Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.01.2020, Az.: 11 LB 464/18

Identitätsfeststellung; Kontrollstelle; Kontrollstelle, mobile; Pfefferspray; Rechtsschutzbedürfnis; Versammlung; Waffe

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.01.2020
Aktenzeichen
11 LB 464/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 72087
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 24.04.2017 - AZ: 10 A 1556/16

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Bei polizeilichen Maßnahmen, die sich typischerweise kurzfristig erledigen, steht dem Betroffenen zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG das für die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage bzw. Feststellungsklage erforderliche qualifizierte (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse zur Seite.

2. Im Vorfeld einer Versammlung kann die Polizei die Identität einer Person feststellen, die an einer zur Verhütung versammlungsspezifischer Straftaten eingerichteten mobilen Kontrollstelle angetroffen wird.

3. Die Untersagung der Teilnahme an einer Versammlung nach § 10 Abs. 3 Satz 1 NVersG kommt erst dann in Betracht, wenn weniger belastende Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nicht ausreichen (hier: Einzelfall, in dem eine Teilnahmeuntersagung nach Sicherstellung des mitgeführten Pfeffersprays nicht erforderlich war).

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 10. Kammer - vom 24. April 2017 geändert.

Es wird festgestellt, dass die Untersagung der Teilnahme des Klägers an sämtlichen Gegenveranstaltungen für den Zeitraum der „PEGIDA“-Versammlung am 28. Dezember 2015 rechtswidrig gewesen ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen tragen die Beteiligten je zur Hälfte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit polizeilicher Maßnahmen.

Für Montag, den 28. Dezember 2015, wurde in Hannover in der Zeit von 19.00 Uhr bis 21.00 Uhr eine sich fortbewegende Versammlung der „PEGIDA HANNOVER“ unter dem Motto „Islamisierung des Abendlandes“ angezeigt. Die Versammlung sollte mit einer Auftaktkundgebung auf dem C. beginnen und über die D. straße, E. straße, F., G. straße, H. und I. straße zurück zum C. führen. Anlässlich der Versammlung ordnete der Leiter der Polizeiinspektion Mitte am 21. Dezember 2015 auf der Grundlage von § 14 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung - Nds. SOG - die Einrichtung von stationär und mobil durchzuführenden Kontrollstellen für den 28. Dezember 2015 von 17.00 Uhr bis spätestens Ende des Einsatzes an. Danach waren stationäre Kontrollstellen beim Betreten des Versammlungsortes „PEGIDA“ und bei sich ergebenden Gegenveranstaltungen in Form von Spontan-/Eilversammlungen am jeweiligen Versammlungsort vorgesehen. Weitere stationäre und mobile Kontrollstellen wurden auf öffentlichen Straßen und Plätzen im Stadtgebiet, insbesondere entlang der Aufzugsroute sowie auf den An- und Abmarschwegen zur Versammlung, lageabhängig auf Basis von Erkenntnissen über die Anreise und Anwesenheit potenziell gewaltbereiter Versammlungsteilnehmer sowie Teilnehmer möglicher Gegenversammlungen angeordnet.

Am 28. Dezember 2015 versammelten sich in örtlicher Nähe zu der Versammlung auf dem C. Gegendemonstranten, die nach dem Bericht des Zentralen Kriminaldienstes vom 26. Januar 2016 (Bl. 12 der Beiakte 001) überwiegend der örtlichen linken Szene zuzurechnen waren. Diese Personengruppe mit bis zu 100 Personen wurde von der Polizei als Versammlung eingestuft und mit Kontrollmaßnahmen belegt. An der I. straße/Ecke D. straße wurde ab 18.15 Uhr eine kleinere Gruppe von mehreren Personen (ca. 6-9) kontrolliert, in der sich auch der Kläger befand. Mitglieder dieser Gruppe erklärten, sich auf dem Weg zu einer Gegendemonstration zu befinden. Bei dem Kläger wurde durch Zeigen des Personalausweises die Identität festgestellt. Nach der Bekanntgabe der Durchsuchung gab der Kläger freiwillig eine Dose Pfefferspray („Pfeffer KO Jet“) heraus, die er in der linken Jackentasche mit sich führte und die von der Polizei sichergestellt wurde. Zur Sache machte der Kläger keine Aussagen. Dem Kläger wurde die Teilnahme an sämtlichen Gegenveranstaltungen nach § 10 Abs. 3 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes - NVersG - verboten. Im Anschluss an die Kontrolle wurde der Kläger um 20.10 Uhr entsprechend der Kontrollstellenanordnung zunächst in einen Gefangenenkraftwagen verbracht und um 22.26 Uhr dem Polizeigewahrsam zugeführt, aus dem er um 22.40 Uhr entlassen wurde. Zu diesem Zeitpunkt war die „PEGIDA“-Versammlung beendet (Kurzbericht Nr. 149055, Bl. 13 f. der Beiakte 001).

