Landgericht Osnabrück
Urt. v. 28.11.2005, Az.: 5 O 1937/05
Schadensersatz nach Baumunfall infolge nicht ausreichender Sichtkontrolle des Baumes; Anspruch auf Schadensersatz wegen Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht seitens einer Gemeinde; Umfang der Pflicht einer Gemeinde zur Überprüfung der Gesundheit und des Zustandes von Bäumen in Straßennähe; Voraussetzungen für die rechtmäßige Entfernung von Bäumen in Straßennähe
Bibliographie
- Gericht
- LG Osnabrück
- Datum
- 28.11.2005
- Aktenzeichen
- 5 O 1937/05
- Entscheidungsform
- Endurteil
- Referenz
- WKRS 2005, 34154
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOSNAB:2005:1128.5O1937.05.0A
Rechtsgrundlagen
- Art. 34 GG
- § 286 BGB
- § 288 BGB
- § 291 BGB
- § 839 BGB
- § 9 NdsStrG
- § 10 Abs. 1 NdsStrG
- § 48 NdsStrG
Amtlicher Leitsatz
Schadensersatz nach Baumunfall infolge nicht ausreichender Sichtkontrolle des Baumes
Tenor:
- 1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.239,22 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 27.6.2005 sowie weitere 144,59 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.7.2005 zu zahlen.
- 2.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- 3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger nimmt die beklagte Gemeinde wegen Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht in Anspruch.
Er behauptet, sein Sohn, A.... A.... , habe am 3.6.2005 gegen 19.15 Uhr mit dem Pkw VW Golf des Klägers, die H.... Straße aus dem Ortsteil H.... kommend in Richtung I. befahren. Unstreitig stehen entlang der H Straße auf dem Randstreifen jeweils etwa 50 - 60 cm vom Fahrbahnrand entfernt ca. 10 Meter hohe Birken mit einem Stammdurchmesser von 40 - 50 cm. Ebenfalls unstreitig herrschten zum Unfallzeitpunkt starke Windböen. Eine der in Fahrtrichtung des Herrn A.... A.... gesehen links der Fahrbahn stehenden Birken sei unmittelbar vor dem herannahenden Fahrzeug des Klägers quer über die Fahrbahn gefallen. Herrn A.... A.... sei es trotz eingeleiteter Notbremsung nicht mehr gelungen, das Fahrzeug vor dem Baum zum Stillstand zu bringen, weshalb es zum Zusammenstoß mit dem liegenden Baum gekommen sei.
Seinen ihm hierdurch entstandenen Schaden beziffert der Kläger wie folgt:
Fahrzeugschaden (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) | 1.900,--EUR |
---|---|
Gutachterkosten | 314,22 EUR |
Kostenpauschale | 25,- EUR |
Summe: | 2.239,22 EUR. |
Darüber hinaus verlangt er die hälftigen Kosten der außergerichtlichen Tätigkeit seines Prozessbevollmächtigten i.H.v. EUR 144,59 erstattet.
Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe ihm diesen Schaden zu ersetzen, da der Unfall auf eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten hinsichtlich des in Rede stehenden Straßenbaumes zurückzuführen sei.
Die betreffende Birke habe nur deshalb umfallen können, weil sie im Übergangsbereich des Stammes zum Wurzelwerk morsch gewesen sei. Dieser desolate Zustand wäre nach Auffassung des Klägers entdeckt worden, wenn die Straßenbäume von den Bediensteten der Beklagten pflichtgemäß überwacht worden wären. Eine laufende Überwachung durch die Beklagte sei jedoch nicht erfolgt.
Unstreitig hat die Gemeinde den geltend gemachten Anspruch für die Beklagte mit Schriftsatz vom 27.6.2005 zurückgewiesen.
Der Kläger beantragt,
- 1.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.239,22 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 27.6.2005 zu bezahlen;
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 144,59 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, die in Rede stehenden Bäume seien von der Beklagten in regelmäßigen Abständen auf ihre Standsicherheit untersucht worden. Bei dieser Überprüfung habe der in Rede stehende Baum keine äußerlich sichtbaren Schäden aufgewiesen, die auf eine Gefährdung seiner Standsicherheit hätten schließen lassen. Die letzte Kontrolle vor dem behaupteten Unfallereignis sei am 5.4.2005 erfolgt. Eine Haftung der Beklagten sei aber auch deshalb ausgeschlossen, da der Unfall alleine auf die Unachtsamkeit des Fahrers des klägerischen Pkw's zurückzuführen sei: Offenbar habe der Baum schon längere Zeit auf der Straße gelegen und der Sohn des Klägers sei infolge mangelnder Aufmerksamkeit gegen den gut sichtbar auf der Straße liegenden Baum gefahren.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen A.... A.... , B.... und C... sowie durch Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens des Dipl.-Ing. D
Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die gerichtlichen Niederschriften vom 24.10.2005 (Blatt 55-61 der Akte ) und vom 18.11.2005 (Blatt 88 - 91 der Akte) Bezug genommen
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die Beklagte haftet dem Kläger wegen Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht nach § 839 BGB i.V. mit §§ 9, 10 Abs. 1, 48 NdsStrG, Art. 34 GG für den durch den umgefallenen Baum entstanden Schaden:
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass am 3.6.2005 gegen 19.15 Uhr eine Birke unmittelbar vor dem herannahenden Pkw des Klägers auf die Heiteler Straße stürzte und der klägerische Pkw sodann gegen diesen Baum stieß.
