Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 02.12.2021, Az.: 11 LB 231/20
Banner Drop; Beschränkung, versammlungsrechtliche; Feststellungsinteresse; Kletteraktion; Straßenbaum
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 02.12.2021
- Aktenzeichen
- 11 LB 231/20
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 70991
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 24.02.2020 - AZ: 5 A 367/17
Rechtsgrundlagen
- Art 19 Abs 4 GG
- Art 8 GG
- Art 8 Abs 1 GG
- Art 8 Abs 2 GG
- § 8 Abs 1 VersammlG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Bei polizeilichen Maßnahmen, die sich typischerweise kurzfristig erledigen, steht dem Betroffenen zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG das für die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage bzw. Feststellungsklage erforderliche qualifizierte (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse zur Seite, ohne dass es (zusätzlich) darauf ankommt, ob der dadurch bewirkte Eingriff in (Grund-) Rechte als besonders schwerwiegend zu bewerten ist.
2. Das polizeiliche Verbot, einen Baum zum Zwecke des Demonstrierens zu erklettern, um über der Straße ein Banner zu spannen (sog. Banner Drop), ist rechtmäßig, wenn zum Zeitpunkt des polizeilichen Einschreitens eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gegeben ist (hier: Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf einer nicht für den Verkehr gesperrten Straße in der Innenstadt) und die Versammlungsfreiheit durch das Kletterverbot nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt wird.
3. Ob eine Kletteraktion als eigene Versammlung oder als Teilnahme an einer angezeigten Versammlung zu werten ist, richtet sich nach den objektiven Gegebenheiten, insbesondere den vom Veranstalter im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit festgelegten Modalitäten der angezeigten Versammlung und dem räumlichen Zusammenhang mit der Versammlung.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 5. Kammer - vom 24. Februar 2020 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit von polizeilichen Maßnahmen im Zusammenhang mit einer Versammlung.
Am 25. April 2017 wurde für Sonnabend, den 1. Juli 2017, in A-Stadt in der Zeit von 18.00 bis 22.00 Uhr eine sich fortbewegende Versammlung der Gruppe „F. _innen gegen G 20“ unter dem Motto „G 20 Warm Up - Die Verhältnisse zum Tanzen bringen“ angezeigt. Die Versammlung sollte mit einer Auftaktkundgebung im Clamartpark beginnen und über die Straßen Rote Straße, Am Sande, Am Berge, Rosenstraße, An den Brodbänken, Am Markt, An der Münze, Katzenstraße, Neue Sülze, Eggersdorffstraße, Bastionstraße, Hindenburgstraße, Bardowicker Straße und Lüner Straße zur Abschlusskundgebung am Alten Kran führen. Nach Durchführung eines Kooperationsgesprächs, an dem neben dem Anmelder Vertreter der Versammlungsbehörde und der Beklagten teilnahmen, bestätigte die Hansestadt A-Stadt mit Bescheid vom 26. Juni 2017 gegenüber dem Anmelder die angezeigte Versammlung. Danach waren für die Aufzugroute ab der Zwischenkundgebung am Marktplatz abhängig von der Teilnehmerzahl alternative Routen vorgesehen. Die Variante A sollte über die Bardowicker Straße führen, die Variante B über die Salzstraße auf den Lambertiplatz. Die Versammlung fand am 1. Juli 2017 wie angezeigt statt. Um 18.41 Uhr bemerkten polizeiliche Einsatzkräfte, dass die Klägerin und ein Kletterpartner, der Kläger in dem Verfahren 11 LC 84/20, in der Bardowicker Straße in Höhe des Hauses Nr. … auf gegenüberliegenden Straßenseiten Bäume erkletterten. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Demonstrationszug in der Straße Am Berge. Die Klägerin, die im Rucksack ein Transparent mit sich führte, wurde von den Einsatzkräften nach Ansprache durch Festhalten eines der Kletterseile am weiteren Klettern gehindert. Dabei ist zwischen den Beteiligten im Einzelnen streitig, ob die Klägerin durch die ortsfremden Einsatzkräfte nach unten gezogen oder lediglich mit lockerem Griff festgehalten wurde. Sie forderten die Klägerin zunächst auf, sich auszuweisen. Eine Identitätsfeststellung wurde nicht durchgeführt, nachdem die Einsatzkräfte über die Identität der - der Beklagten bekannten - Klägerin informiert worden waren. Ihr Kletterpartner, der ein Transparent mit der Aufschrift „System Change not Climate Change“ bei sich trug, befand sich außerhalb der Reichweite der Polizeikräfte in einer Höhe von drei bis vier Metern am Baum. Der Aufforderung des Gesamteinsatzleiters der Beklagten PD G., die Bäume hinabzusteigen und ein Kooperationsgespräch zu führen, kamen die Klägerin und ihr Kletterpartner nicht nach. Gegenüber der Klägerin ordnete PD G. daraufhin an, nicht am Baum, sondern nur auf dem Boden zu demonstrieren.
Nachdem die Klägerin über Schmerzen in ihren Beinen, Schwindelgefühle und Kreislaufprobleme geklagt hatte, wurde von den Polizeibeamten der Rettungsdienst angefordert. Der Klägerin, die ein Hinunterklettern wiederholt ablehnte, wurde auch eine Klappleiter zur Verfügung gestellt, auf die sie sich stützen konnte. Kurz darauf erschienen sogenannte „Demosanitäter“, die nach einem kurzen Gespräch mit der Klägerin die Einsatzkräfte baten, die Klägerin loszulassen, die sodann den Baum nicht weiter erkletterte. Auf die Anweisung des Truppführers wurde die Klägerin nicht weiter festgehalten. Nachdem die Demonstration durch die Bardowicker Straße gezogen war und die Einsatzkräfte sich auf die Bitte der Klägerin unter Vermittlung des „Demosanitäters“ zurückgezogen hatten, stiegen die Klägerin und ihr Kletterpartner gegen 20.04 Uhr von den Bäumen hinab.
Die Klägerin und ihr Kletterpartner wurden durch die polizeiliche Maßnahme daran gehindert, wie beabsichtigt mit Hilfe einer dritten Person am Boden ein Banner mit der Aufschrift „Dem Kapitalismus auf der Nase herum tanzen“ zwischen den zwei Bäumen in der Bardowicker Straße aufzuhängen.
Die Klägerin hat am 3. Juli 2017 Klage erhoben.
Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihre Kletteraktion sei Teil der für den 1. Juli 2017 in A-Stadt angezeigten Demonstration gegen den G 20 Gipfel gewesen. Im Vorfeld habe sie sich gemeinsam mit ihrem Kletterpartner und einer weiteren Person bei der Auftaktkundgebung über den Routenverlauf der Demonstration informiert. Nachdem ihnen dort mitgeteilt worden sei, dass die Demonstration auch durch die Bardowicker Straße führen würde, seien sie mit ihren Fahrrädern dort hingefahren. Sie habe gemeinsam mit ihrem Kletterpartner und einer weiteren Demonstrantin beabsichtigt, das Banner über der Bardowicker Straße außerhalb des Regellichtraums zu spannen, so dass auch der „Lauti-Wagen“ des Demonstrationszuges ungehindert hätte passieren können. Das Klettern sei ihre Protestform. Zudem seien „Banner Drops“ auf Demon-strationen üblich. Die Person auf dem Boden habe lediglich wenige Minuten während des Spannens des Banners auf den Verkehr achten sollen. Zudem sei die ausgewählte Straße verkehrsarm gewesen und die Geschwindigkeit des Verkehrs an diesem Samstagabend aufgrund der die Fahrbahn überquerenden Fußgänger ohnehin eingeschränkt gewesen. Aufgrund ihrer Erkrankung, sie leide an Arthritis, sei sie nicht in der Lage gewesen, mit der Demonstration selbständig mitzulaufen. Das Klettern hingegen bereite ihr weniger Schmerzen. Durch das Festhalten der Einsatzkräfte habe sie an Schmerzen in den Beinen gelitten. Eine anwesende Polizistin habe nur leicht an dem sog. „Cowtail“ gezogen, so dass sie in der Lage gewesen sei, ihr Bein zwischendurch zu entlasten. Ein anderer Polizeibeamter habe hingegen besonders stark an ihrem Gurt gezogen und sie verletzt. Dieser habe angemerkt, dass sie jederzeit herunterklettern könne, wenn das Festhalten ihr Schmerzen bereite. Sie habe aufgrund der Zwangseinwirkung erhebliche Kreislaufprobleme erlitten (Atemnot, Panik, Erbrechen, Schwindel und Taubheitsgefühl in den Beinen). Diese Symptome würden auf ein sogenanntes Hängetrauma hinweisen. Ein Herunterklettern sei ihr aber nicht möglich gewesen, da sie mit einem Klemmknoten gesichert gewesen sei, der sich aufgrund der Belastung auch festgezogen habe. Da die Polizisten ihre Fußschlinge festgehalten hätten, sei sie nicht in der Lage gewesen, ihre Beine zu entlasten. Sie habe auch mehrfach versucht, sich dem Griff der Polizisten zu entziehen. Das Banner habe sie nicht aufhängen können, sie habe aber ihre ebenfalls mitgebrachte Fahne schwenken können, als die Demonstration die Bardowicker Straße passiert habe.
Die Klage im Hinblick auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der mündlich ausgesprochenen Aufforderung, sich auszuweisen, hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass das am 1. Juli 2017 in der Zeit von 18.30 Uhr bis etwa 20.00 Uhr von der Beklagten der Klägerin gegenüber mündlich angeordnete Verbot, den Baum in der Bardowicker Straße in Höhe des Hauses Nr. … zu erklettern, und das Festhalten der Klägerin rechtswidrig waren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat erwidert, dass die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage bereits unzulässig sei. Die Klägerin könne bereits kein besonderes Feststellungsinteresse geltend machen, insbesondere liege hier eine Wiederholungsgefahr nicht vor. Auch ein Rehabilitierungsinteresse der Klägerin sei nicht ersichtlich, da das polizeiliche Eingreifen für die Klägerin nicht zusätzlich einen diskriminierenden Inhalt habe, welcher ihrem Ansehen abträglich wäre und ihr Persönlichkeitsrecht hätte beeinträchtigen können. Vielmehr habe die Klägerin durch ihr Verhalten Anlass für die polizeilichen Maßnahmen gegeben. Zudem könne hier nicht von einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff ausgegangen werden. Sie gehe davon aus, dass die Versammlung der Klägerin, bei der es sich um eine „eigene Versammlung in der Versammlung“ gehandelt habe, im Moment des Besteigens der Bäume durch die Klägerin und ihren Kletterpartner begonnen habe. Hiervon seien auch die Einsatzkräfte der Beklagten in der Eintreffsituation ausgegangen. Das Unterbinden des weiteren Erkletterns des Baums durch das Festhalten der Klägerin an ihrem Kletterseil stelle sich als beschränkende Verfügung nach § 8 Abs. 1 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes (NVersG) dar, die durch Anwendung unmittelbaren Zwangs in rechtmäßiger Weise durchgesetzt worden sei. Die Beschränkung habe der Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit gedient. Bereits durch die Verwirklichung der Ordnungswidrigkeit nach § 14 der Verordnung der Hansestadt A-Stadt über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOV) habe eine Gefahr für das Schutzgut des Straßenbegleitbaums als öffentliche Einrichtung im Sinne von § 4 SOV unmittelbar vorgelegen. Das Klettern auf Straßenbäume sei verboten und nicht vom Gemeingebrauch gedeckt; sie würden Schatten spenden, das Stadtbild verschönern und zu einem guten Luftklima der Stadt beitragen. Durch das Klettern könnten Äste abbrechen und der Baum Schaden nehmen. Darüber hinaus habe eine Gefahr durch eventuell abbrechende Äste für Passanten oder parkende Autos bestanden. Ferner stelle ein zu tief hängendes Banner eine Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des fließenden Straßenverkehrs dar. Es müsse sichergestellt sein, dass das Lichtraumprofil in der erforderlichen Höhe frei bleibe. Da der öffentliche Personennahverkehr an dem Samstag im Einvernehmen mit dem Versammlungsleiter und der Versammlungsbehörde auf der Bardowicker Straße nicht gesperrt gewesen sei, sei ein Kooperationsgespräch jedoch dringend erforderlich gewesen. Ein zu tief hängendes Banner könne im Übrigen gegen § 5 Abs. 1 SOV verstoßen. Diese Belange hätten in einem der Klägerin angebotenen Kooperationsgespräch erörtert werden können. Die ihr gegenüber ausgesprochene Anordnung, jedenfalls nicht höher zu klettern, stelle ein geeignetes und erforderliches Mittel zur Gefahrenabwehr dar. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sei berücksichtigt worden, dass es sich um eine eigenständige „spontane“ Versammlung gehandelt habe. Eine Beschädigung des Baums habe so verhindert werden können, da sich die Klägerin am stabilsten Teil des Baums, mithin am Stamm befunden habe. Sie habe dort auch ihr Transparent schwenken, mit anderen Personen ungehindert in Interaktion treten und ihre Meinung kundtun können. Nur auf diese Weise habe verhindert werden können, dass ein Transparent in den Regellichtraum ragen würde. In Anbetracht der anwachsenden Anzahl von Zuschauern habe die Polizei das ordnungswidrige Verhalten der Klägerin auch nicht dulden können. Die Klägerin habe ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit frei ausüben können. Im Übrigen habe sich der tatsächliche Routenverlauf erst zum Zeitpunkt der Zwischenkundgebung auf dem Marktplatz entschieden.
Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil das Verfahren eingestellt, soweit die Klägerin ihre Klage zurückgenommen hat. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass das am 1. Juli 2017 in der Zeit von 18.30 Uhr bis etwa 20.00 Uhr von der Beklagten der Klägerin gegenüber mündlich angeordnete Verbot, den Baum in der Bardowicker Straße in Höhe des Hauses Nr. … zu erklettern, und das Festhalten der Klägerin rechtswidrig gewesen seien. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass das gegenüber der Klägerin ausgesprochene Verbot, den Baum zu erklettern, nicht auf die Rechtsgrundlage des § 8 Abs. 1 NVersG gestützt werden könne. Das Handeln der Klägerin und ihres Kletterpartners habe sich als Teilnahme an dem für den 1. Juli 2017 angemeldeten Aufzug dargestellt. Der Klägerin sei es nach ihren Ausführungen in der mündlichen Verhandlung darum gegangen, mit der Kletteraktion und dem Spannen des Banners an der angemeldeten Demonstration teilzunehmen. Als Teilnehmerin der angemeldeten Versammlung komme die Klägerin schon nicht als Adressatin einer Beschränkung nach § 8 Abs. 1 NVersG in Betracht. Adressat einer teilnehmerbezogenen Verfügung nach § 8 Abs. 1 NVersG sei der Veranstalter oder nach Beginn der Versammlung der Versammlungsleiter. Im Übrigen hätten die Eingriffsvoraussetzungen einer Beschränkung zwar vorgelegen, sie seien aber im Lichte der Versammlungsfreiheit nicht gerechtfertigt gewesen. Die beanstandete Anordnung könne auch nicht auf § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 NVersG gestützt werden, da die Klägerin durch ihr Verhalten die Ordnung der Versammlung, an der sie teilgenommen habe, nicht erheblich gestört habe. Da es an einer rechtmäßigen Versammlungsbeschränkung nach § 8 Abs. 1 NVersG bzw. einer rechtmäßigen Anordnung nach § 10 NVersG fehle, könne das Festhalten der Klägerin nicht auf die Vorschriften über den unmittelbaren Zwang gestützt werden und sei ebenfalls rechtswidrig gewesen.
