Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 05.08.2010, Az.: 13 ME 85/10

Injektion eines Schaumverhüters in Schweinefleisch als zulässige Verwendung eines Verarbeitungshilfsstoffs bzw. als unzulässiges Zusetzen eines Lebensmittelzusatzstoffs; Absichtliches Zusetzen eines Schaumverhüters in Schweinefleisch bei fehlender Nachverfolgbarkeit des zugesetzten Ausgangsstoffs

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
05.08.2010
Aktenzeichen
13 ME 85/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 21194
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0805.13ME85.10.0A

Fundstelle

  • ZLR 2010, 769-778

Amtlicher Leitsatz

Gegen die Verwendung eines Stoffs als bloßer Verarbeitungshilfsstoff spricht ungeachtet einer auf den Herstellungsvorgang beschränkten technologischen Wirkung ein absichtliches Zusetzen zum Lebensmittel (hier: Injektion eines Schaumverhüters in Schweinefleisch). Jedenfalls ist aber nach einem absichtlichen Zusetzen bei fehlender Nachverfolgbarkeit des zugesetzten Ausgangsstoffs über Reaktions- und Abbauprodukte hin zu Rückständen oder Rückstandsderivaten nicht von einem Verarbeitungshilfsstoff, sondern von einem Lebensmittelzusatzstoff auszugehen.

Tatbestand und Gründe

1

I.

Die Antragstellerin stellt aus Schweinefleisch für den britischen Markt "Bacon" (Frühstücksspeck) für das typische "englische Frühstück" her. Während des Herstellungsvorgangs kommt ein Schaumverhüter zum Einsatz, der im Produktionsprozess eine Schaumbildung verhindern bzw. verringern soll. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob es sich beim Einsatz des Schaumverhüters um die (zulässige) Verwendung eines Verarbeitungshilfsstoffs oder um das (unzulässige) Zusetzen eines Lebensmittelzusatzstoffs handelt. Während des von der Antragstellerin praktizierten Herstellungsvorgangs wird eine Pökellake in das Fleisch injiziert, die mit einem Schaumverhüter der Produktbezeichnung "EP-386 N" versetzt ist (100 ml/1000 l Lake). Bei EP-386 N handelt es sich nach der Produktbeschreibung des Herstellers um eine Polysiloxan-Emulsion mit 10% Silicongehalt zum Entschäumen von wässrigen Systemen in der Industrie, Lebensmittelverarbeitung und Abwasseraufbereitung. Der Schaumverhüter besteht aus Polysiloxanen, die hinsichtlich ihrer Wirkung mit dem Lebensmittelzusatzstoff Dimethylpolysiloxan (E 900) vergleichbar sind. Dimethylpolysiloxan ist als mengenmäßig beschränkter Lebensmittelzusatzstoff für bestimmte Lebensmittel wie z.B. Konfitüre, nicht jedoch für Fleischerzeugnisse zugelassen. EP-386 N ist nicht nach der Zusatzstoffzulassungsverordnung zugelassen, erfüllt jedoch nach der Produktbeschreibung des Herstellers die Vorschriften des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und der Food and Drug Administration für die Anwendung im direkten Kontakt mit Lebensmitteln. Der Antragsgegner hat mit Bescheid vom 3. Mai 2010 unter Zwangsgeldandrohung sowie unter Anordnung der sofortigen Vollziehung u.a. das Herstellen, Behandeln und Inverkehrbringen von Bacon untersagt, der mit EP-386 N behandelt wurde, weil es sich um einen nicht zugelassenen Lebensmittelzusatzstoff handele. Zugleich hat er seinen früheren Bescheid vom 22. April 2010, der direkt nach der amtlichen Kontrolle am 21. April 2010 erlassen wurde, aufgehoben. Gegen beide Bescheide hat der Antragsteller Klage erhoben und die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt; hinsichtlich des früheren Bescheides hat die Antragstellerin das Eil- und Hauptsacheverfahren beim Verwaltungsgericht für erledigt erklärt, nachdem dieser Bescheid vom Antragsgegner aufgehoben wurde. Der Antragsgegner hat sich dieser Erledigungserklärung nicht angeschlossen; er vertritt die Auffassung, dass der den früheren Bescheid vom 22. April 2010 aufhebende und ersetzende Bescheid vom 3. Mai 2010 in die früher anhängig gewordenen Verfahren hätte einbezogen werden müssen, so dass der streitgegenständliche Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig sei. Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag der Antragstellerin vom 4. Mai 2010 mit Beschluss vom 14. Mai 2010 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die einzelnen Anordnungen im Bescheid vom 3. Mai 2010 wiederhergestellt bzw. angeordnet. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners vom 17. Mai 2010.

