Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.08.2010, Az.: 12 ME 158/10

Regelungswirkung einer auf § 28 Abs. 4 S. 2 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) gestützten Feststellung in Bezug auf die Berechtigung zur Nutzung einer im Ausland ausgestellten EU-Fahrerlaubnis im Bundesgebiet

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.08.2010
Aktenzeichen
12 ME 158/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 22508
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0816.12ME158.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 04.06.2010 - AZ: 7 B 1189/10

Fundstellen

  • DVBl 2010, 1323
  • NJW 2010, 3674-3675
  • NZV 2010, 589-590
  • VRR 2010, 436-437

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Der auf § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV gestützten Feststellung, der Inhaber einer im Ausland ausgestellten EU-Fahrerlaubnis sei nicht berechtigt, diese im Bundesgebiet zu nutzen, kommt im Allgemeinen Regelungswirkung zu,

  2. 2.

    Die Klage gegen eine solche Feststellung hat nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung.

  3. 3.

    Der sich aus § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 FeV ergebende Normbefehl bleibt von der Feststellung, der Klage komme aufschiebende Wirkung zu, unberührt.

Gründe

1

Der Antragsteller begehrte beim Verwaltungsgericht vorläufigen Rechtsschutz gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 12. April 2010, mit der festgestellt worden war, dass die ihm (dem Antragsteller) in Polen erteilte Fahrerlaubnis nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland berechtige und zugleich der Führerschein zur Eintragung der fehlenden Berechtigung eingezogen wurde. Der Antragsgegner hat sich insoweit sowohl auf § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV (Entzug der deutschen Fahrerlaubnis im Jahr 2002) als auch darauf gestützt, dass nach Auskunft der polnischen Behörden der Antragsteller bei Ausstellung seines polnischen Führerscheins nicht die erforderliche Zeit in Polen gemeldet gewesen sei (§ 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV).