Entsprechendes haben in übereinstimmenderweise der Sohn des Klägers, A.... A.... , und Herr C... als Zeugen bekundet. Anhaltspunkte dafür, dass die Darstellungen der Zeugen unzutreffend sein könnten, liegen dem Gericht nicht vor. Allein die Tatsache, dass der Zeuge A.... A.... als Sohn des Klägers ein eigenes Interesse am Ausgang dieses Rechtsstreits haben könnte, begründet keine berechtigten Zweifel an der Glaubhaftigkeit von dessen Aussage. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der völlig unbeteiligte Zeuge C... den Vorfall inhaltlich identisch geschildert hat.
Der beklagten Gemeinde oblag die Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des betreffenden Straßenbaumes als Amtspflicht gemäß §§ 9, 10 Abs. 1, 48 NdsStrG. Die Verkehrssicherungspflicht umfasst den Schutz vor Gefahren, die von Straßenbäumen ausgehen, sei es durch Herabfallen von Teilen eines Baumes, sei es durch Umstürzen eines Baumes selbst (vgl. BGH VersR 1965, 475; OLG Köln VersR 1992, 1370 f.; OLG Hamm VersR 1994, 347; OLG Brandenburg NVwZ-RR 2004, 76 [OLG Brandenburg 17.06.2003 - 2 U 50/02]). Die Straßenverkehrssicherungspflichtige Gemeinde muss Bäume oder Teile von ihnen entfernen, die den Verkehr gefährden, insbesondere, wenn sie nicht mehr standsicher sind oder herabzustürzen drohen. Zwar stellt jeder Baum an einer Straße eine mögliche Gefahrenquelle dar, weil durch Naturereignisse sogar gesunde Bäume entwurzelt oder geknickt oder Teile von ihnen abgebrochen werden können. Andererseits ist die Erkrankung oder Vermorschung eines Baumes von außen nicht immer erkennbar; trotz starken Holzzerfalles können die Baumkronen noch völlig grün sein und äußere Krankheitszeichen fehlen. Ein verhältnismäßig schmaler Streifen unbeschädigten Kambiums genügt, um eine Baumkrone rundum grün zu halten. Das rechtfertigt aber nicht die Entfernung aller Bäume aus der Nähe von Straßen; denn der Verkehr muss gewisse Gefahren, die nicht durch menschliches Handeln entstehen, sondern auf Gegebenheiten oder Gewalten der Natur beruhen, als unvermeidbar hinnehmen. Eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht liegt in solchen Fällen nur dann vor, wenn Anzeichen verkannt oder übersehen worden sind, die nach der Erfahrung auf eine weitere Gefahr durch den Baum hinweisen (BGH NJW2004, 1381).
Aus diesen Grundsätzen wird in der Rechtsprechung die Folgerung gezogen, dass eine sorgfältige äußere Gesundheits- und Zustandsprüfung regelmäßig zwei Mal im Jahr erforderlich ist, nämlich einmal im belaubten und einmal im unbelaubten Zustand (sh. insbesondere OLG Düsseldorf NVwZ-RR 1997, 257; OLG Hamm NJW-RR 2003, 968 [OLG Hamm 04.02.2003 - 9 U 144/02]; OLG Brandenburg NVwZ-RR 2004, 76 [OLG Brandenburg 17.06.2003 - 2 U 50/02]). Die von einem Bediensteten der beklagten Gemeinde durchgeführten Kontrollen der schadensursächlichen Birke waren unzureichend: Nach gefestigter Rechtsprechung reicht zur Kontrolle im Regelfall zwar eine in angemessenen Abständen vorgenommene äußere Sichtprüfung bezogen auf die Gesundheit und Standsicherheit des Baumes aus, wenn dabei keine konkreten Defektsymptome des jeweiligen Baumes - wie etwa spärliche oder trockene Belaubung, dürre Äste, äußere Verletzungen, Wachstumsauffälligkeiten oder Pilzbefall - erkennbar sind (vgl. OLG Hamm NZV 2005, 372 (373) [OLG Hamm 24.09.2004 - 9 U 107/04]; BGH VersR 2004, 877 (878) [BGH 04.03.2004 - III ZR 225/03]). Diese Sichtprüfung muss jedoch in Form einer fachlich qualifizierten Inaugenscheinnahme des Baumes vom Boden aus durchgeführt werden, wobei sich die seit 1991 bekannte VTA-Methode ("Visual Tree Assesssment") bewährt hat. Diesen Anforderungen hat die im Streitfall durchgeführte Sichtprüfung nicht genügt, da die Birke nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bei dem letzten Kontrollzeitpunkt vor dem Schadensfall nicht zu Fuß, sondern aus einem Fahrzeug heraus kontrolliert worden war. Der Zeuge B.... , Bauingenieur bei der Beklagten, hat ausgesagt, die standardgemäße Baumkontrolle finde aus dem Fahrzeug heraus statt, das mit einer Geschwindigkeit von 30 - 50 km/h fahre. Das Kontrollfahrzeug sei bei der Überprüfung vom April 2005 nur mit ihm besetzt gewesen. Dieses Verfahren ist nicht sachgerecht, da etwaige Defekte des Baumes aus einem derart schnell fahrenden Pkw heraus nicht erkannt werden können.
