Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.02.2013, Az.: 5 ME 256/12
Dokumentationspflicht der für die Entscheidung maßgeblichen Auswahlerwägungen in Fällen der Dienstpostenkonkurrenz
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 07.02.2013
- Aktenzeichen
- 5 ME 256/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 32158
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2013:0207.5ME256.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 06.09.2012 - AZ: 3 B 1915/12
Rechtsgrundlagen
- Art. 19 Abs. 4 GG
- Art. 33 Abs. 2 GG
Redaktioneller Leitsatz
1.
Die Ablehnung der Auswahl eines Beförderungsbewerbers als Verwaltungsakt unterliegt einem Begründungserfordernis und die wesentlichen Auswahlerwägungen sind mitzuteilen. Das Begründungserfordernis gilt auch in Fällen der Dienstpostenkonkurrenz.
2.
Dokumentierte materielle Auswahlerwägungen, die für eine Entscheidung maßgebend waren und sich lediglich in der einem Mitbewerber gegenüber erfolgten Begründung der Entscheidung nicht oder nicht ausreichend wiedergegeben fanden, können nachträglich bekanntgegeben werden. Dies ermöglicht jedoch nicht, die materiellen Auswahlerwägungen selbst nachzuholen oder eine fehlende Dokumentation der Auswahlerwägungen "nachzuschieben".
3.
Aus Art. 33 Abs. 2 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG folgt eine Verpflichtung, die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen. Nur durch eine schriftliche Fixierung der wesentlichen Auswahlerwägungen - deren Kenntnis sich der unterlegene Bewerber gegebenenfalls durch Akteneinsicht verschaffen kann - wird der Mitbewerber in die Lage versetzt, sachgerecht darüber befinden zu können, ob er die Entscheidung des Dienstherrn hinnehmen soll oder ob Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Anspruch auf faire und chancengleiche Behandlung seiner Bewerbung bestehen und er gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen will.
3.
Erst die Dokumentation der maßgeblichen Erwägungen eröffnet dem Gericht die Möglichkeit, die angegriffene Entscheidung eigenständig nachzuvollziehen. Schließlich stellt die schriftliche Dokumentation der Auswahlerwägungen sicher, dass die Bewertungsgrundlagen der entscheidenden Stelle vollständig zur Kenntnis gelangt sind.
4.
Ermessenserwägungen können zwar gemäß § 114 Satz 2 VwGO im gerichtlichen Verfahren ergänzt werden; unzulässig, weil keine bloße Ergänzung, ist jedoch die vollständige Nachholung oder die Auswechslung der die Ermessensentscheidung tragenden Gründe.
Gründe
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade betreffend die Besetzung des ausgeschriebenen Dienstpostens mit dem Beigeladenen hat keinen Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin dem Begründungserfordernis nicht entspricht und dass die Antragsgegnerin den Begründungsmangel auch nicht heilen konnte.
Wie das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt hat, hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 14. Januar 2008 (- 5 ME 317/07 -, [...]) entschieden, dass die Ablehnung der Auswahl eines Beförderungsbewerbers als Verwaltungsakt einem Begründungserfordernis unterliegt und dass die wesentlichen Auswahlerwägungen mitzuteilen sind (vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 24.2.2010 - 5 ME 16/10 -, [...]). Das Begründungserfordernis gilt auch in Fällen der Dienstpostenkonkurrenz. Diesen Anforderungen ist hier nicht genügt worden. Das an den Antragsteller gerichtete Schreiben vom 30. Mai 2012 über sein Unterliegen im Bewerbungsverfahren enthält keine Gründe für die Auswahlentscheidung.
Zwar lassen sich Begründungsmängel eines Verwaltungsaktes gemäß § 1 NVwVfG, § 45 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 VwVfG beheben. Danach kann eine Behörde die erforderliche Begründung eines Verwaltungsaktes bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachholen. Die Vorschrift des § 45 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 VwVfG bedeutet im vorliegenden Zusammenhang aber, dass dokumentierte materielle Auswahlerwägungen, die für eine Entscheidung maßgebend waren und sich lediglich in der einem Mitbewerber gegenüber erfolgten Begründung der Entscheidung nicht oder nicht ausreichend wiedergegeben fanden, nachträglich bekanntgegeben werden können; sie ermöglicht jedoch nicht, die materiellen Auswahlerwägungen selbst nachzuholen oder eine fehlende Dokumentation der Auswahlerwägungen "nachzuschieben" (so BVerwG, Beschluss vom 16.12.2008 - BVerwG 1 WB 19.08 -, [...] Rn. 48).
Gemessen hieran konnte die Antragsgegnerin den Begründungsmangel nicht heilen, weil es hier an einer Dokumentation der Auswahlerwägungen fehlte, die sie nachträglich dem Antragsteller hätte bekanntgeben können. Aus Art. 33 Abs. 2 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG folgt eine Verpflichtung der Antragsgegnerin, die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich niederzulegen. Nur durch eine schriftliche Fixierung der wesentlichen Auswahlerwägungen - deren Kenntnis sich der unterlegene Bewerber gegebenenfalls durch Akteneinsicht verschaffen kann - wird der Mitbewerber in die Lage versetzt, sachgerecht darüber befinden zu können, ob er die Entscheidung des Dienstherrn hinnehmen soll oder ob Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Anspruch auf faire und chancengleiche Behandlung seiner Bewerbung bestehen und er gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen will. Darüber hinaus eröffnet erst die Dokumentation der maßgeblichen Erwägungen dem Gericht die Möglichkeit, die angegriffene Entscheidung eigenständig nachzuvollziehen. Schließlich stellt die schriftliche Dokumentation der Auswahlerwägungen sicher, dass die Bewertungsgrundlagen der entscheidenden Stelle vollständig zur Kenntnis gelangt sind (vgl. zum Ganzen BVerfG, Kammerbeschluss vom 9.7.2007 - 2 BvR 206/07 -, [...]; vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.12.2008, a.a.O., Nds. OVG, Beschluss vom 18.8.2011 - 5 ME 212/11 -, [...] Rn. 13). Eine solche Verpflichtung besteht auch in den Fällen der Dienstpostenkonkurrenz.