Gegen den Kläger wurde aufgrund des sichergestellten Pfeffersprays ein Strafverfahren wegen Verstoßes gegen § 3 Abs. 2, § 20 Abs. 1 Nr. 1 NVersG eingeleitet. Mit Urteil vom 21. November 2016 sprach das Amtsgericht Hannover den Kläger von dem Vorwurf des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz frei (234 Cs 1141 Js 12298/16 (198/16)). Zur Begründung führte das Amtsgericht Hannover aus, dass der Kläger unwiderleglich angegeben habe, das Pfefferspray auf Grund bestehender Ängste immer bei sich zu tragen und nicht gewusst zu haben, dass dies auf dem Weg zu einer Demonstration verboten sei.

Der Kläger beantragte beim Amtsgericht Hannover nach § 19 Abs. 2 Nds. SOG die Überprüfung der Rechtmäßigkeit seiner Ingewahrsamnahme. Mit Beschluss vom 31. Mai 2016 (42 XIV 39/16 L) stellte das Amtsgericht Hannover „die Rechtmäßigkeit der in der Zeit vom 29.02.2016, sich an die ab 18.20 Uhr erfolgte strafprozessuale Ingewahrsamnahme anschließende bis 22.40 Uhr andauernde gefahrenabwehrrechtlich erfolgte Ingewahrsamnahme“ des Klägers fest. Die Gründe des Beschlusses bezogen sich auf das Geschehen vom 28. Dezember 2015. Auf die Beschwerde des Klägers hob das Oberlandesgericht Celle mit Beschluss vom 24. Januar 2017 (22 W 7/16) den angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts Hannover und dessen Nichtabhilfebeschluss auf und verwies das Verfahren zurück an das Amtsgericht. Mit Beschluss vom 31. März 2017 stellte das Amtsgericht Hannover fest, „dass die sich in der Zeit vom 29.02.2016 an die ab 18.20 Uhr erfolgte vorläufige Festnahme anschließende bis 22.40 Uhr andauernde gefahrenabwehrrechtliche Ingewahrsamnahme des Betroffenen dem Grunde nach rechtswidrig war.“ In den Gründen seines Beschlusses bezog sich das Amtsgericht auf die Geschehnisse vom 28. Dezember 2015.

Der Kläger hat am 1. März 2016 Feststellungsklage vor dem Verwaltungsgericht erhoben.

