Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 02.09.2010, Az.: 11 LA 563/09

Berücksichtigung eines nach Schließung der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatzes im Falle der Zustellung des Urteils anstelle der Verkündung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
02.09.2010
Aktenzeichen
11 LA 563/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 22663
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0902.11LA563.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 14.10.2009 - AZ: 1 A 3270/07

Amtlicher Leitsatz

Zur Berücksichtigung eines nach Schließung der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatzes im Falle der Zustellung des Urteils anstelle der Verkündung (hier verneint)

Gründe

1

Der Zulassungsantrag des Klägers hat keinen Erfolg.

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1.

Die Berufung kann nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zugelassen werden.

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Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger yezidischer Religionszugehörigkeit und kurdischer Volkszugehörigkeit, dessen Asyl- und Flüchtlingsanerkennung das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 7. Juni 2007 widerrufen hat, hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob die für einen Asylwiderruf notwendigen grundlegenden und dauerhaften Veränderungen der Lage in der Türkei überhaupt gegeben sind, ob also derzeit Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Yeziden auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können. Die Beantwortung dieser Frage erfordert jedoch nicht die Durchführung eines Berufungsverfahrens.

4

Der Senat vertritt seit seinem Grundsatzurteil vom 27. Juli 2007 - 11 LB 332/03 - (veröffentlicht in [...]) nach Auswertung des aktuellen Erkenntnismaterials die Auffassung, dass Yeziden in der Türkei seit 2003 nicht mehr einer mittelbar staatlichen Gruppenverfolgung wegen ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt und sie bei Rückkehr in die Türkei auch hinreichend sicher vor Verfolgung sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Nichtzulassungsbeschwerde gegen dieses Urteil durch Beschluss vom 23. April 2008 - 10 B 156.07 - zurückgewiesen. Das Bundesverfassungsgericht hat die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Beschl. v. 3.7.2008 - 2 BvR 1083/08 -). Zwar lag dem genannten Urteil des Senats ein Asylantrag und nicht - wie im vorliegenden Verfahren - ein Widerrufsbescheid zugrunde, doch hat der Senat in der Folgezeit mehrfach entschieden, dass die dortigen Feststellungen auch einen derartigen Widerruf rechtfertigen, wenn die Anerkennung - wie hier - wegen einer (seinerzeit angenommenen) Gruppenverfolgung von Yeziden in der Türkei ausgesprochen worden war (vgl. etwa zuletzt Beschl. v. 24.8.2010 - 11 LA 448/09 -). Dass sich gegenüber der vom Senat vorgenommenen Bewertung der Verfolgungslage eine nicht nur unwesentliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse ergeben und sich durch zusätzliche Informationen die Erkenntnislage zu bereits bewerteten Verhältnissen entscheidungserheblich verändert hat und die zusätzlichen Erkenntnismittel zumindest geeignet erscheinen, die vom Senat vorgenommene Bewertung in Zweifel zu ziehen, hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt. Die von ihm zitierten Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Dresden, Neustadt, Hamburg und Freiburg sind keine tatsächlichen Erkenntnismittel und enthalten keine neuen, vom Senat bislang noch nicht gewürdigten tatsächlichen oder rechtlichen Aspekte. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Auffassung des Senats auch von anderen Oberverwaltungsgerichten geteilt wird (vgl. OVG NRW, Urt. v. 24.3.2010 - 18 A 2613/07.A -; OVG Saarland, Urt. v. 11.3.2010 - 2 A 401/08 -).