Auf den am 15. April 2020 gestellten Zulassungsantrag der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 4. September 2020 (11 LA 85/20) die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.
Zur Begründung der Berufung trägt die Beklagte vor, dass die Klägerin die richtige Adressatin der beschränkenden Verfügung gewesen sei. Die Aktion der Klägerin und ihres Kletterpartners sei nicht als Teil der angezeigten Versammlung zu würdigen, sondern es habe sich um eine eigenständige Versammlung gehandelt. Die Absichten der Klägerin seien für die einschreitenden Beamten nicht erkennbar gewesen. Das objektive Geschehen habe sich im Moment des Einschreitens als die Aktion von zwei Kletterpartnern mit Transparenten abseits des angemeldeten Demonstrationszuges dargestellt. Neben der Gefahr für die Rechtsordnung durch den Verstoß gegen die städtische Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung habe auch eine Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs vorgelegen. Allein schon der Umstand, dass eine dritte Person ad hoc auf die Straße „springen“ sollte, um das Spannen des Transparentes zu ermöglichen, behindere den Verkehr in nicht ungefährlicher Weise, wenn dies nicht polizeilich begleitet werde. Unklar bleibe weiter, wie der Regellichtraum für Busse und Lkw sichergestellt worden wäre. Die Verfügung sei auch verhältnismäßig und ermessensfehlerfrei ergangen. Die Abwehr der vorliegenden Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs habe dem Schutz hochwertiger Rechtsgüter gedient. Die SOV sei ein materielles Gesetz, mit dem sowohl das Eigentum an den öffentlichen Einrichtungen als auch die Funktionsfähigkeit dieser Einrichtungen und damit auch die Sicherheit der Nutzer - hier der Straßennutzer - geschützt werde. Nach § 2 SOV dürften Straßen und Grünanlagen nur im Rahmen des Gemeingebrauchs und ihrem Widmungszweck entsprechend benutzt werden. Straßenbäume seien nicht dem Klettern gewidmet, dies entspreche nicht dem Gemeingebrauch. Unter welchen Voraussetzungen eine Ausnahmeerlaubnis nach § 13 SOV - auch im Einzelfall im Versammlungsgeschehen und nicht schriftlich - hätte erteilt werden können, hätte im Wege der Kooperation herausgefunden werden können, die von der Klägerin jedoch abgelehnt worden sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 5. Kammer - vom 24. Februar 2020 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, dass der „Banner Drop“ an der Aufzugsstrecke der angezeigten Versammlung ein Kundgebungsmittel einer gemeinsamen Versammlung darstellen sollte. Dass eine alternative Route abhängig von der Teilnehmerzahl angedacht worden sei, sei ihr nicht bekannt gewesen. Wie rechtzeitig mit einer Vorbereitungshandlung begonnen werde, könne kein Abgrenzungskriterium dafür sein, ob eine eigene Versammlung vorgelegen habe. Um eine eigene Versammlung würde es sich dagegen bei einem Gegenprotest oder einem eigenen Thema handeln. Zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Maßnahme habe kein nennenswerter Verkehr in der Bardowicker Straße stattgefunden. Außerdem wäre die am Boden befindliche Person nicht einfach auf die Straße gesprungen, ohne auf den Straßenverkehr zu achten. Für die Beurteilung einer unmittelbaren Gefahr sei insbesondere zu beachten, dass ein Aufspannen des Banners noch gar nicht unmittelbar bevorgestanden habe. Die erforderliche Verbindung der Seile durch Personen am Boden sei ohne oder gegen den Willen der Polizeikräfte vor Ort nicht mehr möglich gewesen. Selbst wenn dies technisch möglich gewesen wäre, hätten die anwesenden Polizeikräfte die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs sicherstellen können. Es sei deshalb nicht erforderlich gewesen, sie festzuhalten. Die Beklagte habe eine Gefahrenlage zugrunde gelegt, die mit dem Erscheinen der Polizeieinsatzkräfte nicht mehr vorgelegen habe. Ein ernsthaftes Kooperationsgespräch sei ihr zudem nicht angeboten worden. Insbesondere sei ihr nicht mitgeteilt worden, dass es möglich sei, das Banner nach entsprechender Kooperation aufzuspannen und als Kundgebungsmittel einzusetzen. Sie habe sich im Kletterseil am Baum nicht nach unten bewegen und den Anweisungen der Polizeieinsatzkräfte, vom Baum herunterzusteigen, gar nicht Folge leisten können, da sie mit einem Klemmknoten gesichert gewesen sei.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat Beweisanträge gestellt, die vom Senat in der mündlichen Verhandlung abgelehnt worden sind. Wegen des Inhalts der Beweisanträge wird auf die Anlage zum Sitzungsprotokoll vom 2. Dezember 2021 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Sie ist nach Zulassung durch den Senat statthaft und auch sonst zulässig. Die Berufungsbegründungsschrift wurde innerhalb der nach § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 VwGO verlängerten Begründungsfrist beim Oberverwaltungsgericht eingereicht und entspricht inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen nach § 124 a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO.
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht festgestellt, dass die von der Klägerin beanstandeten polizeilichen Maßnahmen rechtswidrig gewesen sind. Die von der Klägerin erhobene Klage ist zwar zulässig (I.), aber nicht begründet (II.).
I. Die Klage ist zulässig.
Die auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahmen gerichtete Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO bzw. als Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft.
Das für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse und das für eine Feststellungsklage, die sich auf die Feststellung eines vergangenen Rechtsverhältnisses bezieht, nach denselben Kriterien zu ermittelnde erforderliche qualifizierte Rechtsschutzinteresse liegen vor.
Der Klägerin steht gestützt auf das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ein berechtigtes und damit das erforderliche qualifizierte (Fortsetzungs-) Feststellungsinteresse zur Seite. Bei Maßnahmen, die sich typischerweise kurzfristig erledigen, gilt die Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG nicht nur für schwerwiegende Grundrechtseingriffe, sondern auch für einfach-rechtliche Rechtsverletzungen, die - von der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG abgesehen - kein Grundrecht tangieren, und für weniger schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte und Grundfreiheiten. Wenn und soweit sich die Kurzfristigkeit der Maßnahme aus der Eigenart der Maßnahme selbst ergibt und der Betroffene gerade aufgrund dieser Kurzfristigkeit ansonsten keinen Rechtsschutz erlangen kann, verlangt das Gebot des effektiven Rechtsschutzes, dass der Betroffene die ihn belastende Maßnahme unabhängig von der Schwere des damit verbundenen Rechtseingriffs in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfen lassen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.5.2013 - 8 C 20/12 - juris Rn. 22 ff.; BVerwG, Urt. v. 16.5.2013 - 8 C 38/12 - juris Rn. 20 f.; BVerwG, Urt. v. 23.1.2008 - 6 A 1/07 - juris Rn. 26; Senatsurt. v. 14.1.2020 - 11 LB 464/18 - juris Rn. 27; SächsOVG, Urt. v. 27.1.2015 - 4 A 533/13 - juris Rn. 29; OVG Bremen, Urt. v. 27.3.1990 - 1 BA 18/89 - juris Rn. 44; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 113 Rn. 145; Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 122; Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 282, jeweils m.w.N.).