Zur Begründung hat er vorgetragen, dass die Anordnung mobiler Kontrollstellen zu unbestimmt gewesen sei. Es ergebe sich daraus nicht, ob und inwieweit eine Kontrollstelle konkret für die I. straße/J. straße angeordnet worden sei. Er habe gegenüber den Polizeibeamten nicht angegeben, auf dem Weg zu einer Versammlung zu sein. Das Mitführen des Tierabwehrsprays erfülle selbst mit Bezug zu einer Versammlung keinen Straftatbestand. Er sei vorher nie polizeirechtlich auffällig geworden und habe das Tierabwehrspray freiwillig herausgegeben. Deshalb habe die Beklagte kein Versammlungsverbot aussprechen dürfen. Er fürchte bei Besuchen von Hannover eine Wiederholung einer verdachtsunabhängigen Kontrolle.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass die von Beamten der Beklagten durchgeführte Kontrolle des Klägers sowie das im Anschluss ausgesprochene Verbot der Teilnahme an „sämtlichen Gegenveranstaltungen für den Zeitraum der PEGIDA-Versammlung“ am 28. Dezember 2015 rechtswidrig waren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat erwidert, dass die Personenkontrolle und das Versammlungsverbot zu Recht erfolgt seien. Für den 28. Dezember 2015 seien ca. 120 Personen aus dem linken Spektrum und teilweise gewaltbereit als Gegendemonstranten erwartet worden. Wie bei den vorangegangenen „PEGIDA“-Versammlungen seien Ausschreitungen gegen Personen und Sachen zu erwarten gewesen. Der Kläger sei um 18.20 Uhr an der I. straße/J. straße und damit in unmittelbarer Nähe des Versammlungsortes der Versammlung „PEGIDA“ kontrolliert worden. Diese Versammlung habe um 19.00 Uhr mit einer Auftaktkundgebung auf dem C. beginnen und über die D. straße ihren weiteren Verlauf nehmen sollen. Die Kontrollstelle sei damit von der Anordnung eindeutig gedeckt gewesen. Das von dem Kläger mitgeführte Pfefferspray falle unter den Waffenbegriff des § 3 Abs. 2 NVersG und sei nicht als reine Defensivausrüstung anzusehen. Die Strafbarkeit ergebe sich aus dem Waffenverbot gemäß § 3 Abs. 2 NVersG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 NVersG. Die polizeiliche Gefahrenprognose sei dadurch begründet gewesen, dass aufgrund des Mitführens des Pfeffersprays zu einer Gegenveranstaltung zur „PEGIDA“-Versammlung von einer potenziellen Unfriedlichkeit des Klägers auszugehen gewesen sei. Zur Verhinderung von gewaltsamen Ausschreitungen durch den Kläger sei die Teilnahmeuntersagung notwendig gewesen. Die Einziehung des Pfeffersprays als weniger belastende Maßnahme habe nicht ausgereicht, die prognostizierten Gefahren zu verhindern. Eine bloße Sicherstellung hätte andere gewalttätige Aktionsformen nicht ausgeschlossen. Im Hinblick auf die polizeiliche Gefahrenprognose sei ein konsequentes Vorgehen bei niedriger Einschreitschwelle gegenüber augenscheinlich gewaltbereiten Versammlungsgegnern erforderlich gewesen.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 24. April 2017 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klage unzulässig sei. Dem Kläger fehle das erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Personalienfeststellung und des Versammlungsverbots. Eine Wiederholungsgefahr sei nicht gegeben, weil nicht ersichtlich sei, ob und ggf. wann und unter welchen Umständen dem Kläger eine Wiederholung der Situation konkret drohen könnte. Die Feststellung der Identität des Klägers und das ausgesprochene Versammlungsverbot begründeten zwar - zugunsten des Klägers unterstellt - ein Rehabilitationsinteresse, doch bedürfe der Kläger zur Genugtuung nicht der Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Maßnahmen. Denn das Amtsgericht Hannover habe mit dem Beschluss vom 31. März 2017 allumfassend dem Kläger Genugtuung gewährt. Gegenstand der Entscheidung sei zwar (nur) die vorläufige Festnahme und anschließende Ingewahrsamnahme des Klägers nach dem Ausspruch des Verbots, an der Versammlung teilzunehmen. Für den außenstehenden Betrachter, auf den es für die Beurteilung der Diskriminierungswirkung ankomme, stelle sich das Geschehen jedoch als einheitlicher Akt dar. Der Kläger sei nach der Identitätsfeststellung, die allenfalls fünf Minuten zwischen 18.15 Uhr und 18.20 Uhr gedauert haben könne, und dem Ausspruch des Versammlungsverbots um 18.20 Uhr in dem Zeitraum von 18.20 Uhr bis 22.40 Uhr festgenommen und in Gewahrsam genommen worden. Festnahme und Ingewahrsamnahme seien nicht nur weitaus stärkere und die anderen Verhaltensweisen der Beklagten überformende Verhaltensweisen, die dem Betrachter rehabilitationsbedürftig auffallen könnten, sie hätten auch einen bedeutend längeren Zeitraum als die allenfalls fünfminütige im hiesigen Klageverfahren zum Spruch gestellte Verhaltensweise der Beklagten eingenommen. Für den nicht juristisch geschulten Betrachter stelle sich der gesamte Geschehensablauf ohnehin als einheitlich - und damit vom Amtsgericht abschließend bewertet - dar. Damit habe der Kläger bereits ausreichend Genugtuung erfahren und keinen Bedarf an einer darüberhinausgehenden Rehabilitierung. Soweit sich der Kläger darauf berufe, dass mit der Feststellung seiner Personalien und dem Versammlungsverbot in seine Grundrechte, insbesondere aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 GG eingegriffen worden sei, fehle der Klage auch das Rechtsschutzbedürfnis. Das Amtsgericht habe den für den Außenstehenden einheitlichen Geschehensablauf mit dem Ausspruch des Verbots, an der Versammlung teilzunehmen, und der vorläufigen Festnahme bereits geprüft und im Sinne des Klägers beantwortet.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 16. August 2018 (11 LA 190/17) die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

Zur Begründung der Berufung nimmt der Kläger auf seine Ausführungen zur Begründung des Zulassungsantrages im Schriftsatz vom 19. Juli 2017 Bezug.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 10. Kammer - vom 24. April 2017 zu ändern und festzustellen, dass die von Beamten der Beklagten durchgeführte Kontrolle des Klägers sowie die Untersagung der Teilnahme des Klägers an sämtlichen Gegenveranstaltungen für den Zeitraum der „PEGIDA“-Versammlung am 28. Dezember 2015 rechtswidrig gewesen sind.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihr bisheriges Vorbringen zur Rechtmäßigkeit der Kontrolle und des Ausschlusses des Klägers von sämtlichen Gegenveranstaltungen und trägt ergänzend vor, dass die Ingewahrsamnahme erst habe erfolgen können, nachdem das Teilnahmerecht des Klägers auf versammlungsrechtlicher Ebene beendet worden sei. Selbst wenn nunmehr die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme festgestellt worden sei, sei die Untersagung der Teilnahme an Gegenveranstaltungen zum Schutze der bestätigten „PEGIDA“-Versammlung aufgrund der Gesamtlage an diesem Abend zulässig gewesen. Die Sicherstellung der Waffe habe nicht ausgereicht, da allein das Mitführen eines solchen Gegenstandes objektiv auf die potenzielle Bereitschaft zu gewalttätigen Aktionsformen schließen lasse.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg. Die von dem Kläger erhobene Klage ist zulässig (1.) und begründet, soweit der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit seines Ausschlusses von Gegendemonstrationen begehrt (2.b). Insofern ist das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern. Der Kläger kann jedoch nicht die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Kontrolle beanspruchen (2.a).

1. Die Klage ist zulässig.

Die auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahmen gerichtete Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO bzw. als Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die statthafte Klage auch zulässig.

Das für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse und das für eine Feststellungsklage, die sich auf die Feststellung eines vergangenen Rechtsverhältnisses bezieht, nach denselben Kriterien zu ermittelnde erforderliche qualifizierte Rechtsschutzinteresse liegen vor.

