Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.02.2024, Az.: 4 LA 31/24

Vertagung eines Asylklageverfahrens im Sinne von § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO; Kurzfristiges Bevorstehen weiterer Arzttermine im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
15.02.2024
Aktenzeichen
4 LA 31/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 10862
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0215.4LA31.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 02.11.2023 - AZ: 1 A 6044/21

Fundstelle

  • AUAS 2024, 70-71

Amtlicher Leitsatz

Der Umstand, dass in einem auf Feststellung eines Abschiebungsverbots aus gesundheitlichen Gründen gerichteten Asylklageverfahren im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weitere Arzttermine kurzfristig bevorstehen, stellt keinen erheblichen Grund für eine Vertagung im Sinne von § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO dar, wenn nicht zu erwarten ist, dass sich die zusätzlichen ärztlichen Feststellungen auf die Gefährdungsbeurteilung nach § 60 Abs. 7 AufenthG auswirken werden.

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 1. Kammer - vom 2. November 2023 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels der Versagung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Verwaltungsgericht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht dadurch verletzt, dass es seinen in der mündlichen Verhandlung gestellten Vertagungsantrag abgelehnt und ihm dadurch verwehrt hat, in sein (u.a.) auf Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG gerichtetes Klageverfahren auch noch die Ergebnisse zweier kurzfristig bevorstehender Arzttermine einzubeziehen.

Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und für seine Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundrecht soll das Gebot rechtlichen Gehörs sicherstellen, dass die Entscheidung des Gerichts frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und mangelnder Berücksichtigung des Sachvortrags eines Beteiligten haben (stRspr; vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 18.2.2021 - 1 B 9.21 -, juris Rn. 4 m.w.N.). Hiernach verlangt der Anspruch auf rechtliches Gehör auch, einem aus im Sinne des § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO erheblichen Gründen gestellten Vertagungsantrag zu entsprechen. Bei der Entscheidung über einen Vertagungsantrag zu berücksichtigen sind einerseits das im Verwaltungsprozess geltende Gebot der Beschleunigung des Verfahrens und die Intention des Gesetzes, die gerichtliche Entscheidung möglichst aufgrund einer einzigen mündlichen Verhandlung herbeizuführen, andererseits das verfassungsrechtliche Erfordernis des rechtlichen Gehörs. Wird einem Beteiligten infolge unterbliebener Vertagung die Möglichkeit abgeschnitten, sich sachgemäß und erschöpfend zu äußern, wird hierdurch das gebotene rechtliche Gehör unzulässig verkürzt (stRspr; vgl. z.B. BVerwG, Beschl. v. 25.9.2013 - 1 B 8.13 -, juris Rn. 13 m.w.N.).

Nach diesen Maßgaben liegt ein Gehörsverstoß nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat im Falle des Klägers, bei dem es sich um den im Juli 2020 im Bundesgebiet geborenen Sohn zweier georgischer Staatsangehöriger handelt, zu Recht einen erheblichen Grund für eine Vertagung im Sinne von § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO in der gemeinsam mit dem Asylklageverfahren seiner Eltern durchgeführten mündlichen Verhandlung vom 2. November 2023 nicht anerkannt. Der der Wahrung der Familieneinheit dienenden zeitgleichen Entscheidung der Klagen von Eltern und Kind, auf die auch das Verwaltungsgericht abgestellt hat (Urteilsabdruck, S. 11), durfte der Vorrang eingeräumt werden. Denn entgegen der von dem Kläger in der Zulassungsschrift vertretenen Auffassung geboten die mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 26. Oktober 2023 eingereichten Unterlagen nicht, vor der Entscheidung über das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG noch die Ergebnisse der für ihn vereinbarten Arzttermine am 7. Dezember 2023 und 21. November 2023 abzuwarten. Dabei ist zugrunde zu legen, dass, wie auch das Verwaltungsgericht ausgeführt hat (Urteilsabdruck, S. 8), die von § 60 Abs. 7 AufenthG aufgestellten Anforderungen hoch sind. Nach Satz 3 der Vorschrift liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Ergänzend bestimmt Satz 4, dass es nicht erforderlich ist, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist.