Davon ausgehend ist vorliegend ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse der Klägerin zu bejahen. Bei dem gegenüber der Klägerin ausgesprochenen Verbot, den Baum zum Zwecke des Demonstrierens zu erklettern, und dem Festhalten der Klägerin handelt es sich um die Klägerin belastende polizeiliche Maßnahmen, die sich typischerweise kurzfristig erledigen und sich hier auch kurzfristig erledigt haben. Insofern ist es zur Verwirklichung des grundgesetzlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz geboten, beide Maßnahmen einer gerichtlichen Prüfung zugänglich zu machen, ohne dass es (zusätzlich) darauf ankommt, ob der dadurch bewirkte Eingriff in (Grund-) Rechte der Klägerin als besonders schwerwiegend zu bewerten ist.
Nach den vorstehenden Ausführungen kann dahingestellt bleiben, ob ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse auch aufgrund einer Wiederholungsgefahr oder eines Rehabilitationsinteresses anzunehmen wäre.
II. Die Klage ist nicht begründet.
Das gegenüber der Klägerin mündlich ausgesprochene Verbot, den Baum zum Zwecke des Demonstrierens zu erklettern, war rechtmäßig und hat die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) (1.). Das Festhalten der Klägerin ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden (2.). Die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge waren abzulehnen (3.).
1. Das gegenüber der Klägerin mündlich ausgesprochene Verbot, den Baum zum Zwecke des Demonstrierens zu erklettern, findet seine Rechtsgrundlage in § 8 Abs. 1 NVersG. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren.
a) Die von der Klägerin und ihrem Kletterpartner geplante Aktion, zum Zwecke des Protestes gegen die Politik der am G 20 Gipfel teilnehmenden Staaten die in der Bardowicker Straße befindlichen Bäume zu erklettern und zwischen diesen über der Straße ein Banner mit der Aufschrift „Dem Kapitalismus auf der Nase herum tanzen“ zu spannen (sog. „Banner Drop“), fällt unter den Versammlungsbegriff.
Nach Art. 8 Abs. 1 GG haben alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung ( vgl. auch § 2 NVersG). Dazu gehören auch solche Zusammenkünfte, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird. Der verfassungsrechtliche Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen (ständige Rspr., vgl. z.B. BVerfG, Beschl. v. 7.3.2011 - 1 BvR 388/05 - juris Rn. 32, m.w.N.). Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet zudem das Recht, selbst zu bestimmen, wann, wo und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll. Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen - gegebenenfalls auch mit Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen - am Wirksamsten zur Geltung bringen können (BVerfG, Urt. v. 22.2.2011 - 1 BvR 699/06 - juris Rn. 64; Senatsbeschl. v. 26.8.2020 - 11 LC 251/19 - juris Rn. 40, m.w.N.). Weiter sind auch Spontanversammlungen von der Versammlungsfreiheit erfasst (BVerfG, Beschl. v.14.5.1984 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - juris Rn. 73). Der von der Klägerin und ihrem Kletterpartner geplante „Banner Drop“ stellte eine gemeinschaftliche, nicht verbale Ausdrucksform dar, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet war. Dass die Aktion nicht vorher nach § 5 NVersG angezeigt worden war, ändert nichts daran, dass sie dem Schutz der Versammlungsfreiheit unterfällt.
Dass die Klägerin als französische Staatsangehörige in personeller Hinsicht nicht vom Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG erfasst ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 GG werden Ausländer nicht von der Versammlungsfreiheit geschützt. Nach klassischer Lehre können sich Ausländer und Staatenlose allein auf das Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG berufen. Um bei EU-Ausländern einen Verstoß gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Art. 18 Abs. 1 AEUV zu vermeiden, ist das nach Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistete Schutzniveau über den verfassungsrechtlichen Schutz aus Art. 2 Abs. 1 GG sicherzustellen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.11.2015 - 2 BvR 282/13 - juris Rn. 11 f.; BVerfG, Beschl. v. 19.7.2011 - 1 BvR 1916/09 - juris Rn. 57; Ernst, in: von Münch/Kunig, Art. 8 GG Rn. 20 ff., 24 f.). Zudem steht der Klägerin das einfachgesetzliche Versammlungsrecht nach § 1 Abs. 1 NVersG zur Verfügung, das die Versammlungsfreiheit für jedermann gewährleistet. Die personelle Erweiterung gegenüber Art. 8 Abs. 1 GG entspricht der als Menschenrecht ausgestalteten Versammlungsfreiheit nach Art. 11 Abs. 1, 1. Alt. EMRK. Diese formell im Rang eines Bundesgesetzes stehende und bei der Auslegung einfachen Rechts zu beachtende Regelung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04 - juris Rn. 53) gewährleistet die Versammlungsfreiheit unabhängig von der Staatsangehörigkeit (Miller, in: Wefelmeier/Miller, NVersG, 2. Aufl., § 1 Rn. 18).
b) Die Beschränkung der Versammlungsfreiheit der Klägerin ist nicht zu beanstanden. Gemäß Art. 8 Abs. 2 GG kann die Versammlungsfreiheit für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden. Ein solches Gesetz stellt § 8 Abs. 1 NVersG dar. Wie ausgeführt kann danach die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren.
(1) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 NVersG lagen vor. Im Zeitpunkt des polizeilichen Einschreitens war eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gegeben. Der Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Der Schutz der „öffentlichen Sicherheit“ erstreckt sich somit auch auf straßenverkehrsrechtliche Vorschriften, die die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs regeln (BVerwG, Urt. v. 21.4.1989 - 7 C 50/88 - juris Rn. 15; HessVGH, Beschl. v. 31.7.2008 - 6 B 1629/08 - juris Rn. 10). Die „unmittelbare Gefährdung“ erfordert eine konkrete Sachlage, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung müssen „erkennbare Umstände“ dafür vorliegen, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Das setzt nachweisbare Tatsachen als Grundlage der Gefahrenprognose voraus; bloße Vermutungen reichen nicht (BVerfG, Beschl. v. 21.4.1998 - 1 BvR 2311/94 - juris Rn. 27; siehe auch: BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04 - juris Rn. 20; BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 - juris Rn. 80).
Die vorliegend von der Beklagten getroffene Gefahrenprognose ist nicht zu beanstanden.
Nach § 4 Abs. 1 c SOV ist es auf Straßen verboten, u.a. Bäume zu erklettern. Die Klägerin hat durch das Erklettern des Straßenbaums in der Bardowicker Straße gegen dieses Verbot verstoßen und damit eine Ordnungswidrigkeit nach § 14 Nr. 2 SOV begangen. Damit lag, wie auch das Verwaltungsgericht angenommen hat, eine unmittelbare Gefahr für das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 8 Abs. 1 NVersG vor.