Dem Kläger steht gestützt auf das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ein berechtigtes und damit das erforderliche qualifizierte (Fortsetzungs-) Feststellungsinteresse zur Seite. Bei Maßnahmen, die sich typischerweise kurzfristig erledigen, gilt die Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG nicht nur für schwerwiegende Grundrechtseingriffe, sondern auch für einfach-rechtliche Rechtsverletzungen, die - von der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG abgesehen - kein Grundrecht tangieren, und für weniger schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte und Grundfreiheiten. Wenn und soweit sich die Kurzfristigkeit der Maßnahme aus der Eigenart der Maßnahme selbst ergibt und der Betroffene gerade aufgrund dieser Kurzfristigkeit ansonsten keinen Rechtsschutz erlangen kann, verlangt das Gebot des effektiven Rechtsschutzes, dass der Betroffene die ihn belastende Maßnahme unabhängig von der Schwere des damit verbundenen Rechtseingriffs in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfen lassen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.5.2013 - 8 C 20/12 -, juris, Rn. 22 f.; dasselbe, Urt. v. 16.5.2013 - 8 C 38/12 -, juris, Rn. 20; dasselbe, Urt. v. 23.1.2008 - 6 A 1/07 -, BVerwGE 130, 180, juris, Rn. 26; Sächsisches OVG, Urt. v. 27.1.2015 - 4 A 533/13 -, juris, Rn. 29; OVG Bremen, Urt. v. 27.3.1990 - 1 BA 18/89 -, juris, Rn. 44; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 113, Rn. 145; Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113, Rn. 282, jeweils m.w.N.).

Davon ausgehend ist vorliegend ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse des Klägers zu bejahen. Bei der Kontrolle des Klägers und dem Ausschluss von der Teilnahme an Gegendemonstrationen während der „PEGIDA“-Versammlung handelt es sich um den Kläger belastende polizeiliche Maßnahmen, die sich typischerweise kurzfristig erledigen. Insofern ist es zur Verwirklichung des grundgesetzlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz geboten, beide Maßnahmen einer gerichtlichen Prüfung zugänglich zu machen, ohne dass es (zusätzlich) darauf ankommt, ob der durch die Kontrolle (Identitätsfeststellung) bewirkte Eingriff in das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) als besonders schwerwiegend zu bewerten ist. Hinsichtlich des Verbots der Teilnahme an Gegendemonstrationen ist im Übrigen auch das Verwaltungsgericht von einem schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht des Klägers auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG ausgegangen.

Nach den vorstehenden Ausführungen kann dahingestellt bleiben, ob ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse auch aufgrund einer Wiederholungsgefahr (vom Verwaltungsgericht verneint) oder eines Rehabilitationsinteresses (vom Verwaltungsgericht zu Gunsten des Klägers unterstellt) anzunehmen wäre.

Dem Kläger fehlt auch nicht das für die Zulässigkeit der Klage erforderliche allgemeine Rechtsschutzbedürfnis.

Unter dem Rechtsschutzbedürfnis ist das Interesse eines Rechtsschutzsuchenden zu verstehen, zur Erreichung des begehrten Rechtsschutzes ein Gericht in Anspruch nehmen zu dürfen. Es handelt sich bei dem Rechtsschutzbedürfnis um eine allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzung, die für alle Klagearten gilt und sich aus dem auch im Prozessrecht geltenden Gebot von Treu und Glauben sowie dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte herleitet (vgl. W.-R. Schenke/Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, Vorb. § 40, Rn. 30; Ehlers, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juli 2019, Vorb. § 40, Rn. 74 f., jeweils m.w.N.). Das Rechtsschutzbedürfnis ist u.a. dann zu verneinen, wenn der angestrebte Rechtsschutz die Rechtsstellung des Rechtsschutzsuchenden nicht verbessert, d.h. selbst bei Erfolg keinen Vorteil bringen kann (Ehlers, in: Schoch/Schneider/Bier, a.a.O., Vorb. § 40, Rn. 94, m.w.N.).