2

Das Verwaltungsgericht hat den dem Wortlaut nach auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gerichteten Antrag des Antragstellers als Feststellungsantrag ausgelegt, mit dem Ziel festzustellen, dass seine (des Antragstellers) Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners aufschiebende Wirkung entfalte. Dem so verstandenen Antrag hat das Gericht stattgegeben. Es hat ausgeführt, es liege ein Fall der "faktischen Vollziehung" vor. Der Antragsgegner habe durch die Feststellung eine verbindliche und auf Bestandskraft angelegte Anordnung von Rechtsfolgen gemäß § 35 Satz 1 VwVfG getroffen, indem er über die Berechtigung, die die polnische Fahrerlaubnis dem Antragsteller vermittelt, mit Außenwirkung entschieden habe. Der Antragsgegner habe im Verfahren auch erkennen lassen, dass er nach wie vor der Auffassung sei, die dagegen gerichtete Klage entfalte keine aufschiebende Wirkung. Dies treffe aber nicht zu. Selbst wenn sich die fehlende Berechtigung des Antragstellers zum Nutzen der polnischen Fahrerlaubnis möglicherweise bereits unmittelbar aus § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 bzw. Nr. 3 FeV ergebe, müsse die Fahrerlaubnisbehörde, wenn sie in dieser Verfahrenssituation eine normwiederholende und -konkretisierende Verfügung erlasse, ohne zugleich die sofortige Vollziehung anzuordnen, die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen im Hauptsachverfahren abwarten und dürfe diesen Zustand nicht durch Vollzugsmaßnahmen unterlaufen. Eine faktische Vollziehung des feststellenden Verwaltungsakts liege auch vor, obwohl der Antragsgegner auf dem polnischen Führerschein des Antragstellers keinen Versagungsvermerk angebracht habe. Vollziehung des Verwaltungsaktes im Sinne von § 80 Abs. 1 VwGO bedeute nämlich jegliches Gebrauchmachen von dem Verwaltungsakt, also jegliche Verwirklichung seines materiellen Regelungsgehalts, gleichgültig, ob diese Verwirklichung durch die erlassende oder eine andere Behörde erfolge, ob sie freiwillig oder zwangsweise geschehe, es einer behördlichen Ausführungsmaßnahme bedürfe oder die Rechtswirkung durch den Verwaltungsakt selbst eintrete. Die aufschiebende Wirkung untersage jedermann, aus dem angefochtenen Verwaltungsakt unmittelbare oder mittelbare, tatsächliche oder rechtliche Folgerungen gleich welcher Art zu ziehen. Der erlassenden Behörde sei es deshalb vor Eintritt der Vollziehbarkeit untersagt, dem Bürger die ausgesprochene Regelungswirkung entgegenzuhalten. Der Antragsgegner nehme indes an, dass die Feststellung für ihre sofortige Wirksamkeit keiner Anordnung der sofortigen Wirkung bedürfe und der Klage des Antragstellers keine aufschiebende Wirkung zukomme. Da der Antragsgegner an seiner Auffassung festhalte, die Klage entfalte keine aufschiebende Wirkung und den Antragsteller auf die Strafbarkeit einer Teilnahme am Straßenverkehr mit erlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugen hingewiesen habe, liege unabhängig von der Zusage des Antragsgegners, den Führerschein des Antragstellers zur Eintragung der fehlenden Berechtigung (schon aus praktischen Gründen) derzeit nicht einzuziehen, ein Fall des faktischen Vollzuges vor. Setze sich der Betroffene gegen die faktische Vollziehung des Verwaltungsaktes zur Wehr, so sei einstweiliger Rechtsschutz in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren und das Rechtsschutzbegehren auf die Feststellung gerichtet, dass der in der Hauptsache eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat. Das so verstandene Begehren des Antragstellers sei auch nicht wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, denn wenn kein einstweiliger Rechtsschutz gewährt würde, könnte dem Antragsteller die Feststellungsentscheidung bis zur Entscheidung der Hauptsache als eigenständiger Rechtsgrund entgegengehalten werden, ohne dass es noch darauf ankomme, ob ein derartiges Recht möglicherweise schon von vornherein nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 FeV nicht bestanden habe. Die Feststellung der aufschiebenden Wirkung beziehe sich auch auf die Verpflichtung des Antragstellers, "zur Eintragung der Ungültigkeit" den fraglichen polnischen Führerschein vorzulegen, denn auch insoweit habe der Antragsgegner die sofortige Vollziehung der Verfügung nicht angeordnet. Abschließend wies das Gericht darauf hin, dass die Entscheidung lediglich wegen der Missachtung des Suspensiveffektes ergehe und keine Abwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem individuellen Aussetzungsinteresse erfolgt sei. Nach summarischer Prüfung sei indes davon auszugehen, dass die Verfügung des Antragsgegners vom 12. April 2010 materiell-rechtlich nicht zu beanstanden sei.

3

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen diesen Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg. Die zur Begründung des Rechtsmittels dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, geben keinen Anlass, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern.

4

Der Antragsgegner macht geltend, § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO gelte zwar auch für feststellende, aber nur für belastende Verwaltungsakte. Ein solcher liege hier nicht vor. Die Nichtberechtigung, von der ausländischen EU-Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen und damit die Beschwer ergebe sich nämlich von Beginn an aus derFahrerlaubnis-Verordnung (FeV) selbst und entstehe nicht erst durch die angefochtene Feststellung der Behörde. Insoweit verweist er auf Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (Beschl. v. 7.5.2009 - 11 CE 09.426 -, [...]) und des Oberlandesgerichtes Oldenburg (Beschl. v. 6.4.2010 - 1 Ss 25/10 -, DAR 2010, 338).