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Die von dem Kläger weiter als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage, welcher Prognosemaßstab bei der Anwendung des § 73 Abs. 1 AsylVfG zugrunde zu legen sei, ist ebenfalls geklärt. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 27. April 2010 (- 10 C 5.09 -; ergänzend nunmehr Beschl. v. 21.7.2010 - 10 B 41.09 - u. v. 22.7.2010 - 10 B 20.10 -) dazu ausgeführt, dass der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung (mehr) habe. Stattdessen privilegiere Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG den Vorverfolgten bzw. Geschädigten durch die (widerlegbare) Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung oder Schädigung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werde. Ob die Vermutung durch "stichhaltige" Gründe widerlegt sei, obliege tatrichtlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Wie sich aus den zuvor wiedergegebenen Leitsätzen der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt, ist damit bedingt durch die Vorgaben in der sog. Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG der - auch beim Widerruf maßgebliche - Wahrscheinlichkeits- bzw. Prognosemaßstab (bislang) nur insoweit geändert worden, als der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung betroffen ist. Hingegen hat danach die bisherige Rechtsprechung, dass der Vorverfolgte vor einer erneuten (gleichartigen) Verfolgung hinreichend sicher sein muss (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.11.2005 - 1 C 21.04 -, BVerwGE 124, 276), (zunächst) weiter Bestand, soweit die sich nach nationalem Recht richtende Asylanerkennung betroffen ist (vgl. Senatsbeschl. v. 18.8.2010 - 11 LA 310/10 -).

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2.

Die Voraussetzungen der Abweichungsrüge gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG liegen ebenfalls nicht vor. Der Kläger macht geltend, das Verwaltungsgericht setze sich mit seiner Auffassung, nicht die Verfolgungslage der Yeziden in der Türkei selbst, sondern nur deren Beurteilung habe sich verändert, in Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in seinen Urteilen vom 1. November 2005 (a.a.O.) und vom 28. Juli 2006 (- 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243[BVerwG 18.07.2006 - BVerwG 1 C 15.05] = AuAS 2006, 246). Dieses Vorbringen genügt aber nicht den Anforderungen an die Darlegung einer Divergenz. Hierfür ist Voraussetzung, dass ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender abstrakter Rechtssatz bezeichnet wird, mit dem das Verwaltungsgericht einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Der Kläger benennt schon nicht sich widersprechende Rechtssätze des Verwaltungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts. Er belässt es bei der Behauptung, dass die Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichts nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stehe. Hiervon abgesehen ist eine Divergenz auch nicht erkennbar. Denn das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats davon ausgegangen, dass sich die maßgeblichen Verhältnisse für Yeziden in der Türkei seit 2003 erheblich gegenüber früher verändert haben und in Zukunft eine Verfolgung (sogar) mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Im Übrigen würde selbst eine fehlerhafte Anwendung von in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätzen eine Divergenz nicht begründen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.7.1995 - 9 B 18.95 -, NVwZ-RR 1997, 191).

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3.

Schließlich vermag der Kläger auch nicht mit der Rüge der Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) durchzudringen. Dabei kann offen bleiben, ob in der Sache ein Gehörsverstoß vorliegt. Jedenfalls hat der Kläger diesen Zulassungsgrund nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG entsprechenden Weise dargelegt.

8

Der Kläger hat zur Begründung in seiner Antragsschrift Folgendes vorgetragen:

"Dem Kläger wurde das rechtliche Gehör nicht gewährt, indem sein Vortrag, wonach er nicht nur gruppenverfolgt war, sondern außerdem persönlich verfolgt ist, im Urteil nicht berücksichtigt wird. Auf diesen Gesichtspunkt wies der Kläger bereits bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt hin, genauso wie der Unterzeichnende letztmalig im Schriftsatz vom 23.10.2009. Er teilte mit, dass er wiederholt in der Türkei im Gefängnis saß, weil er Mitglied der verbotenen Kurdenpartei HDEP. Sogar seine später in Deutschland attestierten Verletzungen aus der Haft sind in der Asylakte wie auch seine Verurteilung in der Türkei."

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Dass das Verwaltungsgericht aufgrund des Schriftsatzes des Klägers vom 23. Oktober 2009 die am 14. Oktober 2009 stattgefundene mündliche Verhandlung nicht wiedereröffnet hat bzw. die in diesem Schriftsatz enthaltenen Ausführungen im Urteil nicht berücksichtigt hat, vermag der Gehörsrüge aber nicht zum Erfolg zu verhelfen.