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für die vorliegende Klage nicht durch den Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 31. März 2017 entfallen. Das Amtsgericht Hannover hat ausweislich des Tenors und der Gründe seiner Entscheidung ausschließlich die Rechtswidrigkeit der sich an die ab 18.20 Uhr erfolgte vorläufige Festnahme anschließenden und bis 22.40 Uhr andauernden gefahrenabwehrrechtlichen Ingewahrsamnahme festgestellt. Gegenstand seiner Entscheidung waren, wie das Amtsgericht in den Gründen ausdrücklich angeführt hat, nicht die strafprozessualen Maßnahmen, d.h. die zunächst erfolgte Ingewahrsamnahme nach §§ 127, 127 b StPO aufgrund des Anfangsverdachts einer Straftat nach §§ 3 Abs. 2, 20 Abs. 1 Nr. 1 NVersG, sondern die im Anschluss daran erfolgte Ingewahrsamnahme aus gefahrenabwehrrechtlichen Gründen nach §§ 18 Abs. 1 Nr. 2, 19 Nds. SOG (hier anwendbar i.d.F. v. 19.1.2005, Nds. GVBl. 2005, 9, zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.11.2015, Nds. GVBl. 2015, 307). Ebenso wenig hat das Amtsgericht Feststellungen zur Rechtmäßigkeit der von dem Kläger im vorliegenden Verfahren zur Überprüfung gestellten Maßnahmen der Identitätsfeststellung und des Versammlungsverbots getroffen. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, dass sich der gesamte Geschehensablauf für den nicht juristisch geschulten Betrachter als einheitlich - und damit vom Amtsgericht abschließend bewertet - dargestellt habe, überzeugen nicht. Es handelt sich hier nicht um eine einheitliche polizeiliche Maßnahme, sondern um einen Geschehensablauf, bei dem einzelne polizeiliche Maßnahmen zeitlich nacheinander erfolgten und objektiv voneinander abtrennbar waren. Die einzelnen Maßnahmen sind auf verschiedene Rechtsgrundlagen gestützt und unterliegen der Überprüfung in unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten (ordentliche Gerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit). Mit der Entscheidung des Amtsgerichts, dass die gefahrenabwehrrechtliche Ingewahrsamnahme des Klägers rechtswidrig war, ist dem Kläger kein alle Maßnahmen umfassender Rechtsschutz gewährt worden, so dass der von ihm im vorliegenden Verfahren in Bezug auf die Kontrolle/Identitätsfeststellung und das Versammlungsverbot begehrte Rechtsschutz für ihn nicht nutzlos ist.

2. Die Klage ist teilweise begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung, dass das ihm gegenüber ausgesprochene Verbot der Teilnahme an Gegenveranstaltungen rechtswidrig war (b.). Die Kontrolle des Klägers war dagegen rechtmäßig (a.).

a. Die von Polizeibeamten am 28. Dezember 2015 an der I. straße/J. straße durchgeführte Kontrolle des Klägers einschließlich seiner Identitätsfeststellung war rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für die Kontrolle des Klägers sind die Regelungen in § 13 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 4 Nds. SOG, die mit § 13 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 4 des am 24. Mai 2019 in Kraft getretenen Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (i.d.F. vom 19.1.2005, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 20.5.2019, Nds. GVBl. 2019, 88 - NPOG -) im Wesentlichen wörtlich übereinstimmen.

Die Polizei kann nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 Nds. SOG die Identität einer Person feststellen, die an einer Kontrollstelle (§ 14 Nds. SOG) angetroffen wird. Polizeiliche Kontrollstellen sind Orte im öffentlichen Raum, an denen Personen angehalten, auf ihre Identität hin überprüft und Personen und Sachen durchsucht werden dürfen, um bestimmte Straftaten zu verhüten. Die Rechtmäßigkeit der Durchführung von Maßnahmen an einer Kontrollstelle setzt voraus, dass die Kontrollstelle selbst rechtmäßig angeordnet und eingerichtet worden ist.

Nach § 14 Abs. 1 Nds. SOG dürfen Kontrollstellen von der Polizei auf öffentlichen Straßen oder Plätzen oder an anderen öffentlich zugänglichen Orten nur eingerichtet werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass bestimmte, in Nr. 1 bis Nr. 4 benannte Straftaten begangen werden sollen und die Kontrollstellen zur Verhütung einer dieser Straftaten erforderlich sind. Dazu gehören nach § 14 Abs. 1 Nr. 4 Nds. SOG Straftaten nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes. Mit diesen Regelungen werden Verstöße gegen das Gebot der Waffenlosigkeit und gegen das Schutzausrüstungs- und Vermummungsverbot unter Strafe gestellt.

Mit der Befugnis zur Einrichtung von Kontrollstellen nach § 14 Abs. 1 Nr. 4 Nds. SOG zur Verhütung von bestimmten versammlungsspezifischen Straftaten hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er das Niedersächsische Versammlungsgesetz nicht für abschließend hält, und dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG durch Aufnahme des Art. 8 GG in den Katalog des § 10 Nds. SOG über die Einschränkung von Grundrechten Rechnung getragen (Wefelmeier, in: Wefelmeier/Miller, NVersG, 2012, § 8, Rn. 4). Das Recht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG darf durch Kontrollen nicht unzulässig eingeschränkt werden. Die Anordnung einer Kontrollstelle nach § 14 Abs. 1 Nr. 4 Nds. SOG ist daher, insbesondere in Bezug auf die Gefahrenprognose, an den auch sonst für Eingriffe in die Versammlungsfreiheit geltenden Anforderungen zu messen. Danach ist die Kontrollstellenanordnung zu Recht ergangen.

