Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 05.02.2013, Az.: 20 AD 9/12
Sorgfältiger Umgang mit Schlüsseln der Justizvollzugsanstalt als Kernpflicht eines Justizvollzugsbeamten
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 05.02.2013
- Aktenzeichen
- 20 AD 9/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 32185
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2013:0205.20AD9.12.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Der sorgfältige Umgang mit Schlüsseln der Justizvollzugsanstalt gehört zu den Kernpflichten einer Justizvollzugsbeamtin.
- 2.
Ein Verstoß gegen diese Kernpflicht kann unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des jeweiligen Einzelfalls disziplinarrechtlich geahndet werden.
Gründe
1. Der Antrag der beklagten Justizvollzugsanstalt auf Zulassung der Berufung hat Erfolg.
Die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§§ 59 Abs. 2 Satz 2 NDiszG, 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind erfüllt.
Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils sind zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt. Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substantiiert mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist. Ist das angegriffene Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, müssen hinsichtlich aller dieser Begründungen Zulassungsgründe dargelegt werden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 21.10.2010 - 5 LA 265/09 -).
Die Beklagte hat mit ihren Darlegungen im Zulassungsverfahren gewichtige, gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sprechende Gründe aufgezeigt, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg.
Die Verfügung der Beklagten vom 4. Oktober 20 , mit der diese gegen die Klägerin, die als Obersekretärin im Justizvollzugsdienst bei der Beklagten tätig ist, einen Verweis (§ 7 NDiszG) ausgesprochen hat, ist entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts rechtmäßig.
Die Beklagte hat der Klägerin zu Recht die Begehung eines Dienstvergehens vorgeworfen. Denn die Klägerin hat schuldhaft die ihr obliegenden Pflichten verletzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG).
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Klägerin schuldhaft mehrere innerdienstliche Pflichtverletzungen begangen hat.
Die Klägerin, die am 11. März 20 an der Außenpforte der Beklagten Dienst verrichtet hatte, hat es, als sie ihren Dienst um 19.00 Uhr beendet hat, versäumt, den Pfortenschlüssel, den sie zu Beginn ihres Dienstes an sich genommen hatte, in dem dafür vorgesehenen Schließfach zu deponieren. Sie hat die Justizvollzugsanstalt verlassen und den Schlüssel weiter bei sich geführt und mit nach Hause genommen. Durch dieses Verhalten hat die Klägerin gegen § 34 Satz 1 BeamtStG sowie gegen § 35 Satz 2 BeamtStG in Verbindung mit den Anstaltsregelungen der Beklagten über die Aufbewahrung der Anstaltsschlüssel verstoßen.
Nachdem die Klägerin am 13. März 20 von einem Bediensteten der Beklagten gebeten worden war, in ihrer Kleidung nach dem Schlüssel zu suchen, tat sie dies nicht mit der gebotenen Sorgfalt. Sie fand den Schlüssel nicht und teilte dem Bediensteten der Beklagten mit, dass sie den Schlüssel nicht habe. Nachdem der Bedienstete die Klägerin am 17. März 20 nochmals ersucht hatte, in ihrer Kleidung nach dem Schlüssel zu suchen, fand sie ihn in einer Jacke. Die Klägerin hat dadurch, dass sie zunächst nur oberflächlich nach dem in unzulässiger Weise mitgenommenen Schlüssel gesucht hat, was zur Folge hatte, dass die Beklagte weitere vier Tage von dem Verlust des Schlüssels ausgehen musste, gegen § 34 Satz 1 BeamtStG in Verbindung mit Nr. 1 Abs. 2 der Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug (DSVollz) vom 1. Juli 1976 (Nds. RPfl. S. 168) verstoßen. Wenn sie ihre Kleidung schon am 13. März 20 sorgfältig durchsucht hätte, hätte sie den Schlüssel sofort gefunden.
Nachdem die Klägerin den Schlüssel am 17. März 20 gefunden hatte, hat sie ihn nicht persönlich bei der Beklagten abgegeben, sondern einem Kollegen gegeben und diesen gebeten, den Schlüssel mitzunehmen. Durch dieses Verhalten hat die Klägerin gegen § 34 Satz 1 BeamtStG sowie gegen § 35 Satz 2 BeamtStG in Verbindung mit den Anstaltsregelungen der Beklagten verstoßen. In den Anstaltsregelungen ist vorgeschrieben worden, dass den Bediensteten ausgehändigte Anstaltsschlüssel nicht übertragbar sind. Sie dürfen deshalb auch nicht - wie es die Klägerin getan hat - einem Kollegen zwecks Weiterleitung an die Dienststelle mitgegeben werden.