2

II.

1.

Soweit die Beteiligten das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren einzustellen und der Beschluss des Verwaltungsgerichts nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO in entsprechender Anwendung für unwirksam zu erklären. Dies betrifft die Anordnungen unter Nr. 2 (Rücknahme von bereits ausgeliefertem Bacon) und Nr. 3 (Bestätigung einer mündlichen Sperre für noch im Betrieb vorhandenen Bacon und Schaumverhüter) sowie die auf die Anordnung unter Nr. 2 bezogene Zwangsgeldandrohung im Bescheid des Antragsgegners vom 3. Mai 2010.

3

2.

Im Übrigen - soweit das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist - hat die Beschwerde des Antragsgegners Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, führt zu einer vom Beschluss des Verwaltungsgerichts abweichenden Entscheidung. Der Aussetzungsantrag der Antragstellerin gegen die unter Nr. 1 des angegriffenen Bescheides des Antragsgegners vom 3. Mai 2010 angeordnete Untersagung des Herstellens, Behandelns und Inverkehrbringens von Bacon, der mit dem Stoff EP-386 N behandelt wurde, ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts abzulehnen. Gleiches gilt für die auf die Anordnung unter Nr. 1 bezogene Zwangsgeldandrohung unter Nr. 4 des Bescheides.

4

a)

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vom 4. Mai 2005 ist nicht bereits wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig; die Frage des Bestehens eines Rechtsschutzbedürfnisses lässt der Senat hingegen offen:

5

aa)

Eine anderweitige Rechtshängigkeit steht dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - anders als der Antragsgegner meint - nicht entgegen. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass der dem streitgegenständlichen Bescheid zeitlich vorausgehende Bescheid vom 22. April 2010 vom Antragsgegner aufgehoben und der Rechtsstreit daraufhin von der Antragstellerin für erledigt erklärt wurde. Die Antragstellerin war nicht verpflichtet, das ältere Verfahren auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes nach Aufhebung des dort streitgegenständlichen Bescheides fortzuführen und den aus Sicht des Antragsgegners den früheren Bescheid ersetzenden neuen Bescheid in dieses Verfahren einzubeziehen. Nach der ausdrücklichen Aufhebung des früheren Bescheides stand es der Antragstellerin vielmehr frei, das Verfahren entweder für erledigt zu erklären oder den späteren Bescheid in das laufende Verfahren einzubeziehen. Beide Handlungsalternativen stellen eine prozessual adäquate Verhaltensweise dar; die Wahlfreiheit der Antragstellerin zwischen diesen Handlungsalternativen war nicht unter dem Gesichtspunkt einer Minimierung des Kostenrisikos für den Antragsgegner eingeschränkt. Es ist auch nicht etwa - wie der Antragsgegner meint - eine automatische Änderung des Verfahrensstoffs eingetreten, ohne dass es einer Antragsänderung seitens der Antragstellerin bedurft hätte, weil der ursprüngliche Bescheid vom 22. April 2010 durch einen inhaltsgleichen bzw. jedenfalls im Wesentlichen gleichen Bescheid ersetzt worden sei. Schon die Annahme, es lägen inhaltsgleiche oder zumindest im Wesentlichen gleiche Bescheide vor, trifft nicht zu. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass sich die in Rede stehenden Bescheide inhaltlich nicht nur unerheblich unterscheiden. Dies betrifft zum einen die Anordnung unter Nr. 1 des Bescheides, in der zusätzlich zum Verbot des Inverkehrbringens nunmehr auch das Herstellen und Behandeln untersagt worden ist. Zum anderen betrifft es auch die Anordnung unter Nr. 2 des angegriffenen Bescheides, in der statt eines Rückrufs lediglich die Rücknahme ausgelieferten Bacons angeordnet worden ist. Es bedarf daher keiner näheren Auseinandersetzung mit der Frage, unter welchen weiteren Voraussetzungen der einen früheren Bescheid im Wesentlichen nur ersetzende Bescheid automatisch zum Verfahrensstoff eines bereits anhängigen gerichtlichen Verfahrens werden kann.

