Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.01.2020, Az.: 13 ME 368/19

Asylerstverfahren; Ausbildungsduldung; Beschäftigungserlaubnis; Beschäftigungsverbot; Duldungsgrund; Ehefrau; Freiwilligkeitserklärung; Heiratsurkunde; iranisch; Passlosigkeit; überholende Kausalität; Versagungsgrund

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
21.01.2020
Aktenzeichen
13 ME 368/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 72113
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 04.11.2019 - AZ: 7 B 39/19

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagende Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 7. Kammer - vom 4. November 2019 geändert.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig eine Ausbildungsduldung für die Ausbildung zum Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik mit zugehöriger Beschäftigungserlaubnis zu erteilen.

Der Antragsteller hat gemäß § 123 Abs. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO die Voraussetzungen des Bestehens eines Anordnungsgrundes sowie eines auf eine Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 1 AufenthG n.F. (bis zum 31.12.2019 § 60a Abs. 2 Sätze 4 ff. AufenthG a.F.) in Verbindung mit § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG gerichteten Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht. Zugleich ist eine Reduktion des Erteilungsermessens aus § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG auf Null hinsichtlich einer auf die Ausbildung bezogenen Beschäftigungserlaubnis glaubhaft gemacht (vgl. zu diesem Zusammenhang Senatsbeschl. v. 30.8.2018 - 13 ME 298/18 -, juris Rn. 20).

Dem steht jeweils aller Voraussicht nach nicht der einzig streitige einheitliche Versagungsgrund eines Beschäftigungsverbots nach § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AufenthG (bezüglich der Ausbildungsduldung in Verbindung mit § 60c Abs. 2 Nr. 1 AufenthG n.F. bzw. § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG a.F.) entgegen. Zwar ist dem Verwaltungsgericht sowie der Antragsgegnerin darin zuzustimmen, dass bei „isolierter“ Betrachtung der bisher angenommene Duldungsgrund der Passlosigkeit im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vom Antragsteller zu vertreten ist, weil er sich (jedenfalls) geweigert hat, die zur Beschaffung von Passersatzpapieren erforderliche vollständige Mitwirkung in Gestalt der Abgabe einer sog. „Freiwilligkeitserklärung“ gegenüber der Islamischen Republik Iran vorzunehmen. Entgegen seiner Auffassung ist ihm die Abgabe einer derartigen Erklärung zumutbar, und an eine Weigerung dürfen negative aufenthaltsrechtliche Folgen geknüpft werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.11.2009 - BVerwG 1 C 19.08 -, BVerwGE 135, 219, juris Rn. 16 ff.).

Indessen wirkt sich diese mangelnde (vollständige) Mitwirkung in dem vorliegenden besonderen Einzelfall nicht aus, weil sie nicht kausal für eine Nichtbeendigung des Aufenthalts des Antragstellers war und ist und deshalb zur Begründung eines Vertretenmüssens der bisherigen Nichtvollziehung einer Aufenthaltsbeendigung nicht taugt. Im für die Frage nach einem Eingreifen dieses Versagungsgrundes maßgeblichen Zeitpunkt der Beantragung der beiden begehrten Verwaltungsakte (11. Juli 2019) bestand zugunsten des Antragstellers wegen des noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Asylerstverfahrens der Ehefrau des Antragstellers C. (vgl. Ablehnungsbescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge v. 17.4.2019, Bl. 88 ff. der BA 004, und die hiergegen noch anhängige Klage 2 A 69/19 vor dem Verwaltungsgericht Osnabrück), mit der er in A-Stadt in der A-Straße zusammenlebt, voraussichtlich ein „passlosigkeitsunabhängiger“ Duldungsgrund aus § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG (der weiterhin besteht), welcher die Durchführung einer Aufenthaltsbeendigung rechtlich ausschloss und ausschließt; vielmehr war und ist die Abschiebung des Antragstellers danach auszusetzen und mithin zu unterlassen. Denn während des noch laufenden Asylverfahrens der Ehefrau ist es ihm unter Berücksichtigung der Zielrichtung des § 26 Abs. 1 AsylG nicht zuzumuten, in den potentiellen Verfolgerstaat der Ehefrau, der seinem eigenen Herkunftsstaat entspricht, zurückzukehren. Desgleichen ist es der Ehefrau unzumutbar, vor bestandskräftigem Abschluss ihres Asylverfahrens das Bundesgebiet zu verlassen, um im behaupteten Verfolgerstaat die eheliche Lebensgemeinschaft mit dem Antragsteller führen zu können. Von einer Wirksamkeit der durch iranische staatliche Heiratsurkunde (vgl. Bl. 107 ff. der GA) belegten Eheschließung des Antragstellers mit Frau C. am 22. Juni 2015 in Shiraz/Iran geht das Bundesamt auf Seite 4 in seinem Ablehnungsbescheid vom 17. April 2019 (Bl. 91 der BA 004) aus. Denn es stützt seine Entscheidung zu einer von ihm angenommenen fehlenden Vorverfolgung als Bahaï maßgeblich darauf, dass der Ehefrau eine staatliche Heiratsurkunde überhaupt ausgestellt worden sei. Bei gebotener, aber auch ausreichender summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage im Eilbeschwerdeverfahren geht auch der Senat von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer wirksamen Eheschließung aus, die nach Internationalem Privatrecht (Art. 13 EGBGB) zu berücksichtigen ist. Die grundsätzlichen Bedenken der Antragsgegnerin hiergegen teilt er derzeit nicht. Etwaig verbleibende Zweifel müssen einer Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Auf § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG, der eine im Verhältnis zu § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gegenteilige Zielrichtung (vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nur zum Zweck der gemeinsamen Rückkehr der Ehegatten) hat und nur eine Duldung nach Ermessen der Ausländerbehörde zulässt, muss angesichts dieser Sachlage nicht rekurriert werden.

Vor dem Hintergrund eines auch im Antragszeitpunkt (11. Juli 2019) mit „überholender Kausalität“ wirkenden gesonderten Duldungsgrundes darf der Erteilung von Ausbildungsduldung und Beschäftigungserlaubnis voraussichtlich auch der Versagungsgrund eines Bevorstehens konkreter aufenthaltsbeendender Maßnahmen (§ 60c Abs. 2 Nr. 5 lit. d) AufenthG n.F. bzw. § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG a.F., vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 30.8.2018, a.a.O., Rn. 10; hier allenfalls in Gestalt der Beantragung von Passersatzpapieren in Betracht zu ziehen) rechtlich nicht entgegengehalten werden.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen (§ 154 Abs. 1 VwGO).

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500 EUR festgesetzt (§§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und Nrn. 8.3, 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NordÖR 2014, 11)).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).