Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.08.2010, Az.: 5 LA 38/10

Alimentation, amtsangemessene; Berechnungsmethode; Mehrbedarf; Nettoeinkommen; Sperrvermerk; Steuerklasse III

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.08.2010
Aktenzeichen
5 LA 38/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 41817
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0819.5LA38.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 13.01.2010 - AZ: 6 A 1428/08

Amtlicher Leitsatz

Das Nettoeinkommen eines Beamten ist nach der Berechnungsmethode des Bundesverfassungsgerichts für den Mehrbedarf eines dritten und jedes weiteren Kindes pauschalierend unter Zugrundelegung der Steuerklasse III vorzunehmen (Anschluss an OVG Koblenz, Urt. v. 5.12.2008 - 10 A 10502/08 -).

Gründe

1

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

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Das Zulassungsvorbringen genügt teilweise bereits nicht den Anforderungen, die § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO an die Darlegung der Zulassungsgründe stellt, und rechtfertigt im Übrigen nicht die Zulassung der Berufung.

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1. Nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Berufung kann nach § 124 Abs. 2 VwGO nur aus den dort genannten Gründen zugelassen werden. Es ist mithin in der Begründung des Zulassungsantrages darzulegen, ob die Zulassung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), wegen Abweichung des erstinstanzlichen Urteils von einer Entscheidung eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO bezeichneten Gerichte oder wegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) beantragt wird. Ferner muss im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung begründet werden, weshalb der benannte Zulassungsgrund erfüllt ist. Im Falle der Geltendmachung mehrerer Zulassungsgründe müssen dabei alle diese Gründe jeweils selbständig dargelegt werden (vgl. auch zum Folgenden Nds. OVG, Beschl. v. 28.10.2008 - 6 AD 2/08 -, NVwZ-RR 2009, 360 [OVG Niedersachsen 28.10.2008 - 6 AD 2/08], m. w. N.). Es obliegt nicht dem Oberverwaltungsgericht, sondern gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dem Rechtsbehelfsführer, einzelne Zulassungsgründe ausdrücklich oder konkludent zu bezeichnen und ihnen dann jeweils diejenigen Elemente seiner Kritik an der erstinstanzlichen Entscheidung klar zuzuordnen, mit denen er das Vorliegen des jeweiligen Zulassungsgrundes darlegen möchte. Insbesondere ist es nicht die Aufgabe des Senats, sich aus einem "Darlegungs-Gemenge" dasjenige herauszusuchen, was sich bei wohlwollender Auslegung den einzelnen Zulassungsgründen zuordnen ließe. Es reicht nicht aus, wenn ein Zulassungsantragsteller in der Antragsbegründungsschrift vorab einzelne Zulassungsgründe benennt und sodann eine Begründung ohne Unterscheidung dieser Zulassungsgründe anfügt, in der er nach Art einer Berufungsbegründung Kritik an dem angefochtenen Urteil übt (s. ergänzend Nds. OVG, Beschl. v. 17.11.2008 - 5 LA 134/07 -; Beschl. v. 17.9.2008 - 5 LA 280/05 -).

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Gemessen hieran wird die innerhalb der Frist des § 124a Abs. 2 Satz 4 VwGO eingereichte Begründung des Zulassungsantrags den dargestellten Anforderungen nicht gerecht, soweit der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend macht. Der Kläger beruft sich eingangs seiner Begründungsschrift auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO, ohne jedoch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache mit seinem weiteren Vorbringen darzulegen. Vielmehr führt er im Folgenden lediglich aus, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, weil das Verwaltungsgericht bei der Berechnung des Familienzuschlags für das dritte Kind im hier streitigen Zeitraum die Steuerklasse III zugrunde gelegt habe. Hierauf bezieht sich sein weiteres Zulassungsvorbringen. Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen, hat der Zulassungsantragsteller indes die für fallübergreifend gehaltene, konkrete Frage zu formulieren (Nds. OVG, Beschl. v. 29. 2. 2008 - 5 LA 167/04 -, veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank der nds. Verwaltungsgerichtsbarkeit und in juris) sowie näher zu begründen, weshalb sie eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat und ein allgemeines Interesse an ihrer Klärung besteht. Darzustellen ist weiter, dass sie entscheidungserheblich ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten steht (Nds. OVG, Beschl. v. 23.12.2009 - 5 LA 488/09 -, zitiert nach juris; Beschl. v. 29. 2. 2008 - 5 LA 167/04 -, a. a. O., m. w. N.). Hieran fehlt es.

