Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
v. 25.08.2010, Az.: 5 LA 206/09

Beamter; Befunderhebung; Beihilfe; GOZ; Indikation; Leistungen, funktionsanalytische; Notwendigkeit; Streitwert; Zahnbehandlung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
25.08.2010
Aktenzeichen
5 LA 206/09
Entscheidungsform
Entscheidung
Referenz
WKRS 2010, 41818
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0825.5LA206.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 03.07.2009 - AZ: 1 A 166/07

Gründe

1

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.

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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht vor.

3

Das Verwaltungsgericht hat eine Beihilfefähigkeit der Aufwendungen der Ehefrau des Klägers für zahnärztliche Leistungen, berechnet nach den Gebührennummern 801, 802, 804 und 805 GOZ, abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass vor der zahnärztlichen Behandlung entgegen Ziff. 3 der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV nicht der erhobene Befund mit dem nach Nr. 800 GOZ vorgeschriebenen Formblatt belegt worden sei.

4

Hiergegen wendet der Kläger in seiner Zulassungsbegründung ein, die in Nr. 800 GOZ genannten zahnärztlichen Leistungen erforderten z.T. aufwändige Verfahren, die für die medizinisch indizierte Behandlung nicht notwendig seien. Würde die Abrechnung der Nr. 800 GOZ Voraussetzung für die Abrechnung der Nrn. 801 ff. GOZ sein, könne der Zahnarzt bei offensichtlichem Befund zu Leistungen genötigt werden, die medizinisch nicht notwendig seien, nur um notwendige Leistungen abrechnen zu dürfen. Dies widerspreche § 5 Abs. 1 BhV, wonach Aufwendungen dem Grunde nach notwendig sein müssten, damit sie beihilfefähig seien, und der Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Trage der Zahnarzt zur Kostenreduzierung bei, dürfe er nicht dadurch "bestraft" werden, dass er tatsächlich erbrachte und medizinisch indizierte Leistungen nicht abrechnen könne. Die Handhabung durch die Beihilfestellen führe dazu, dass Zahnärzte, die wüssten, dass der Patient beihilfeberechtigt sei, das geforderte Formblatt der Rechnung beifügen würden, z.T. ohne jedoch Leistungen nach der Nr. 800 GOZ tatsächlich erbracht zu haben. Die Vorschrift der Ziff. 3 der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV sei so auszulegen, dass lediglich das Formblatt zu Nr. 800 GOZ vorzulegen sei, damit die Beihilfestelle prüfen könne, ob die medizinischen Voraussetzungen für die Beihilfefähigkeit vorlägen.

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Diese Ausführungen bleiben ohne Erfolg.

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Nach Ziff. 3 Satz 1 der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV sind Aufwendungen für funktionsanalytische und funktionstherapeutische Leistungen nur bei Vorliegen der in dieser Regelung konkret genannten vier Indikationen beihilfefähig. Außerdem ist nach Ziff. 3 Satz 2 der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV der erhobene Befund mit dem nach Nr. 800 GOZ vorgeschriebenen Formblatt zu belegen. Hieraus folgt, dass die Gewährung einer Beihilfe für die Leistungen nach den Nrn. 801 bis 810 GOZ eine Befunderhebung gemäß Nr. 800 GOZ voraussetzt, die das Vorliegen einer der vier in Ziff. 3 Satz 1 der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV genannten Indikationen belegt.

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Eine solche Befunderhebung hat der Zahnarzt der Ehefrau des Klägers vor der in Rechnung gestellten Zahnbehandlung unstreitig nicht vorgenommen.

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Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, der behandelnde Zahnarzt habe eine solche Befunderhebung vor Erbringung der Leistungen nach Nrn. 801 ff. GOZ nicht für notwendig gehalten.

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Allerdings ist die Zahnärzteschaft der Auffassung, dass für die Berechnung von Leistungen nach den Nrn. 801 bis 810 GOZ nicht in jedem Fall die Erstellung eines Funktionsstatus nach Nr. 800 GOZ erforderlich sei, weil nicht alle funktionstherapeutischen Leistungen die zur Erstellung eines Funktionsstatus nach Nr. 800 GOZ geforderten Leistungen erforderlich machten (vgl. z.B. Stellungnahme der Zahnärztekammer Niedersachsens zur "Berechnungsfähigkeit der Geb.- Nr. 800 GOZ", Stand: April 2004). Die Zahnärzteschaft kann sich hierzu auf zahlreiche Entscheidungen der Zivilgerichtsbarkeit stützen, wonach der Zahnarzt zur Liquidation auch berechtigt sei, wenn - begründet durch den Einzelfall - nicht alle im Formblatt geforderten Untersuchungen und Befunde notwendig gewesen seien (vgl. die in der Stellungnahme der Zahnärztekammer Niedersachsens aufgezählten zivilgerichtlichen Entscheidungen). Demnach kann nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung der Zahnarzt - entgegen der Auffassung des Klägers - gegenüber seinem beihilfeberechtigten Patienten Leistungen nach Nrn. 801 bis 810 GOZ abrechnen, ohne einen Befund nach dem Formblatt gemäß Nr. 800 GOZ zu erheben. Der Zahnarzt wird deshalb entgegen dem Vortrag des Klägers nicht "bestraft".

