Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.01.2020, Az.: 8 PS 58/19

Bestimmung des zuständigen Gerichts; Gerichtsstand; objektive Klagehäufung; Klagenhäufung; objektive Klagenhäufung; Zwischenfeststellung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.01.2020
Aktenzeichen
8 PS 58/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 72080
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 53 Abs 1 Nr 3 VwGO gelangt auch bei einer objektiven Klagehäufung in den Fällen zur Anwendung, in denen die örtliche Zuständigkeit verschiedener Gerichte in Betracht kommt, wegen des engen Zusammenhangs der Klagebegehren aber eine einheitliche gerichtliche Entscheidung notwendig ist. Maßgeblich ist, ob über die verbundenen Anträge „aller Voraussicht nach“ in der Sache zu entscheiden sein wird. Eine einheitliche Entscheidung ist nicht erforderlich, wenn einer der in objektiver Klagehäufung verbundenen Anträge unzulässig ist, so dass hinsichtlich dieses Antrags eine materielle Prüfung nicht zu erfolgen hat (Fortführung von Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 27.3.2003 - 8 PS 37/03 -, NVwZ-RR 2003, 698 [OVG Nordrhein-Westfalen 23.01.2003 - 13 A 4859/00]).

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Bestimmung des zuständigen Gerichts wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts nach § 53 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 VwGO bleibt ohne Erfolg. Ein zuständiges Gericht ist nicht zu bestimmen, weil sich die örtliche Zuständigkeit für die erhobene Anfechtungs- und die Feststellungsklage nach den gesetzlichen Vorschriften richtet. Ein Fall des § 53 Abs. 1 VwGO ist nicht gegeben.

Das zuständige Gericht innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit wird gemäß § 53 Abs. 1 VwGO durch das nächsthöhere Gericht bestimmt,

1. wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung der Gerichtsbarkeit rechtlich oder tatsächlich verhindert ist,

2. wenn es wegen der Grenzen verschiedener Gerichtsbezirke ungewiss ist, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig ist,

3. wenn der Gerichtsstand sich nach § 52 richtet und verschiedene Gerichte in Betracht kommen,

4. wenn verschiedene Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklärt haben,

5. wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

Die wörtlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt. Insbesondere kommen nicht i.S.d. § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO verschiedene Gerichte in Betracht. Für das Anfechtungsbegehren ist gemäß § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO allein das Verwaltungsgericht Lüneburg zuständig, für die Feststellungsklage gemäß § 52 Nr. 5 VwGO allein das Verwaltungsgericht Hannover.

§ 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO ist auch nicht sinngemäß anzuwenden. Die Vorschrift gelangt bei einer objektiven Klagehäufung in den Fällen zur Anwendung, in denen die örtliche Zuständigkeit verschiedener Gerichte in Betracht kommt, wegen des engen Zusammenhangs der Klagebegehren aber eine einheitliche gerichtliche Entscheidung notwendig ist (Senatsbeschl. v. 27.3.2003 - 8 PS 37/03 -, NVwZ-RR 2003, 698 [OVG Nordrhein-Westfalen 23.01.2003 - 13 A 4859/00], juris Rn. 9; vgl. Sächsisches OVG, Beschl. v. 6.1.2014 - 3 E 97/13 -, NVwZ-RR 2014, 446 [OVG Nordrhein-Westfalen 13.02.2014 - 16 F 2/14], juris Rn. 2; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 53 Rn. 15; a.A. Kraft, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 53 Rn. 8). Zwischen den Anträgen der vom Kläger erhobenen Klage besteht kein enger Zusammenhang, der eine einheitliche gerichtliche Entscheidung notwendig macht.

Die Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung besteht grundsätzlich, wenn im Falle der rechtlichen Prüfung durch unterschiedliche Gerichte die Gefahr divergierender Entscheidungen bestünde, sich also der Inhalt der vorzunehmenden Prüfungen zumindest überschneidet (vgl. Senatsbeschl. v. 27.3.2003 - 8 PS 37/03 -, NVwZ-RR 2003, 698, juris Rn. 14). Daraus folgt, dass eine einheitliche Entscheidung nicht erforderlich ist, wenn einer der in objektiver Klagenhäufung verbundenen Anträge unzulässig ist, so dass hinsichtlich dieses Antrags eine materielle Prüfung nicht zu erfolgen hat. Im Falle objektiver Klagenhäufung ist erforderlich, dass über die verbundenen Anträge „aller Voraussicht nach“ (vgl. Senatsbeschl. v. 27.3.2003 - 8 PS 37/03 -, NVwZ-RR 2003, 698 [OVG Nordrhein-Westfalen 23.01.2003 - 13 A 4859/00], juris Rn. 14) in der Sache zu entscheiden sein wird.