Dieser Kontrollmangel der Beklagten war für den Schadenseintritt ursächlich. Der Sachverständige Dipl.-Ing. D hat überzeugend ausgeführt, dass sich der in Rede stehende Baum im April 2005 bereits in der Absterbephase befand und dieser Umstand bereits bei einer einfachen Sichtkontrolle vom Boden aus erkennbar gewesen wäre. Danach hat es drei Anzeichen für die Schädigung des Baumes gegeben: An der Seite zum Bach hin sei der Baum in einem Bereich von ca. 1/3 des Stammes hohl gewesen. Darüber hinaus habe es an der Straßenseite des Baumes drei Wunden gegeben, die man unproblematisch habe erkennen können. Diese drei Wunden hätten genau übereinander gelegen. Daraus hätte man daraufschließen können, dass der für diesen Bereich zuständige Wurzelanläufer tot gewesen sei. Schließlich sei die Krone nur noch sehr schwach ausgeprägt gewesen. Insbesondere diese Tatsache sei ein deutliches Anzeichen dafür gewesen, dass der Baum im Absterben begriffen war. Die Ausgestaltung der Krone zeige auch, dass dieser Absterbevorgang sehr weit fortgeschritten gewesen sei. Dieser Zustand des Baumes hätte die Beklagte zu einer eingehenderen Überprüfung des Baumes bewegen müssen, bei der seine Umsturzgefahr deutlich geworden wäre und Veranlassung zu seiner Beseitigung gegeben hätte.
Hat die Beklagte mithin schuldhaft ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt, so muss sie grundsätzlich für den dem Kläger entstandenen Schaden einstehen. Ein anspruchsminderndes Mitverschulden des Fahrers des klägerischen Fahrzeuges, A.... A.... , hat die Beklagte nicht bewiesen:
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann das Gericht nicht mit der erforderlichen Gewissheit davon ausgehen, dass der Sohn des Klägers den Zusammenstoß mit dem Baum vermeiden konnte. Der Zeuge C... hat bekundet, dass Herr A.... A.... keine Möglichkeit zum Anhalten hatte. Der Umsturz des Baumes sei zu schnell erfolgt, als dass man hätte reagieren können. Zwar konnte der Zeuge C... nicht ausschließen, dass eine Vollbremsung bei trockener Fahrbahn erfolgreich gewesen wäre. Hieraus kann nun aber nicht mit der nötigen Gewissheit gefolgert werden, dass Herr A.... A.... gegen seine Verpflichtung zu einem der Witterung angepassten Fahren verstoßen und dadurch den Unfall mit verschuldet hat. Denn zum einen ist es auch nach der Bekundung des Zeugen C... möglich, dass Herr A.... A.... auch bei trockener Fahrbahn einen Zusammenstoß nicht hätte vermeiden können. Darüber hinaus gilt es zu beachten, dass der Zeuge C... auf einem Schlepper saß und mithin ein deutlich größeres Sichtfeld als Herr A.... A.... in dem VW Golf hatte. Herr A.... konnte das Fallen des Baumes wegen des eingeschränkten Sichtfeldes sowie auf Grund der Tatsache, dass er sich bereits deutlich näher als der Zeuge C... an dem Baum befand, erst deutlich später wahrnehmen als der Zeuge C. Wenn der Zeuge C... nach seiner Auffassung ebenfalls keine Möglichkeit mehr gehabt hätte, abzubremsen, wenn er sich mit seinem Schlepper dort befunden hätte, wo der VW Golf fuhr, so bedeutet dies folglich, dass der Zeuge A.... erst recht in seinen Reaktionsmöglichkeiten eingeschränkt war. Dies aber bedeutet, dass der Schadensersatzanspruch des Klägers nicht wegen eines mitwirkenden Verschuldens seines Sohnes eingeschränkt ist.
Den Fahrzeugschaden in Höhe von 1.900,-EUR sowie die Gutachterkosten in Höhe von 314,22 EUR hat die Beklagte nach Vorlage des Gutachtens und der Gutachterrechnung nicht substantiiert bestritten. Dementsprechend steht dem Kläger gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 2.239,22 EUR zu. Darüber hinaus kann der Kläger die Erstattung der hälftigen Kosten der außergerichtlichen Anwaltstätigkeit in Höhe von 144,59 EUR verlangen.
Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 286, 288, 291 BGB. Mit dem Ausgleich des Schadensersatzanspruchs in Höhe von 2.239,22 EUR befand sich die Beklagte auf Grund ihres ablehnenden Schreibens vom 27.6.2005 ab dem 27.6.2005 in Verzug.