Aufgrund der in der Kontrollstellenanordnung vom 21. Dezember 2015 wiedergegebenen polizeilichen Gefahrenprognose war die Annahme begründet, dass es anlässlich der „PEGIDA“-Versammlung am 28. Dezember 2015 wegen der Anwesenheit von potenziell gewaltbereiten Personen unter den Versammlungsteilnehmern und den Gegendemonstranten zu versammlungsspezifischen Straftaten kommen werde, die durch die Einrichtung von Kontrollstellen verhindert werden können. Nach den polizeilichen Erkenntnissen, die in der Kontrollstellenanordnung im Einzelnen angeführt worden sind, war es bei „PEGIDA“-Veranstaltungen in der Vergangenheit wiederholt zu Übergriffen von Gegendemonstranten auf Versammlungsteilnehmer und Polizisten sowie Sachen gekommen. Seit dem 5. Oktober 2015 sei von den Versammlungsgegnern überwiegend in Kleingruppen agiert worden, um den Charakter einer Versammlung zu vermeiden. Das Mobilisierungspotenzial der gesamten linken Szene bestehe aus geschätzt 180 Personen, von denen 70 als gewaltbereit und 60 als gewaltgeneigt einzustufen seien. Bei der Versammlung am 28. Dezember 2015 sei mit bis zu 120 Personen des linken Spektrums zu rechnen. Danach war die Einrichtung von Kontrollstellen geeignet und erforderlich, um Gefahren zu verhüten, die von Verstößen gegen Waffen-, Schutzausrüstungs- und Vermummungsverboten ausgehen, und um einen friedlichen Verlauf der Versammlung zu gewährleisten.

Die Anordnung über die Kontrollstellen entspricht auch den formellen Anforderungen nach § 14 Abs. 2 Nds. SOG. Sie ist von dem Leiter der Polizeiinspektion Mitte erlassen und schriftlich begründet worden.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist von der Einrichtung einer Kontrollstelle an der I. straße/J. straße auszugehen. Die Eigenschaft als Kontrollstelle setzt lediglich die rechtmäßige Anordnung und die Anwesenheit von Polizeibeamten voraus. Einer besonderen sachlichen Ausstattung bedarf es nicht (Waechter, in: Möstl/Weiner, BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Niedersachsen, Stand: 1.5.2019, § 14 Nds. SOG, Rn. 11).

Die Einrichtung der mobilen Kontrollstelle an der I. straße/J. straße ist von der am 21. Dezember 2015 ergangenen Anordnung gedeckt. Diese umfasste die Einrichtung von stationär und mobil durchzuführenden Kontrollstellen für den 28. Dezember 2015 von 17.00 Uhr bis spätestens Ende des Einsatzes. Neben stationären Kontrollstellen an den Versammlungsorten der „PEGIDA“-Versammlung und bei sich ergebenden Gegenveranstaltungen wurden weitere stationäre und mobile Kontrollstellen auf öffentlichen Straßen und Plätzen im Stadtgebiet, insbesondere entlang der Aufzugsroute sowie auf den An- und Abmarschwegen zur Versammlung, lageabhängig auf der Basis von Erkenntnissen über die Anreise und Anwesenheit potenziell gewaltbereiter Versammlungsteilnehmer sowie Teilnehmer möglicher Gegenversammlungen angeordnet. Diese Kontrollstellenanordnung ist auch in Bezug auf die Einrichtung mobiler Kontrollstellen hinreichend bestimmt. Die Dienststellenleitung kann sich in der Anordnung nach § 14 Abs. 2 Nds. SOG darauf beschränken, den Bereich, in dem Kontrollstellen eingerichtet werden sollen, zu bezeichnen und einzugrenzen, wenn es nicht möglich und sinnvoll ist, die genaue Zahl und die Orte aller Kontrollstellen vorab zu bestimmen. Von einem solchen Fall ist vorliegend auszugehen. Bei der hier getroffenen Kontrollstellenanordnung zur Verhütung von versammlungsspezifischen Straftaten liegt es auf der Hand, dass nicht alle Kontrollstellen vorab festgelegt werden konnten. An welchen Orten mobile Kontrollstellen einzurichten waren, konnte erst am Versammlungstag aufgrund des konkreten Geschehens im Umfeld der Versammlung und der aktuellen Erkenntnisse der Polizei insbesondere über die Anreise und Anwesenheit potenziell gewaltbereiter Versammlungsteilnehmer und Gegendemonstranten bestimmt werden. Der örtliche Bereich, in dem Kontrollstellen eingerichtet werden konnten, ist in der Anordnung mit der Bezugnahme auf die „PEGIDA“-Versammlung und deren Aufzugsstrecke sowie die An- und Abmarschwege der Versammlungsteilnehmer und der Gegendemonstranten ausreichend eingegrenzt worden. Die Kontrollstelle an der I. straße/J. straße, an der der Kläger gegen 18.15 Uhr angehalten wurde, befand sich in der Nähe des K., wo um 19.00 Uhr die Auftaktkundgebung der „PEGIDA“-Versammlung stattfinden sollte, und unmittelbar an der Aufzugsstrecke, die vom C. über die D. straße verlaufen sollte. Damit ist die streitige Kontrollstelle von der Anordnung umfasst.