Die Beklagte hat das Dienstvergehen der Klägern entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts rechtsfehlerfrei mit einem Verweis (§ 7 NDiszG) als geringstmöglicher Disziplinarmaßnahme geahndet.
Nach § 14 Abs. 1 NDiszG ergeht die Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme nach pflichtgemäßem Ermessen. Sie ist nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen. Das Persönlichkeitsbild des Beamten ist einschließlich des bisherigen dienstlichen Verhaltens angemessen zu berücksichtigen. Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt hat.
Gemessen hieran ist die Verhängung eines Verweises (§ 7 NDiszG) gegenüber der Klägerin erforderlich, aber auch ausreichend, um der Klägerin ihr Fehlverhalten vor Augen zu führen.
Die Klägerin ist zwar nicht disziplinarisch vorbelastet, so dass es sich - wie die Klägerin unter Hinweis auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. Februar 2011 (- 80 K 53.10 Ol -, [...]) vorbringt, um eine bislang einmalige Verfehlung handelt. Gegenüber diesem mildernd zu berücksichtigenden Umstand ist jedoch erschwerend zu würdigen, dass - wie auch das Verwaltungsgericht angenommen hat - der sorgfältige Umgang mit Schlüsseln der Justizvollzugsanstalt zu den Kernpflichten eines Justizvollzugsbeamten gehört. Die zuverlässige Erfüllung dieser Kernpflicht ist für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung einer Justizvollzugsanstalt sowie eines reibungslosen Dienstbetriebes unerlässlich. Es handelt sich deshalb bei dem Fehlverhalten der Klägerin keinesfalls um eine bloße Bagatellverfehlung, die die Schwelle zur disziplinarischen Erheblichkeit nicht überschreitet. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob - wie die Klägerin meint - eine objektive Gefährdung der Sicherheit nicht vorlag, weil sich der Schlüssel in ihrer Wohnung befand. Ausschlaggebend ist, dass der Beklagten vom 11. bis zum 17. März 20 der Verbleib des Schlüssels nicht bekannt war. Die Beklagte war während dieser Zeit gezwungen, zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen, weil nicht auszuschließen war, dass unberechtigte Personen in den Besitz des Schlüssels gelangt waren.
Angesichts der be- und entlastenden Umstände und unter Berücksichtigung der Gesamtumstände sowie des Persönlichkeitsbildes der Klägerin ist das von ihr begangene Dienstvergehen mit dem ausgesprochenen Verweis zutreffend geahndet worden.
Dem steht letztlich auch nicht die E-Mail des Sicherheitsdienstleiters der Beklagten vom 17. März 20 entgegen, die dieser noch vor dem Wiederauffinden des Schlüssels an alle Bediensteten versandt hat. Es verwundert zwar, dass ausgerechnet der den Sicherheitsdienst leitende Beamte der Beklagten sechs Tage nach dem Verschwinden des Schlüssels allen Bediensteten gegenüber in flapsiger Art und Weise mit dem Satz "Gibt auch keinen Ärger ..." zum Ausdruck gebracht hat, dass die Angelegenheit im Fall der "zeitnahen" Rückgabe des Schlüssels nicht sanktioniert werde. Ausschlaggebend ist jedoch, dass der Sicherheitsdienstleiter zum einen keine personalrechtlichen Befugnisse hat und dass zum anderen die Klägerin, die im Zeitpunkt des Versandes der behördeninternen E-Mail vom 17. März 20 urlaubsbedingt nicht in der Justizvollzugsanstalt war, angesichts des weiteren Geschehensablaufs nicht darauf vertrauen durfte, dass ihr Verhalten nicht disziplinarisch geahndet wird. Die Klägerin ist nämlich am 18. März 20 - offenbar telefonisch - ersucht worden, nach der Rückkehr aus dem Urlaub zu der Angelegenheit Stellung zu nehmen (vgl. Vermerk vom 18.3.20 , Bl. 1 BA-A). Noch vor der Fertigung der Stellungnahme ist am 24. März 20 mit ihr ein Gespräch geführt worden, in dem ihr ihre Verhaltensweise vorgeworfen und ihr Verhalten kritisiert worden ist (vgl. E-Mails vom 24.3.20 , Bl. 10 und 4 BA-A). Am 27. März 20 hat die Klägerin sodann die von der Beklagten erbetene schriftliche Stellungnahme gefertigt, die zur Einleitung des Disziplinarverfahrens geführt hat.
Das Zulassungsverfahren wird als Berufungsverfahren fortgeführt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 124 a Abs. 5 Satz 5 VwGO). Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht, Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg, oder Postfach 2371, 21313 Lüneburg, einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig (§ 124 a Abs. 3 Sätze 3 bis 5 und Abs. 6 VwGO).