Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 15.12.2005, Az.: 13 Verg 14/05
Nachprüfungsantrag auf Grund eines Vergabefehlers; Erfüllung einer Rügepflicht; Sicherung des Wettbewerbs
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 15.12.2005
- Aktenzeichen
- 13 Verg 14/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 31624
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2005:1215.13VERG14.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VK Lüneburg - 07.09.2005 - AZ: VK 38/2005
Rechtsgrundlage
- § 8 Ziff. 1 Abs. 2 VOL/A
Fundstellen
- BauR 2006, 888 (amtl. Leitsatz)
- FStBay 2006, 655-659
- IBR 2006, 45
- NZBau 2007, 62 (amtl. Leitsatz)
- OLGReport Gerichtsort 2006, 91-93
- VS 2005, 91
- Vergabe-Navigator 2006, 25-27
- Vergabe-News 2006, 17-18
- VergabeR 2006, 244-246 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
- ZfBR 2007, 51
- ZfBR 2006, 188-190 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
- 1)
Ein Nachprüfungsantrag ist auch dann zulässig, wenn nicht der Antragsteller, sondern ein anderer Bieter den entsprechenden Vergabefehler rechtzeitig gerügt und der Auftraggeber dieser Rüge nicht abgeholfen hat.
- 2)
Sich notwendige Informationen über preisbeeinflussende Umstände zu verschaffen, darf allenfalls dann dem Bieter überlassen werden, wenn er sich diese Informationen mit verhältnismäßig geringem, jedenfalls geringerem Aufwand als der Auftraggeber besorgen kann und dies die Vergleichbarkeit der Angebote nicht gefährdet.
- 3)
Zur Verpflichtung des Auftraggebers, in der Ausschreibung einer Gebäudeversicherung Angaben über die Werte der Gebäude zu machen.
In dem Vergabeverfahren
hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
die Richter Dr. K., U. und W.
auf die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 2005
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Auftraggeberin gegen den Beschluss der Vergabekammer (VgK - 38/2005 Regierungsvertretung Lüneburg) vom 7. September 2005 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Auftraggeberin.
Gründe
I.
Im April 2004 (Vermerk vom 13. April 2004 des Bereich 64 der Stadt L.) erschien es der Stadt L. bedenklich, die langjährigen Verträge mit der VGH zur Gebäude und Gebäudeinhaltsversicherung weiter zu verlängern. Sie entschied sich unter Bezug auf ein Ausschreibungsmuster des Niedersächsischen Städte und Gemeindebundes (NSGB) für die vorliegende Ausschreibung, die einen Unterversicherungsverzicht fordert, der sich dann noch weitere Gemeinden anschlossen. Die Werte der einzelnen Objekte mit der Angabe des Jahres der Feststellung der jeweiligen Werte mitzuteilen, lehnte die Auftraggeberin ab. Diese seien zwar mit einige Mühe ermittelbar, die Musterausschreibungsunterlagen des NSGB sähen das jedoch nicht vor.
Das rügten zunächst die Assekuranz-Makler B. und B. am 1. Juli 2005 namens anderer potentieller Bieter erfolglos. Dann stellte die - von demselben Versicherungsmakler betreute - Antragstellerin den Nachprüfungsantrag vom 25. Juli 2005. Eine seriöse Kalkulation ihrer Versicherungsleistung sei nur möglich, wenn sie die Gebäudewerte kenne. § 8 VOL/A verpflichte die Auftraggeberin, diese Werte bekannt zugeben.
Die Antragstellerin hat beantragt,
die Auftraggeberin anzuweisen, die erforderlichen Maßnahmen zu erlassen, das Vergabeverfahren in einen ordnungsgemäßen Zustand zu versetzen und dabei insbesondere die notwendige Korrektur der Verdingungsunterlagen (Nennung der Versicherungssummen, Verwendung von neutralen Versicherungsbedingungen) vorzunehmen.
Dem ist die Auftraggeberin entgegengetreten. Sie habe mit ihrer Ausschreibung das Konzept des NSGB verfolgt um Unterversicherungen sicher auszuschließen und Bieter zu innovativen Kalkulationen zu veranlassen.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Vergabekammer dem Nachprüfungsantrag mit folgendem Tenor stattgegeben:
"Die Auftraggeberin wird verpflichtet, der Antragstellerin und den übrigen Unternehmen, die im streitbefangenen Vergabeverfahren die Verdingungsunterlagen angefordert haben, in Ergänzung der mit der Leistungsbeschreibung zur Verfügung gestellten Objektliste die Werte der einzelnen Objekte mit der Angabe des Jahres der Feststellung der jeweiligen Werte zu Kalkulationszwecken mitzuteilen. Die Angebotsfrist ist .... zu verlängern."