Dies zugrunde gelegt, ist die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin nicht hinreichend dokumentiert. Als Dokumentation liegen in den Beiakten "A" und "G" zwar für jeden der sieben Bewerber gefertigte Bewertungsbögen über die jeweiligen Auswahlgespräche mit Notizen der Mitglieder der Auswahlkommission zu den einzelnen Fragestellungen vor. Jedes Mitglied der Auswahlkommission hat darin positive und negative Gesichtspunkte der Vorstellungen der einzelnen Bewerber notiert. Außerdem haben fünf von sechs Mitgliedern der Auswahlkommission eine Rangreihenfolge nach den Auswahlgesprächen vorgeschlagen. Die einzelnen Bewertungsbögen zeigen Tendenzen zugunsten des Beigeladenen auf. Den Bewertungsbögen lässt sich aber nicht entnehmen, welche Gesichtspunkte und Erwägungen letztlich für die Auswahlentscheidung bestimmend waren und den Ausschlag zugunsten des Beigeladenen gegeben haben. Es fehlt insbesondere an einer Zusammenführung der Bewertungen der einzelnen Kommissionsmitglieder zu einem gemeinsamen Ergebnis. Ein Auswahlvermerk mit den wesentlichen Erwägungen der Auswahlkommission liegt - anders als in dem von der Antragsgegnerin zitierten, vom Senat mit Beschluss vom 18. August 2011 (a.a.O.) entschiedenen Fall - hier gerade nicht vor. Deshalb stellt sich auch nicht die von der Antragsgegnerin unter Hinweis auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 1. August 2011 (- 1 B 186/11 -, [...] Rn. 24) aufgeworfene Frage, welchen (Mindest-)Inhalt die schriftlich fixierten Auswahlerwägungen haben und insbesondere welche Begründungstiefe sie wenigstens aufweisen müssen. Das "Feedback-Gespräch" zwischen dem Antragsteller und dem Leiter des PK C. am 3. Mai 2012 kann hier die fehlende schriftliche Dokumentation der Auswahlentscheidung nach den oben dargelegten Grundsätzen nicht ersetzen. Soweit die Antragsgegnerin meint, es sei dem unterlegenen Bewerber zumutbar, sich über eine Akteneinsicht selbst eine Auffassung zu bilden, ob die Auswahlentscheidung auf Basis der Kernbegründung überzeugen könne, fehlt es hier gerade an einer solchen "Kernbegründung", die in einem Auswahlvermerk niederzulegen gewesen wäre. In dem internen Schreiben der Antragsgegnerin vom 27. April 2004 an das Dezernat D. wird ebenfalls nur das Auswahlergebnis mitgeteilt, Auswahlgründe ergeben sich daraus nicht. In dem Schreiben an den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vom 30. Mai 2012 wird lediglich das Auswahlverfahren dargestellt. Gründe, warum der Beigeladene ausgewählt worden ist, werden darin ebenfalls nicht dargelegt.
Ermessenserwägungen können zwar gemäß § 114 Satz 2 VwGO im gerichtlichen Verfahren ergänzt werden; unzulässig, weil keine bloße Ergänzung, ist jedoch die vollständige Nachholung oder die Auswechslung der die Ermessensentscheidung tragenden Gründe (vgl. BVerwG, Urteil vom 5.5.1998 - BVerwG 1 C 17.97 -, [...] Rn. 40). Entsprechendes gilt - unabhängig von der Frage, ob sich der Anwendungsbereich von § 114 VwGO auch auf Beurteilungsermächtigungen erstreckt (vgl. zum Meinungsstand Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 114 Rn. 39 m.w.N.) - für Einschätzungen, bei denen ein Beurteilungsspielraum besteht; auch insoweit ist im gerichtlichen Verfahren nur eine Ergänzung oder Präzisierung der Erwägungen, nicht jedoch eine vollständige Nachholung oder Auswechslung zulässig (BVerwG, Urteil vom 16.12.2008, a.a.O., Rn. 48).
Nach diesen Maßstäben stellt das nachträglich im gerichtlichen Verfahren gefertigte Protokoll vom 7. August 2012 über die Sitzung der Auswahlkommission vom 26. April 2012 keine Ergänzung von bereits mit der Entscheidung vom 26. April 2012 getroffenen Erwägungen dar. Vielmehr werden in diesem Protokoll auf Seite 3 unter Nr. 2. erstmals von der Auswahlkommission zusammengeführte Gründe für die Auswahl des Beigeladenen genannt, und zwar in Form von zwei Sätzen, die im Übrigen in keinem Verhältnis zu dem von der Antragsgegnerin in ihren Schriftsätzen gezeigten Darstellungsaufwand stehen und ohne Weiteres bereits am 26. April 2012 hätten niedergelegt werden können. Eine solche erstmalige Nachholung der Ermessenserwägungen und des Eignungsvergleichs ist nach dem Gesagten unzulässig und kann bei der gerichtlichen Kontrolle der Auswahlentscheidung nicht berücksichtigt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht gemäß § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig, weil er keinen Antrag gestellt und das Verfahren nicht wesentlich gefördert hat.