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Demgegenüber erachtet der Senat den ebenfalls geltend gemachten Zulassungsgrund der ernstlichen Richtigkeitszweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) für hinreichend dargelegt im Sinne von § 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO, weil der Kläger sich - auch wenn er teilweise sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt - unzweifelhaft mit dem angefochtenen Urteil, insbesondere mit der von dem Verwaltungsgericht herangezogenen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, auseinandersetzt.

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2. Ernstliche Richtigkeitszweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458; Beschl. v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, DVBl. 2010, 308 = NVwZ 2010, 634, zitiert nach juris Langtext, Rn. 96). Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838; Nds. OVG, Beschl. v. 30.4.2008 - 5 LA 200/07 -).

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Derartige Richtigkeitszweifel sind nicht gegeben. Das Verwaltungsgericht ist rechtsfehlerfrei in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass bei der von dem Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 24. November 1998 (- 2 BvL 16/91  u. a. -, BVerfGE 99, 300 ff.) vorgegebenen Berechnungsmethode das Nettoeinkommen eines Beamten pauschalierend und typisierend u. a. auf der Grundlage der Steuerklasse III zu ermitteln ist.

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Der Einwand des Klägers, das Bundesverfassungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht hätten mit ihren Hinweisen auf die "besonderen Lohnsteuertabellen" den Plural benutzt, da es innerhalb der besonderen Lohnsteuertabellen insgesamt sechs Steuerklassen gebe, stellt die verwaltungsgerichtliche Auffassung nicht schlüssig in Frage. Die Benutzung des Begriffes der "besonderen Lohnsteuertabellen" in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 1998 (- 2 BvL 16/91  u. a. -, BVerfGE 99, 300, 321) steht ersichtlich im Zusammenhang mit den in diesem Verfahren eingeführten Berechnungen des Bundesministeriums des Innern, die sich auf die Jahre 1988 bis 1996 erstreckten. Es ist davon auszugehen, dass den Berechnungen die in dem jeweiligen Jahr geltende besondere Lohnsteuertabelle für Beamte zugrunde gelegt worden ist, also bei dem genannten Zeitraum mehrere besondere Lohnsteuertabellen zur Anwendung gelangt sind. Hinzu kommt, dass der Plural nicht durchgängig in der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung benutzt wird. So hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 28. November 2007 (- BVerwG 2 B 66.07 -, zitiert nach juris Langtext, Rn. 10) ausgeführt, dass die Berechnungsmethode des Bundesverfassungsgerichts eine pauschale Berücksichtigung der steuerlichen Belastungen auf der Grundlage der besonderen Lohnsteuertabelle für Beamte vorsieht, ohne auf die Differenzierung nach Lohnsteuerklassen innerhalb der Tabelle abzustellen.