Der Maßstab ist insoweit strenger als bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts im Falle der notwendigen Streitgenossenschaft, bei der es ausreicht, dass die Annahme zumindest nicht fernliegt, dass eine notwendige Streitgenossenschaft gegeben ist, diese sich also nicht ausschließen lässt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.1.1978 - 7 ER 401.77 -, juris Rn. 2; v. 7.5.1996 - 2 AV 1.95 -, NVwZ 1996, 998, juris Rn. 4). Der weniger strenge Maßstab im Falle der subjektiven Klagenhäufung erklärt sich daraus, dass die Wertung des § 36 Nr. 3 ZPO herangezogen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.1.1978 - 7 ER 401.77 -, juris Rn. 2), wonach jede Form einer Streitgenossenschaft ausreicht, ohne dass es sich im Zivilprozess um eine notwendige handeln muss. Es besteht deswegen eine gesetzliche Legitimation für eine Abweichung von der Zuständigkeitsordnung des § 52 VwGO, die das mit Verfassungsrang ausgestattete Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ausformt. Bei der objektiven Klagenhäufung besteht hingegen die Gefahr, dass bei einem lediglich nicht auszuschließenden Zusammenhang parallele Rechtsstreitigkeiten nur aus Gründen der Prozessökonomie vor dasselbe Gericht gebracht werden. Dieser Grund kann jedoch für sich allein eine Abweichung von den gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen nicht rechtfertigen (BVerwG, Beschl. v. 5.7.2002 - 7 AV 2.02 -, DVBl. 2002, 1557, juris Rn. 3), weil er geringeres Gewicht hat als die Garantie des gesetzlichen Richters.

Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Feststellungsklage eine Frage betrifft, die für die materielle Rechtmäßigkeit des mit der Anfechtungsklage angegriffenen Beitragsbescheids vorgreiflich ist. Der Beitrag kann nur erhoben werden, wenn die Mitgliedschaft des Klägers in der Beklagten besteht. Für eine derartige Feststellungsklage sieht das Prozessrecht gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 256 Abs. 2 ZPO auch die Möglichkeit einer Zwischenfeststellung vor. Die Zwischenfeststellungsklage begründet die Zuständigkeit des über den Hauptsacheanspruch entscheidenden Gerichtes auch für den Feststellungsantrag; in diesem Sinne ist § 256 Abs. 2 ZPO gerichtsstandsbegründend. Die Voraussetzungen einer Zwischenfeststellung sind nicht gegeben, wenn die Klage zur Hauptsache wegen Unzulässigkeit abgewiesen wird, weil die beantragte Feststellung dann nicht vorgreiflich ist (vgl. BGH, Urt. v. 17.6.1994 - V ZR 34/92 -, NJW-RR 1994, 1272, juris Rn. 13 f.; v. 15.12.2009 - XI ZR 110/09 -, NJW-RR 2010, 640, juris Rn. 19). Liegen die Voraussetzungen einer Zwischenfeststellungsklage nicht vor, so besteht für die Begründung eines in § 52 VwGO nicht vorgesehenen Gerichtsstandes im Wege der sinngemäßen Anwendung des § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO nur unter engen Voraussetzungen Raum. Dafür reicht es nicht aus, dass die Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung lediglich nicht fernliegt bzw. nicht auszuschließen ist.

Über die Anfechtungsklage und die Feststellungsklage des Klägers wird nicht aller Voraussicht nach einheitlich zu entscheiden sein. Denn es ist zu erwarten, dass das Verwaltungsgericht Lüneburg an seiner vertretbaren, in den Hinweisen vom 29. Juli und 26. November 2019 geäußerten vorläufigen Rechtsansicht festhalten und die Anfechtungsklage als unzulässig ansehen wird. Auf die Ansicht des Verwaltungsgerichts ist insoweit abzustellen, denn es ist nicht Sinn des Verfahrens zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit eines Gerichts, schwierige Rechtsfragen, die im eigentlichen Verfahren zu klären sind, abschließend zu entscheiden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 7.5.1996 - 2 AV
1.95 -, NVwZ 1996, 998, juris Rn. 5).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 154 Abs. 1 VwGO (vgl. Senatsbeschl. v. 31.1.2001 - 8 PS 345/01 -; v. 1.3.2019 - 8 PS 13/19 -; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 53 Rn. 18). Ein Gerichtsgebührentatbestand ist nicht verwirklicht.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).