Das Vorbringen der Klägerin, § 4 Abs. 1 c SOV sei nicht dazu geeignet, die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG dahingehend zu begrenzen, Versammlungsteilnehmern das Erklettern von Bäumen an einem Versammlungsort zu untersagen, so dass sie keine Ordnungswidrigkeit begangen habe, greift nicht durch. Wie das Bundesverfassungsgericht in seiner von der Klägerin angeführten Entscheidung ausgeführt hat, sind die Normen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts unter Beachtung der Wertentscheidungen der Grundrechte auszulegen und anzuwenden, so dass bei einer Entscheidung über eine Ordnungswidrigkeit bei Rechtsverstößen der Versammlungsteilnehmer deren grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit zu beachten ist (Beschl. v. 20.6.2014 - 1 BvR 980/13 - juris Rn. 24). Im vorliegenden Verfahren geht es jedoch nicht um die Frage, ob eine Verurteilung der Klägerin in einem Bußgeldverfahren gerechtfertigt wäre. Maßgebend ist vielmehr das Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die durch den Verstoß gegen das bußgeldbewehrte Verbot des Erkletterns eines Straßenbaums begründet gewesen ist. Dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der der Senat folgt, die grundrechtsbeschränkenden Gesetze im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen und Maßnahmen auf das zu beschränken sind, was zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter notwendig ist (BVerfG, Beschl. v. 20.6.2014 - 1 BvR 980/13 - juris Rn. 24), führt entgegen der Auffassung der Klägerin ebenfalls nicht dazu, im vorliegenden Fall von vornherein das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit und damit der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 NVersG zu verneinen. Die Auslegung und Anwendung der Vorschriften unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung des Art. 8 GG erfolgt vielmehr im Rahmen des Ermessens auf der Rechtsfolgenseite (dazu unter (2.)).
Die aus der maßgeblichen ex-ante Sicht der handelnden Polizeikräfte getroffene Einschätzung, dass von der Kletteraktion der Klägerin eine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs ausging, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Bardowicker Straße ist eine öffentliche Straße im Innenstadtbereich von A-Stadt, auf der auch öffentlicher Personennahverkehr mit Bussen stattfindet und auf der der Verkehr zum Zeitpunkt der streitigen Kletteraktion weder gesperrt noch eingeschränkt war. Wie die Beklagte nachvollziehbar dargelegt hat, stellte das Vorhaben der Klägerin und ihres Kletterpartners, auf zwei am Straßenrand stehende, gegenüberliegende Bäume zu klettern, um mit Hilfe einer dritten Person am Boden ein Banner über der Fahrbahn zu spannen, ohne vorherige Kooperation mit der Versammlungsbehörde und/oder der Polizei eine Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs dar. Nach den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat lassen bei einem „Banner Drop“ die beiden Kletterer Maurerschnüre hinab, eine Person am Boden nimmt eine der Schnüre auf, zieht diese über die Straße und verbindet sie mit der Schnur auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Anschließend wird die verbundene Schnur von den Kletterern hochgezogen, und mit Hilfe dieser Schnur wird dann das Banner über der Straße ausgerollt. Dass eine solche Aktion unabhängig von der konkreten Verkehrsdichte Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des noch vorhandenen Verkehrs sowie für Leib und Leben der betroffenen Verkehrsteilnehmer beinhaltet, ist offensichtlich. Durch die Kletteraktion und insbesondere durch die zunächst am Boden über die Fahrbahn gezogene und dann hochgezogene Schnur wären erhebliche Unfallgefahren entstanden, da Verkehrsteilnehmer auf der Straße die Schnur möglicherweise (zunächst) nicht gesehen hätten oder von einer solchen ohne entsprechende Vorwarnung durchgeführten Aktion überrascht worden wären und ggf. auf etwaige Hindernisse auf der Fahrbahn nicht oder nicht mehr angemessen hätten reagieren können. Darüber hinaus war ohne Kooperationsgespräch nicht sichergestellt, dass durch das Spannen des Banners der Regellichtraum über der Straße insbesondere für Busse frei bleiben würde, so dass auch insofern eine unmittelbare Gefährdung der Sicherheit des Straßenverkehrs vorlag. Der Auffassung der Klägerin, mit Eintreffen der Polizeieinsatzkräfte habe keine Gefahr mehr vorgelegen, weil diese Maßnahmen für die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs hätten ergreifen können, kann nicht gefolgt werden. Von einer unmittelbaren Gefährdung i.S.d. § 8 Abs. 1 NVersG ist dann auszugehen, wenn eine konkrete Sachlage vorliegt, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für der Versammlungsfreiheit entgegenstehende Rechtsgüter führt. Ohne das Eingreifen der Polizeikräfte wäre es sehr zeitnah zum Spannen zunächst der Maurerschnur und nachfolgend des Banners über der Straße und dem Eintritt der damit verbundenen Gefahren für Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer gekommen. Dass - wie die Klägerin meint - sie und ihr Kletterpartner der Polizei ebenso bekannt gewesen seien wie ihre besonderen Kletterkünste, ändert hieran nichts.
(2) Die von der Beklagten vorgenommene Abwägungs- und Ermessensentscheidung lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
Das der zuständigen Behörde durch § 8 Abs. 1 NVersG eingeräumte Entschließungsermessen ist grundrechtlich gebunden. Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Abwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechtes ergibt, dass dies zum Schutz anderer mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Dabei kollidierende Grundrechtspositionen sind hierfür in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.4.2018 - 1 BvR 3080/09 - juris Rn. 32 u. Beschl. v. 20.6.2014 - 1 BvR 980/13 - juris Rn. 24). Zu beachten ist auch, dass vom Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters nicht die Entscheidung umfasst ist, welche Beeinträchtigungen die Träger der kollidierenden Rechtsgüter hinzunehmen haben. Insofern ist auch zu prüfen, ob das Selbstbestimmungsrecht unter hinreichender Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen Dritter oder der Allgemeinheit ausgeübt worden ist (vgl. BVerfG, Beschl. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 - juris Rn. 63). Rechtsgüterkollisionen können im Rahmen versammlungsrechtlicher Beschränkungen ausgeglichen werden (st. Senatsrspr., siehe z.B. Beschl. v. 19.2.2021 - 11 ME 34/21 - juris Rn. 7 und Beschl. v. 4.6.2021 - 11 ME 126/21 - juris Rn. 9). Maßgeblich sind dabei stets die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte (vgl. BVerfG, Beschl. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 - juris Rn. 64). Wichtige Abwägungselemente sind unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, evtl. Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit evtl. verhinderter Anliegen, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand (BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 - juris Rn. 64, m.w.N.). Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen Bezug zum Versammlungsthema haben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90 - juris Rn. 64; Senatsbeschl. v. 4.6.2021 - 11 ME 126/21 - juris Rn. 9; HessVGH, Beschl. v. 30.10.2020 - 2 B 2655/20 - juris Rn. 5).
In Bezug auf den Ort der Versammlung ist zudem berücksichtigen, dass die Versammlungsfreiheit kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten verschafft. Insbesondere gewährt sie dem Bürger keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit - wie beispielsweise Privatgrundstücke - nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird (BVerfG, Urt. v. 22.2.2011 - 1 BvR 699/06 - juris Rn. 69; Senatsbeschl. v. 26.8.2020 - 11 LC 251/19 - juris Rn. 41). Demgegenüber gehört der öffentliche Straßenraum grundsätzlich zu den Orten, an denen ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist (BVerfG, Urt. v. 22.2.2011 - 1 BvR 699/06 - juris Rn. 66 ff., m.w.N.). Vor allem innerörtliche Straßen werden heute als Stätten des Informations- und Meinungsaustausches sowie der Pflege menschlicher Kontakte angesehen (BVerfG, Urt. v. 22.2.2011 - 1 BvR 699/06 - juris Rn. 67; Senatsbeschl. v. 26.8.2020 - 11 LC 251/19 - juris Rn. 41).
Eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung von Art. 8 Abs. 1 GG durch das ausgesprochene Kletterverbot ist nicht ersichtlich. Die von der Beklagten vorgenommene Abwägung der Rechtsgüter der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs und damit einhergehend des Eigentums und der Gesundheit der Verkehrsteilnehmer gegen die Ausübung der Versammlungsfreiheit der Klägerin ist rechtlich nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte das Recht der Klägerin auf Ausübung der Versammlungsfreiheit nicht hinreichend gewichtet hat, liegen nicht vor. Wie bereits ausgeführt worden ist, ist im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen Bezug zum Versammlungsthema haben. Nach Angaben der Klägerin sollte mit der Kletteraktion entsprechend dem Motto der angezeigten Versammlung „G 20 Warm Up - Die Verhältnisse zum Tanzen bringen“ gegen die Politik der am G 20 Gipfel teilnehmenden Staaten protestiert und zwischen zwei Bäumen ein Transparent mit der Aufschrift „Dem Kapitalismus auf der Nase herum tanzen“ über der Straße gespannt werden. Ein inhaltlicher Bezug des Erkletterns von Straßenbäumen zu dem Versammlungsthema ist nicht erkennbar. Die Klägerin hätte in ähnlich öffentlichkeitswirksamer Weise am Boden demonstrieren und dort das Transparent zeigen können. Zudem wäre bei rechtzeitiger Anzeige und mit Kooperation der Klägerin ggf. ein Spannen des Banners über einer Straße möglich gewesen, ohne auf die - anders als die Klägerin meint: nicht für eine allgemeine Kommunikation geöffneten - Bäume zu klettern, oder im Wege der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 13 SOV. Im Rahmen einer Kooperation hätte zudem die für die Verkehrssicherheit erforderliche Höhe des Banners über der Straße festgelegt und geregelt werden können, wie die Einhaltung dieser Höhe bei dem beabsichtigten „Banner Drop“ sichergestellt werden könnte. Insofern begegnet die Einschätzung der Beklagten, der Eingriff in die Versammlungsfreiheit habe nicht so schwer gewogen wie ein möglicher Schaden für die Rechtsgüter betroffener Verkehrsteilnehmer, keinen Bedenken.
Das Vorbringen der Klägerin, ein (ernsthaftes) Kooperationsgespräch sei ihr nicht angeboten worden und es sei ihr aufgrund des Festhaltens der Polizeieinsatzkräfte gar nicht möglich gewesen, vom Baum herunterzusteigen, um ein Kooperationsgespräch zu führen, gibt keinen Anlass zu einer anderen Einschätzung. Unstreitig ist, dass die Klägerin von polizeilichen Einsatzkräften durch Festhalten eines ihrer Kletterseile an dem weiteren Erklettern des Baumes gehindert worden ist. Weiter ist unstreitig, dass sich der Gesamteinsatzleiter der Beklagten PD G. zu Beginn der polizeilichen Maßnahme noch nicht in der Bardowicker Straße befand, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt dort eingetroffen ist, nachdem ihn die vor Ort befindlichen Einsatzkräfte von dem Vorfall unterrichtet hatten. Aus der in den beigezogenen Verwaltungsvorgängen enthaltenen Stellungnahme des Gesamteinsatzleiters PD G. ergibt sich, dass dieser die Klägerin zum Herabsteigen von dem Baum aufgefordert hat, um mit ihr in einem Kooperationsgespräch Möglichkeiten eines Agierens zu erörtern. Die Klägerin lehnte ausweislich der Stellungnahme aber jegliche Kommunikation mit dem Einsatzleiter ab. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass diese Darstellung unzutreffend sein könnte, liegen nicht vor. Dass die Klägerin das Gesprächsangebot als nicht ernsthaft angesehen, jegliche Kommunikation mit PD G. abgelehnt und sich geweigert hat, den Baum zu verlassen, steht der Annahme, dass ihr ein Kooperationsgespräch angeboten worden ist, nicht entgegen. Warum die Einsatzkräfte der Polizei die Klägerin durch das Festhalten des Seils daran hätten hindern sollen, den Baum herabzusteigen, um ein Kooperationsgespräch zu führen, ist nicht nachvollziehbar. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich der Knoten, mit dem die Klägerin am Baum gesichert war, wie sie vorgetragen hat, durch den Zug der Einsatzkräfte am Seil festgezogen hatte und unter Spannung nicht gelöst werden konnte, so dass sie weder nach oben noch nach unten klettern konnte. Denn es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die polizeilichen Einsatzkräfte, wenn die Klägerin tatsächlich die Absicht geäußert hätte, vom Baum hinabzuklettern, dies nicht durch Loslassen oder Lockern des Seils ermöglicht hätten. Wie das von der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren eingereichte Foto (GA Bl. 10) zeigt, ist für die Klägerin sogar eine Leiter bereitgestellt worden, auf die sie sich zur Entlastung hätte stützen bzw. die sie zum Hinabsteigen hätte nutzen können.
c. Anders als die Klägerin meint, ist dem Zitiergebot des Art. 19 Abs.1 Satz 2 GG Genüge getan. Dieses wird durch § 23 NVersG erfüllt, dem zufolge das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG nach Maßgabe des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes eingeschränkt wird. Die städtische Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist nicht gesondert am Zitiergebot zu messen.
d. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hat die Beklagte die streitige Anordnung nicht an den falschen Adressaten gerichtet. Vielmehr hat die Beklagte die hier in Rede stehende Kletteraktion der Klägerin und ihres Kletterpartners zutreffend als eigene Versammlung eingestuft und die Klägerin nach § 8 NVersG als deren Veranstalterin/Leiterin in Anspruch genommen.
§ 8 NVersG ist die Rechtsgrundlage für Maßnahmen, die sich gegen die Versammlung richten. Adressaten versammlungsrechtlicher Beschränkungen nach § 8 Abs. 1 NVersG sind der Veranstalter und/oder der Leiter. Während teilweise die Auffassung vertreten wird, dass primärer Adressat versammlungsbehördlicher Verfügungen nach § 8 NVersG der Veranstalter ist und versammlungsrechtliche Beschränkungen nach Beginn der Versammlung auch an den vom Veranstalter eingesetzten Versammlungsleiter gerichtet werden können (Ullrich, NVersG, 2. Aufl., § 8 Rn. 16 f.; so auch zum Bundesrecht Kniesel: in Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 18. Aufl., Teil I Rn. 434 f.; VG Aachen, Urt. v. 22.7.2009 - 6 K 2197/08 - juris Rn. 52), ist nach anderer Auffassung grundsätzlich der Leiter Adressat einer versammlungsrechtlichen Beschränkung nach § 8 Abs. 1 NVersG (Wefelmeier, in: Wefelmeier/Miller, NVersG, § 8 Rn. 50). Welcher Auffassung zu folgen ist, kann dahingestellt bleiben. Denn nach beiden Auffassungen hätte die streitgegenständliche Anordnung nur dann nicht gegenüber der Klägerin ergehen können, wenn diese mit der streitigen Kletteraktion Teilnehmerin der für den 1. Juli 2017 angemeldeten Versammlung gewesen wäre. Dass dies nicht der Fall ist, ergibt sich aus Folgendem:
Das Versammlungsgeschehen wird von verschiedenen Akteuren auf unterschiedliche Weise geprägt. Als Adressaten versammlungsbehördlicher bzw. polizeilicher Verfügungen und Maßnahmen kommen Veranstalter, Leiter und Teilnehmer von Versammlungen in Betracht. Ihre sich aus der Versammlungsfreiheit ergebenden Rechte sind in spezifischer Weise miteinander verschränkt (BVerfG, Beschl. v. 17.2.2009 - 1 BvR 2492/08 - juris Rn. 109).