5

Dieses Begründung trägt nicht, weil das Verwaltungsgericht im vorliegenden Beschluss, wie der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Beschl. v. 22.2.2202 - 10 S 2702/09 -, zfs 2010, 413), dem es folgt, dieses gar nicht in Abrede stellt. Vielmehr ist explizit ausgeführt, dass sich die fehlende Berechtigung zum Ausnutzen des polnischen Führerscheins möglicherweise bereits unmittelbar aus§ 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 bzw. Nr. 3 FeV ergebe. Die belastende Wirkung für den Antragsteller folgt unabhängig von dieser Frage jedoch daraus, dass ihm - worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hinweist - die Feststellungsentscheidung bis zur Entscheidung der Hauptsache als eigenständiger Rechtsgrund entgegengehalten werden kann, ohne dass es insoweit noch darauf ankommt, ob tatsächlich ein Fall des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 FeV vorliegt. Der vom Antragsteller angenommene Widerspruch zu den Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (Beschl. v. 7.5.2009 - 11 CE 09.426 -, [...]) und des Oberlandesgerichtes Oldenburg (Beschl. v. 6.4.2010 - 1 Ss 25/10 -, DAR 2010, 338) besteht somit nicht. Insoweit weist der Senat darauf hin, dass die Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die angefochtene Feststellungsverfügung nur zur Folge hat, dass bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren (oder der Anordnung der sofortigen Vollziehung) der in dieser Verfügung liegende und ggf. neben die gesetzliche Regelung des§ 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 bzw. Nr. 3 FeV tretende Rechtsgrund nicht vollziehbar ist. Eine Entscheidung, ob der Antragsteller von seiner polnischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch machen darf oder sich bei Teilnahme am Straßenverkehr im Bundesgebiet gemäß § 21 StVG strafbar macht, ist damit nicht getroffen. Vielmehr ist diese Frage von den zuständigen Instanzen letztlich anhand der (dann allein) maßgebenden Regelung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV zu beantworten. Im Ergebnis hat somit die Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den angefochtenen Feststellungsbescheid nur zur Folge, dass sich die Situation so darstellt, wie vor Erlass des Bescheides. Etwaige Unsicherheiten, ob der Betreffende dem Anwendungsbereich des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 oder 3 FeV unterfällt, bleiben somit einstweilig bestehen und die von der Behörde durch den Bescheid angestrebte Klärung tritt erst mit Bestandskraft der Verfügung ein. Geht man davon aus, dass nicht nur in den Fällen des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV, sondern auch bei einem Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip (§ 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV) ein Feststellungsbescheid für die Strafbarkeit nicht konstitutiv ist (vgl. Schäfer, DAR 2010, 486), werden die bestehenden Unsicherheiten, sofern ein Fall des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 bzw. Nr. 3 FeV letztlich bejaht wird, wohl nur relevant für die strafrechtlich zu beantwortende Frage, ob der Inhaber einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis bei deren Gebrauch im Inland schuldhaft handelt. Will der Fahrerlaubnisinhaber im vorliegenden Fall sichergehen und insoweit vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens eine Klärung erreichen, wäre er wohl gehalten, im Wege des § 123 VwGO vorzugehen.

6

Da somit schon die unter Nr. 1 des angefochtenen Bescheides verfügte Feststellung der Nichtberechtigung nicht vollziehbar ist und der Antragsgegner bzgl. der Aufforderung den Führerschein vorzulegen, die sofortige Vollziehung ebenfalls nicht angeordnet hat, bestehen gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, der dagegen erhobenen Klage komme auch insoweit aufschiebende Wirkung zu, keine Bedenken. Ob die in § 47 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 FeV für die Fahrerlaubnisentziehung geregelte und in Konstellationen der vorliegenden Art analog angewandte Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) sofort vollziehbar ist, wenn der Grundverwaltungsakt für sofort vollziehbar erklärt worden ist, wie der Antragsgegner annimmt (so auch:Bay. VGH, Beschl. v. 9.6.2005 - 11 CS 05.478 -, zfs 2005, 471; Geiger, SVR 2009, 253) oder die aus verwaltungsvollstreckungsrechtlichen Gründen notwenige Konkretisierung der Ablieferungspflicht bezüglich des Führerscheins für sofort vollziehbar erklärt werden muss (so: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 30.3.2007 - 1 S 31.07 -, SVR 2008, 277), kann daher im vorliegenden Fall dahinstehen.