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Das Gebot zur Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Beteiligten müssen deshalb demgemäß auch Gelegenheit erhalten, sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen und zu den entscheidungserheblichen Rechtsfragen sachgemäß, zweckentsprechend und erschöpfend erklären zu können (vgl. BVerwG, Beschl. v.15.7.2008 - 8 B 24.08 -, Buchholz 310, § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 77). Im Hinblick auf den nachgereichten Schriftsatz des Klägers kommt es maßgeblich darauf an, ob im Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht das erstinstanzliche Urteil bereits wirksam und damit unabänderbar gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 318 ZPO geworden war. Denn ab diesem Zeitpunkt ist eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht mehr zulässig und die Berücksichtigung von Vorbringen der Beteiligten ausgeschlossen (vgl. Kuntze, in: Bader u.a., VwGO, 4. Aufl., § 116 Rn. 10; Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: März 2008, § 166 Rn. 10; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 116 Rn. 3). Allerdings besteht im Falle der hier gemäß § 116 Abs. 2 VwGO erfolgten Zustellung anstelle der Verkündung Streit in Rechtsprechung und Literatur, ob eine derartige Bindungswirkung bereits mit Übergabe des vollständigen Urteils - bzw. zumindest des Tenors der Entscheidung (vgl. § 117 Abs. 4 Satz 1 VwGO) - an die Geschäftsstelle (so BVerwG, Beschl. v. 27.4.2005 - 5 B 107.04, 5 B 107.04 -, [...], u. Beschl. v. 11.6.2001 - 8 B 17.01 -, NVwZ 2001, 1150; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl., § 116 Rn. 14; Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Aufl., § 116 Rn. 7; Kuntze, a.a.O., § 116 Rn. 10) oder erst mit der Aufgabe der ersten zuzustellenden Ausfertigung zur Post (so BVerwG, Beschl. v. 13.9.1999 - 6 B 61.99, 6 PKH 5.99 -, Buchholz 301 § 98 VwGO Nr. 97; Kopp/Schenke, a.a.O., § 116 Rn. 3; Clausing, a.a.O., § 116 Rn. 10; Kilian, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 116 Rn. 33 ff.) eintritt. Im vorliegenden Fall ging das vollständige und von der Einzelrichterin (Berichterstatterin) unterzeichnete Urteil ausweislich des jeweiligen Stempelaufdrucks am 23. Oktober 2009 bei der Geschäftsstelle ein und wurde am 26. Oktober 2009 (eine Uhrzeit ist nicht angegeben) an die Beteiligten abgesandt (Bl. 87 GA). Der per Fax übermittelte Schriftsatz des Klägers vom 23. Oktober 2009 ging nach dem Eingangsstempel am 23. Oktober 2009 - einem Freitag - beim Verwaltungsgericht um 10.53 Uhr ein (Bl. 95 GA). Die Berichterstatterin nahm ausweislich der Gerichtsakte von diesem Schriftsatz am 26. Oktober 2009 - einem Montag - Kenntnis und verfügte: "z.Vg." (ebenfalls auf Bl. 95 GA). Allerdings ist die Uhrzeit der Kenntnisnahme nicht festgehalten. Es kann deshalb nicht festgestellt werden, ob der Berichterstatterin der Schriftsatz des Klägers vom 23. Oktober 2009 vor oder nach der Herausgabe des Urteils zur Post vorgelegt worden ist. Würde man mit der wohl herrschenden Meinung für die Wirksamkeit des Urteils auf den Zeitpunkt der Übergabe des vollständigen Urteils an die Geschäftsstelle abstellen, wäre die Einzelrichterin nicht berechtigt gewesen, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen bzw. den nachgereichten Schriftsatz zu berücksichtigen. Denn von diesem hat sie erst am 26. Oktober 2009 Kenntnis genommen, als das vollständige Urteil bereits der Geschäftsstelle vorlag. Zwar war dieser Schriftsatz bereits am 23. Oktober 2009 in die Verfügungsgewalt des Verwaltungsgerichts gelangt, doch ist nichts dafür erkennbar, dass die Posteingangsstelle bzw. Geschäftsstelle diesen Schriftsatz pflichtwidrig zu spät an die Einzelrichterin weitergeleitet hat. Es hält sich im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 20.6.1995 - 1 BvL 166/93 -, BVerfGE 93, 99 [BVerfG 20.06.1995 - 1 BvR 166/93]), wenn ein am Freitag eingehender Schriftsatz am Montag der zuständigen Richterin vorgelegt wird. Dies gilt hier umso mehr, als der Schriftsatz des Klägers keine Hervorhebungen enthielt, die auf eine besondere Eilbedürftigkeit und die Notwendigkeit der sofortigen Weiterleitung hingewiesen hätten.