6

bb)

Zweifelhaft ist indessen, ob hinsichtlich der Anordnung unter Nr. 1 des angegriffenen Bescheides ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin für das Eilverfahren besteht, nachdem sie im Anschluss an die Kontrolle vom 21. April 2010 den Produktionsprozess umgestellt hat und den Schaumverhüter nicht mehr einsetzt. Die Antragstellerin hat insoweit ausgeführt, dass sie seit der amtlichen Kontrolle auf die Verwendung des Schaumverhüters verzichte und nicht plane, diesen Stoff wieder einzusetzen, solange nicht die Zulässigkeit der Verwendung geklärt sei (S. 14 und 17 der Antragsschrift). Wenn demnach das Vorbringen der Antragstellerin dahin zu verstehen ist, dass bis zur abschließenden Klärung im Hauptsacheverfahren ohnehin keine Verwendung des Schaumverhüters mehr erfolgen soll, stellt sich die Frage, welchen Nutzen sie aus einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Bezug auf das Untersagen des Herstellens, Behandelns und Inverkehrbringens von Bacon, der mit dem Schaumverhüter behandelt worden ist, ziehen will. Dies gilt unabhängig von dem von der Antragstellerin hervorgehobenen Umstand, dass in der Nichtverwendung des Schaumverhüters kein Teilanerkenntnis im Hinblick auf den angegriffenen Bescheid zu sehen sei und der vorläufige Verzicht auf die Verwendung keinesfalls unter Anerkennung einer Rechtspflicht erfolge. Die abschließende Klärung der Zulässigkeit der Verwendung des Schaumverhüters kann nämlich ersichtlich nicht im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren erfolgen, sondern muss der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Die Antragstellerin könnte deshalb ein Rechtsschutzbedürfnis nur auf die Absicht stützen, den strittigen Stoff im Falle des Obsiegens im Eilverfahren sogleich wieder einzusetzen. Dass hat sie aber gerade nicht - zumindest nicht ausdrücklich - getan. Die Frage des Rechtsschutzbedürfnisses lässt der Senat aber letztlich offen, weil der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes jedenfalls auch in der Sache ohne Erfolg bleibt.

7

b)

In materieller Hinsicht kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs wiederherstellen bzw. anordnen, wenn die im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsaktes hinter das Interesse des Adressaten an einem Aufschub des Vollzugs desselben zurücktritt. Im Rahmen der Interessenabwägung haben die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs einen entscheidenden Stellenwert. Ergibt sich bei der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Überprüfung, dass der Rechtsbehelf in der Hauptsache offensichtlich keinen Erfolg haben wird, weil sich der angegriffene Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig erweist, so überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts. Erweist sich der Rechtsbehelf bei summarischer Überprüfung demgegenüber als offensichtlich erfolgreich, überwiegt regelmäßig das Interesse des Adressaten des Verwaltungsaktes, von dessen Vollziehung vorerst verschont zu bleiben. Stellen sich die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs hingegen bei der allein gebotenen summarischen Überprüfung als offen dar, so ist eine Abwägung der widerstreitenden Interessen erforderlich, bei der in Rechnung zu stellen ist, welche Gründe bei bestehender Unsicherheit im Hinblick auf die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs für und gegen eine Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts sprechen.

8

Die Interessenabwägung zu der Anordnung unter Nr. 1 des angegriffenen Bescheides geht zu Lasten der Antragstellerin aus. Gleiches gilt hinsichtlich der darauf bezogenen Zwangsgeldandrohung unter Nr. 4 des angegriffenen Bescheides.

