Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.01.2020, Az.: 4 LA 286/19
Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht; Beitragspflicht; Beitragsschuldner; bescheidgebundene Befreiungsmöglichkeit; einkommensschwache Personen; Härtefallregelung; Regelungssystem der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 21.01.2020
- Aktenzeichen
- 4 LA 286/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 72090
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 16.10.2019 - AZ: 4 A 281/18
Rechtsgrundlagen
- § 4 Abs 1 RdFunkBeitrStVtr ND
- § 4 Abs 6 S 1 RdFunkBeitrStVtr ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Einkommensschwache Personen, die Sozialleistungen im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RBStV in Anspruch nehmen könnten, dies aber nicht tun, sind nicht der Härtefallregelung des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV zuzuordnen.
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 16. Oktober 2019 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen, hat keinen Erfolg. Denn die von dem Kläger geltend gemachten Berufungszulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 5 VwGO liegen nicht vor.
Entgegen der Annahme des Klägers ist der Berufungszulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht erfüllt, weil keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen. Die Vorinstanz hat die auf die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für den Zeitraum von Januar 2013 bis zum 24. Juli 2015 gerichtete Klage vielmehr zu Recht mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger keinen Anspruch auf die begehrte Befreiung hat.
Der Kläger kann eine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht nicht nach § 4 Abs. 1 RBStV beanspruchen, da er weder die in § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 8 und Nr. 10 Alt. 2 RBStV genannten Sozialleistungen bezieht noch zu dem von § 4 Abs. 1 Nr. 9 und Nr. 10 Alt. 1 RBStV erfassten Personenkreis gehört. Die in § 4 Abs. 1 RBStV aufgenommenen Befreiungstatbestände sind eng auszulegen und insbesondere nicht im Wege der Analogie erweiterbar (BVerwG, Urt. v. 30.10.2019 - 6 C 10.18 -).
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht wegen eines besonderen Härtefalls nach § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV.
Bei § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV handelt es sich nach seinem Normzweck um eine Härtefallregelung, mit der grobe Ungerechtigkeiten und Unbilligkeiten vermieden werden sollen, die durch das in § 4 Abs. 1 RBStV verankerte normative Regelungssystem der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit entstehen (BVerwG, Urt. v. 30.10.2019 - 6 C 10.18 -). Die Vorschrift eröffnet die Möglichkeit, nicht zu den Personengruppen des § 4 Abs. 1 RBStV gehörende Beitragsschuldner von der Beitragspflicht zu befreien, wenn sich ihre Schlechterstellung gegenüber den befreiten Personengruppen nicht sachlich rechtfertigen lässt (BVerwG, Urt. v. 30.10.2019 - 6 C 10.18 -). Dies ist bei Beitragsschuldnern der Fall, die ein den Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den §§ 27 ff. SGB XII entsprechendes oder geringeres Einkommen haben und nicht auf verwertbares Vermögen i.S.d. § 90 SGB XII zurückgreifen können, aber von der Gewährung der in § 4 Abs. 1 RBStV genannten Sozialleistungen mangels Vorliegens der Voraussetzungen ausgeschlossen sind (BVerwG, Urt. v. 30.10.2019 - 6 C 10.18 -). Denn während die nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 RBStV von der Rundfunkbeitragspflicht befreiten Personen nicht auf das monatlich ihnen zur Verfügung stehende Einkommen in Höhe der Regelleistungen zur Erfüllung der Beitragspflicht zurückgreifen müssen, weil dieses Einkommen zur Deckung ihres Lebensbedarfs einzusetzen ist, muss die erstgenannte Gruppe von Beitragsschuldnern auf ihr der Höhe nach den Regelleistungen entsprechendes oder diese Höhe sogar unterschreitendes Einkommen zurückgreifen, weil sie aus dem System der Befreiung nach § 4 Abs. 1 RBStV herausfällt. Eine solche Ungleichbehandlung trotz gleicher Einkommensverhältnisse beruht am Maßstab von Art. 3 Abs. 1 GG nicht auf einem sachlichen Grund, da die Verwaltungsvereinfachung, der das System der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit nach § 4 Abs. 1 RBStV dient, eine Schlechterstellung der Bedürftigkeitsfälle, die von dem Katalog des § 4 Abs. 1 RBStV nicht erfasst werden, diesen aber vergleichbar sind, nicht rechtfertigt (BVerwG, Urt. v. 30.10.2019 - 6 C 10.18 -).