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Würde man sich aber der Meinung anschließen, dass eine Bindungswirkung erst mit der Aufgabe des Urteils zur Post eintreten kann, ist es angesichts der fehlenden Dokumentation der jeweiligen Uhrzeiten - siehe oben -nicht auszuschließen, dass am 26. Oktober 2009 noch eine Zurückholung in den Spruchkörper möglich gewesen wäre. Der Senat kann diese Frage aber letztlich dahinstehen lassen, weil der Kläger jedenfalls nicht schlüssig dargelegt hat, aus welchen Gründen das im Schriftsatz vom 23. Oktober 2009 enthaltene Vorbringen geeignet gewesen wäre, zu einer für ihn günstigeren Entscheidung zu führen (vgl. zu diesem Erfordernis Berlit, in: GK-AsylVfG, § 78 Rn. 633 ff.; Schenk, in: Hailbronner, AuslR, § 78 AsylVfG Rn. 150).

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Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hatte mit Bescheid vom 20. August 1992 den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet abgelehnt und außerdem festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht vorliegen und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Das Verwaltungsgericht Hannover - 11. Kammer - hob mit Urteil vom 29. Oktober 1993 diesen Bescheid auf und verpflichtete die Beklagte, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG in seiner Person vorliegen. Es führte zur Begründung aus, dass Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Yeziden nach der gegenwärtig bestehenden Lage im Südosten der Türkei in ihren herkömmlichen Siedlungsgebieten einer mittelbaren Gruppenverfolgung ausgesetzt seien und für gläubige Yeziden keine inländische Fluchtalternative bestehe. Aufgrund der yezidischen Religionszugehörigkeit des Klägers habe die Kammer nicht entscheiden müssen, ob er in der Türkei bereits von türkischen Militärbehörden aus politischen Gründen vorverfolgt worden sei. Daraufhin stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 17. Dezember 1993 fest, dass der Kläger als Asylberechtigter anerkennt wird und dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.

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Mit Schreiben vom 3. Mai 2007 hörte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Kläger zu dem beabsichtigten Widerruf seiner Asyl- und Flüchtlingsanerkennung an. Dabei berief es sich darauf, dass von der seinerzeit angenommenen mittelbaren Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei heute nicht mehr ausgegangen werden könne. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers nahm dazu mit Schriftsatz vom 4. Juni 2007 Stellung. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge widerrief die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter mit Bescheid vom 7. Juni 2007. Gleichzeitig widerrief es die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht vorliegen; außerdem stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen. Dagegen hat der Kläger am 25. Juni 2007 Klage erhoben und geltend gemacht, dass eine mittelbare Gruppenverfolgung der Yeziden in der Türkei weiterhin bestehe. Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat sich der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2009 nicht darauf berufen, dass ihm auch aus anderen Gründen politische Verfolgung in der Türkei drohe. Dies hat er erstmals mit dem anwaltlichen Schriftsatz vom 23. Oktober 2009 geltend gemacht. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte insoweit mit, dass er mit seinem Mandanten den Sachverhalt noch einmal besprochen habe. Dieser habe darauf hingewiesen, dass er damals auch aufgrund seiner persönlichen Verfolgung als Asylberechtigter hätte anerkannt werden müssen. Er habe wiederholt aus politischen Gründen in der Türkei im Gefängnis gesessen, wobei ihm Verletzungen zugefügt worden seien. Er sei Mitglied der verbotenen Kurdenpartei HDEP gewesen. In einem Parallelverfahren, das ebenfalls im Jahr 2009 vor dem Verwaltungsgericht stattgefunden habe, sei deshalb der Widerruf der Asylanerkennung von B., der mit ihm in Viransehir im Gefängnis gewesen sei, aufgehoben worden. Er bitte deshalb, sich vor Anfertigung des Urteils jene Entscheidung anzuschauen und entsprechend auch in seinem Fall das Asylrecht nicht abzuerkennen.