9

aa)

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts spricht unabhängig von einer weiteren Sachverhaltsaufklärung Überwiegendes für die Rechtmäßigkeit der Anordnung unter Nr. 1 des angegriffenen Bescheides; jedenfalls geht aber eine über die Betrachtung der Erfolgsaussichten hinausgehende Abwägung der widerstreitenden Interessen zu Lasten der Antragstellerin aus. Im Einzelnen:

10

(1)

Das Verwaltungsgericht hat bei der für die Frage der Rechtmäßigkeit der auf § 39 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 LFGB wegen eines Verstoßes gegen das Verbot des § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) und Nr. 2 LFGB gestützten Untersagung maßgebliche Abgrenzung zwischen Verarbeitungshilfsstoffen und Lebensmittelzusatzstoffen i.S.d. VO (EG) Nr. 1333/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über Lebensmittelzusatzstoffe vom 16. Dezember 2008 die Auffassung vertreten, dass eine abschließende Einordnung des Schaumverhüters ohne amtliche Beprobung und Begutachtung nicht möglich sei. Der Schaumverhüter würde bereits dann nicht als Lebensmittelzusatzstoff i.S.d. Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) VO (EG) Nr. 1333/2008 verwendet, wenn die Aussage der Antragstellerin zutreffend sei, dass der Schaumverhüter im Endprodukt keine technologische Wirkung mehr entfalte. Diese Argumentation dürfte nach Auffassung des Senats zu kurz greifen.

11

(a)

Zwar mag es typischerweise so sein, dass Lebensmittelzusatzstoffe nach ihrem Verwendungszweck und ihrem Wirkungsmechanismus darauf gerichtet sind, im Endprodukt technologisch zu wirken, während Verarbeitungshilfsstoffe ihre technologische Wirkung typischerweise im Produktionsprozess selbst entfalten. Der Antragsgegner weist indessen zutreffend darauf hin, dass es sich bei der Frage der technologischen Auswirkungen auf das Enderzeugnis - dass solche Auswirkungen auf das Enderzeugnis hier nicht gegeben sind, ist zwischen den Beteiligten unstreitig - nicht um das alleinige Kriterium für die Differenzierung zwischen Verarbeitungshilfsstoffen und Lebensmittelzusatzstoffen handelt. Ein maßgebliches Abstellen auf fehlende technologische Auswirkungen auf das Enderzeugnis greift aus der Definition des Verarbeitungshilfsstoffs in Art. 3 Abs. 2 Buchst. b) VO (EG) Nr. 1333/2008 in verkürzender Weise lediglich das letztgenannte Tatbestandsmerkmal heraus. Maßgebliche Differenzierungskriterien ergeben sich allerdings schon daraus, dass nach den Definitionsmerkmalen in Art. 3 Abs. 2 Buchst. b) ii) VO (EG) Nr. 1333/2008 ein Verarbeitungshilfsstoff bei der Be- oder Verarbeitung aus technologischen Gründenverwendet wird, während ein Lebensmittelzusatzstoff nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) einem Lebensmittel aus technologischen Gründen zugesetzt wird (vgl. in der englischen Sprachfassung der VO (EG) Nr. 1333/2008 für den Verarbeitungshilfsstoff " intentional usage " und für den Lebensmittelzusatzstoff " intentional addition "). Die Verwendung eines Stoffes bei der Be- oder Verarbeitung dürfte die allgemeinere und das Zusetzens eines Stoffes die speziellere Begrifflichkeit und zudem ein Differenzierungskriterium sein. Es spricht Einiges dafür, dass die Auffassung des Antragsgegners, Verarbeitungshilfsstoffe seien für die Verwendung an Lebensmitteln gedacht, während es bei Lebensmittelzusatzstoffen um die Verwendung in Lebensmitteln gehe, dieser Begriffsdifferenzierung in plastischer Weise Rechnung trägt. Dieses Verständnis deckt sich nämlich mit dem Lebensmittelbegriff in Art. 2 Unterabs. 2 VO (EG) Nr. 178/2002 ("Lebensmittel-Basis-Verordnung"), wonach alle Stoffe, die dem Lebensmittel bei seiner Herstellung oder Ver- oder Bearbeitung absichtlich zugesetzt werden, selbst zum Lebensmittel zählen; demgegenüber gehören Rückstände und Kontaminanten nach Art. 2 Unterabs. 3 Buchst. h) VO (EG) Nr. 178/2002 nicht zum Lebensmittel. Dies ist bei der Differenzierung zwischen Verarbeitungshilfsstoffen und Lebensmittelzusatzstoffen zu berücksichtigen. Daraus ergibt sich nach Auffassung des Senats zunächst, dass die Begrifflichkeit des (absichtlichen) Zusetzens auch in Art. 3 Buchst. a) VO (EG) Nr. 1333/2008 einen eigenständigen Bedeutungsgehalt hat und nicht lediglich ein Synonym für die Verwendung bei der Be- oder Verarbeitung darstellt. Zum anderen dürfte daraus zu folgern sein, dass bei einem absichtlichen Zusetzen zu einem Lebensmittel regelmäßig kein bloßer Verarbeitungshilfsstoff mehr vorliegen kann, sondern ein Lebensmittelzusatzstoff gegeben ist, wenn der Stoff selbst oder seine Nebenprodukte mittelbar oder unmittelbar zu einem Bestandteil des Lebensmittels werden oder - was nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) VO (EG) Nr. 1333/2008 ausdrücklich ausreicht - zu einem Bestandteil des Lebensmittels werden können.