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Daraus folgt aber nicht, dass der beihilfeberechtigte Patient für diese Aufwendungen gleichzeitig einen Anspruch auf Gewährung einer Beihilfe hätte. Denn die zivilrechtliche Rechtsprechung berührt nur das Vertragsverhältnis zwischen Arzt und Patient (vgl. auch Topka/Möhle, Kommentar zum Beihilferecht Niedersachsens und des Bundes, Stand: März 2010, Rn. 3.7.20.1 der Erläuterungen zu § 5 Abs. 1). Zwar stellen sowohl § 1 Abs. 2 Satz 1 GOZ als auch § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BhV auf die Notwendigkeit der Leistungen bzw. Aufwendungen ab. Die GOZ regelt aber die Vergütungen für die beruflichen Leistungen der Zahnärzte, die sie dem Patienten gegenüber geltend machen können. Demgegenüber ist die Beihilfe eine ergänzende Hilfe des Dienstherrn, die auf dessen Fürsorgepflicht gegenüber dem Beihilfeberechtigten beruht. Zwar dient die GOZ der Festsetzungsstelle gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 BhV als Maßstab für die Frage der Angemessenheit der Aufwendungen (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 BhV). Über die Notwendigkeit und die Angemessenheit der Aufwendungen entscheidet aber letztendlich gemäß § 5 Abs. 1 Satz 7 BhV die Festsetzungsstelle. Eine das Ermessen der Festsetzungsstelle konkretisierende Regelung enthält Ziff. 3 Satz 2 der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV, wonach der erhobene Befund mit dem nach Nr. 800 GOZ vorgeschriebenen Formblatt zu belegen ist.

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Diese Regelung ist nicht zu beanstanden. Die Voraussetzung einer Befunderhebung vor einer Beihilfeerstattung unterstreicht ebenso wie die Beschränkung der Beihilfefähigkeit auf die in Ziff. 3 Satz 1 der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV bestimmten vier Indikationen den ergänzenden Charakter der Beihilfe. Ziff. 3 Satz 2 der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV spiegelt zudem die Auffassung des Verordnungsgebers der GOZ wider, wonach der Umfang der bei den genannten Indikationen erforderlichen Maßnahmen eine Planung der notwendigen Behandlungsschritte erfordert, wofür zunächst auch der Zustand erfasst werden muss (vgl. hierzu auch Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Stand: April 2010, Ordner 4, Anmerkung 5 (7) zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV). In der amtlichen Begründung zum Abschnitt "J. Funktionsanalytische und funktionstherapeutische Leistungen" (BR-Drs. 276/87, abgedr. im Bundesanzeiger Nr. 42a vom 1. März 2002, S. 53) heißt es, dass eine fachgerechte Befunderhebung für die Wirksamkeit funktionsanalytischer Maßnahmen besonders wichtig sei. Außerdem hat die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) in ihrer wissenschaftlichen Stellungnahme zur "Anwendung der Beihilfevorschriften auf gnathologische Gebissanalysen" ausdrücklich betont, dass sich die Notwendigkeit einer instrumentellen Funktionsanalyse im Nachhinein nur schwierig feststellen lasse (zitiert nach Topka/Möhle, a. a. O., Rn. 3.7.20.1 der Erläuterungen zu § 5 Abs. 1 BhV). Auch der Hinweis auf eine mögliche Voranerkennung unter Hinzuziehung eines qualifizierten Gutachters macht deutlich, dass die der instrumentellen Funktionsanalyse zuzuordnenden Leistungen nach den Nrn. 801 bis 810 GOZ stets an eine fachgerechte Befunderhebung nach Nr. 800 GOZ anknüpfen sollen (zitiert nach Topka/Möhle, a. a. O., Rn. 3.7.20.1 der Erläuterungen zu § 5 Abs. 1 BhV). Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber eine fachgerechte Befunderhebung für die Wirksamkeit funktionsanalytischer Maßnahmen bei dem Vorliegen bestimmter Indikationen für notwendig erachtet hat. Diese Einschätzung haben die Beihilfevorschriften übernommen. Die vier in Ziff. 3 der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV genannten Indikationen betreffen grundsätzlich Krankheiten bzw. Zahndefekte, die ein gewisses Ausmaß erreicht haben, d.h. wenn sie "nicht von unbedeutender Art" bzw. "umfangreich" sind (vgl. hierzu im Einzelnen, Mildenberger, a.a.O., Anmerkung 5 (8) zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV). Dementsprechend regelt Ziff. 3 der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV grundsätzlich eine beihilferechtliche Anerkennung bei umfangreichen bzw. aufwändigen Maßnahmen (vgl. auch Ziff. 2.5.9 letzter Satz des Anhangs 1 zu den Hinweisen zu § 5 BhV). Soweit der Kläger vorträgt, die Regelung in Ziff. 3 der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV sei so auszulegen, dass lediglich das Formblatt zu Nr. 800 GOZ (gemeint ist wohl das Beiblatt zum Klinischen Funktionsstatus) vorzulegen sei, damit die Beihilfestelle prüfen könne, ob die medizinischen Voraussetzungen für die Beihilfefähigkeit vorlägen, wäre eine solche Auslegung aus Sicht der Beihilfeberechtigten zwar wünschenswert und unter Umständen im Einzelfall geeignet, einer Verursachung höherer Kosten durch die Geltendmachung der relativ hohen zahnärztlichen Gebühr nach Nr. 800 GOZ vorzubeugen. Eine solche Auslegung lassen die Beihilfevorschriften nach den obigen Ausführungen jedoch nicht zu.