9

Demgegenüber kann der Kläger nicht mit Erfolg einwenden, in keinem der hier relevanten Urteile finde sich eine Forderung, dass die Lohnsteuer in allen Fällen pauschalierend aus der besonderen Lohnsteuerklasse III zu ermitteln sei. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 24. November 1998 (- 2 BvL 16/91  u. a. -, BVerfGE 99, 300, 321 ff.) ausgeführt, dass die Berechnungen auf den jeweiligen Nettoeinkommen beruhen und hierbei auf seinen Beschluss vom 22. März 1990 (- 2 BvL 1/86 -, BVerfGE 81, 363, 376) verwiesen. In der dortigen Entscheidung (S. 376 ff.) ist das Bundesverfassungsgericht nicht nur davon ausgegangen, dass eine familiengerechte Ausgestaltung des Steuerrechts ohnehin verfassungsrechtlich geboten ist. Es hat darüber hinaus an seinen Ausführungen in seinem Beschluss vom 30. März 1977 (- 2 BvR 039, 1045/75 - BVerfGE 44, 249, 272 f.) festgehalten und ausgeführt, dass die Einkommensverhältnisse der Beamtenfamilien mit einem oder zwei Kindern in allen Stufen der Besoldungsordnung zum damaligen Zeitpunkt im Wesentlichen angemessen waren, weil der Besoldungsgesetzgeber das Beamtengehalt in seinen familienneutralen Bestandteilen von vornherein grundsätzlich so bemessen hat, dass - vor allem auch im Blick darauf, dass der Beurteilung der Angemessenheit das Nettoeinkommen der Beamten zugrunde zu legen ist - überwiegend davon eine bis zu vierköpfige Familie amtsangemessen unterhalten werden kann. Diese Entscheidung des Gesetzgebers - so das Bundesverfassungsgericht - ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, mag sie auch zur Folge haben, dass der (noch) unverheiratete und der verheiratete (noch) kinderlose Beamte sich auf diese Weise regelmäßig einen - teils deutlich - großzügigeren Lebenszuschnitt leisten können als der Beamte mit einem oder zwei Kindern. Das Bundesverfassungsgericht hat vor diesem Hintergrund schon seit seinem Beschluss vom 30. März 1977 (- 2 BvR 1039, 1045/75 -, BVerfGE 44, 249, 272 f.) den verheirateten Beamten mit zwei Kindern als "Normalfamilie" angesehen und diesen Familientypus seiner Betrachtung der Amtsangemessenheit der Besoldung kinderreicher Beamter in den verschiedenen Besoldungsgruppen zugrunde gelegt. Damit ist zugleich nach Auffassung des Senats die Anwendung der Steuerklasse III bei der pauschalierten Berechnung des Nettoeinkommens des Beamten impliziert und rechtfertigt der Verweis des Klägers auf die unterschiedlichen steuerlichen Belastungen in den verschiedenen Steuerklassen keine andere Beurteilung.

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Soweit das Verwaltungsgericht darauf abstellt, die mit der einheitlichen Anwendung der Steuerklasse III verbundenen Benachteiligungen für Beamte insbesondere in den Steuerklassen I und II würden dadurch gemildert, dass diese Beamte für ihre Kinder Anspruch auf Unterhaltszahlungen durch den anderen Elternteil hätten, vermag diese Argumentation zwar nicht zu überzeugen. Denn die Beurteilung der Amtsangemessenheit der Besoldung hängt nicht von Leistungen Dritter ab. Entscheidend ist aber vorliegend, dass das nach der Berechnungsmethode des Bundesverfassungsgerichts zu ermittelnde Nettoeinkommen selbst nur eine Bezugsgröße darstellt, die allein dem Zweck dient, den Mehrbedarf eines Beamten einer bestimmten Besoldungsgruppe für sein drittes und jedes weitere Kind zu bestimmen. Als Bezugsgröße unterliegt die Ermittlung des Nettoeinkommens aber Pauschalisierungen und - wie die Zugrundelegung einer Normalfamilie zeigt - einer gewissen Typisierung. Dies wird zum einen schon dadurch deutlich, dass bei der Ermittlung des Bruttoeinkommens nicht auf das dem Beamten entsprechend seiner Dienstaltersstufe zustehende Grundgehalt, sondern auf das seiner Besoldungsgruppe zustehende Endgrundgehalt abgestellt wird. Zum anderen zeigt sich die verfassungsrechtlich zulässige Pauschalierung auch bei der Ermittlung des Nettoeinkommens, bei dem etwa auch steuerrechtliche Vorteile, die sich aus individuellen Umständen ergeben, außer Betracht zu bleiben haben (zu Letzterem s. BVerwG, Beschl. v. 28.11.2007 - BVerwG 2 B 66.07 -, zitiert nach juris Langtext, Rn. 10). Insoweit ist eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG - wie sie vom Kläger behauptet wird - nicht gegeben, denn innerhalb einer Besoldungsgruppe ist unter dem Gesichtspunkt der amtsangemessenen Alimentation nicht erkennbar, dass der Mehrbedarf eines dritten Kindes davon abhängig ist, ob der Beamte unverheiratet, verheiratet, geschieden oder alleinerziehend ist. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend in seinem Urteil im Anschluss an das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 5. Dezember 2008 (- 10 A 10502/08 -, NVwZ-RR 2009, 568 = IÖD 2009, 103 = juris) ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass nach der Vollstreckungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts einem geschiedenen Beamten für das dritte und jedes weitere Kind ein höherer Familienzuschlag zustehen soll als einem verheirateten Beamten.

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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).