Der vorgelegte Bericht des Kinderhospitals B-Stadt vom 31. Mai 2023 enthält für den Kläger die Diagnosen "Expressive Sprachentwicklungsverzögerung (F80.1)" und "Frühkindlicher Nystagmus (H55)"; dabei handelt es sich um eine Augenerkrankung, bei der beide Augen unkontrolliert zittern oder zucken. Hinsichtlich der Sprachentwicklungsverzögerung wurde die Aufnahme einer heilpädagogischen Förderung empfohlen. Zum frühkindlichen Nystagmus heißt es lediglich, dass die bei dem Kläger festgestellte Art oft genetische Ursachen habe, die bei entsprechender Diagnostik auch eindeutig identifiziert werden könnten. Aus diesem Grund wurde im Rahmen eines Wiedervorstellungstermins zur logopädischen Diagnostik und Mitbeurteilung am 7. Dezember 2023 eine Blutabnahme zur genetischen Diagnostik vorgesehen. Inwiefern sich die Feststellung, ob der frühkindliche Nystagmus des Klägers genetisch bedingt ist oder nicht, auf das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG auswirken sollte, erschließt sich nicht. Zwar behauptet der Kläger in seinem Zulassungsantrag, dass, wenn das Ergebnis der genetischen Diagnostik vorliege, feststehen werde, ob seine Weiterbehandlung in Deutschland unerlässlich sei. Eine Begründung dafür gibt er aber nicht und legt auch nicht dar, dass und wie sein frühkindlicher Nystagmus bisher behandelt worden ist. Hiernach ist die Bewertung des Verwaltungsgerichts, mangels konkreter Therapieschritte sei es nicht erforderlich, weitere Untersuchungen zur genetischen Ursache der Erkrankung abzuwarten (Urteilsabdruck, S. 9), nicht zu beanstanden.

Aus dem zudem eingereichten Attest der Augenärztlichen Gemeinschaftspraxis vom 18. November 2021 ging als weitere Diagnose "Hyperopie" hervor. Die Weitsichtigkeit des Klägers war bereits in einem im Verfahren vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgelegten Arztbrief vom 12. November 2020 festgestellt worden. Gegenüber einer im Januar 2021 durchgeführten Voruntersuchung mit beidseits + 6 dpt wurde die Hyperopie aber nunmehr als deutlich rückläufig (beidseits + 2 dpt) eingestuft, so dass die beim Erstbefund verschriebene Brille als nicht mehr erforderlich angesehen wurde. Auf dieser Grundlage ist das Verwaltungsgericht nachvollziehbar davon ausgegangen, dass die Sehschwäche des Klägers nicht so erheblich sei, dass sie ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG begründen könnte (Urteilsabdruck, S. 9). Dafür, dass sich etwas Anderes bei dem für den 21. November 2023 vergebenen Augenarzttermin hätte ergeben können, waren Anhaltspunkte weder dargetan noch ersichtlich. Aktuellere augenärztliche Bescheinigungen - in dem Attest vom 18. November 2021 war eine Kontrolle in sechs Monaten empfohlen worden - waren nicht vorgelegt worden. Auch gaben die Eltern des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 2. November 2023 selbst an, dass ihr Sohn weiterhin keine Brille mehr trage, und gingen von einer lediglich geringen Verschlechterung seiner Sehfähigkeit auf + 2,5 dpt aus.

Darüber hinaus erfordert die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs auch die substantiierte Angabe dessen, was bei ausreichender Gehörsgewährung noch vorgetragen worden wäre und inwieweit dieser weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre oder zu einer anderen Entscheidung des Gerichts hätte führen können (stRspr; vgl. z.B. BVerwG, Beschl. v. 1.11.2022 - 1 B 57.22 -, juris Rn. 4 m.w.N.; Senatsbeschl. v. 29.1.2024 - 4 LA 2/24 -, Beschlussabdruck, S. 4/5 m.w.N.). Jedenfalls das Ergebnis der Augenuntersuchung vom 21. November 2023 dürfte bei Einreichung der Zulassungsschrift am 20. Dezember 2023 vorgelegen haben. Dass es zu für die Anerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG maßgeblichen Veränderungen seiner Hyperopie gekommen ist, führt der Kläger in seinem Zulassungsantrag aber nicht an.

Schließlich spricht entgegen der Auffassung des Klägers auch rechtlich nichts dagegen, dass das Verwaltungsgericht ihn zur Begründung der Ablehnung seines Vertagungsantrags darauf verwiesen hat, im Falle (etwaiger) weiterer medizinischer Erkenntnisse ein Folgeverfahren durchzuführen. Sein Einwand, damit werde ausreichender Rechtsschutz nicht gewährt, greift nicht durch. Einstweiliger Rechtsschutz kann auch bei Ablehnung eines Folgeantrags in Anspruch genommen werden (vgl. dazu BeckOK AuslR/Dickten, 39. Ed. 1.10.2023, AsylG § 71 Rn. 31 ff.).

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).