Die an der rechtmäßig eingerichteten Kontrollstelle ohne weitere Voraussetzungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 Nds. SOG zulässige Identitätsfeststellung begegnet auch sonst keinen rechtlichen Bedenken. Nähere Angaben dazu, wie die Identitätsfeststellung im Einzelnen abgelaufen ist, hat der Kläger nicht gemacht. Aus dem polizeilichen Kurzbericht ergibt sich, dass der Kläger im Rahmen der Identitätsfeststellung seinen Personalausweis ausgehändigt hat und eine Datenabfrage erfolgt ist. Dies ist nicht zu beanstanden.

b. Das gegenüber dem Kläger ausgesprochene Verbot der Teilnahme an sämtlichen Gegenveranstaltungen während des Zeitraums der „PEGIDA“-Versammlung war dagegen rechtswidrig.

In § 10 Abs. 2 Satz 1 NVersG ist geregelt, dass die zuständige Behörde die Maßnahmen treffen kann, die erforderlich sind, um die unmittelbare Gefahr eines Verstoßes gegen ein Verbot nach § 3 oder § 9 NVersG (Nr. 1) oder einer erheblichen Störung der Ordnung der Versammlung durch teilnehmende Personen (Nr. 2) abzuwehren. Sie kann gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 NVersG insbesondere Gegenstände sicherstellen; die §§ 27 bis 29 Nds. SOG gelten entsprechend. Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 NVersG kann die zuständige Behörde Personen die Teilnahme an einer Versammlung untersagen oder diese von der Versammlung ausschließen, wenn die Voraussetzungen nach Absatz 2 Satz 1 vorliegen und die dort genannte Gefahr nicht anders abgewendet werden kann.

Der Kläger befand sich in einer Gruppe von ca. sechs bis neun Personen, von denen einige zu Beginn der Kontrolle angaben, auf dem Weg zu einer Gegendemonstration zu sein. Damit hat der Kläger in Bezug auf diese Versammlung den Schutz der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG genossen. Die Teilnahmeuntersagung, mit der der Kläger im Vorfeld der Gegendemonstrationen von einer Teilnahme ausgeschlossen wurde, war daher an den Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Satz 1 NVersG zu messen, die jedoch nicht vorgelegen haben.

Soweit im Vorfeld einer Versammlung Maßnahmen ergriffen werden sollen, müssen konkrete Tatsachen die Annahme stützen, dass die jeweilige Person bei einer bestimmten Versammlung gegen eines der Verbote nach § 3 oder § 9 NVersG verstoßen wird; bloße Vermutungen oder pauschale Feststellungen reichen nicht aus. Dies gilt entsprechend für eine erhebliche Störung der Ordnung einer Versammlung. Die Untersagung der Teilnahme an einer Versammlung kommt zudem erst dann in Betracht, wenn den potenziellen Teilnehmer weniger belastende, nach § 10 Abs. 2 NVersG zu erlassende Maßnahmen der Gefahrenabwehr nicht ausreichen (Wefelmeier, in: Wefelmeier/Miller, a.a.O., § 10, Rn. 19 f.; Ullrich, Niedersächsisches Versammlungsgesetz, 2. Aufl., § 10, Rn. 24 f.).

Gemäß § 3 Abs. 1 NVersG ist es verboten, in einer Versammlung oder aus einer Versammlung heraus durch Gewalttätigkeiten auf Personen oder Sachen einzuwirken. Weiter ist es nach § 3 Abs. 2 Satz 1 NVersG verboten, Waffen oder sonstige Gegenstände, die zur Verletzung von Personen oder zur Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, auf dem Weg zu oder in einer Versammlung mit sich zu führen (Nr. 1), oder zu einer Versammlung hinzuschaffen oder in einer Versammlung zur Verwendung bereitzuhalten oder zu verteilen (Nr. 2).

Der Kläger hatte bei der polizeilichen Kontrolle in seiner Jackentasche eine Dose Pfefferspray („Pfeffer KO Jet“) dabei, die er vor der angekündigten Durchsuchung herausgab. Dadurch, dass der Kläger auf dem Weg zu einer Versammlung Pfefferspray mit sich führte, lagen konkrete Tatsachen für einen Verstoß des Klägers gegen das Waffenverbot aus § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 NVersG vor.