12

(b)

Eine solche Situation dürfte hier gegeben sein: Beim Einspritzen der mit dem Schaumverhüter versetzten Pökellake in das Fleisch handelt es sich ersichtlich um ein absichtliches Zusetzen des Stoffs in das Lebensmittel. Nach der direkten Injektion in das Fleisch drängt sich auch die Annahme auf, dass der Schaumverhüter selbst oder seine Nebenprodukte bzw. Reaktions- und Abbauprodukte zu einem Bestandteil des Lebensmittels werden oder werden können, so dass definitionsgemäß nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) VO (EG) Nr. 1333/2008 ein Lebensmittelzusatzstoff gegeben ist. Das Vorliegen eines Lebensmittelzusatzstoffs setzt - wie ausgeführt - gerade nicht voraus, dass der Stoff definitiv zu einem Bestandteil des Lebensmittels wird; sondern vielmehr reicht es aus, dass er zu einem Bestandteil des Lebensmittels werden kann. Zumindest daran dürften nach einer Injektion der mit dem Schaumverhüter versetzten Pökellake keine durchgreifenden Zweifel bestehen können. Im Übrigen hat der Antragsgegner mittlerweile nachvollziehbar dargelegt, dass und warum die in dem Schaumverhüter enthaltenen Polysiloxane nicht auch im Enderzeugnis nachgewiesen werden können (vgl. Schriftsatz des Antragsgegners vom 2. Juni 2010 (Bl. 353 d.A.) und Stellungnahme des LAVES vom 27. Mai 2010 (Bl. 356 d.A.: Nichterreichung der Bestimmungsgrenze, nicht identifizierbare cyclische Polysiloxane). Der fehlende Nachweis der Bestandteile des Schaumverhüters im Enderzeugnis vermag aber nichts daran zu ändern, dass die Definitionsmerkmale eines Lebensmittelzusatzstoffs vorliegend erfüllt sein dürften. Auch der Vergleich des Schaumverhüters bei der Herstellung des Bacons mit demjenigen bei anderen Lebensmitteln bestätigt diese Sichtweise: Eine Vergleichbarkeit ist z.B. mit dem Einsatz eines Schaumverhüters bei der Herstellung von Konfitüre gegeben: Hier wie dort wird der Stoff mit dem eigentlichen Lebensmittel "vermengt", um während des Produktionsprozesses (Umrühren bzw. Wiederverwendung der Lake beim Bacon und Kochvorgang bei der Herstellung von Konfitüre) eine unerwünschte Schaumbildung zu vermeiden. Bei der Konfitüre stellt Schaumverhüter indessen einen (mengenmäßig beschränkt zugelassenen) Lebensmittelzusatzstoff dar.

13

(2)

Selbst wenn man auch bei einem absichtlichen Zusetzen das bloße Vorliegen eines Verarbeitungshilfsstoffs grundsätzlich für möglich halten wollte, wären die übrigen Kriterien für einen solchen Stoff hier nicht gegeben.