Hingegen bietet die Härtefallregelung des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV keine Handhabe, das Regelungskonzept des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags zu korrigieren (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.10.2019 - 6 C 10.18 -; BVerwG, Urt. v. 28.2.2018 - 6 C 48.16 -, BVerwGE 161, 224). Da dieses Regelungskonzept für die von dem Katalog des § 4 Abs. 1 RBStV erfassten Bedürftigkeitsfälle eine bescheidgebundene Befreiungsmöglichkeit vorsieht, um schwierige Berechnungen zur Feststellung der Bedürftigkeit durch die Rundfunkanstalten zu vermeiden (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.10.2019 - 6 C 10.18 -), sind einkommensschwache Personen, die Sozialleistungen im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RBStV in Anspruch nehmen könnten, dies aber nicht tun, nicht der Härtefallregelung des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV zuzuordnen (vgl. Senatsbeschl. v. 9.8. 2017 - 4 PA 356/17 -, u. v. 19.4.2016 - 4 ME 30/16 -). Eine Beitragsbefreiung nach der Härtefallregelung des § 4 Abs. 6 RBStV für Beitragsschuldner, die nur geringe Einkünfte haben, trotz des Vorliegens der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen aber keine Sozialleistungen im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RBStV beziehen, liefe nämlich auf eine sachlich nicht gerechtfertigte Umgehung des Regelungskonzepts der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit für die von dem Katalog des § 4 Abs. 1 RBStV erfassten Bedürftigkeitsfälle hinaus (vgl. Senatsbeschl. v. 13.7.2015 - 4 PA 219/15 -, v. 9.10.2014 - 4 PA 236/14 - u. v. 20.8.2013 - 4 PA 188/13 -; ebenso zu § 6 Abs. 3 RGebStV BVerwG, Urt. v. 12.10.2011 - 6 C 34.10 -, Senatsbeschl. v. 11.6.2012 - 4 PA 153/12 -). Eine solche Umgehung wäre deshalb sachlich nicht gerechtfertigt, weil für die o. a. Personengruppe durch das in § 4 Abs. 1 RBStV verankerte Regelungssystem der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit keine groben Ungerechtigkeiten und Unbilligkeiten entstehen, denen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch die Härtefallregelung des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV begegnet werden soll. Denn diese Personengruppe hat es selbst in der Hand, in den Genuss einer Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RBStV zu gelangen. Dies unterscheidet sie von derjenigen, deren Bedürftigkeit von dem Katalog des § 4 Abs. 1 RBStV nicht erfasst wird, den dort geregelten Bedürftigkeitsfällen aber vergleichbar ist, und die daher die Härtefallregelung des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV für sich in Anspruch nehmen kann. Außerdem ist die Beantragung von Sozialleistungen im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RBStV für einkommensschwache Personen, die die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, zum Zwecke der Schaffung der Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RBStV in Anbetracht des mit dem Regelungssystem der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit verfolgten Zwecks, schwierige Berechnungen zur Feststellung der Bedürftigkeit durch die Rundfunkanstalten zu vermeiden, keineswegs unzumutbar. Die Verweisung einkommensschwacher Personen auf den Nachweis des Bezugs von Sozialleistungen ist auch nach Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden (Senatsbeschl. v. 19.4.2016 - 4 ME 30/16 -). Deshalb verbleibt es für die von dem Katalog des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RBStV erfassten Bedürftigkeitsfälle bei dem System der bescheidgebundenen Befreiung, das auf dem Grundprinzip beruht, nur demjenigen einen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht zuzugestehen, dessen Bedürftigkeit am Maßstab der bundesgesetzlichen Regelungen durch eine staatliche Sozialbehörde geprüft und in deren Bescheid bestätigt wird (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 30.10.2019 - 6 C 10.18 -).
Ausgehend davon kann der Kläger, der geltend gemacht hat, dass „sein Einkommen unter Hartz IV-Niveau“ liege, er aber „aus moralischen Gründen für sich entschieden“ habe, „dass er einen Hartz IV-Antrag nicht stellen möchte“, keine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht nach § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV beanspruchen. Denn er gehört, wenn sein Einkommen nach Abzug der Wohnkosten unterhalb des für den Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII maßgebenden Regelsatzes liegt und er auch über kein verwertbares Vermögen verfügt, nicht zu den Rundfunkbeitragsschuldnern, die von der Gewährung der in § 4 Abs. 1 RBStV genannten Sozialleistungen mangels Vorliegens der Voraussetzungen von vorneherein ausgeschlossen sind. Vielmehr kann er in diesem Fall ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII beanspruchen und diese daher mit Erfolg beantragen. Folglich ist er auf die bescheidgebundene Befreiungsmöglichkeit nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 RBStV zu verweisen.
Die Berufung kann gleichfalls nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden.
Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang ungeklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich im Rechtsmittelverfahren stellen würde und im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf (vgl. Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 124 Rn. 30 ff., m.w.N.; Senatsbeschl. v. 23.7.2015 - 4 LA 55/15 -). Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist daher nur dann im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum diese Frage im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren (vgl. Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 124 a Rn. 103 ff., m.w.N.; Senatsbeschl. v. 23.7.2015 - 4 LA 55/15 -).
Diese Anforderungen erfüllt der Zulassungsantrag nicht. Denn der Kläger hat es schon versäumt, die Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung, die der grundsätzlichen Klärung in einem Berufungszulassungsverfahren bedürfen soll, konkret zu bezeichnen. Seinen Ausführungen zur Begründung des Vorliegens der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache lässt sich nicht entnehmen, wegen welcher konkreten Rechtsfrage die Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden soll. Ferner fehlt es an Angaben dazu, aus welchen Gründen ein berufungsgerichtlicher Klärungsbedarf im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts in Anbetracht der eingangs zitierten höchstrichterlichen und obergerichtlichen Entscheidungen überhaupt noch bestehen soll. Folglich genügt der Berufungszulassungsantrag dem Darlegungserfordernis auch nicht ansatzweise.
Außerdem liegt der geltend gemachte Berufungszulassungsgrund auch nicht vor. Denn die Rechtsfragen, die sich im vorliegenden Verfahren stellen, sind durch die zitierte höchstrichterliche und obergerichtliche Rechtsprechung ausreichend geklärt.
Schließlich kommt eine Zulassung der Berufung wegen der vom Kläger behaupteten Verfahrensmängel nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ebenfalls nicht in Betracht. Denn das Verwaltungsgericht hat dadurch, dass es den
Mitarbeiter des Sozialamts der Stadt
Schneverdingen nicht als Zeugen vernommen hat, weder gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen noch den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, weil die Aussage dieses Bediensteten zu den Einkommensverhältnissen des Klägers und zu einem eventuellen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Sozialleistungen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt entscheidungserheblich gewesen wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).