Der Begriff der Waffe entspricht dem des Waffengesetzes (§ 1 Abs. 2 WaffG i.V.m. Anlage I zu § 1 Abs. 4 WaffG). Erfasst sind damit Waffen im technischen Sinne, d.h. alle Gegenstände, deren Konstruktionszweck darin besteht, die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen zu beseitigen oder herabzusetzen. Darunter fallen neben Schusswaffen, Hieb- und Stoßwaffen auch andere Gerätschaften wie Elektroschocker, Reizstoffsprühgeräte oder Drosselwerkzeuge. Abwehrsprays gegen Tiere (Pfeffersprays), die den Vermerk „Verwendung nur gegen Tiere“ aufweisen, sind dagegen grundsätzlich nicht als Waffen anzusehen, da sie gerade nicht dazu bestimmt sind, die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit eines Menschen zu beseitigen oder herabzusetzen (Steindorf, Waffenrecht, 10. Aufl. 2015, § 1, Rn. 23 b, und § 3, Rn. 4, vgl. Nr. 3.2 Satz 2 und 3 WaffVwV). Das versammlungsrechtliche Waffenverbot erstreckt sich neben den Waffen im technischen Sinne aber auch auf sonstige Gegenstände, die zur Verletzung von Personen oder zur Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind. Pfefferspray ist unabhängig von einer Deklarierung als Tierabwehrspray objektiv zur Verletzung von Personen geeignet und kann wie eine Waffe sowohl zum Angriff als auch zur Verteidigung eingesetzt werden. Für die Bestimmung zum waffenähnlichen Einsatz kommt es weiter auf die subjektive Zielrichtung des Gewahrsamsinhabers an. Ob eine Missbrauchsabsicht vorliegt, kann die für den Erlass von Maßnahmen nach § 10 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 NVersG zuständige Behörde regelmäßig nur aus objektiven Umständen schließen (Wefelmeier, in: Wefelmeier/Miller, a.a.O., § 3, Rn. 8). Aus objektiver Sicht lagen hinreichende Indizien dafür vor, dass der Kläger die Absicht hatte, die Dose Pfefferspray als Waffe zum Angriff oder zur Abwehr gegenüber politischen Gegnern und/oder Polizeibeamten einzusetzen. Der Kläger hat gegenüber der Polizei keine Angaben dazu gemacht, warum er das Pfefferspray in seiner Jackentasche mit sich führte. Ein bestimmungsgemäßer Einsatz zur Abwehr von Tieren ist bei der Teilnahme an einer Versammlung fernliegend.

Nach der (strafprozessualen) Sicherstellung des Pfeffersprays durch die Polizei war es nicht mehr erforderlich, dem Kläger nach § 10 Abs. 3 Satz 1 NVersG die Teilnahme an sämtlichen Gegendemonstrationen zu untersagen, um eine von dem Kläger ausgehende Gefahr eines Verstoßes gegen § 3 und § 9 NVersG abzuwehren. Wie bereits dargelegt worden ist, gilt das ultima-ratio-Prinzip auch im Hinblick auf einzelne Teilnehmer mit der Maßgabe, dass die Untersagung der Teilnahme an einer Versammlung erst dann in Betracht kommt, wenn weniger belastende Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nicht ausreichen. Ausweislich der polizeilichen Berichte in den Verwaltungsvorgängen hat der Kläger die von ihm mitgeführte Dose Pfefferspray an der Kontrollstelle nach Ankündigung der Durchsuchung freiwillig herausgegeben und sich nicht aggressiv verhalten. Nach dem im Rahmen der Identitätsfeststellung durchgeführten Datenabgleich lagen über den Kläger keine polizeilichen Erkenntnisse vor. Anhaltspunkte für ein gewaltbereites Verhalten des Klägers oder anderer Mitglieder der Gruppe lagen nicht vor. Das Amtsgericht Hannover hat mit Beschluss vom 31. März 2017 entschieden, dass die gefahrenabwehrrechtliche Ingewahrsamnahme des Klägers dem Grunde nach rechtswidrig war, weil aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht der Einsatzkräfte nicht von einer potenziellen Unfriedlichkeit des Klägers ausgegangen werden konnte. Die Personengruppe, in der sich der Kläger befunden habe, sei friedlich gewesen. Auch sei nicht zu verifizieren gewesen, dass die Gruppe überwiegend schwarz gekleidet gewesen sei. Mit Ausnahme des Klägers habe kein weiteres Mitglied der Gruppe potenziell gefährliche Gegenstände dabeigehabt. Der Kläger habe glaubhaft erklärt, das Tierabwehrspray zur eigenen Sicherheit stets bei sich zu führen, da er sehr ängstlich sei. Im Rahmen der ausgesprochenen Ingewahrsamnahme habe er über eine Stunde eine Polizeibeamtin begleitet, bis er am Gefangenentransporter übergeben worden sei. Auch in dieser Zeit, in der die „PEGIDA“-Versammlung abgehalten worden sei, habe er sich kooperativ verhalten. Unter Berücksichtigung des konkreten Einzelfalls könne allein der Fund des Tierabwehrsprays die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme nicht begründen. Nach Sicherstellung des Tierabwehrsprays sei nicht mehr mit einem unfriedlichen Verhalten des Klägers zu rechnen gewesen. Diese Einschätzung des Amtsgerichts, die u.a. auf der persönlichen Anhörung des Klägers und der telefonischen Befragung der Polizeibeamten beruht, die die streitigen Maßnahmen veranlasst haben, ist schlüssig und nachvollziehbar. Der Senat sieht keinen Anlass zu einer abweichenden Einschätzung der maßgebenden Gefahrenprognose. Ebenso wenig wie eine Ingewahrsamnahme des Klägers zur Verhinderung gewalttätiger Auseinandersetzungen erforderlich war, war die ausgesprochene Teilnahmeuntersagung unerlässlich, um Verstöße gegen die Verbote aus § 3 und § 9 NVersG zu unterbinden. Die Auffassung der Beklagten, dass das Mitführen von Pfefferspray objektiv auf eine potenzielle Bereitschaft zu gewalttätigen Aktionsformen schließen lasse, berücksichtigt nicht die Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich der Kläger nach der Sicherstellung des Pfeffersprays erneut bewaffnet oder sich in einer Versammlung gewalttätig verhält, lagen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung der streitigen Maßnahme nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.