Die Teilnahmefreiheit gewährleistet das Recht auf Anwesenheit und Mitwirkung an der Versammlung und setzt, wie sich aus der Formulierung „sich versammeln“ ergibt, die gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Teilnehmer vor Ort voraus (vgl. Ernst, in: von Münch/Kunig, Art. 8 GG Rn. 65 f.; Kniesel: in Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 18. Aufl., Teil I Rn. 75). Zwischen den Teilnehmern muss die innere Verbindung durch einen räumlichen Zusammenhang deutlich werden (Kniesel: in Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 18. Aufl., Teil I Rn. 78; Ullrich, NVersG, 2. Aufl., § 2 Rn. 3). Die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit seitens der einzelnen Bürger ist von vornherein nur mit anderen zusammen möglich, so dass diese regelmäßig auf eine Koordination angewiesen sind. Hierbei kommt dem Veranstalter der Versammlung eine hervorgehobene Bedeutung zu, weil dieser die Versammlung initiiert, ihren Rahmen absteckt und die personellen (Leiter, Ordner, Redner) sowie sachlichen (etwa Bühne, Mikrofon) Voraussetzungen für ihre Durchführung schafft. Umgekehrt sind die Rechte des Veranstalters durch die Rechte und Pflichten des Versammlungsleiters und der Teilnehmer bestimmt (BVerfG, Beschl. v. 17.2.2009 - 1 BvR 2492/08 - juris Rn. 109).
Der Veranstalter einer Versammlung hat nicht nur das Organisationsrecht, sondern ihm steht neben den Teilnehmern auch die Gestaltungsfreiheit zu (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.1.2001 - 1 BvQ 9/01 - juris Rn. 16). Durch die Wahl des Themas und der eingesetzten Gestaltungsmittel kann er seiner Versammlung das Gepräge geben, an dem sich die Teilnehmer orientieren müssen (zum Vorstehenden Kniesel: in Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 18. Aufl., Teil I Rn. 126, 184, 189, 229 f.). Dass der Gesetzgeber bei der Anzeigepflicht nach § 5 NVersG bewusst auf den Begriff des Veranstalters verzichtet hat (LT-Drs. 16/2913 S. 3), führt inhaltlich zu keiner Änderung. Vielmehr trifft die Anzeigepflicht denjenigen, der eine Versammlung veranlasst. Das Veranlassen kann sich zeigen durch das Aussprechen von Einladungen im eigenen Namen, durch das öffentliche Aufrufen zur Teilnahme, durch eine nicht nur geringfügige organisatorische Vorbereitung der Versammlung oder durch eine sonstige erkennbare Übernahme von Verantwortung für die Versammlung. Insoweit überschneidet sich der Kreis der von der Norm Verpflichteten mit dem bisher in § 14 VersG verwendeten Begriff des Veranstalters (Miller, in: Wefelmeier/Miller, NVersG, 2. Aufl., § 5 Rn. 9). Neben dem Recht zur Gestaltung seiner Versammlung ist der Veranstalter für die innere Ordnung seiner Versammlung verantwortlich (Kniesel, in: Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 18. Aufl., Teil I Rn. 432).
Für die Bewertung, ob eine (eigene) Versammlung vorliegt, kommt es - anders als beim Gefahrenbegriff - nicht auf die ex-ante Sicht der handelnden Polizisten an, sondern maßgebend sind allein die objektiven Gegebenheiten (vgl. VG Lüneburg, Urt. v. 30.7.2014 - 5 A 87/13 - juris Rn. 38). Nach den vorstehend aufgezeigten, sich aus der Versammlungsfreiheit ergebenden Rechte der an einem Versammlungsgeschehen beteiligten Akteure kommt den vom Veranstalter im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit festgelegten Modalitäten der für den 1. Juli 2017 angezeigten Versammlung eine besondere Bedeutung zu. Danach ist die Kletteraktion der Klägerin und ihres Kletterpartners nicht als Teilnahme an dem für den 1. Juli 2017 angemeldeten Aufzug mit Kundgebungen, sondern als eigene Versammlung anzusehen.
Wie sich aus dem versammlungsrechtlichen Bescheid der Hansestadt A-Stadt vom 26. Juni 2017 ergibt, hat der Anmelder der für den 1. Juli 2017 angezeigten Versammlung der Gruppe „F. _innen gegen G 20“ unter dem Motto „G 20 Warm Up - Die Verhältnisse zum Tanzen bringen“ die ihm zustehende Gestaltungsfreiheit dahingehend ausgeübt, dass diese als Aufzug mit Auftakt-, Zwischen- und Abschlusskundgebungen durchgeführt werden sollte. Als Hilfsmittel und mitgeführte Gegenstände waren Megaphon, Fahnen und Transparente angegeben. Sonstige Veranstaltungsformen oder Nebenversammlungen hat er nicht angezeigt. Nach den nicht bestrittenen Angaben der Beklagten war eine Kletteraktion auch nicht Gegenstand des Kooperationsgesprächs, an dem neben dem Anmelder, der gleichzeitig Versammlungsleiter war, Vertreter der Hansestadt A-Stadt und der Polizei teilgenommen haben. Wie sich aus § 5 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 2 NVersG ergibt, ist zudem der Versammlungsleiter verpflichtet, Änderungen der mitgeteilten Umstände unverzüglich mitzuteilen. Bei der hier streitigen Kletteraktion mit dem beabsichtigten „Banner Drop“ handelt es sich um eine besondere Protestform, die von der angezeigten und bestätigten Versammlung nicht umfasst wurde und auch nicht nachträglich vom Versammlungsleiter mitgeteilt worden ist. Auch sonst lagen objektiv keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass bei der angezeigten Versammlung das Klettern auf Bäume als besondere Form der Kundgabe des Protestes beabsichtigt war. Weder bestand ein besonderer Zusammenhang zum Motto der angezeigten Versammlung, noch haben die von dem Anmelder angezeigten Modalitäten der Versammlung und die Wahl der Kundgebungsorte und Aufzugsstrecken derartige Kletteraktionen nahegelegt. Diese Umstände sprechen maßgeblich dafür, dass es sich bei der streitigen Aktion um eine eigenständige Versammlung gehandelt hat.
Der Wertung des Verwaltungsgerichts, bei der Kletteraktion habe es sich auch deshalb um eine Teilnahme an der angezeigten Versammlung gehandelt, weil diese in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der Versammlung gestanden habe, kann nicht gefolgt werden. Wie vorstehend dargelegt worden ist, muss zwischen den Teilnehmern einer Versammlung die erforderliche innere Verbindung auch durch einen räumlichen Zusammenhang deutlich werden. Hier befand sich der Demonstrationszug zu dem Zeitpunkt, als die Klägerin und ihr Kletterpartner die Bäume in der Bardowicker Straße erkletterten, in der Straße Am Berge und damit nicht in Hör- und Sichtweite, so dass es an einer gemeinsamen körperlichen Präsenz und damit einem räumlichen Zusammenhang fehlte. Zu Beginn der Kletteraktion stand zudem nicht einmal fest, dass die Aufzugsroute über die Bardowicker Straße verlaufen würde. Dem die Versammlung bestätigenden Bescheid der Hansestadt A-Stadt vom 26. Juni 2017 ist zu entnehmen, dass die Entscheidung, ob der Aufzug ab dem Marktplatz nach der Variante A über die Bardowicker Straße oder nach der Variante B über die Salzstraße führen würde, erst bei der zu Beginn der Kletteraktion noch bevorstehenden Zwischenkundgebung am Marktplatz abhängig von der dort festgestellten Teilnehmerzahl getroffen werden sollte. Dass der Demonstrationszug dann über eine Stunde später durch die Bardowicker Straße führte, reicht angesichts der vorstehenden Ausführungen zu den hier maßgeblichen durch die Anzeige festgelegten Modalitäten der Demonstration nicht aus, um die Kletteraktion der Klägerin und ihres Kletterpartners als Bestandteil dieser Versammlung anzusehen. Es gibt auch keinen greifbaren Anhaltspunkt dafür, dass eine - regelmäßig notwendige - Koordination der Kletteraktion der Klägerin und ihrem Kletterpartner mit dem - die Veranstaltung prägenden - Veranstalter oder Leiter der Versammlung bestanden hätte. Dass die Klägerin und ihr Kletterpartner nach ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung in telefonischem Kontakt mit Teilnehmern der Versammlung „G 20 Warm Up - Die Verhältnisse zum Tanzen bringen“ standen, um den geplanten „Banner Drop“ zeitlich auf den weiteren Verlauf des Aufzuges anzupassen, genügt insoweit angesichts der konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalls nicht. Vor diesem Hintergrund vermag der Senat auch der Argumentation der Klägerin nicht zu folgen, bei den unterbundenen Maßnahmen habe es sich um solche gehandelt, die ihre Teilnahme an der Versammlung „G 20 Warm Up - Die Verhältnisse zum Tanzen bringen“ vorbereitet hätten und rechtlich wie die Anreise eines Teilnehmers zu einer Versammlung zu bewerten seien.