Die Antragstellerin, die ursprünglich weitere Ziele verfolgt hatte, nimmt diesen Beschluss hin. Die Auftraggeberin wendet sich dagegen mit ihrer sofortigen Beschwerde. Sie beanstandet zunächst, die Rüge sei nicht von der Antragstellerin abgegeben worden, sie könne sich deshalb darauf nicht berufen. Folglich sei schon der Nachprüfungsantrag unzulässig.
Auch in der Sache sei der Beschluss der Vergabekammer falsch. Sie müsse keine Angaben zu den Werten der Objekte machen, denn eine darauf abstellende Leistung wolle sie nicht nachfragen. Sie erwarte kreative Kalkulationen.
Dies beanstandet die Antragstellerin. § 8 VOLA verlange, dass eine Leistung so eindeutig und so erschöpfend beschrieben werde, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssten und die Angebote miteinander verglichen werden könnten. Dazu müsse deröffentliche Auftraggeber alles Zumutbare tun, um eine ordnungsgemäße Kalkulation auf gleicher Basis zu ermöglichen.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg.
1.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Ihm steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin den von der Vergabekammer erkannten Vergabeverstoß nicht selbst gerügt hatte, sondern die Assekuranz-Makler B. und B. namens eines anderen potentiellen Bieters. Zwar ist die unverzügliche Rüge Voraussetzung für das Nachprüfungsverfahren. Diese Rüge ist jedoch nicht Selbstzweck. Es wäre unnötige Förmelei, von einem Antragsteller zu erwarten, dass er eine ihm bekannte, von einem Dritten erhobene und von der Vergabestelle nicht abgestellte Rüge wie hier wiederholt. Die Rüge soll nämlich dem Auftraggeber ermöglichen, der Beanstandung abzuhelfen und so unnötige Nachprüfungsverfahren zu vermeiden. Diese Funktion kann auch die Rüge eines Dritten erfüllen.
2.
Die Entscheidung der Vergabekammer ist zutreffend.
a)
Die Leistungsbeschreibung ist allein Sache der Auftraggeberin. Ob die Werte der zu versichernden Risiken angegeben werden oder nicht, ändert die Leistungsbeschreibung nicht. Das verkennt die Auftraggeberin. Die nachgefragte Leistung ergibt sich eindeutig aus den Ausschreibungsunterlagen. Die zu versichernden Sachen sind bekannt, die Entschädigungsleistung ergibt sich aus den Sachwertversicherungsbedingungen für kommunale Objekte, dort Ziffer 2.2, 7.1 und 7.2 sowie 15. Daraus folgt, dass innerhalb der ebenfalls in der Ausschreibung angegebenen (Ziffer 2.1.2 der Leistungsbeschreibung) Entschädigungsgrenzen im Schadensfalle der Neu oder Zeitwert zu ersetzen ist, der dann nach den vorgegebenen Bestimmungen für die Wertermittlung (Ziffer 2.3 der Sachversicherungsbedingungen für kommunale Objekte), festgestellt nach DIN 276/277 für die Gebäude, im Übrigen nach dem Wiederbeschaffungspreis werden muss. Dabei ist der Unterversicherungseinwand ausgeschlossen. Danach steht die zu erbringende Leistung fest. Die von der Antragstellerin nachgefragten Werte sind nicht Teil der Leistung, mithin auch nicht Teil der Leistungsbeschreibung. Das verkennt die Beschwerdeführerin, wenn sie reklamiert, sie sei in der Gestaltung der Leistungsbeschreibung frei.
Angesichts der feststehenden Leistungsbeschreibung, die allenfalls durch zugelassene (Aufforderungsschreiben zur Abgabe eines Angebotes, S. 1) Nebenangebote/Änderungsvorschläge modifiziert werden könnte, handelt es sich bei der Ausschreibung um einen gewöhnlichen Preiswettbewerb.
b)
Die Parteien sind sich einig, dass der Wert der zu versichernden Objekte für die Bieter ein wesentlicher Kalkulationsfaktor ist.
Gemäß § 8 Ziffer 1 Abs. 2 ist ein Auftraggeber verpflichtet, alle eine einwandfreie Preisermittlung beeinflussenden Umstände festzustellen und in den Verdingungsunterlagen anzugeben. Es ist nicht zu erkennen, weshalb im vorliegenden Fall von diesem Grundsatz abgewichen werden soll.
ba)
Die Sicherung des Wettbewerbs erfordert das nicht. Wie bereits dargelegt, steht die nachgefragte Leistung fest. Dafür ist ohne Bedeutung, ob die Werte bekannt gegeben werden oder nicht. Deshalb wird durch die beanstandete Verpflichtung zur Hergabe der Werte auch die Gestaltungsfreiheit der Auftraggeberin bei der Formulierung der Leistungsbeschreibung und ihrer Entscheidungsfreiheit, welche Leistung sie nachfragt, nicht beeinträchtigt. Auf den Wettbewerb hat die Hergabe der Werte auch keine Auswirkung. Gegenstand des Wettbewerbs ist der Preis für die definierte Leistung. Dieser Wettbewerb erfolgt unabhängig davon, welche Parameter die Bieter ihrer Kalkulation zugrunde legen.