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Werden demnach im Einzelfall Maßnahmen nach Abschnitt J des Leistungsverzeichnisses von nur geringem Ausmaß in Rechnung gestellt, die nicht nach den Nrn. 215 bis 217, 220 bis 222, 500 bis 504 und 520 bis 523 GOZ abgerechnet werden können (vgl. Ziff. 2.5.9 letzter Satz des Anhangs 1 zu den Hinweisen zu § 5 BhV) und für die keine Befunderhebung vorgenommen worden ist, sind die Aufwendungen für funktionsanalytische und -therapeutische Maßnahmen in diesen "einfachen" Fällen nicht beihilfefähig (vgl. auch Mildenberger, a.a.O, Anmerkung 5 (7) zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV), obwohl der Zahnarzt diese Aufwendungen gegenüber dem grundsätzlich Beihilfeberechtigten abrechnen kann.

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Der Kläger hat keine Anhaltspunkte dargelegt, dass es die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gebieten würde, ihm abweichend von den Beihilfevorschriften eine Beihilfe für die entstandenen Aufwendungen zu gewähren. Die Beihilfevorschriften des Dienstherrn eines Beamten enthalten im Grundsatz eine abschließende Konkretisierung dessen, was der Dienstherr für diesen Rechtsbereich aufgrund seiner Fürsorgepflicht an - den diesbezüglichen Anteil in der Besoldung ergänzenden - Leistungen u.a. in Krankheitsfällen für geboten und angemessen ansieht. Sie sind eine den durchschnittlichen Verhältnissen angepasste Regelung, bei der in Kauf genommen werden muss, dass nicht in jedem Einzelfall eine volle Deckung der Aufwendungen erreicht wird. Auch verlangt die Fürsorgepflicht keine "lückenlose" Erstattung sämtlicher krankheitsbedingter Aufwendungen des Beamten und seiner berücksichtigungsfähigen Angehörigen. Unbeschadet dessen kann es jedoch in atypisch gelagerten Einzelfällen ausnahmsweise geboten sein, einen "Beihilfeanspruch" unmittelbar auf der Grundlage der Fürsorgepflicht zu gewähren, wenn nämlich diese ansonsten in ihrem Wesenskern verletzt würde (vgl. BVerwG, z.B. Urteile v. 10.06.1999 - BVerwG 2 C 29.98 -, ZBR 2000, 46 = DÖD 2000, 39, v. 29.06.1995 - BVerwG 2 C 15.94 -, ZBR 1996, 48 = DÖD 1996, 90 und v. 31.01.2002 - BVerwG 2 C 1.01 -, ZBR 2002, 401 = DÖD 2002, 172; OVG NW, Urt. v. 24.05.2006 - 1 A 3706/04 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 17.09.2003 - 4 S 1869/02 -, IÖD 2004, 22; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30.10.1998 - 10 A 10692/98 -, IÖD 1999, 128). Hierfür sind keine Anhaltspunkte vorgetragen worden.

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2. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nicht gegeben. Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, "ob Ziff. 3 Satz 2 der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Satz 1 BhV so auszulegen ist, dass Voraussetzung für eine Beihilfefähigkeit der GOZ-Nummern 801 bis 810 zwingend eine Leistungserbringung und Abrechnung nach GOZ-Nummer 800 erfordert". Diese Frage bedarf keiner grundsätzlichen Klärung, sondern sie lässt sich nach den obigen Ausführungen zu dem Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel anhand der Beihilfevorschriften und der hierzu ergangenen Hinweise beantworten.

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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).