14

(a)

Der Senat hält die Sichtweise des Antragsgegners für überzeugend, dass es beim Injizieren der mit einem Schaumverhüter versetzten Pökellake hinsichtlich des Enderzeugnisses nicht um (lediglich) unbeabsichtigte und technisch unvermeidbare Rückstände des Stoffes oder seiner Derivate gehen kann, was ebenfalls definitionsgemäße Voraussetzung für das Vorliegen eines Verarbeitungshilfsstoffs ist. Eine (nicht aufklärbare) tatsächliche Unklarheit über den Verbleib eines Stoffes geht nach Auffassung des Senats jedenfalls dann zu Lasten des Lebensmittelunternehmers, wenn der Stoff aus seiner Sicht zwar Verarbeitungshilfsstoff sein soll, aber wie ein Lebensmittelzusatztoff Verwendung findet. Wird ein Stoff einem Lebensmittel absichtlich zugesetzt und kommt es dadurch zwangsläufig zu Reaktionsprozessen im Lebensmittel, beruft sich der Lebensmittelunternehmer aber gleichwohl auf eine bloße Verwendung als Verarbeitungshilfsstoff, muss nachgewiesen sein, dass im Endprodukt trotz des vorherigen Zusetzens nur unbeabsichtigte Rückstände oder Rückstandsderivate verbleiben. Eine fehlende Nachverfolgbarkeit des zugesetzten Ausgangsstoffs über Reaktions- und Abbauprodukte hin zu Rückständen oder Rückstandsderivaten erfüllt nicht die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 Buchst. b) iii) VO (EG) Nr. 1333/2008 für einen Verarbeitungshilfsstoff; vielmehr ist in einer solchen Situation vom Vorliegen eines Lebensmittelzusatzstoffs auszugehen. Dies gilt unabhängig von der Frage einer aktiven oder passiven Reduzierung und der Rückstandsminimierungspflicht. Wer einen Stoff absichtlich zusetzt, sich über dessen Verbleib aber "keine Gedanken macht" bzw. sich auf Nichtwissen oder lediglich auf eine fehlende Nachweisbarkeit im Enderzeugnis beruft, kann nach Einschätzung des Senats nicht in den Genuss der für Verarbeitungshilfsstoffe geltenden rechtlichen Vergünstigungen kommen. So liegt es hier: Der Schaumverhüter ist von der Art seiner Verwendung mit dem ebenfalls absichtlich zugesetzten Pökelsalz (typischer Lebensmittelzusatzstoff) vergleichbar; gleichzeitig beruft sich die Antragstellerin aber darauf, dass lediglich ein Verarbeitungshilfsstoff vorliege, ohne sich über den Verbleib Klarheit verschafft zu haben. Es ist bereits deshalb von einem (unzulässigen) Lebensmittelzusatzstoff auszugehen.

15

(b)

Erschwerend tritt nach Auffassung des Senats hinzu, dass hier ein Stoffgemisch als Schaumverhüter Verwendung findet, das - anders als der Schaumverhüter Dimethylpolisiloxan (E 900) - auch für andere Lebensmittel nicht als Zusatzstoff zugelassen ist. Ein Stoffgemisch, das einer Rückstandsprüfung an den Kriterien der (nur abstrakten) Rückstandsvorgaben in Art. 3 Abs. 2 Buchst. b) iii) VO (EG) Nr. 1333/2008 unzugänglich ist und sich damit einer Kontrollmöglichkeit entzieht, liegt der gemeinschaftsrechtlichen Vorstellung eines Verarbeitungshilfsstoffs nicht zugrunde. Dies zeigen die Regelungen zu den harmonisierten oder sich in der Harmonisierung befindlichen "technischen Hilfsstoffen" wie etwa den Extraktionslösungsmitteln (vgl. insoweit Richtlinie 2009/32/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009) oder den Enzymen (vgl. insoweit VO (EG) Nr. 1332/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008): Insoweit sind Anwendungsregelungen und Höchstmengenbestimmungen vorgesehen. Das (vermeintliche) "rechtliche Vakuum" in Bezug auf weder harmonisierte noch im nationalen Recht ausdrücklich geregelte Verarbeitungshilfsstoffe lässt sich nach Auffassung des Senats nicht dergestalt füllen, dass Stoffe als technische Hilfsstoffe verwendet werden können, die sich aufgrund ihrer Eigenschaften und ihrer Verwendungsbedingungen von vornherein einer Überprüfbarkeit auf Rückstände entziehen, was hier nach den oben zitierten Ausführungen des LAVES der Fall ist.