Dass das Erklettern von Straßenbäumen und das Aufspannen eines Banners nach der versammlungsrechtlichen Bestätigung der Hansestadt A-Stadt vom 26. Juni 2017 nicht verboten war, kann nicht zu einer anderen Einschätzung führen. Denn eine besondere Protestform, die vom Veranstalter nicht angezeigt worden ist, kann nicht dadurch Bestandteil der Versammlung werden, dass sie in der Bestätigungsverfügung der Versammlungsbehörde nicht erwähnt bzw. nicht verboten wird. Ebenso wenig gibt der Hinweis in der versammlungsrechtlichen Bestätigung auf die Verwendung von Fahnen und Transparenten als Hilfsmittel und mitgeführte Gegenstände der Versammlung objektiv Anlass zu der Annahme, dass damit auch die streitige Kletteraktion mit dem beabsichtigten „Banner Drop“ als Teil der angezeigten Versammlung anzusehen war. Dies gilt schon deshalb, weil Transparente auf einer Versammlung ohne weiteres gezeigt werden können, ohne dafür auf Bäume zu klettern.
Dass es der Klägerin nach ihren Ausführungen in den mündlichen Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht und dem Senat darum gegangen ist, mit ihrer Kletteraktion an der angemeldeten Demonstration teilzunehmen und sich an der öffentlichen Meinungsbildung zu beteiligen, um gemeinsam mit den anderen Versammlungsteilnehmern ihren allgemeinpolitischen Protest gegen die (Umwelt-)Politik der an dem G 20 Gipfel teilnehmenden Staaten zum Ausdruck bringen, steht der Einstufung als eigene Versammlung nicht entgegen. Denn wenn es, wie oben dargelegt, für die Beurteilung, ob eine (eigene) Versammlung vorliegt, auf rein objektive Gesichtspunkte ankommt, können nicht allein die subjektiven Vorstellungen und Absichten der Klägerin ausschlaggebend sein, selbst wenn sie diese gegenüber den Polizeieinsatzkräften geäußert hat.
2. Die auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Festhaltens der Klägerin gerichtete Klage ist ebenfalls nicht begründet.
Die Durchsetzung der Versammlungsbeschränkung nach § 8 Abs. 1 NVersG war rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die streitige Maßnahme sind die Regelungen in §§ 64, 65, 69, 70, 74 Nds. SOG, die mit den Regelungen in §§ 64, 65, 69, 70, 74 des am 24. Mai 2019 in Kraft getretenen Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (i.d.F. vom 19.1.2005, zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.12.2019, Nds. GVBl. 2019, 428 - NPOG -) im Wesentlichen wörtlich übereinstimmen. Die danach erforderlichen Voraussetzungen für die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch die Polizei waren erfüllt. Es lag gemäß § 64 Abs. 1 Nds. SOG ein sofort vollziehbarer Verwaltungsakt vor. Nach den vorstehenden Ausführungen ordnete der Gesamteinsatzleiter der Polizei PD G. gegenüber der Klägerin an, nicht am Baum, sondern nur auf dem Gehweg zu demonstrieren. Bei der Beschränkung der Versammlung handelte es sich um eine unaufschiebbare und damit sofort vollziehbare Maßnahme gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO. Danach entfällt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten. Die streitige Versammlungsbeschränkung war unaufschiebbar, da sich die Klägerin bereits auf dem Baum befand. Mit dem Festhalten des Kletterseils wurde durch die Polizeibeamten unmittelbarer Zwang im Sinne des § 69 Abs. 1 Nds. SOG angewendet. Ein anderes Zwangsmittel kam nicht in Betracht. Ob die Anwendung unmittelbaren Zwangs gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG vorher angedroht worden ist, kann dahingestellt bleiben. Nach § 70 Abs. 1 Satz 3 Nds. SOG kann von der Androhung abgesehen werden, wenn die Umstände sie nicht zulassen, insbesondere wenn die sofortige Anwendung des Zwangsmittels zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig ist. Ein solcher Ausnahmefall lag hier vor. Da die Klägerin den Straßenbaum bereits in einer Höhe von zwei Metern erklettert hatte, war in der konkreten Situation schnelles Handeln erforderlich, um die Klägerin am Weiterklettern zu hindern. Durch die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens gegen die Klägerin hätte die aufgezeigte gegenwärtige Gefahr ersichtlich nicht abgewehrt werden können.
3. Der Senat war nicht gehalten, den von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gestellten, als Anlage zum Sitzungsprotokoll genommenen Beweisanträgen nachzukommen.
Soweit die Klägerin beantragt hat, Beweis zu erheben, dass sie durch die Polizei festgehalten worden ist (Beweisantrag zu 1)), war der Beweisantrag nach § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 StPO abzulehnen, weil die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist. Dass die Klägerin bei der streitigen Aktion von der Polizei am Seil festgehalten worden ist, um ein weiteres Erklettern des Baumes zu verhindern, ist unstreitig und damit erwiesen, so dass es einer Beweiserhebung nicht bedarf. Dies gilt entsprechend für den unter 3) gestellten Antrag, Beweis über die Tatsache zu erheben, dass die Klägerin über 30 Minuten festgehalten wurde.
Die Ablehnung der unter 2) und 4) gestellten Beweisanträge beruht auf § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO. Danach kann ein Beweisantrag abgelehnt werden, wenn die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist. Die mit dem Beweisantrag zu 2) unter Beweis gestellte Tatsache, dass die Klägerin, solange die Polizeikräfte an ihr oder ihrer Kletterausrüstung zogen, physikalisch keine Möglichkeit hatte herunter zu kommen, ist nicht entscheidungserheblich, wie sich aus den Ausführungen unter II.1.b (2) der Entscheidungsgründe ergibt. Maßgebend ist allein, dass keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die polizeilichen Einsatzkräfte ein Hinunterklettern der Klägerin nicht ermöglicht hätten, wenn diese dazu bereit gewesen wäre. Soweit die Klägerin mit ihrem Beweisantrag zu 4) beantragt hat, darüber Beweis zu erheben, dass sie durch das Festhalten in eine Position geraten ist, die das Risiko eines gesundheitsgefährdenden Hängetraumas hervorgerufen hat, ist auch diese Tatsache für Beurteilung der Rechtmäßigkeit der streitigen Anordnung, den Baum nicht weiter zu erklettern und am Boden zu demonstrieren, nicht entscheidungserheblich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.