Der Unterversicherungseinwand ist vertraglich ausgeschlossen. Dies zu bestärken genügt es, dass die Vereinbarung und Verbriefung von Versicherungswerten nicht vorgesehen ist. Die Bekanntgabe auch nicht aktueller Werte als Kalkulationsumstände hat keinen Einfluss auf die Wirksamkeit des Unterversicherungseinwandes ansonsten.
bb)
Der Senat kann auch kein schützenswertes Interesse der Auftraggeberin erkennen, das es rechtfertigte, ausnahmsweise von der Verpflichtung aus § 8 Ziff. 1 Abs. 2 VOL/a abzusehen. Dies käme nur dann in Betracht, wenn die Bieter sich die Informationen mit verhältnismäßig geringem, jedenfalls geringerem Aufwand als der Auftraggeber selbst beschaffen können und die Vergleichbarkeit der Angebote darunter nicht leidet. Beide Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Hier müssten die Bieter die Werte von 566 Objekten und der in ihnen enthaltenen Sachen selbst feststellen. Auch wenn es sich bei der Mehrzahl der Gebäude um solche handeln sollte, deren Wert sich aus den in den Objektlisten mitgeteilten Einzelheiten nach standardisierten Verfahren abschätzen ließe, ist dies schon wegen der großen Zahl für die Bieter unzumutbar. Außerdem sind nicht wenige Gebäude historische Altbauten, auf die ein solches Schätzungsverfahren nicht anwendbar ist und deren Wert erst nach einer Besichtigung durch eine entsprechend sachkundige Person abgeschätzt werden kann. In dem den Bietern bis zur Angebotsabgabe zur Verfügung stehenden Zeitraum von maximal drei Monaten war das ohnehin nicht zu bewerkstelligen.
Der Arbeitsaufwand für die Hergabe der Werte ist andererseits für die Auftraggeberin nicht so groß, dass es rechtfertigen könnte, den Bietern zu überlassen, sich die Informationen selbst zu beschaffen. Die Vergabekammer hat die Beschwerdeführerin nämlich nur verpflichtet "die Werte der einzelnen Objekte mit der Angabe des Jahres der Feststellung der jeweiligen Werte" mitzuteilen. Dabei geht es nur um solche Werte, die der Auftraggeberin zur Verfügung stehen. Soweit ihr aktuelle Werte nicht bekannt sind, weil in den mit der VGH zuletzt geschlossenen Verträgen solche nicht mehr angegeben sind, sind die sich aus älteren Unterlagen ergebenden Werte mitzuteilen. Dies genügt, wie die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erklärt hat. Schon im April 2004 hat die Stadt L. im Vermerk vom 13. April 2004 ausgeführt, dass die Werte grundsätzlich zur Verfügung stünden, jedoch zusammengeschrieben werden müssten. Der Aufwand dafür, dies anlässlich der Herstellung der sowieso erstellten Objektlisten zu tun, ging nicht über den üblichen Aufwand im Rahmen der Tätigkeit der Verwaltung der Stadt L. hinaus. Anhaltspunkte dafür, dass dies bei den anderen Mitgliedern der Bietergemeinschaft anders wäre, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
Davon abgesehen ist es auch für die Vergleichbarkeit der Angebote unverzichtbar, dass die Auftraggeberin den Bietern die nachgefragten Werte zur Verfügung stellt. Auf die zutreffenden Ausführungen der Vergabekammer wird Bezug genommen.
bc)
Gegen die Hergabe der Werte spricht auch nicht, dass dadurch der Informationsvorsprung der VGH, die bisher diese Objekte versichert hat, zunichte gemacht würde. Der Senat verkennt nicht, dass betriebliches knowhow einem einzelnen Bieter zusteht und die Umsetzung solchen Wissens in günstige Angebote zum Wesen des Wertbewerbs gehört. Hier handelt es sich jedoch nicht um betriebliches Wissen der VGH, sondern um Wissen der Auftraggeberin, das weitergegeben werden soll.
bd)
Durch die Hergabe der Werte werden auch nicht für die Auftraggebergemeinschaft ungünstige Kalkulationen provoziert. Allenfalls wird ohne die Hergabe der Werte gefördert, dass ein Bieter sich zugunsten der Auftraggebergemeinschaft verkalkuliert und dadurch die Leistung besonders preiswert beschafft werden kann. Dieses - vergaberechtswidrige - Ziel verfolgt die Auftraggeberin nach ihrer eigenen Erklärung in der mündlichen Verhandlung jedoch nicht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.