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Das Verwaltungsgericht war aber aufgrund dieses nachträglichen Vorbringens nicht verpflichtet, erneut in die mündliche Verhandlung einzutreten oder sich zumindest damit im Urteil auseinanderzusetzen. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der Begründung des Zulassungsantrags.

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Nach § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO kann das Gericht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beschließen. Allerdings kann sich das Ermessen des Gerichts in Fällen, in denen nur durch Wiedereröffnung das rechtliche Gehör gewährt oder die gerichtliche Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (vgl. § 86 Abs. 1 VwGO) erfüllt werden kann, zu einer Rechtspflicht zur Wiedereröffnung verdichten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.3.1991 - 9 B 56.91 -, NVwZ-RR 1991, 587). Bei Schließung der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 12. August 2009 bestand aber nicht die Situation, dass dem Kläger noch nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt oder der Sachverhalt noch nicht in einer § 86 Abs. 1 VwGO genügenden Weise ermittelt worden war. Der Kläger hatte sich weder im Widerrufsverfahren vor dem Bundesamt noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts auf die Unzulässigkeit des Widerrufs der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung wegen einer früheren individuellen politischen Verfolgung berufen. Er hatte lediglich geltend gemacht, dass die Voraussetzungen für den Widerruf aufgrund der weiterhin vorliegenden mittelbaren Gruppenverfolgung von Yeziden in der Türkei nicht erfüllt seien. Der Kläger ist insofern seiner Mitwirkungsobliegenheit nach § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. VwGO nicht nachgekommen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.3.1991, a.a.O.). Das Verwaltungsgericht hatte überdies dem Kläger im Rahmen der Ladungsverfügung vom 8. Juli 2009 gemäß § 87 b Abs. 2 VwGO aufgegeben, bis zum 3. August 2009 die noch nicht vorgetragenen Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren sich der Kläger beschwert fühlt und die entsprechenden Beweismittel zu bezeichnen. Es hatte ferner darauf hingewiesen, dass das Gericht Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der oben gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden kann, wenn die Zulassung der Erklärungen und Beweismittel nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung nicht genügend entschuldigt wird. Eine derartige Präklusion ist hier offensichtlich eingetreten. Der Kläger hat auch weder dargelegt noch ist sonst ersichtlich, dass ihn an der Verspätung kein Verschulden trifft. Da das Verwaltungsgericht wegen dieses Verhaltens des Klägers nicht zu weiterer Sachverhaltsermittlung verpflichtet war, bestand im Hinblick auf den nachgereichten Schriftsatz auch kein zwingender Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen oder im Urteil auf die neu vorgetragenen Gründe einzugehen (vgl. Schenk, a.a.O., § 78 AsylVfG Rn. 98). In diesem Zusammenhang muss sich der Kläger ferner vorhalten lassen, dass er keine Ausführungen dazu gemacht hat, weshalb hier der Ausnahmefall des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG (... wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann ...) zu seinen Gunsten vorliegen könnte (vgl. dazu etwa Senatsurt. v. 11.8.2010 - 11 LB 405/08 -, S. 24 UA).