen Personenkreis das Fehlen von Referenzfällen zu einer Misshandlung bei einer Rückkehr in die Türkei nur begrenzt aussagekräftig ist.
Mit der vorgenannten Einschätzung befindet sich der Senat - soweit ersichtlich - in Übereinstimmung mit der überwiegenden Ansicht in der Rechtsprechung, in der - allerdings teilweise mit einem etwas anderen, mehr auf die allgemeinen und weniger auf die hier für ausschlaggebend erachteten individuellen Verhältnisse abstellenden Begründung - der Widerruf von Asyl- bzw. Flüchtlingsanerkennungen aufgehoben worden ist, soweit er Personen betraf, die in der Türkei wegen Unterstützung der PKK vorverfolgt und deshalb anerkannt worden sind (vgl. die Auswertung von Lange für den UNHCR: "Türkei - Verwaltungsgerichtliche Entscheidungen zu Widerrufen", Oktober 2008, sowie die Antwort der Bundesregierung vom 28.1.2009, BT-Drs. 16/11745, zu "Widerrufsverfahren gegen anerkannte kurdische Flüchtlinge"; ergänzend aus neuerer Zeit etwa VG München, Urt. v. 15.4.2010 - M 24 K 09.50122 und 50459 -, a.a.O., [...], m. w. N, sowie aus der obergerichtlichen Rechtsprechung: OVG Koblenz , Beschl. v. 5.11.2009 - 10 A 10817/09 -; OVG Schleswig, Urt. v. 9.2.2010 - 4 LB 9/09 -). Nach den Angaben des beklagten Bundesamtes in dem Heft "Asyl in Zahlen 2009" (S. 61, Tabelle 19) hat es im vergangenen Jahr bei insgesamt 5.540 Widerrufsverfahren bezogen auf türkische Staatsangehörige in der weit überwiegenden Zahl von 4.084 Fällen auch selbst von einer Aufhebung, d.h. einem Widerruf oder einer Rücknahme, abgesehen.
Kann somit nicht festgestellt werden, dass diejenigen Umstände, die zur Anerkennung des Klägers geführt haben, im Sinne des § 73 Abs. 1 AsylVfG nachträglich weggefallen sind, kann dahinstehen, ob eine (erneute) Verfolgung des Klägers mit der jeweils bezogen auf die Asyl- bzw. Flüchtlingsanerkennung notwendigen Wahrscheinlichkeit (auch) wegen des bevorstehenden Wehrdienstes in Betracht kommt.
c)
Selbst wenn man aber der vorherigen Bewertung nicht folgt, steht einem Widerruf doch jedenfalls § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG entgegen. Von einem Widerruf ist danach abzusehen, wenn sich aus dem konkreten Flüchtlingsschicksal besondere Gründe ergeben, die eine Rückkehr unzumutbar erscheinen lassen. Maßgeblich sind somit Nachwirkungen früherer Verfolgungsmaßnahmen, ungeachtet dessen, dass diese abgeschlossen sind und sich aus ihnen für die Zukunft keine Verfolgungsgefahr mehr ergibt. Der Rückkehr in den Heimatstaat müssen (gegenwärtige) zwingende Gründe entgegenstehen (d.h. eine Rückkehr muss unzumutbar sein). Diese Gründe müssen außerdem auf einer früheren Verfolgung beruhen. Zwischen der früheren Verfolgung und der Unzumutbarkeit der Rückkehr muss daher bereits nach dem Wortlaut der Bestimmung ein kausaler Zusammenhang bestehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.11.2005, a.a.O.). Solche besonderen Gründe, die etwa auch bei ehemaligen Lager- oder Gefängnisinsassen gegeben sein können, die Opfer von Gewalt gewesen sind (vgl. Salomons/Hruschka, ZAR 2005, 1, 3, m.w.N.), sind beim Kläger zu bejahen. Denn er ist im August 1998 in der Türkei anlässlich seiner Festnahme als Minderjähriger auf einem Polizeirevier schwer misshandelt worden und hat dabei, also verfolgungsbedingt erhebliche Narben am ganzen Körper davongetragen. Er hat also jedenfalls einen physisch fortwirkenden Schaden erlitten, an dem er bei jedem Blick in den Spiegel lebenslang erinnert wird. Unter Berücksichtigung des humanitären Schutzgehaltes des§ 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG erscheint deshalb für ihn selbst bei Wegfall einer Verfolgungsgefahr eine Rückkehr in die Türkei als unzumutbar.