16

bb)

Abgesehen von vorstehenden Erwägungen geht nach Auffassung des Senats auch eine von den Erfolgsaussichten unabhängige Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerin aus. Insoweit teilt der Senat nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass maßgeblich für die Antragstellerin spreche, dass sie den Schaumverhüter seit der Beanstandung durch den Antragsgegner am 21. April 2010 nicht mehr verwendet. Dieser Umstand lässt nach Auffassung des Senats - wie dargelegt - vielmehr das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes als fragwürdig erscheinen. Er kann hingegen nicht als Begründung dafür herangezogen werden, dass es einer sofortigen Vollziehbarkeit der Anordnung unter Nr. 1 des angegriffenen Bescheides nicht mehr bedürfe. Im Gegenteil ist bei der Abwägung der Interessen von maßgeblicher Bedeutung, dass es der Antragstellerin offenbar ohne größere Probleme möglich ist, ihre Produktion auch ohne den streitigen Schaumverhüter fortzuführen, auch wenn mit dem Verzicht auf diesen Stoff ein höherer Aufwand und höhere Kosten verbunden sein mögen. Dass Aufwand und Kosten als Folge des Verzichts auf den Einsatz des Schaumverhüters erheblich sind und die Betriebsprozesse deutlich erschwert würden, behauptet selbst die Antragstellerin nicht.

17

cc)

Hinsichtlich der in der Anordnung unter Nr. 4 des angegriffenen Bescheides erfolgten Zwangsgeldandrohung in Bezug auf die Anordnung unter Nr. 1 ist bei der Interessenabwägung zunächst an die vorstehenden Erwägungen anzuknüpfen. Darüber hinausgehende Fehler der in der Zwangsgeldandrohung sind nicht ersichtlich. Eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist daher abzulehnen.

18

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, soweit das Verfahren nicht übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist. Soweit die Beteiligten das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes übereinstimmend für erledigt erklärt haben (vgl. oben Nr. 1), ist über die Verfahrenskosten gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es regelmäßig, demjenigen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, der im Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre. Das wäre voraussichtlich die Antragstellerin gewesen. Auch insoweit ist zunächst auf die Ausführungen zu 2. zu verweisen, nach denen die Interessenabwägung hinsichtlich des Hauptpunktes des angegriffenen Bescheides zu Lasten der Antragstellerin ausgeht. Die Anordnungen unter Nr. 2 und Nr. 3 des Bescheides "flankieren" die Anordnung unter Nr. 1. Nach § 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 LFGB kann eine Maßnahme angeordnet werden, mit der verhindert werden soll, dass ein Erzeugnis, das den Verbraucher noch nicht erreicht hat, auch durch andere Wirtschaftsbeteiligte weiter in den Verkehr gebracht wird (Rücknahme). Der Senat hat bei kursorischer Einschätzung anders als das Verwaltungsgericht keine durchgreifenden Zweifel daran, dass sich eine solche Maßnahme grundsätzlich als rechtmäßig erweisen kann, wenn ein Lebensmittel mit einem nicht zugelassenen Lebensmittelzusatzstoff in den Verkehr gebracht worden ist, auch wenn eine Gesundheitsgefährdung nicht nachgewiesen ist. Hier ist zudem den Interessen der Antragstellerin schon dadurch Rechnung getragen worden, dass auf die Anordnung eines auch gegenüber den Verbrauchern auszusprechenden Rückrufs verzichtet wurde. Der Antragsgegner hat mithin bereits das "mildere Mittel" gewählt. Hinsichtlich der Nr. 3 des angegriffenen Bescheides vermag der Senat ebenfalls keine besonderen Probleme zu erkennen. Die bereits mündlich ausgesprochene sofortige Sperre für noch im Betrieb vorhandenes Fleisch und noch vorhandenen Schaumverhüter, die sich auf § 39 Abs. 2 Nr. 5 LFGB stützen lässt, ist lediglich schriftlich wiederholt und mit einer Zwangsgeldandrohung versehen worden. Ein eigenständiger Regelungsgehalt der "Sperre" gegenüber der Anordnung unter Nr. 1 des Bescheides ergibt sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts schon daraus, dass sie bereits unmittelbar bei der Kontrolle am 21. April 2010 ausgesprochen worden ist und deshalb in zeitlicher Hinsicht dem später erlassenen Bescheid vorgreift. Die spätere schriftliche Bestätigung dieser Sperre im Sinne einer wiederholenden Verfügung stellt sich nicht als rechtfehlerhaft dar.